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Vierfalt des modernen Ausdruckstanzes Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre Seit einigen Jahren ist es in Hagen Tradition, dass der Ballettdirektor neben Handlungsballetten auch Tanzabende bietet, in denen die kleine aber feine Compagnie in Hagen ihre Vielseitigkeit im modernen Ausdruckstanz unter Beweis stellen kann. In der Regel handelt es sich dabei um dreiteilige Ballettabende. Nach dem Tanz in drei Sätzen, mit dem die Ballettspielzeit in Hagen im Oktober 2015 eröffnet worden ist, gibt es nun allerdings ein Novum. Erstmals stellt Fernando vier Choreographien vor, die ein breites Spektrum bieten und dem Ensemble einiges abverlangen, da die 14 Tänzerinnen und Tänzer sich innerhalb von gut zwei Stunden auf vier völlig unterschiedliche Bewegungssprachen einlassen müssen. Wie üblich choreographiert Fernando den letzten Teil des Abends selbst. Abstrakte Bewegungen in Blushing (Ensemble) Den Anfang macht ein Stück von Marco Goecke, der 2000 in Hagen seine erste Choreographie mit dem Titel Loch kreierte, mit der er anschließend auch am Internationalen Choreographiewettbewerb in Hannover teilnahm. Nun kehrt er nach 16 Jahren in die Volme-Stadt zurück und präsentiert mit der Hagener Compagnie Blushing, eine Choreographie, die er 2003 für die Noverre-Gesellschaft schuf und die anschließend mit dem Prix Dom Perignon in Hamburg ausgezeichnet wurde. Der Titel suggeriert, dass Goecke darin der Frage nachgeht, aus welchen Gründen ein Mensch errötet. Eine Antwort darauf gibt das gut 20-minütige Stück mit seiner expressiven Ausdruckssprache allerdings nicht. Zu Beginn sieht man einen Mann auf einer dunklen Bühne, der wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt, wütend auf und ab springt. Im weiteren Verlauf treten insgesamt vier Tänzerinnen und vier Tänzer mal einzeln, dann paarweise oder als Gruppe auf und bewegen sich in teils abgehackten, dabei aber extrem schnellen und heftigen Bewegungen über die Bühne. Mal laufen sie dabei, dann robben sie sitzend vorwärts oder rückwärts. Auf Musik wird größtenteils verzichtet. Dann geben nur laute Atem- oder Klatschgeräusche den Rhythmus vor. Dann erklingt eine Beschallung durch die Gruppe Garbage, zu der sich die Tänzer expressiv bewegen. Häufig setzen sie einen Finger wie eine Pistole an die Schläfe und sinken in sich zusammen, als ob sie von einem Schuss getroffen wären. Ein Großteil des Publikums scheint Anhänger von Goeckes befremdlichem Stil zu sein, da dieser Teil mit großem Applaus bedacht wird. Pas de deux in Blind Dreams (Jiwon Kim Doede und Gustavo Barros) Wesentlich poetischer und nachvollziehbarer gestaltet sich der zweite Teil des Abends, bei dem es sich um eine Uraufführung handelt. Unter dem Titel Blind Dreams geht Raimondo Rebeck, der zur Zeit mit Xin Peng Wang das NRW Juniorballett in Dortmund betreut, der Frage nach, welche Bilder blinde Menschen "sehen". Zur Minimal Music von Ezio Bosso und Philip Glass erzählt er die Geschichte einer blinden Frau (Jiwon Kim Doede). Zu Beginn sitzt sie in einem weißen Kostüm vor einer Staffelei und betastet das Bild. Auf einen großen Baum hinter ihr werden zu Naturgeräuschen wie Vogelgezwitscher, einem Flügelschlag oder dem Rauschen von Blättern unterschiedliche Bilder projiziert, die sie vielleicht mit den wahrgenommenen Geräuschen assoziiert. Aus dem Hintergrund tritt ihr Alter Ego (Sofia Romano) auf. Sie trägt das gleiche Kostüm wie die blinde Frau, allerdings in Rot. Diese Frau führt sie durch die Welt, in der das Ensemble in schwarzen Kostümen auftritt und als undefinierbare Masse, die Frau in Unruhe versetzt. Einzelne Lichtblitze von Ernst Schießl unterstützen diese Orientierungssuche. Zwischenzeitlich werden die Geräusche auch extrem laut und unangenehm. Die Klaviermusik, die um ein Cello erweitert wird, klingt in den ruhigeren Momenten dabei sehr melancholisch. Im zweiten Teil kommt es dann zu einem berührenden Pas de deux mit Gustavo Barros, einem Mann, der die Frau gewissermaßen durch seine Augen blicken lässt. Am Ende nimmt er das Bild von der Staffelei und stellt überrascht fest, dass es nur Schwarz ist. Der Bühnenhintergrund wandelt sich im Laufe des Stückes von einem schwarzen Vorhang zu einem weißgrauen Hintergrund, der am Ende aber wieder in die Dunkelheit führt. Doede stattet die junge Frau mit einer berührenden Zerbrechlichkeit im Ausdruck aus. Mit Romano und Barros findet sie in den Pas de deux zu einer bewegenden Innigkeit, so dass die Tänzerinnen und Tänzer am Ende ebenso wie der Choreograph mit großem Jubel bedacht werden. Fugaz: von links: Ana Isabel Casquilho, Eunji Yang, Jiwon Kim Doede und Tal Eitan Nach der Pause geht es mit der Choreographie Fugaz von Cayetano Soto weiter, die er 2005 für das Ballett Theater München kreierte und seinem an Krebs verstorbenen Vater widmete. Unter anderem präsentierte auch das Ballett im Revier dieses Stück 2012, als die damals neue Ballettdirektorin Bridget Breiner ihre Compagnie unter dem Titel Der erste Gang vorstellte. Zur bedrohlich wirkenden Musik von Georges I. Gurdjieff kämpfen vier Frauen in kurzen Soli gegen eine Krankheit und den Tod, der in Gestalt eines "schwarzen Mannes" aus dem Zuschauerraum auf die Bühne tritt. Bei Tal Eitan und Jiwon Kim Doede geht der Tod vorbei und verschont sie. Die beiden haben ihre Krankheit also überstanden und verlassen die Bühne. Bei Ana Isabel Casquilho und Eunji Yang kommt es zu einer Konfrontation mit den beiden Männern. Im anschließenden Pas de deux zwischen Casquilho und Gustavo Barros beziehungsweise Yang und Ricardo Campo Freire bäumen sich die Frauen in einem Kampf noch einmal verzweifelt gegen den Tod auf, unterliegen aber und sinken zu Boden, während weitere schwarze Männer aus dem Publikum auftreten und die beiden Frauen mit den Füßen in den Bühnenhintergrund rollen. Die bedrückende Atmosphäre dieses Stückes wird zum einen von Gurdjieffs eindringlicher Musik unterstützt und zum anderen von den Tänzerinnen bewegend umgesetzt, so dass auch dieser Teil mit großem Beifall bedacht wird. Quartett in Tangata: Jiwon Kim Doede mit Gustavo Barros (links), Leszek Januszewski (Mitte) und Bobby Briscoe (rechts) Den Abschluss macht dann eine Choreographie von Ricardo Fernando, die dieser im letzten Jahr für die Compagnie in Graz kreiert hat. Wie der Titel Tangata verrät, widmet sich Fernando - wieder einmal - dem Tango, mit dem er schon mehrere Male das Hagener Publikum begeistert hat. In fünf Sätzen lässt er zur Musik von Astor Piazzolla das ganze Ensemble zum Einsatz kommen. Dabei erzählt das Stück keine Geschichte, sondern fängt die verschiedenen Stimmungen ein, welche die Musik mit den eindringlichen Bandoneon-Rhythmen vermittelt. Die Tänzerinnen und Tänzer sind dabei in schwarze Anzüge gekleidet und wirken mit ihren weißen Hemden und den schwarzen Krawatten wie Tangotänzer in einer lateinamerikanischen Bar. Nach zwei eindrucksvollen Ensembles, bei denen die Tänzer mit Stühlen in Interaktion treten, wird auch der Aspekt des Paartanzes berücksichtigt. In drei Duetten mit klassischen Tangoschritten zeigen die Tänzerinnen und Tänzer die erotische Anziehungskraft dieses Tanzes. Im Quartett begeistern Jiwon Kim Doede, Bobby Briscoe, Leszek Januszewski und Gustavo Barros durch große Ausdruckskraft, bevor dann im letzten Ensemble die komplette Compagnie noch einmal zusammenfindet und am Ende zu Boden sinkt. Auch hierfür ernten die Tänzer und ihr Direktor großen Beifall. FAZIT Das Ballett Hagen stellt in vier unterschiedlichen Choreographien seine Vielfältigkeit unter Beweis und präsentiert ein breites Spektrum des modernen Ausdruckstanzes. Hier dürfte für jeden Geschmack etwas dabei sein, selbst wenn man zu Goeckes extremer Tanzsprache keinen Zugang finden sollte. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamDramaturgie
Blushing Choreographie, Bühne und Kostüme Einstudierung Licht Tänzerinnen und Tänzer *Premierenbesetzung
*Eunji Yang
*Gustavo Barros
Blind Dreams
Choreographie und Bühne
Kostüme
Licht
Video Tänzerinnen und Tänzer *Premierenbesetzung
Junge Frau
Ego
Mann Ensemble
Fugaz
Choreographie, Bühne, Kostüme und Licht
Einstudierung Tänzerinnen und Tänzer *Premierenbesetzung
1. Solo
2. Solo
3. Solo
4. Solo
1. Pas de deux
2. Pas de deux
Tangata
Choreographie, Inszenierung und Bühne
Kostüme
Licht Tänzerinnen und Tänzer *Premierenbesetzung
Tres tangos para bandoneón y orchesta,
Tres tangos para bandoneón y orchesta,
Concierto del angel, Introduccion
Duett
Tres minutos con la realidad
Duett
Duett
Sextett
Concierto del angel, La muerte del angel
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