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Barbier 3.0: Das Erfolgsrezept für eine gute Musikkomödie im Multimedia-Zeitalter
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Man nehme: 4 Medaillons vom Rind oder Kalb, 4 Scheiben foie gras von der Gans (ca. 1 cm dick), 1 Trüffel (schwarz, 10 – 20g). Oder 1 Tenor, 1 Mezzosopran (oder Sopran) und 1 Buffo-Bariton. Unter anderem. Regisseur Kobie van Rensburg blendet gleich zu Beginn das Kochrezept für „Tournedos Rossini“ ein und daneben das entsprechende „Rezept“ für den Barbiere di Siviglia, und damit spielt er sowohl auf Rossinis Karriere als Koch an als auch darauf, dass der Barbier ganz ähnlich einem Kochrezept konstruiert ist, wobei der Komponist keine Skrupel hatte, die eine oder andere Musiknummer seinen älteren Opern zu entnehmen. Der Mechanismus der Komödie ist das eigentliche Thema der Regie – die Pointen sollen sitzen, der musikalisch-dramaturgische Aufbau „funktionieren“, und das ist wichtiger als inhaltliche Stringenz. Da macht es durchaus Sinn, den Komponisten gelegentlich auftreten zu lassen, Zeichen für Auftritte oder Effekte gebend. Der hält die Oper sozusagen den ganzen Abend über am Köcheln. (Was gleichzeitig die altmodischste Idee der Regie an diesem Abend ist.) Da ist er, der Star aller Frisöre.
Kobie van Rensburg spielt gerne mit der Video-Technik, wie an diesem Theater schon in der Hochzeit des Figaro und dem Don Giovanni. In diesem Barbier, das ist der eigentliche Clou der Inszenierung, lässt er die Sänger durch zwei Kameras aufnehmen und die Bilder unmittelbar in ganz andere Hintergründe montieren, was beinahe zeitgleich (an die Verschiebung um Sekundenbruchteile muss man sich gewöhnen) auf eine Leinwand oberhalb der Bühne projiziert wird. So sieht man unten die Darsteller real auf der (leeren) Bühne, oben dagegen in virtuellen Bühnenbildern. Da singt Almaviva auf einer Großstadtstraße, wir lernen Figaros schicken Frisiersalon kennen, und Rosina begegnet uns in der Badewanne, züchtig hinter Schaum oder Handtuch verborgen. Dieses Verfahren ermöglicht eine Reihe verblüffender Effekte, lässt den Ort des Geschehens von einem Moment zum nächsten wechseln (oder gleichzeitig mehrere Orte einblenden), und zu sehen bekommt man dadurch ausgesprochen viel. Dabei versetzt van Rensburg die Komödie in die wilden späten 1960er-Jahre (oder frühen 1970er) mit ihrer aus heutiger Sicht mitunter ziemlich schrägen Ästhetik. Würden die Beatles irgendwann um die Ecke schauen (es gibt eine kurze Anspielung darauf), man würde sich nicht wundern. Ausgeblendet ist aber alles Politische - van Rensburg interessiert sich allein für die ästhetische Seite der Epoche. Zwar hat man dieses Prinzip bald durchschaut, aber es gibt genug Überraschungsmomente, um die Spannung zu halten. Dazu kommt, dass der Text in ziemlich freier Übersetzung oft in der Nähe von Jugendsprache eingeblendet wird. Kurz gesagt: Total groovy, dieser Barbier. Auch das ist Mittel zum Zweck: Es hebt den Irrwitz dieser Oper hervor. Nächtliche Gesangseinlage: Figaro (links) und Almaviva
Alle Technik würde nichts helfen, hätte van Rensburg nicht ein ausgesprochen spielfreudiges Ensemble (den aufmerksamen Herrenchor und die Statisterie eingeschlossen) und eine ausgefeilte Personenregie. Die ist letztendlich recht konventionell und unterscheidet sich gar nicht so sehr von anderen Inszenierungen. Die Komödienrezeptur wird natürlich nicht erst hier erfunden, und vereinfacht lässt sich sagen: Wenn die (bewährten) Zutaten sowie Tempo und Timing stimmen (was hier der Fall ist), dann läuft der Barbier ja quasi von allein. Die Komödienmaschinerie gerät nur ganz kurz ins Stocken, wenn vor dem Finale noch schnell zwei reich verzierte Nummern für den Grafen Almaviva eingeschoben werden, wohl weil man mit Levy Sekgapane einen ungemein koloratursicheren jungen Sänger hat, der mit seiner Virtuosität das Premierenpublikum zu Begeisterungsstürmen hinriss – wobei man geflissentlich darüber hinweg hörte, dass die Stimme noch ziemlich unausgereift und eng im Klang ist und es den lang gehaltenen Spitzentönen erheblich an Substanz fehlt. Sei's drum: Da wächst ein Sänger mit Potenzial heran. Innerhalb von vier Tagen bekommt Musiklehrer Basilio (Mitte) die Intrige "gebacken", wie man der eingeblendeten Übersetzung entnehmen kann - Bartolo (links) ist zufrieden, Figaro wird hellhörig.
Als Rosina trumpft Sophie Witte mit relativ leichtem, beweglichem Sopran auf, der aber immer noch Reserven hat, wenn erforderlich. Die fehlen dem Figaro von Rafael Bruck, in der Höhe ein wenig blass und dadurch nicht ganz mit der vokalen Souveränität, die diese Rolle bräuchte – musikalisch stiehlt ihm das angehende gräfliche Paar die Show. Hayk Dèinyan zeigt als Doktor Bartolo viel musikalischen Witz, Andrew Nolen gibt einen sehr akkuraten Musiklehrer Basilio, Debra Hays spielt als Dienerin Berta ihre ganze Bühnenerfahrung aus. Und in den Ensembles singen sie hervorragend aufeinander abgestimmt. Die guten Niederrheinischen Sinfoniker (mir sehr präsenten Holzbläsern) unter der Leitung von Kapellmeister Andreas Fellner begleiten mit Esprit und Leichtigkeit. Krisensitzung per Telefon, filmisch gesplittet: Figaro in seinem Salon, Rosina in häuslicher Umgebung.
Die musikalische Seite stimmt, der Spielwitz ist da - wäre so viel videotechnischer Aufwand ohne interpretatorischen Mehrwert überhaupt nötig gewesen? In Krefeld und (in der nächsten Spielzeit) Mönchengladbach kann man sich jedenfalls rühmen, den spektakulärsten und ästhetisch hippesten Barbier weit und breit zu spielen. Und van Rensburg hat ja nicht nur viele schöne Ideen, er verzahnt die unterschiedlichen Elemente auch geschickt und weiß im Zweifelsfall zu dosieren. Und er denkt von der Musik her. Großer Jubel beim Premierenpublikum.
Ein unterhaltsamer Barbier 3.0 für das Multimediazeitalter mit spektakulären technischen Spielereien - und einer ausgezeichneten Ensembleleistung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Graf Almaviva
Figaro
Dr. Bartolo
Rosina
Don Basilio
Fiorillo
Ambrosio
Berta
Ein Offizier
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