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Offenbach trifft Strawinsky
Von Thomas Molke / Fotos von Matthias Stutte Zwischen Jacques Offenbach und Igor Strawinsky liegen musikalisch Welten, so dass es zunächst ungewöhnlich erscheint, dass Ballettdirektor Robert North bei einem zweiteiligen Ballettabend Strawinskys Handlungsballett Petruschka mit einer Geschichte über den "Vater der französischen Operette" kombiniert. Doch North verwendet nicht nur im zweiten Teil des Abends Strawinskys Quatre Études, sondern lässt auch die beiden Komponisten Strawinsky und Offenbach leibhaftig aufeinander treffen und ihren musikalischen Dissens austragen, so dass die beiden Teile nicht ganz zusammenhanglos nebeneinander stehen. Stilistisch könnten sie allerdings dennoch kaum unterschiedlicher sein. Immerhin wurden sie ursprünglich für unterschiedliche Ballett-Compagnien choreographiert und kamen bereits 1995 zur Uraufführung. North brachte seine Fassung von Strawinskys Handlungsballett zunächst am Grand Théâtre de Bordeaux heraus und schuf sein Offenbach-Ballett für das Grand Théâtre de Genève. Nun hat er beide Abende mit seinem Ballett-Ensemble in Krefeld und Mönchengladbach einstudiert. Den Anfang macht Petruschka, Strawinskys zweites großes Handlungsballett, das bereits ein Jahr nach dem überwältigenden Erfolg von Der Feuervogel mit Djagilews Ballets Russes entstand. In dieser Geschichte werden drei Puppen - Petruschka, die Ballerina und der Mohr - durch das magische Flötenspiel eines Gauklers auf einem Jahrmarkt lebendig und entwickeln menschliche Gefühle. Petruschka liebt die Ballerina, wird allerdings aufgrund seiner Hässlichkeit von ihr für den prachtvoll gekleideten Mohr zurückgewiesen. Dennoch will er sich nicht kampflos geschlagen geben und stört ein Rendezvous des Mohren mit der Ballerina. Es kommt zu einem Zweikampf auf dem Jahrmarkt, bei dem der Mohr Petruschka tötet. Der Gaukler versucht, dem Publikum zu vermitteln, dass es alles nur ein Puppenspiel gewesen sei, und die Menge auf dem Jahrmarkt verzieht sich. Der Gaukler bleibt allein mit den Puppen zurück, bis Petruschkas Geist über dem Theater erscheint und den Gaukler von der Bühne vertreibt. Petruschka (Alessandro Borghesani) liebt die Ballerina (Elisa Rossignoli). North verlegt die Handlung aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart auf den Newski-Prospekt in St. Petersburg. Aus beweglichen angeschrägten Bühnenelementen in Grau, Blau und Rot lässt er mal die zahlreichen Buden eines Jahrmarktes formen, über den zahlreiche Menschen strömen, und setzt sie dann wieder zu halbrunden Räumen zusammen, die dann die "Zellen" Petruschkas beziehungsweise des Mohren darstellen. Der zaristische Prunk der reichen russischen Gesellschaft ist hier einer einfachen grauen Kleidung gewichen, in der die neureichen Frauen und Männer auftreten. Die jungen Männer und Frauen nehmen in ihren blauen und roten Kostümen die Farben der Bühnenelemente wieder auf. Diese eher sachlichen Farben werden von folkloristisch auftretenden Dorfmusikantinnen und zwei Zigeunerinnen gebrochen. Die Bewegungen wirken volkstümlich wie der Jahrmarkt, auf dem die Szene spielt. Den Gaukler führt North als janusköpfigen Scharlatan ein. Luca Ponti trägt über einem langen schwarzen Mantel eine doppelköpfige Maske, die auf der einen Seite einen alten Mann mit wallendem weißen Haar und auf der anderen Seite den Tod höchstpersönlich zeigt. Mit seinem Flötenspiel erweckt er die drei Puppen zum Leben. Im weiteren Verlauf tritt Ponti wie eine Art Showmaster in glitzerndem Kostüm auf. Der Scharlatan (Luca Ponti, Mitte) setzt dem Treiben der Puppen ein Ende (links: der Mohr (Raphael Peter), rechts: Petruschka (Alessandro Borghesani) und die Ballerina (Elisa Rossignoli), im Hintergrund: Ensemble). Alessandro Borghesani wirkt als Petruschka in seinem weißen Kostüm wie ein Patient einer Nervenklinik. So wird er im zweiten Bild auf einem Stuhl mit hoher Lehne vom Scharlatan auf die Bühne gefahren und scheint, sich in einer wirklichen Zelle zu befinden. Elisa Rossignoli ist als Ballerina optisch recht volkstümlich gehalten. Raphael Peter wirkt als Mohr in seinem dunklen Kostüm wie ein Parteifunktionär des russischen Geheimdienstes und macht mit machohaftem Gehabe schnell deutlich, was er eigentlich von der Ballerina will. So hat man den Eindruck, dass Petruschka die Ballerina vor dem aufdringlichen Mohren retten muss. Sie fliehen aus seinem Büro und landen wieder im bunten Treiben des Jahrmarktes, wobei es dann zur tödlichen Auseinandersetzung kommt. Das Flötenspiel des Scharlatans fordert hier allerdings gleich drei Opfer und lässt alle Puppen leblos zusammenbrechen. Das Ballett-Ensemble gefällt in dieser Choreographie in den Ensembles durch Homogenität. Rossignoli begeistert mit Borghesani im Pas de deux durch eine bewegende Innigkeit. Ponti verleiht dem Scharlatan diabolische Züge, und Peter überzeugt als Mohr durch kraftvolle Sprünge. Offenbach (Paolo Franco) und die Seele von Paris (Karine Andrei-Sutter) Wesentlich humoristischer ist der zweite Teil des Abends angelegt. Zu Beginn sieht man Paolo Franco als quirligen alten Jacques Offenbach, der mit unbeschreiblicher Agilität Auszüge aus Gaité Parisienne zu dirigieren scheint, bis er auf der Bühne zusammenbricht. Karine Andrei-Sutter erscheint mit betörendem Spitzentanz als "Seele von Paris" und will den Komponisten aus dem Reich der Toten zurück ins Leben nach Paris holen. Geführt von fünf "Impressionistischen Damen", die in ihren weißen Gewändern mit den verschleierten Gesichtern an die Wilis erinnern, gelangt er in ein Paris des frühen 20. Jahrhunderts, in dem zwar immer noch die pulsierenden Klänge seiner Musik den Alltag bestimmen, wo sich allerdings allmählich auch eine neue Epoche ausbreitet, mit der Offenbach nicht klar kommt. So reiht sich Franco mit überbordender Frische in die Ensembles zu den Auszügen aus Orphée aux Enfers, La Belle Hélène und La vie Parisienne ein und tanzt mal mit den Kellnern, mal mit den Eiffel-Turm-Frauen, während es mit Strawinsky und Djagilew über die neue musikalische Ausrichtung zu einem regelrechten Eklat kommt. Minotaurus (Alessandro Borghesani) und die Nymphe (Elisa Rossignoli) Besonders beeindruckend gelingen hierbei der Danse Apache auf der einen Seite und das Pas de Deux des Minotaurus mit der Nymphe auf der anderen Seite. Polina Petkova und Alessandro Borghesani begeistern beim Danse Apache mit großartiger Komik als ein Pärchen, das sich beim Tanz abwechselnd versucht, ein Beinchen zu stellen. Mit welcher Komik Borghesani und Petkova diese Nummer in eine Slapstick-Nummer verwandeln, begeistert das Publikum. Wesentlich unheimlicher geht es dann im Pas de deux zwischen Borghesani als Minotaurus und Elisa Rossignoli als Nymphe zu, wenn die Nymphe den Annäherungsversuchen des Minotaurus hilflos ausgeliefert ist. Borghesani begeistert hier durch bedrohliche Bewegungen, während Rossignoli verzweifelt versucht, diesem Ungeheuer zu entkommen. Großartig umgesetzt wird auch die Skulptur der "Kuss" von Auguste Rodin, der mit den beiden Tänzern Jessica Gillo und Robin Perizonius zum Leben erwacht. Handfester Komponistenstreit: Offenbach (Paolo Franco, Mitte) gegen Igor Strawinsky (Raphael Peter, rechts) Wieso Luca Ponti als Djagilew, Giuseppe Lazzara als Picasso und Raphael Peter als Strawinsky weiße Masken tragen, erklärt sich nicht. Sollen die Figuren dadurch besser erkannt werden? Ponti gibt den russischen Impresario mit rundem Bauch und beweist trotz des umfangreichen Kostüms große Beweglichkeit. Peter liefert sich als Strawinsky mit Franco einen atemberaubenden Schlagabtausch, und Lazzara zeichnet Picasso als recht exzentrischen Maler. Wieso es ausgerechnet die Gruppe "Les Six" sein soll, die Frieden einkehren lässt, wird inhaltlich nicht ganz klar. Schließlich standen die Vertreter dieser Gruppe eher für Erneuerungen in der Kunst und dürften Offenbach demnach genauso ein Dorn im Auge sein wie Strawinsky. Aber vielleicht interpretiert man an dieser Stelle auch zu viel in den Abend hinein. Zum berühmten "Can-Can" aus Orphée aux Enfers kommt es nämlich zur großen Versöhnung und Offenbach bleibt der Sieger des Komponisten-Wettstreits. Das Publikum belohnt auch diesen zweiten Teil mit großem Jubel für alle Beteiligten. FAZIT Robert North gelingt mit diesem zweiteiligen Ballettabend beste Unterhaltung auf hohem tänzerischen Niveau.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreographie
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
SolistenPetruschka Petruschka
Die Ballerina
Der Mohr
Scharlatan Dorfmusikanten Neureiche Frauen Neureiche Männer Drei russische Mädchen Drei russische Jungen Zigeunerinnen Ein Bär
Offenbach Jacques Offenbach Die Seele von Paris Impressionistische Damen Kellner Frauen von Edgar Degas Soldaten Danse Apache Die Eiffel-Turm-Frauen "Kuss" von Auguste Rodin Jean Cocteau Pablo Picasso Sergei Djagilew Igor Strawinsky Minotaurus Nymphe Drei Musikanten Die Gruppe "Les Six"
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