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Eine Reise zu sich selbstVon Joachim Lange / Fotos: Annemone TaakeDie sprichwörtlichen unendlichen Weiten haben offenbar Konjunktur bei den Schöpfern jüngster Opernnovitäten. Gerade ging es in München mit gewaltigem Marketingaplomb um die Eroberung des Südpols. Für seine Doppeloper South Pole hat der weithin unbekannte tschechische Komponist Miroslav Srnka den großzügig zusammengecasteten Weltstars einen schicken Expeditionssound komponiert, der die illuminierte Kälte vokal ausleuchtet und gradlinig vom menschlichen Preis des Forscherehrgeizes erzählt. Pym und sein Freund Augustus werden von Geistern umtanzt.Der Vergleich mit Johannes Kaltizkes neuestem Werk Pym liegt nahe. Wobei die Musik des Deutschen emotional deutlich höhere Wogen schlägt, auch die größeren Katastrophen illuminiert. Was kein Wunder ist, denn auf hoher See gibt's halt hohe Wellen und entsprechende Gefahren. Und wenn Edgar Allen Poe die Vorlage beisteuert, ist das düstere Raunen aus dem Abgrund der Seele als Grundstimmung garantiert. Mit dem Libretto von Pym folgt Johann Kresniks Stammdramaturg Christoph Klimke (der schon für Kalitzkes Die Besessenen, die 2010 in Wien herauskamen, den Text schrieb) Poes Roman The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket (1838). Er hat die Story auf den Selbstfindungstrip verdichtet und mit etwas Walter Benjamin und Fernando Pessoa aufgeladen. Eine Prise Selbstreflexion zum Horrortrip an den Südpol der eigenen Seele. Auf dieser Reise verliert manch einer seinen Kopf. Mit verzerrten Perspektiven, historischen Kostümen und einem zackigen preußischen Pickelhauben-Import. Mit auf Pappkulissen Pym ist der blinde Passier auf der "Grampus", der seine Reise um die Welt, sprich zu sich selbst, mit seinem Freund, dem Kapitänssohn Augustus, beginnt. Er übersteht eine blutige Meuterei, überlebt (anders als sein Freund) einen Schiffbruch, wird schockiert von einem Kannibalismusausbruch, gerät bei einer kolonisierenden Landnahme in einen Hinterhalt der Eingeborenen, kann fliehen und wird dann in schmelzendem Eis unter weißem Ascheregen von einer weißen Wand aus Licht verschluckt. Das Libretto macht aus Poes offener Vision die Gewissheit, dass die eigene Kindheit das Sehnsuchtsland ist. So wie Pym am Ende der letzten Szene "Malstrom" in den ausgebreiteten Flügeln der ominöse weißen Gestalt verschwindet, lässt Kalitzke seine ausladend raumfüllende Musik wie in einem schwarzen Loch verschwinden. Vorher hat sie in 90 Minuten mit erheblichem Orchesteraufwand und diversen Beimischungen einen solchen Höllentrip entfaltet, dass man sie auch der Bildwelt eines Hieronymus Bosch unterlegen könnte. Das Philharmonische Orchester Heidelberg legt sich dafür voll ins Zeug. Wiederholt die erste Viertelstunde noch einmal, weil die Tontechnik einen Aussetzer hatte. Doch der neue Heidelberger GMD Elias Grandy hat trotz allem das Ruder fest in der Hand, koordiniert den Graben mit dem Vokalquartett an der Seite und den diversen Geräusch-Einspielungen. Er bleibt der Herr über die blechreich aufrauschenden Klangwogen, den Zusammenhalt von Eloquenz im Graben und auf der Bühne oder dem Triumphieren der Dämonen. Der Ausbruch von Gewalt droht überall.Wie theaterwirksam diese Musik mit Sogfaktor ist, sieht man an der frappierenden Plausibilität, mit der sie vor allem den sechs nur mit einer Art archaischer Kruste bedeckten Tänzer punktgenau in die Glieder fährt. Wenn sie sich selbst mit Messern traktieren, bis Blut kommt. Wenn sie aufeinander losgehen oder Sex haben. Wenn sie als Naturgewalt wogen und immer wieder Bedrohung und Ängste sichtbar machen. Diese Tänzer werden zu einem eigenständig assoziierenden Protagonisten. Und sie zaubern nebenbei aus den Planen, mit denen Marion Eisele die Bühne verhängt hat, auch all jene Räume, die gebraucht werden: Ob die Räume an Land oder auf bewegter See, ob auf oder unter Deck. Nicht nur mit diesen Tänzern ist der Tanztheaterveteran Johann Kresnik (76) in seinem Element. Vor allem mit dem fabelhaften Counter Kangmin Justin Kim in der Titelrolle und dem eleganten Bariton Ipča Ramanović als Augustus bietet das Heidelberger Ensemble zwei junge Sängerdarsteller, die sich ihm anvertraut haben, ohne dass es Abstriche an ihrem vokalen Format gab. Pym rennt auf den Mann in Weiss zu. Kersnik zieht in Heidelberg alle Register eines Könnens. Dabei läuft er immer noch zu vitaler Hochform auf, weil es sich nicht auf eigene Faust verzetteln kann, sondern von einer formenstrengen Vorgabe in Dienst nehmen lässt. Dazu gab es diesmal so viel kreativen Tanz wie schon lange nicht bei ihm. Und kein Verheddern im klassenkämpferischen Unterholz. Wie schon sein Kollege Neuenfels in München bestätigt auch Kresnik die alte Weisheit, dass Weniger allemal Mehr ist. Die Altmeister wissen das. Und können es.
Dem Theater Heidelberg gelingt die Uraufführung von Johannes Kalitzkes neue Oper Pym in der überzeugenden Regie von Johann Kresnik und auf hohem musikalischen Niveau. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Live-Elektronik
Video
Dramaturgie
Solisten
Arthur Gordon Pym
Augustus
Peters
Kapitän Guy
Weiße Gestalt
Parker
Maat
Koch
Kapitän Barnard
Sopran im Vokalquartett
Alt im Vokalquartett
Tenor im Vokalquartett
Bass im Vokalquartett
Tänzer
Bewegungschor
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- Fine -