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Musiktheater
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Die Macht des Schicksals
(La forza del destino)

Oper in vier Akten
Libretto von Francesco Maria Piave (1862) nach Duque de Rivas Drama Don Álvaro o La fuerza del sino
Neufassung von Antonio Ghislanzoni (1869)
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden 15 Minuten (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 30. Januar  2016

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Duell der Greise

Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg

Die Macht des Schicksals klingt selbst als Operntitel reichlich pathetisch – aber die Oper  hält, was ihr Name verspricht: Ein wirre, unwahrscheinliche Handlung, die viel Gelegenheit zum gesanglichen Ausschmücken von Gefühlen bildet, dabei oft überladen, ja zuweilen sogar kitschig wirkt. Ein Opernschinken also mit allem, was klischeehaft dazugehört. Schloss und Kloster, Krieg und Rache, Hass und Liebe, ewige Freundschaft und lebenslange Buße und vieles mehr. Große Chor- und Massenszenen, bei denen Pilgerchöre und Mönchsgesänge ebenso wenig fehlen dürfen wie eine Wahrsagerin, ein Arzt und hungernde Kinder – und natürlich spielt mit alledem: das Schicksal.

Da kann man sich trotz aller haarsträubenden Unwahrscheinlichkeiten eigentlich nur auf die emotionalen Momente konzentrieren, denn die sind für die einzelnen Situationen absolut nachvollziehbar und von Giuseppe Verdi wie emotionale Miniaturen wundervoll gestaltet. Mit seiner Neuinszenierung an der Staatsoper Hannover versucht Regisseur Frank Hilbrich genau das und interpretiert die einzelnen Szenen – zum Teil recht eigenwillig – als Situationen, wie man sie in der heutigen Zeit und Gesellschaft finden könnte. Volker Thiele hat dazu eingängige Bühnenbilder auf der oft und effektvoll eingesetzten Drehbühne (ein besonderes Lob der Bühnentechnik für punktgenaue und fast geräuschlose Umbauten),  Gabriele Rupprecht vielfältige Kostüme gestaltet.

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Monika Walerowicz (Preziosilla), Chor und Extrachor, Statisterie

Vor Beginn stehen drei Kinder auf der Bühne, die die drei Hauptprotagonisten spiegeln und den Beginn der Ouvertüre weglaufend mit Geschrei untermalen. Dann erscheint eine Obdachlose, die in ihren Habseligkeiten, die sie in einem Einkaufswagen mit sich führt,  Plastiktüten raschelnd etwas sucht und findet: eine Pistole. (Nebenbei: Es wird sich mir nie erschließen, warum Frauen immer wieder geräuschvoll in ihren Handtaschen wühlen und irgendetwas suchen müssen… hier sogar auf der Bühne – nicht nur, wie sonst regelmäßig und auch an diesem Premierenabend wieder, im Zuschauerraum…um mich herum). Es ist die vermaledeite Pistole und man erkennt, dass hier Leonoras Schicksal vorweggenommen und die Geschichte zumindest bis kurz vor ihrem Ende in einer Rückschau  erzählt wird. Den speckigen roten Mantel, ein szenisches Leitmotiv, zieht Leonora aus und tritt in das bürgerliche Zimmer dahinter, in dem in ganz klassischer Manier der erste Akt gespielt wird. In diesem Umfeld erscheint Alvaro, der flippige Liebhaber mit Migrationshintergrund als Fremdkörper und trotz allen Reizen des Fremden kann man nachvollziehen, dass das Mädel bei dieser deutlichen Diskrepanz unsicher wird, Angst bekommt und zögert. Alvaro wirft die mitgebrachte Waffe nicht zu Boden, aus der sich dann zufällig ein Schuss löst, der den Marchese zufällig tödlich trifft, sondern er lässt Leonora die Pistole halten, aus der sich der Schuss löst, während ihr Vater sie ihr wegnehmen will. Das ist ein Beispiel für den Versuch der Regie, die gröbsten Unwahrscheinlichkeiten zumindest etwas abzumildern. Nach der Flucht der Liebenden erscheint Carlo kurz stumm auf der Bühne, was seine späteren Schuldgefühle des Nichtverhinderthabens und Zuspätkommens erklärt.

Leonora hat sich auf der Flucht nicht als Mann verkleidet, sondern zieht aus Angst vor dem auftretenden Rache suchenden Bruder in einem Selbstbedienungsschnellrestaurant zur Weihnachtszeit einer Weihnachtsmannpuppe den Mantel aus und versteckt sich darunter. Auch Carlo hat sich nicht als Student verkleidet. Während er seine Geschichte erzählt, wird sie visuell sichtbar, ja, er durchlebt bzw. durchschreitet sie auf der das heimische Szenenbild zeigenden Drehbühne. Der tote Vater und die Kinderdouble des Liebespaars sitzen auf Sofa und Sessel. Preziosilla wirkt als goldgelbes Varietegirl unter Karo-Trägern fremd, scheint aber bekannt zu sein, denn ihr Konterfei hängt überlebensgroß an der Wand. Fra Melitone erscheint mit Sternsingern und segnet die, die etwas spenden.

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Shavleg Armasi (Padre Guardiano), Brigitte Hahn (Leonora)

Leonora bittet in einem sparsam, aber stilvoll anmutenden Vorraum zum Kloster um Einlass. Fra Melitone antwortet über die Gegensprechanlage und lässt sie per Summer ein. Im Empfangszimmer sitzen rosenkranzbetende Messdiener unter einem Bild, das Jesus mit drei Kindern zeigt und das dem einen oder anderen Zuschauer aus dem Kindergottesdienst bekannt sein dürfte. Pater Guardian spricht/singt zunächst nur über einen hoch über der Tür angebrachten Lautsprecher mit Leonora (was ein bisschen wirkt wie  Dorothy und der Zauberer von Oz…) und tritt erst leibhaftig auf die Bühne, um sie auf das Initiationsritual vorzubereiten. Sie zieht sich die Mönchskutte auf offener Bühne über ihr weißes Kleid und wird mit Drehbühneneinsatz zu ihrer Eremitenwerdung geführt. Die Mönche zeigen neurologisch auffällige Verhaltensweisen, vielleicht ist im Kloster aber auch gerade die Krätze ausgebrochen. In einer Art schwarzer Telefonzelle soll Leonora dann inneren Frieden finden.

Alvaro ist, psychisch dekompensiert, in den Untergrund des illegalen Glücksspiels untergetaucht, wo er Carlo von wütenden Mitspielern freikauft. An einer Wand mit Todesanzeigen führt die beiden neuen Freunde der Weg in eine dekadente Spaßgesellschaft der Reichen und Aufgetakelten, denen Trabuco keine Frischware, sondern „Frischfleisch“ in Form von Kindern anbietet, die er teuer verkauft. Eine widerliche Szene, die den auch sexuellen Kindesmissbrauch aber dankenswerterweise nur andeutet und assoziieren lässt. Im Hintergrund sind die Hintergrundbilder der ersten beiden Akte und auch die riesige „JUST DO IT!“-Schrift des ersten Bildes des dritten Aktes zerfetzt und zu einer wilden Collage zusammengeklebt. Wenn Alvaro später blutig verletzt auf dem Tisch liegt, zwingen Frauen Kinder gewaltsam, sich diese Szene anzuschauen.  Diese Gesellschaft lebt im Krieg – im Krieg mit allen Werten und Moralvorstellungen, Besonders problematisch ist das bei Verdi-Opern ja häufiger auftreten Kriegsgejubel. Wenn Preziosilla als Kriegswerberin singt: „Schön ist der Krieg! Es lebe der Krieg!“ läuft es einem heutzutage eiskalt über den Rücken. Im Libretto werden zwar „weinende Rekruten“ beschrieben, aber das führt nicht zu einer Infragestellung des Krieges. Der wird als Vaterlandsverteidigung besungen und für Niederlagen werden die privaten Sünden der Soldaten als Grund genannt. An dieser Stelle setzt der hier gezeigte Regiegedanke offensichtlich ein und es wird nachvollziehbar und erklärt sich.

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Xavier Moreno (Alvaro, l.), Brian Davis (Don Carlo)

Carlo findet die Briefe, deren Versteck ihm Alvaro zum Zwecke der Vernichtung im Todesfalle anvertraut hat, in einer Mülltonne (wird die denn nie geleert?) und besudelt sich bei der Suche im Dreck aufs Heftigste. In einer einsamen Szene erkennt er die wahre Identität des nun ehemaligen Freundes und schwört erneut Rache. Alvaro überlebt, wird aber keineswegs geheilt und gesund „wie zuvor“, sondern bleibt gehbehindert und scheint im Jogginganzug mit zwei Krücken gerade aus der Reha zu kommen. Carlo fordert somit einen Krüppel zum Duell, was das Ganze ad absurdum führt, denn im Libretto hat er ja so lange gewartet, bis er einen ebenbürtigen Gegner fordern kann.

Die Spaßgesellschaft kippt wie bei einem schwarzen Freitag und folgerichtig zeigt sich anschließend der eintretende „Kater“, wenn die Reize nicht mehr wirken und die Übersättigung eintritt. So betteln die Menschen nicht um Brot, sondern – mit Pappschildern – um Sinn und Perspektiven. Fra Melitone, der die Gesellschaft zuvor in einer Art Kapuzinerpredigt erfolglos in ihre Grenzen zu weisen versucht hatte und dafür brutal zusammengeschlagen wurde, versucht den Hunger mit dem Glauben zu stillen, in dem er in Begleitung des gealterten und erblindeten Pater Guardian Bücher austeilt, die für die ganze Bibel zu dünn sind, aber vielleicht ja das Neues Testament allein enthalten. Doch der Versuch schlägt fehl und die Symbole der Religion und/oder Kirche werden mit Füßen getreten und zu Boden geworfen – auch vom Mönch selbst.

Auch Carlo und Alvaro sind gealtert und stehen sich – in der stärksten Szene des Abends überhaupt – erneut in dem Kloster gegenüber, in das Alvaro sich zurückgezogen hat und in deren Nähe Leonora als Obdachlose mit ihren Habseligkeiten im Einkaufswagen lebt. Wie zwei Wesen aus einer früheren Welt, mit veraltenden Rache- und Ehrvorstellungen. Carlo geht am Stock und kann das Messer kaum noch halten, besteht aber auf seiner Rache, die in diesem Rahmen noch absurder erscheint, als sie es eh schon ist. Alvaro ist an Parkinson erkrankt und seine Abwehr lässt sich wohl am treffendsten mit „Ach, lass mich doch in Ruhe mit den alten Geschichten“ beschreiben. Nur aus Notwehr verletzt er Carlo tödlich und sucht dann ausgerecht bei der alten Obdachlosen um geistlichen Beistand (obwohl genug „Sinnsuchende“ in der Szene herumstehen). Nach der fast schon rührenden gerontologischen  Erkennungsszene holt sich Leonora den sie tödlich verletzenden Dolchstoß hinter der Bühne ab und kommt dann bühnenwirksam wieder zurück, um bei Alvaro zu sterben. Doch der muss  weiterleben, übernimmt den Einkaufswagen und schiebt mit ihm im wahrsten Sinne des Wortes ab.

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Brigitte Hahn (Leonora), Xavier Moreno (Alvaro)

Die Übertragungen in eine andere Zeit sind nachvollziehbar und erscheinen durchaus logisch und konsequent. Ja viele Veränderungen entzerren die eigentliche, wirre Handlung und fokussieren die Aufmerksamkeit auf wesentliche Elemente. Die Doppelung der Personen durch ihre kindlichen Pendants erscheint nicht zwingend notwendig, aber auch nicht weiter störend. Das szenische Leitmotiv des roten Mantels, der immer mehr verdreckt, hat dagegen einen besonderen Reiz. Es gibt dankenswerterweise weder Projektionen noch Provokationen, sondern die Präsentation einer Interpretation. Dass da vieles mit dem gesungenen Text so gar nicht zusammenpasst, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden, aber in einer  Oper, in der so vieles so unwahrscheinlich ist, fällt das kaum ins Gewicht. Viel problematischer ist dagegen, dass das Gesamtergebnis beim Verstehen stecken bleibt und nicht in eine Emotionsebene vordringt. Man versteht, was man sieht, aber es rührt nicht an.

Die eher matte Inszenierung findet in ihrer Wirkung auch musikalisch Unterstützung. Aus dem Sängerensemble ragt Shavleg Armasi mit markant strömendem, intensiv gestaltendem Bass als Pater Guardiano deutlich hervor. Michael Dries singt den Marchese  ordentlich, Xavier Moreno lässt als Alvaro einen sicher fundierten Tenor mit kraftvollen, aber nicht immer strahlenden Tönen hören. Brigitte Hahn singt die Leonora technisch ausgefeilt und hochkonzentriert, wenn auch mit in den letzten Jahren immer stärker werdendem Vibrato und abnehmender Überzeugungskraft. Der von mir sonst sehr geschätzte Brian Davis findet als Carlo erst im dritten und vierten Akt zu überzeugender Darstellungs- und Stimmkraft. Monika Walerowicz verleiht dem Abend als Preziosilla stimmliche Lebendigkeit, Karel Martin Ludvik scheint noch nicht ganz über seiner Partie zu stehen. Sein ansonsten schönes Stimmmaterial klingt als Fra Melitone etwas verhalten und für eine überzeugende Kapuzinerpredigt fehlt der Stimme noch die Durchschlagskraft. Ein Sonderlob gebührt dem gut einstudierten, homogen und kraftvoll singenden Chor, dessen Männerstimmen in der Klosterszene besonders eindrucksvoll klingen.  Am Pult des ordentlich, aber unauffällig spielenden Staatsorchesters steht Stefan Klingele und begleitet die Aufführung mit einem ebensolchen Dirigat.

FAZIT

Eine modernisierende Inszenierung, die logisch gut nachvollziehbar ist, emotional aber nichts bewirkt. Gesanglich ragt Shavleg Armasi als Pater Guardiano aus einem ansonsten ordentlich, aber wenig anrührend singendem Ensemble heraus, das sich so der Wirkung der Bilder  anschließt.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Klingele

Inszenierung
Frank Hilbrich

Bühne
Volker Thiele

Kostüme
Gabriele Rupprecht

Ton
Christoph Schütz

Licht
Susanne Reinhardt

Chor
Dan Ratiu

Dramaturgie
Klaus Angermann

 

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor und Extrachor der
Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover

Solisten

Marchese di Calatrava
Michael Dries

Don Carlo di Vargas
Brian Davis

Leonora di Vargas
Brigitte Hahn

Don Alvaro
Xavier Moreno

Preziosilla
Monika Walerowicz

Pater Guardiano
Shavleg Armasi

Fra Melitone
Karel Martin Ludvik

Curra, Leonoras Zofe
Danuta Volpe

Ein Chirurg
Mohsen Rashidkhan

Alkalde
Daniel Eggert

Trabuco
Edward Mout



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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