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Musiktheater
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Don Carlos

Oper in fünf Akten
Libretto von Joseph Méry und Camille Du Locle nach dem Drama Don Karlos von Friedrich Schiller
Musik von Giuseppe Verdi

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 55' (zwei Pausen)

Wiederaufnahme im Großen Haus am 18. Oktober 2015 (Premiere am 4. November 2001)
(rezensierte Aufführung: 01.11.2015)

 



Hamburgische Staatsoper
(Homepage)

Der ungekürzte Don Carlos

Von Thomas Molke / Fotos folgen

Nachdem an der Staatsoper Hamburg unter dem neuen Leitungsteam Georges Delnon und Kent Nagano die Spielzeit mit einer stark gekürzten Fassung von Hector Berlioz' Les Troyens eröffnet worden ist, die musikalisch schon fast einer Verstümmelung gleichkam (siehe auch unsere Rezension), nimmt man nun eine Produktion wieder auf, die sich genau durch das Gegenteil auszeichnet. Peter Konwitschny hat sich nämlich in seiner Inszenierung von Verdis wohl berühmtester Schiller-Vertonung nicht nur für die fünfaktige französische Fassung entschieden, sondern behält sogar die in der Regel gestrichene Ballettmusik im dritten Akt bei. Des Weiteren werden sogar Passagen eingefügt, die Verdi bereits vor der Uraufführung 1867 in Paris streichen musste, weil sie entweder der Zensur zum Opfer fielen oder die Oper derart ausgedehnt hätten, dass die Besucher den letzten Zug nach der Vorstellung nicht mehr erreicht hätten. Zum Glück spielen solche Kriterien heutzutage keine Rolle mehr, und Konwitschny kann sich mit seinem Team ganz auf die dramaturgische Relevanz für den Handlungsablauf konzentrieren. Von einem konventionellen Regie-Ansatz ist die Aufführung trotz der historisierenden Kostüme von Johannes Leiacker dennoch weit entfernt, und wahrscheinlich sind es gerade diese kleinen "Aufreger", die dieser Produktion aus dem Jahr 2001 mittlerweile Kultcharakter verliehen haben.

Da ist zunächst einmal die spektakuläre Autodafé-Szene nach der ersten Pause, oder sollte man besser sagen bereits in der ersten Pause? Damit das Publikum beim Einbezug in dieses Spektakel nicht überfordert ist, werden an den Türen mittlerweile Informationszettel an die Besucher ausgehändigt, um sie darauf hinzuweisen, dass sie den Einzug des Königs wahlweise über eine Großleinwand im Foyer verfolgen können oder, um in den vollen Genuss der Musik zu kommen, für das Autodafé einen beliebigen Platz im Zuschauerraum  einnehmen können. Die Bitte, für diese Szene jeweils bis zur Mitte der Reihe durchzugehen, funktioniert an diesem Abend jedoch wieder nur bedingt und einige Besucher scheinen immer noch entsetzt, wenn sie ihren gebuchten Platz für diese Szene besetzt vorfinden. Sieht man von diesen kleinen logistischen Problemen ab, geht der Regie-Einfall aber auf, das Publikum, wenn auch auf eine sehr erschütternde Art und Weise, in diese Szene mit einzubeziehen. Voller Elan kündigt eine Reporterin bereits in der Pause die baldige Ankunft des Königs an und verherrlicht seinen Auftritt in einer Art und Weise, die einem aus den Medien erschreckend bekannt vorkommt. Wenn Philippe dann mit seinem Hofstaat durch das Foyer der Oper auftritt, tritt die Politprominenz auch nicht mehr in historischen Kostümen auf, sondern trägt genauso wie der Chor und Extrachor auf der Bühne festliche Kleidung, so wie sie bei einer heutigen Staatsfeier angemessen ist. Das einzige, was in der heutigen Zeit nicht mehr ins Bild passt und die Szene deshalb so schrecklich macht, sind die durch das Foyer und den Zuschauerraum gejagten Ketzer. Das geht auch nach 14 Jahren einigen Zuschauern noch zu weit.

Eine weitere Besonderheit ist die eingefügte Ballettszene im dritten Akt, die szenisch allerdings nichts mit dem zu tun haben dürfte, was das damalige Pariser Publikum in einer Grand Opéra erwartete. Konwitschny inszeniert das Ballett als "Ebolis Traum". Nachdem sie auf dem Maskenball mit Elisabeth die Masken getauscht hat, wartet sie auf den Infanten, den sie mit einem anonymen Brief zu einem Stelldichein in die königlichen Gärten eingeladen hat. Nun entwirft Konwitschny eine Vision, wie die Geschichte hätte ausgehen können, wenn Carlos sich auf Eboli eingelassen hätte. Dabei wird diese Traumsequenz wieder in die heutige Zeit verlegt. Aus dem Bühnenboden wird ein spießiges Wohnzimmer mit Essecke emporgefahren, in dem Eboli als braves Heimchen am Herd das Essen für ihren von der Arbeit zurückkehrenden Gatten Carlos vorbereitet. Dieser wirkt in seinem grauen Anzug wie ein frustrierter Angestellter, der in seinem Job scheinbar eine schlechte Nachricht bekommen hat, wenn man Ebolis Reaktion auf den Brief, den Carlos ihr vorlegt, richtig deutet. Doch als tüchtige Hausfrau gelingt es ihr, ihren Mann wieder aufzubauen, und nun karikiert sie mit Carlos neben seligem Walzerschritt auch übertriebene Ballettsprünge, bis sie vom angebrannten Essen in der Küche in die Realität zurückgerufen werden. Da Philippe und Elisabeth als Schwiegereltern bereits vor der Tür stehen, hilft jetzt nur noch der Pizzadienst, um noch ein angemessenes Essen auf den Tisch zu bringen. Mag man diesen Traum wohl eher als komischen Alptraum betrachten, ist er trotzdem eine witzige Idee die Zeit bis zum Zusammentreffen zwischen Eboli und Carlos auch mit Inhalt und nicht nur mit einer sinnlosen Balletteinlage zu überbrücken.

Bemerkenswert sind auch einige musikalische Passagen, die man selten in einer Aufführung dieser Oper erleben kann. Zu nennen ist hier direkt zu Beginn des ersten Aktes der Chor der Holzfäller im Wald von Fontainebleau, der bereits für die Uraufführung aus Zeitgründen gestrichen werden musste. Zu traurigen Mollklängen beklagen sie die Folgen des Krieges und ihre Armut, so dass es wesentlich nachvollziehbarer wird, dass Elisabeth auf ihre Liebe verzichtet und sich für ihr Volk zu einer Vernunftehe mit Philippe entscheidet. Vom Wald ist im Bühnenbild von Johannes Leiacker nicht mehr allzu viel zu sehen. Die Bäume sind bereits abgeholzt, und auf der großen leeren Bühne findet man nur noch einzelne Äste, die als Brennholz benutzt werden. Wenn es dann ab dem zweiten Akt nach Spanien geht, wird ein hoher nach oben und vorne offener Kasten aus dem Schnürboden herabgelassen, der auf allen drei Seiten mit zahlreichen Türen ausgestattet ist. Der Hof Philippes ist also für Elisabeth wie ein Gefängnis, aus dem es einerseits kein Entrinnen gibt und in dem man andererseits jederzeit beobachtet werden kann. Die Türen sind auch relativ niedrig gehalten, so dass sich die Protagonisten jeweils bücken müssen, um auf- und abzutreten.

Selten zu hören ist auch das Duett zwischen Carlos und Philippe im vierten Akt, in dem sie beide Posas Tod beklagen, was aus der Uraufführung gestrichen worden sein soll, weil der Sänger des Posa, Jean-Baptiste Faure, es angeblich als eine Zumutung empfunden habe, nach seinem Bühnentod noch eine Weile leblos auf der Bühne liegen zu müssen. Dass Eboli in Philippes großer Arie zu Beginn des vierten Aktes, "Elle ne m'aime pas", als stumme Gesprächspartnerin die ganze Zeit anwesend ist, hat man zumindest in den letzten Jahren schon häufiger inszeniert gesehen, um zu zeigen, dass Eboli Elisabeth mit ihrem Mann betrogen hat und ihm aus Eifersucht das Schmuckkästchen zugespielt hat. Ungewohnt hingegen ist die Version, dass Elisabeth nach Ebolis Geständnis im gleichen Akt, wortlos die Bühne verlässt, und Lerma auftritt, um Ebolis Kreuz zu verlangen und sie vor die Wahl Kloster oder Verbannung stellt. Dass Elisabeth sich bei Carlos' Befreiung aus dem Kerker schützend vor ihren Mann stellt, wird genauso selten inszeniert wie der kurze anschließende Dialog zwischen Elisabeth und Eboli, in der die Prinzessin der Königin noch einmal ihre Beweggründe erklärt. Dass Eboli allerdings im Anschluss beim Auftritt des Großinquisitors von Philippes Häschern abgestochen wird und leblos über dem toten Posa zusammenbricht, dürfte wohl eher ein Regie-Einfall Konwitschnys sein. Auch die Idee, den geheimnisvollen Mönch im zweiten Akt mit Karl V. gleichzusetzen, der am Ende Carlos und Elisabeth in die Gruft zieht, wird von Konwitschny stärker betont, als man es aus anderen Inszenierungen kennt. So verbirgt er unter seinem großen Strohhut bereits im zweiten Akt die Königskrone, die ihm dann im fünften Akt beim Zusammentreffen mit Elisabeth entgleitet.

Sieht man davon ab, dass Konwitschnys Personenregie den Figuren häufig die gesungenen Gefühlsbekundungen in der Darstellung verweigert - so stößt Carlos Elisabeth im fünften Akt relativ barsch von sich und zeigt sich auch dem sterbenden Posa gegenüber als absolut passiv -, folgt die Inszenierung ansonsten ziemlich nah dem Libretto. Musikalisch begeistert die Produktion, die bei dieser Wiederaufnahme mit einer neuen Besetzung aufwartet, auf ganzer Linie. Elena Zhidkova lässt mit dramatischem Mezzo ihre beiden Glanzarien im zweiten und vierten Akt zu Sternstunden des Abends werden, auch wenn es ihr bei "O don fatal" im vierten Akt nicht, wie in der Einführung angekündigt, gelingt zu erklären, wieso die Eboli bei Carlos' Rettung mit einer Augenklappe auftritt. Der Schnitt geht bei der Arie nämlich daneben, so dass nur ihre Wange blutrot ist. Darstellerisch begeistert sie durch sagenhafte Komik in der Ballettszene und enorme Bühnenpräsenz im vierten Akt während Philippes großer Arie und seinem anschließenden Duett mit dem Großinquisitor. Barbara Haveman stellt als Elisabeth darstellerisch und stimmlich einen überzeugenden Gegenpart zu der Prinzessin dar. Mit intensivem Spiel stilisiert sie Elisabeth zu einer Heldin, die durch ihr Verhalten versucht, die Welt besser zu machen, letztlich daran aber kläglich scheitert. Ihre große Arie im fünften Akt stattet Haveman mit großer Dramatik aus, auch wenn es diskutabel ist, ob sie dabei den geheimnisvollen Mönch adressieren muss.

Pavel Cernoch überzeugt optisch und darstellerisch als jugendlicher Carlos und stattet den Infanten mit strahlendem Tenor aus, der sich problemlos in die Höhen schwingt, ohne dabei forcieren zu müssen. In der Ballettszene kann Cernoch genau wie Zhidkova sein komisches Talent zur Geltung bringen. Alexey Bogdanchikov begeistert als Posa mit beweglichem Bariton, der mit Cernochs strahlenden Spitzentönen das berühmte Freundschaftsduett zu einem weiteren Höhepunkt des Abends werden lässt. Intensiv gestaltet Bogdanchikov auch Posas große Sterbeszene im vierten Akt. Gábor Bretz stattet den Philippe mit dunklem Bass aus und ist optisch alles andere als ein gebrochener alter Mann. Wieso Konwitschny ihn jedoch Elisabeth gegenüber schon im zweiten Akt beim Einzug in San Yuste derart brutal agieren lässt, ist nicht nachvollziehbar. Die gleiche Aggression bekommt auch die Contesse d' Aremberg zu spüren, bevor überhaupt geklärt ist, das sie eigentlich bei Elisabeth im Garten hätte bleiben sollen. In seiner großen Arie "Elle ne m'aime pas" glänzt Bretz genauso mit profunden Tiefen wie im anschließenden Duett mit dem Großinquisitor, dem Kristinn Sigmundsson die nötige Autorität verleiht, auch wenn er in den Tiefen noch ein wenig bedrohlicher klingen müsste, um es stimmlich mit dem König aufnehmen zu können. Renato Palumbo zelebriert mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg Verdis Musik mit großem Pathos, muss aber stellenweise noch mit den Abstimmungen der Tempi zwischen Orchester und Sängern kämpfen. So gibt es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten.

FAZIT

Diese Inszenierung ist auch nach 14 Jahren noch ein Erlebnis und bietet musikalisch mehr Don Carlos als die meisten anderen Produktionen. Für Berlioz' Troyens zum Spielzeitauftakt hätte man sich zumindest musikalisch einen ähnlichen Ansatz gewünscht.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Renato Palumbo

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühnenbild und Kostüme
Johannes Leiacker

Licht
Hans Toelstede

Chor
Eberhard Friedrich

Hamburger Alsterspatzen
Jürgen Luhn

Dramaturgie
Werner Hintze

 

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Chor und Extrachor
der Hamburgischen Staatsoper

Hamburger Alsterspatzen

 

Solisten

Philippe II
Gábor Bretz

Don Carlos
Pavel Cernoch

Rodrigue, Marquis de Posa
Alexey Bogdanchikov

Le Grand Inquisiteur
Kristinn Sigmundsson

Un Moine (Charles V)
Bruno Vargas

Elisabeth de Valois
Barbara Haveman

La Princesse d' Eboli
Elena Zhidkova

Thibault
Gabriele Rossmanith

Une Voix céleste
Katerina Tretyakova /
*Maria Chabounia (als Gast)

Le Conte de Lerme / Le Héraut
Benjamin Popson

Un Bûcheron
Andreas Kuppertz

La Contesse d' Aremberg
Corinna Meyer-Esche

Six Députés flamands
Eun-Seok Jang
Michael Kunze
Gabor Nagy
Julius Vecsey
Peter Veit
Bernhard Weindorf

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Hamburgischen Staatsoper
(Homepage)





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