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Grotesk - aber
faszinierend Von Bernd Stopka / Fotos von Falk von Traubenberg Mit seiner opéra-comique Fra Diavolo, ou L’hôtellerie de Terracine schuf Daniel-François-Esprit Auber ein Meisterwerk, das nach der Uraufführung 1830 in Paris seinen sprichwörtlichen Siegeszug durch die Opernhäuser der Welt antrat, in den letzten Jahrzehnten aber etwas in Vergessenheit geraten ist. Bedauerlicherweise, denn die Verbindung des geistreichen Textes von Eugène Scribe mit Aubers ebenso gewitzter und quicklebendiger Musik ergab ein köstliches Werk, das textlich wie musikalisch mit Esprit und Elan entzücken und bestens unterhalten kann. 1933 entstand eine urkomische (aber nicht alberne!) Verfilmung dieser Räuberoper (The devil’s Brother – in deutschen Synchronisationen: Hände hoch – oder nicht, Die Sittenstrolche oder Die Teufelsbrüder) mit Stan Laurel und Oliver Hardy als Fra Diavolos Räuberkumpanen. Trotz einiger Freiheiten und Erweiterungen bleibt der Film erstaunlich nah am Original und hat die Geschichte so einem breiten Publikum bekannt gemacht. Die Geschicklichkeitsspiele Kniechen, Näschen, Öhrchen und Fingerwackeln haben in diesem Film ihren Ursprung. Wer hat nicht versucht es nachzumachen – und ist zum Vergnügen der anderen gescheitert…?!
Der Räuberhauptmann Fra Diavolo ist ebenso geschickt wie charmant, taucht immer nur inkognito auf, betört die Frauen und stiehlt ihnen ebenso die Ehre wie den Schmuck – und den Ehemännern die Barschaften. Sein Unwesen treibt er in der Gegend von Terracine und wird dort gefürchtet und bewundert. Der mittellose Dragoneroffizier Lorenzo liebt die Gastwirtstochter Zerline, die jedoch mit dem reichen Bauern Francesco verheiratet werden soll. Ein englisches Ehepaar, das sich auf Hochzeitsreise durch Italien befindet, wird von Fra Diavolos Kumpanen ausgeraubt. Er selbst folgt ihnen, als Marquis verkleidet, in Matteos Gasthof, treibt sein Spiel und wird von seinen beiden trotteligen Begleitern unabsichtlich verraten. Lorenzo holt den englischen Schmuck zurück, kassiert eine Belohnung und kann seine Zerline heiraten. Zwischenzeitliche Verwirrungen inklusive. Am Ende überlistet und tötet Lorenzo den Oberdieb (der in einer späteren Fassung überlebt und fliehen kann). Eine Räuberpistole und Liebesgeschichte, aber ausgesprochen charmant erzählt und schwungvoll in Musik gesetzt. Regisseur Guillermo Amaya hat diese Oper für das Theater für Niedersachsen in den Bühnenbildern und Kostümen von Jörg Zysik inszeniert. Ein mehrstufiges Podest aus rohem Holz vor dunklem Hintergrund bildet die drehbare Spielfläche, auf der mit provisorisch wirkenden Bretterwänden das Wirtshaus von innen und außen markiert wird. Stimmungsvoll beleuchtet wird die jeweils angemessene Atmosphäre der einzelnen Szenen geschaffen. Eine richtig gute Lösung und ein „dienendes“ Bühnenbild, das unaufdringlich den wirkungsvollen Rahmen für das Bühnengeschehen schafft, ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Amaya, Oberspielleiter des Hauses, hat die Geschichte nicht nur humorvoll in Szene gesetzt, sondern auch hinterfragt. Was ist denn an einem Räuber und seinen Kumpanen so romantisch und witzig? Was fasziniert an einem solchen Obergangster, den nie jemand gesehen hat – und was für ein Typ könnte wirklich dahinter stecken? Bis zum finalen Erschrecken, wenn Lorenzo am Ende Fra Diavolo erschießt, damit aber auch einen Menschen tötet und sich dem eigenen Entsetzen und dem des ganzen Dorfes gegenübersieht. Das hatte zuvor nach der Befreiung von Diavolo geradezu geschrieen, der finale Jubelchor „O welch ein Glück für unser Land“ bleibt ihnen nun geradezu im Halse stecken. Uwe Tobias Hieronimi (Lord), Nele Kramer (Lady) Ein nachdenkliches Ende, dem eine spaßige Geschichte vorangeht, die in der Hildesheimer Produktion dem feinen musikalischen Witz der Musik sein Recht lässt, szenisch das Ganze aber bewusst und erklärtermaßen ins Skurrile, ja Groteske überzeichnet, sowohl durch die Personenregie als auch durch die Arbeit von Masken- und Kostümbildnern und durch einige prägnante Requisiten, wie z. B. den überdimensionalen Bleistift des Wirtes, dem viel zu großen Schnurrbart des Lords, den punktförmigen roten Bäckchen u. v. m. Die Waffen der Dragoner sind aus Jahrhunderten, sogar Jahrtausenden zusammengesammelt: Von Robin Hoods (zu dem sich Fra Diavolo in seiner großen Szene zu Beginn des dritten Aktes nebenbei erklärt) Pfeil und Bogen bis zum Star Trek Phaser. Auch die fantasievollen Kostüme legen die Geschichte zeitlich nicht fest, sondern schicken sie eher in eine Welt von Geschichten und Märchen – etwa durch die geradezu archetypische Ausstattung des Wirtes, der genauso aussieht, wie man sich einen Wirt klischeehaft eben so vorstellt oder dem Kostüm und der Frisur Lorenzos, der einerseits der Französischen Revolution entsprungen sein könnte und andererseits aussieht, als wolle er ausziehen, um das Fürchten zu lernen. „(Not) correct“ und „fucking“, das einem Tourette-Syndrom ähnlich mit Beinbewegung gekoppelt ausgestoßen wird, sind Lord Kookburns Lieblingsworte ,in den vom Regisseur neu verfassten bzw. angepassten Dialogen. Fra Diavolo selbst wirkt eher wie ein schmieriger Kleinganove im Anzug mit Pelzrevers und nicht wie ein charmanter Verführer. Eine fast schon entlarvende szenische Charakterisierung. Die Realität ist ja nur selten so brillant wie die Phantasie. Bei den Ganoven Beppo und Giacomo wird die Überzeichnung am deutlichsten und obskursten. Das ist nicht mehr derbkomisch, sondern schon derbalbern, von Giacomos Körperhaltung bis zu Beppos Steckenpferdchen (da hatten Stanlio und Ollio wesentlich mehr zu bieten).
In lebendiger Personenregie erscheinen die grandiosen Ensembles, das herrliche „It's not correct“-Duett und die große Selbstdarstellungsszene des Fra Diavolo im dritten Akt. Die überdeutliche Sexualisierung von Zerlines Sehnsüchten und die ins Rampenlicht gezogene erotische Begegnung Fra Diavolos mit Lady Pamela wirken dagegen aufgesetzt und gewollt. Sie sind einfach unnötig. Denn genauso, wie die Frauen vom nie gesehenen Räubercharmeur fasziniert sind, braucht auch der Zuschauer keine überdeutliche Bebilderung nachvollziehbarer Sehnsüchte und Lüste. Auch im Original gibt es überzogene Charakterisierungen der Figuren, wie den Lord und die Räuberkumpane Beppo und Giacomo. Ob die allgemeine drastische Überzeichnung der Figuren notwendig ist, der Geschichte die witzigen Anteile zu lassen und trotzdem die fragwürdigen und ernsten Momente anzudeuten, lässt sich allerdings seinerseits hinterfragen. Vielleicht ginge das ja auch weniger grob – mit zur Musik adäquater Feinsinnigkeit. Denn neben allem Schwung, aller Lebendigkeit und aller quirligen Virtuosität hat diese Musik so viel Feinsinn und Esprit (im wahrsten Sinne des Wortes und des Beinamens des Komponisten), dass es unbegreiflich scheint, dass diese Oper keinen festen Platz im Repertoire unserer Opernhäuser hat.
Diesen Charakteristika der Musik bleibt Achim Falkenhausen am Pult nichts schuldig. Mit seinem quicklebendigen Dirigat trifft er den Nerv der Musik und des Zuhörers, reißt hin und mit und kann in den wenigen ruhigen, nachdenklichen Szenen geradezu betören. Dabei trägt er das Ensemble wie auf Händen und indem er die Sänger nicht überdeckt, trägt er auch dazu bei, dass man jedes Wort verstehen kann. Vollstimmig und homogen klingt der von ihm selbst bestens einstudierte Chor. Das Orchester folgt ihm mit Konzentration und Geläufigkeit selbst durch die heikelsten Tempi. Uwe Tobias Hieronimi singt mit gewohnt prachtvollem Bariton den Lord Kookburn, Neele Kramer selbst noch im aberwitzigsten Tempo mit glockenklaren Tönen seine Gattin Pamela. Martina Nawrath lässt mit beseeltem Sopran blitzsaubere, glockenhelle, wie Perlen aneinander gereihte Koloraturen hören. Levente György ist ein ebenso stimmgewaltiger wie geschäftstüchtiger Wirt Matteo. Jan Kristof Schliep und Peter Kubik ergänzen sich klangvoll optimal als Gaunerpaar Beppo und Giacomo. Stimmvoll und geradezu ohrenschmeichelnd schön timbriert klingt der Tenor von Konstantinos Klironomos in der Mittellage. Seine durchaus mit Strahlkraft versehenen Spitzentöne schießt er jedoch hervor wie Leuchtraketen. Das klingt denn doch ein bisschen protzig. Sein Tenorkollege Antonio Rivera scheint in der Titelpartie zunächst inszenierungsadäquat auch stimmlich eher ein kleinerer Räuber zu sein, kann jedoch in seiner großen Szene und Arie zu Beginn des dritten Aktes trotz zuweilen nasalen und gepressten Tönen mit seiner Stimm- und Gestaltungskraft überzeugen. FAZIT Humor und ein Schuss Nachdenklichkeit. Szenisch bewusst überzeichnet, musikalisch und sängerisch einfach brillant. „Da erschreckte uns die Groteske des Fra Diavolo“ schrieb Richard Wagner seinerzeit und würde es nach diesem Abend wohl wiederholen. Trotzdem: Eine begeisternde Produktion einer faszinierenden, viel zu selten gespielten Oper, die für viele eine gute Laune machende Entdeckung sein dürfte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische
Leitung Inszenierung Bühne
und Kostüme Chor Dramaturgie
Opern- und Extrachor des TfN Orchester des TfN
Solisten Fra Diavolo Lord Krokbourg Lady Pamela Lorenzo Matteo Zerline Beppo Giacomo Ein Bauer Ein Soldat
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