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The Rape of Lucretia

Oper in zwei Akten
Libretto von Ronald Duncan nach einem Schauspiel von André Obey
Musik von Benjamin Britten


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 50' (keine Pause)

Premiere im Staatenhaus Saal 3 in Köln am 17. Januar 2016


 



Oper Köln
(Homepage)

Schatten der Vergangenheit

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre

Als im Herbst letzten Jahres feststand, dass die Sanierungsarbeiten im Kölner Opernhaus nicht rechtzeitig beendet werden konnten, musste nicht nur kurzfristig nach einer neuen Spielstätte gesucht werden, da die bisher während der Umbauzeit genutzte Oper am Dom nicht mehr zur Verfügung stand. Auch der ursprünglich angesetzte Spielplan konnte nicht in vollem Umfang im Staatenhaus auf dem Messegelände Deutz umgesetzt werden. Dass bei der Suche nach neuen Produktionen die Wahl ausgerechnet auf Brittens The Rape of Lucretia fiel, könnte dabei für Köln von besonderer Bedeutung sein. Die deutsche Erstaufführung dieses Werkes fand nämlich 1948 ebenfalls in einer Ersatzspielstätte, den Kammerspielen am Ubierring, statt, da das Opernhaus aufgrund der Kriegsschäden noch nicht wieder bespielbar war. Auch wenn die Entscheidung für dieses Stück unabhängig von seiner Geschichte für die Stadt Köln getroffen worden sein mag, erweist sich der Saal 3 im Staatenhaus als prädestinierter Ort für die Inszenierung der jungen Regisseurin Kai Anne Schuhmacher. Das Publikum sitzt rechts und links vom Orchester direkt am Geschehen auf der Bühne, was die Intimität des kammermusikalischen Rahmens dieser Oper unterstützt.

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Male Chorus (Keith Bernard Stonum, vorne) und Female Chorus (Justyna Samborska) mit Tarquinius (In Sik Choi, ganz hinten) und Collatinus (Matthias Hoffmann, davor)

Auch wenn die erzählte Geschichte um 500 v. Chr. zur Zeit des letzten etruskischen Königs Tarquinius Superbus spielt, ist das Stück mit der Vergewaltigungs-Thematik immer noch hochaktuell. Vielleicht ist diese Aktualität aber auch gerade der Grund dafür, dass Brittens Oper nicht nur bei der Uraufführung der Erfolg verwehrt blieb, sondern auch heute noch relativ selten auf den Spielplänen steht. André Obey bearbeitete die Erzählung des römischen Geschichtsschreibers Livius über die römische "Mustergattin" Lucretia, die zum einen zu einer Ikone der keuschen Ehefrau stilisiert und auch in der Bildenden Kunst immer wieder behandelt wurde und deren Leid zum anderen das Ende der Königsherrschaft in Rom einläutete und den Weg zur Republik ebnete, zu einem Schauspiel um, das Britten als Vorlage für seine Oper diente. Während Obey in seinem Schauspiel mit einem antiken Chor arbeitet, reduziert Britten diesen Chor personell auf zwei Personen, die in Form eines Female und Male Chorus einerseits als Kommentatoren agieren, andererseits die Handlung vorantreiben. Die Römer befinden sich im Krieg gegen die Griechen und kommen unter Alkoholeinfluss von Langeweile geplagt auf die Idee, die Treue ihrer Ehefrauen zu testen. Als sich herausstellt, dass nur Collatinus' Gattin Lucretia ihrem Gatten während seiner Abwesenheit die Treue hält, schmiedet Junius aus gekränkter Ehre einen Plan. Er stiftet den Sohn des Königs, Tarquinius Sextus, an, Lucretias Treue auf die Probe zu stellen. Tarquinius begibt sich zu Lucretia und versucht, sie zu verführen. Da sein männlicher Stolz Lucretias Zurückweisung nicht erträgt, vergewaltigt er sie. Lucretia berichtet ihrem Mann von der Schandtat, und obwohl Collatinus ihr keinerlei Vorwürfe macht, begeht sie aus Schuldgefühl Selbstmord. Collatinus und Junius rufen zum Aufstand gegen den König auf. Während der Female Chorus am Ende an der moralischen Aussage des Stückes verzweifelt, weist der Male Chorus auf das Leiden Christi hin, das den Menschen schließlich Erlösung bringe.

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Tarquinius (In Sik Choi) begehrt Lucretia (im Hintergrund: Harfenistin Saskia Kwast).

Schuhmacher nähert sich der Geschichte gewissermaßen aus einem anderen Universum. Bevor die Musik beginnt, hört man eine Botschaft, die ins All geschickt worden ist und andere Lebewesen mit der Kultur auf der Erde vertraut machen soll. Aus dem Dunkel tritt zunächst der Female Chorus auf und durchforstet mit einer Taschenlampe einen scheinbar öden Planeten, auf dem zunächst nur Knochen gefunden werden. Der Male Chorus tritt als eine Art mephistophelischer Charakter hinzu und bringt die Geschichte ins Rollen. Unter weißen Tüchern werden Collatinus, Junius und Tarquinius aufgedeckt, die aus ihrer Erstarrung erwachen, als mit schwarzen Tüchern verhüllte Schattengestalten über sie hinwegschreiten. Die Geschichte kann beginnen. In der Mitte der Bühne von Tobias Flemming sieht man einen quadratischen Teich, in dessen Mitte sich eine kreisrunde Insel befindet. Wenn sich die drei Männer an dem Wasser des Teiches berauschen und über Liebesgenuss, Wein und Frauen austauschen, wird auf dieser Insel unter einem riesigen weißen Tuch eine Harfe mit einer Harfenistin (Saskia Kwast) in einem roten Kleid enthüllt, was die Männerfantasien auf den Punkt bringt. Beeindruckend gelingt auch der Lichtregie von Nicol Hungsberg, wie diese Harfe auf den Hintergrund den Schatten einer Frau wirft. Sie reflektiert das Reine, das Lucretia verkörpert und das Tarquinius begehrt. So verwundert es nicht, dass Lucretia, die zunächst mit ihren Dienerinnen als schwarz verhüllter Schatten auftritt, sich zu der Harfe auf diese Insel begibt, nachdem sie den schwarzen Umhang abgelegt hat.

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Die Schändung der Lucretia (Judith Thielsen) durch Tarquinius (In Sik Choi) im weißen Zelt

Was nun wirklich im zweiten Akt in Lucretias Schlafgemach passiert, lässt Schuhmacher in ihrer Musik so offen wie die Musik. Das weiße Tuch, das zunächst die Harfe bedeckt hat und anschließend im Teich verschwunden ist, wird zu einem weißen Zelt emporgezogen, in das sich Lucretia und Tarquinius begeben. Hier verzichtet Schuhmacher auf jegliche Farbsymbolik, die mit der Ausleuchtung nun möglich gewesen wäre. Lucretia bleibt also in gewisser Weise rein. Auch wenn sie sich nach ihrem Gespräch mit Collatinus das Leben nimmt, verschwindet sie in diesem weißen Zelt und taucht, wenn das Zelt wieder in den Teich herabsinkt, nur im Hintergrund als weißer Schatten unter einem weißen Tuch auf. Ihre Keuschheit strahlt also über ihren Tod hinaus, während die anderen Charaktere von den dunklen Schatten wieder aufgenommen oder in den Anfangszustand zurückversetzt werden. Auch die christliche Thematik greift Schuhmacher in ihrer Inszenierung auf, indem der Kranz, den sich Lucretia nach der Schändung gemäß Libretto aus den Orchideen flechtet, eine Dornenkrone ist, mit der sie sich zur christlichen Märtyrerin stilisiert.

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Lucretia (Judith Thielsen) berichtet ihrem Gatten Collatinus (Matthias Hoffmann) von ihrer Vergewaltigung.

Musikalisch bewegt sich die Aufführung, die fast ausschließlich mit Mitgliedern des Internationalen Opernstudios der Oper Köln besetzt ist, auf beachtlichem Niveau. Keith Bernard Stonum und Justyna Samborska begeistern als Male und Female Chorus mit hervorragender Diktion. Stonum lotet mit geschmeidigem Tenor die Partie des Male Chorus nuanciert aus und vollzieht einen glaubhaften Wandel vom mephistophelischen Charakter, der zunächst Freude an dem Experiment findet, hin zum geläuterten Beobachter, der über den Ausgang der Geschichte selbst schockiert ist und in Christus die Erlösung sucht. Samborska hält mit strahlendem Sopran dagegen und befreit sich im Laufe des Stückes immer mehr aus ihrem Abhängigkeitsverhältnis. So legt sie die Leine, an der der Male Chorus sie zu Beginn des Stückes führt, am Ende ab und befindet sich im Epilog gewissermaßen auf Augenhöhe mit ihrem männlichen Pendant. Judith Thielsen überzeugt als Lucretia mit warmem Mezzo und darstellerischer Intensität. Subtil gelingt ihr die Szene mit Tarquinius im Schlafgemach, in der sie zunächst seinen Kuss erwidert, da sie von ihrem Gatten Collatinus träumt. Absolut bewegend gelingt auch ihr Leidensweg in den Selbstmord. Matthias Hoffmann verfügt als ihr Gatte Collatinus über einen kräftigen Bassbariton. Gleiches gilt für In Sik Choi als Tarquinius. Absolut glaubhaft wirkt sein Verlangen nach dieser reinen Frau, die er unbedingt besitzen möchte. Dongmin Lee überzeugt als Dienerin Lucia mit mädchenhaftem Sopran und leuchtenden Höhen. Ob ihre Naivität allerdings mit kleinen Engelflügeln unterstrichen werden muss, die sie bei ihrem Traum von der Liebe trägt, ist Geschmacksache.

Ergänzt werden die Mitglieder des Opernstudios von Christian Miedl als Junius und Gabriella Sborgi als Bianca. Miedl stattet den intriganten General mit kräftigem Bariton aus und Sborgi überzeugt als alte Amme mit dunklem Mezzo. Rainer Mühlbach lotet mit der kleinen Besetzung des Gürzenich-Orchesters Köln Brittens vielschichtige Partitur differenziert aus. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team unter großem Beifall einreiht.

FAZIT

Die Einweihung der neuen Spielstätte im Saal 3 des Staatenhauses kann mit dieser Inszenierung von Kai Anne Schuhmacher als rundum gelungen bezeichnet werden.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rainer Mühlbach

Inszenierung
Kai Anne Schuhmacher

Bühne
Tobias Flemming

Kostüme
Valerie Hirschmann

Licht
Nicol Hungsberg

Dramaturgie
Georg Kehren

 

Gürzenich-Orchester Köln

Harfenistin
Saskia Kwast

Statisterie der Bühnen Köln

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Male Chorus
*Keith Bernard Stonum /
Taejun Sun

Female Chorus
Justyna Samborska

Collatinus, ein römischer General
Matthias Hoffmann

Junius, ein römischer General
Christian Miedl

Prinz Tarquinius,
Sohn des etruskischen Tyrannen
Tarquinius Superbus

In Sik Choi

Lucretia, Gattin des Collatinus
Judith Thielsen

Bianca, Lucretias alte Amme
Gabriella Sborgi

Lucia, Lucretias Dienerin
Dongmin Lee


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Oper Köln
(Homepage)



Da capo al Fine

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