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Der Freischütz

Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto von Johann Friedrich Kind nach der Novelle Der Freischütz, Eine Volkssage von J. A. Apel
Musik von Carl Maria von Weber

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden,  55 Minuten (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 12. Dezember  2015

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Optischer Tsunami

Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk

Im Schauspiel ist es gang und gäbe, dass Werke zuweilen bis zur Unkenntlichkeit dekonstruiert und – besondern gern mit Fremdtexten angereichert –  in eine neue Gestalt gepresst werden. In der Oper gibt die Musik einen Rahmen vor, dem sich die meisten Musiktheater-Regisseure unterordnen, auch wenn es ihnen in den Fingern juckt. Nun ist es schon seit einiger Zeit (mehr unter den Intendanten als beim Publikum) beliebt, Schauspielregisseure Opern inszenieren zu lassen und die bewegen sich dann zuweilen auf sehr dünnem Eis. Bei Hannovers neuem Freischütz ist es eingebrochen. Kalt und nass im übertragenen Sinne wurden dabei aber vor allem die Ausführenden und das Publikum.

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Kaspar (Tobias Schabel), Max (Eric Laporte)

Kay Voges, Intendant des Schauspiels Dortmund, hat 2013 dort als seine erste Opernregie  Wagners Tannhäuser auf die Bühne gestellt und versucht sich nun in Hannover an Carl Maria von Webers Der Freischütz, der Oper, die Wagner als Anstoß und Vorbild für den Gedanken einer neuen Form des Genres diente: einer deutschen Oper neben den italienischen und französischen. Weber und sein Librettist Friedrich Kind stellen charakteristisch vielfältige Elemente nebeneinander und verbinden sie doch zu einem großen Ganzen. Textlich zuweilen etwas schwarz/weiß, aber musikalisch für ihre Zeit spektakulär vor allem ausdrucks- und nicht formorientiert - bis hin zur Wolfsschlucht, die in ihrer musikalisch, ja musikdramatisch freien Gestaltung als Vorläufer des Musikdramas gilt. Biedermeierliche Idylle und romantisiertes Jäger- und Waldleben stehen in dieser Oper nicht als Selbstzweck, sondern als Hintergrund für persönliche und gesellschaftliche Konflikte und den Kampf zwischen himmlischen und finsteren Mächten. Hoffnung (Finale erster Akt) und glückliches Ende (Finale dritter Akt) beschert der Glaube an einen allmächtigen Gott – und den Eremiten als seinen Stellvertreter, der zunächst zwar nur im Hintergrund, aber doch aktiv handelt (was ihn von der klassischen Figur eines deus ex machina unterscheidet). Die Verbindung von musiktheatergeschichtlicher Entwicklung, musikalischem Charakter und der erzählten Geschichte ließ den Freischütz zur immer wieder so bezeichneten „deutschen Nationaloper“ werden.  Aber was ist denn nun eigentlich deutsch?

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Kilian (Byung Kweon Jun, l.), Max (Eric Laporte), Chor und Extrachor

Voges hat den Freischütz gerade dahingehend ausgiebig hinterfragt, aktuelle Bezüge und Sichtweisen gesucht und sich insbesondere auf zwei Reizworte konzentriert: „deutsch“ und „Krieg“. Das Wort „deutsch“ kommt – im Gegensatz etwa zu Wagners Meistersingern – kein einziges Mal im Libretto vor und nur Erbförster Kuno singt ein Mal vom „Krieg“ und meint damit die für den folgenden Tag angesetzte Jagd. Kaspar spricht zweimal vom „Kriegsvolk“, von dem er einiges Fragwürdige gelernt haben will. Die Zeitangabe im Libretto lautet: „Kurz nach Ende des Dreißigjährigen Krieges“. Diese beiden Begriffe werden nun in den Bühnenbildern von Daniel Roskamp und vor allem den Kostümen von Mona Ulrich durch die neuere deutsche Geschichte dekliniert. Den größten optischen Anteil des daraus entstandenen Spektakels haben dabei Videoinstallationen und Live-Kamerabilder von Voxi Bärenklau, die zum Teil parallel auf vier verschieden große Leinwände, vor allem aber immer wieder über die komplette Bühne projiziert, diverse Bedeutungs- und Handlungsebenen oder einfach nur Statements und Aussagen zeigen („Deutsche Waffen, deutsches Geld“ – „Deutsche Freiheit wird am Hindukusch verteidigt“ u. v. m.) und damit die Genres Film und Theater miteinander verbinden. So könnte man Webers Wunsch nach einem in sich abgeschlossenem Kunstwerk „wo alle Teile und Beiträge der verwandten und benutzten Künste ineinander verschmelzend verschwinden und  - auf eine gewisse Weise untergehend - eine neue Welt bilden“ durchaus verstehen.

Ansatzweise interessant könnte das in den Momenten sein, in denen Handlungen, die in den Innenräumen angesiedelt sind, auf der Leinwand gezeigt werden. Aber da dieser Gedanke nicht konsequent durchgehalten und vieles, was drinnen passiert, nach außen verlegt wird, verkommen diese Live-Kamera-Aufnahmen zum Selbstzweck. Weder die unseligen und von einem nicht unerheblichen Teil des Publikums ungeliebten Projektionskünste, mit denen  Bärenklau in der Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief bei dessen Bayreuther Parsifal das Publikum schon enerviert hat (so dass die Produktion bereits nach 4 statt nach den dort üblichen 5 Jahren abgesetzt wurde) noch die Live-Kameras, mit denen am gleichen Ort seit drei Jahren Frank Castorf dem Ring unter die Röcke schaut, sind neu. Und auch das  Einheitsgebäude als Bühnenbild mit Leuchtschrift, Auto usw. ist von der Idee her geradezu eine Kopie der Tankstelle an der Route 66, die Castorfs Bühnenbildner Aleksandar Denić  für das Rheingold auf die Bühne des Bayreuther Festspielhauses gestellt hat.

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Samiel (Eva Verena Müller, Projektion), Max (Eric Laporte), Kaspar (Tobias Schabel)

Als Rahmenhandlung zeigt die Regie eine seltsame Figur mit einem entstellten,  knollennasigen Gesicht, einem Gnom oder Gollum ähnlich, der sich Sisyphos-gleich an der Entstehung einer deutschen Nationaloper abarbeitet und den man im heutigen Sprachgebrauch als „ziemlich durchgeknallt“ bezeichnen würde. Im Laufe des Abends erfahren wir, dass es sich um Samiel handelt. Warum erfahren wir nicht. Auch nicht, warum er ein  Universalkünstler, zugleich Maler, Dichter, Komponist, Regisseur… ist. Immer wieder unterbricht er die Handlung malend oder sinniert klug schwätzend mit Sprachfehler-Piepsstimme live oder projiziert oder liveprojiziert über das Deutsche, das Nationale, die Nationaloper, die Gesellschaft im Einzelnen und Besonderen… ist unzufrieden, verändert die Handlung, staucht die Sänger zusammen oder bricht unter der Last des Schaffenden zusammen (was im Wesentlichen als Bebilderung der Wolfsschlucht dient, bei der er Blut aus eine Milchtüte trinkt, einen Totenkopf im Kühlschrank findet und ein Kuscheltier schlachtet) – „La grande peur du créateur“. Er beunruhigt und beruhigt das Publikum, das keine Bombe im Haus sei, wenn er im Zuschauerraum erscheint, was für Hannover in diesen Tagen eine besonders aktuelle Bedeutung hat. Das durchkomponierte Finale unterbricht er zweimal, holt den inzwischen eine Pausenbanane essenden Max zurück und den Eremiten auf die Bühne, nachdem er ihn als faulsten Sänger beschimpft hat, der „heute noch gar nicht gesungen hat“. Diese Figur ist einfach nur lästig. Als Karikatur eines Künstlers, insbesondere eines wichtigtuerischen Regisseurs könnte das für einen Moment geistreich, vielleicht sogar witzig sein. Das hilft aber nicht über die gefühlten Ewigkeiten hinweg, in denen man sich wünscht, er möge endlich still sein und auch aus der Bebilderung verschwinden. (Auch, wenn das als Diskriminierung eines unter Qualen Kunstschaffenden missverstanden werden könnte. Gequält wird hier vor allem das Publikum).

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Samiel (Eva Verena Müller)

Dass dieser Künstler mit seiner Arbeit unzufrieden ist, kann man allerdings gut nachvollziehen. Kunst hat auch etwas mit Ordnung zu tun, mit der Ordnung und Konstruktion der Gedanken zu einem großen Ganzen (siehe oben). Ein Brainstorming zum Thema „deutsch“ ist nur der erste Schritt. Mit dem bloßen Aneinanderreihen und vor allem der Konzentration auf das negative Aktuelle ist das Regieteam mit den weiteren Schritten unter großem technischem Aufwand auf Abwege geraten. Denn sie haben sich im Thema „deutsch“ verbissen und dabei das kulturell-sprachliche „Deutsch“  in ein heutiges nationales, staatliches „Deutsch“ übertragen und dabei nicht nur ein düsteres, sondern ein bitterböses, einseitiges Gesellschaftsbild Deutschlands gezeichnet. Der Regisseur kann das Stück nicht ernst nehmen, weil er es erklärtermaßen für unfertig hält und die Figuren psychologisch unzureichend  dargestellt sieht. Aktualisierend, sexualisierend, politisierend… scheitert die Produktion nur bühnentechnisch auf hohem Niveau. Ansonsten wird mit viel Aufwand eine Überbordung und Reizüberflutung auf flacherer Ebene geboten, die auch Zotiges und Ekliges nicht auslässt – aber nicht aufrüttelnd oder zum Nachdenken anregend provoziert, sondern einfach nur enerviert und obendrein schnell langweilig wird. Das Publikum geht auch bei ungewöhnlichen Sichtweisen durchaus gern mit, was es gerade in Hannover kürzlich bei der Rusalka-Produktion gezeigt hat. Aber dazu will es ernstgenommen werden und fordert höheres Niveau, als es diese Inszenierung bietet. Es sind ja nicht nur die wenigen Ewiggestrigen, die solche Produktionen ablehnen, es sind auch die, die einen angemessen hohen Anspruch an das Theater stellen und die, die zumindest die Musik ungestört erleben wollen. Unüberhörbar viele Besucher verließen den Zuschauerraum vor der Pause. Einer ruft „Aufhören!“, ein anderer „Schmierentheater“. Und als Max zu Kaspar sagt „Mir reicht’s!“ ruft jemand „Uns auch!“ und erntet dafür Applaus.

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Max (Eric Laporte)

Das hinauf- und hinunterfahrbare Einheitsbühnenbildgebäude ist im Erdgeschoss eine Kneipe. Oben links wohnt Agathe, rechts findet sich ein Bordell mit Außensauna. Kaspar und Max befinden sich während der Wolfsschlucht in einem schwankenden, mit Baumstämmen bestückten Käfig über dem Gebäude. Der Schuss, der eigentlich der Königsschuss beim Preisschießen sein soll, ist der Wurf einer Brandbombe auf ein Asylantenheim. Auf einer kleinen Leinwand rechts werden die Daten und Orte von entsprechenden Brandanschlägen in einem laufenden Text projiziert. Die Jagd wird allgemein als eine Jagd auf Asylanten und Flüchtlinge interpretiert, der Jubelchor zeigt: Alle machen mit, auch, wenn sie „Wir sind das Volk“ skandieren. Nur Max traut sich nicht, ist aber nicht etwa zu anständig dafür, sondern ein biederer (im heutigen Sprachgebrauch bieder, nicht in dem, den der Eremit im Finale meint) kleiner, dicker, feiger Trottel mit dem einem Tourette-Syndrom ähnlichen Zwang das Wort „Penis“ auszustoßen. So werden auch aus den „Freikugeln“ „Peniskugeln“.

Zum Spottchor werden drei (künstlich) riesig ausgestattete masturbierende Soldaten projiziert, Max bekommt von Kilian einen Baseballschläger zwischen die Beine geschlagen und ihm wird die Hose heruntergezogen. Seine Versagensängste sind sexueller Natur und haben mit dem Schießen eines Gewehrs nur in der Übertragung zu tun. Dass das früher anders war, könnte man aus dem von ihm (textlich original) gesungenen Satz „Alles, was ich konnt' erschauen, war des sichern Rohrs Gewinn“ entnehmen, aber das geht denn doch zu weit ins Zotige. Max meint das Rohr seines Gewehrs. Aber hier sind seine Ängste Kastrationsängste. Projizierterweise sieht man sein Double, den Samiel mit einer Schere in Großaufnahme blutig kastriert. „Nein, länger trag’ ich nicht die Qualen!“ bekommt dann eine entsprechende Bedeutung – auch für das Publikum, wenn das Double dann Balletttänzer-verhöhnend blutend langsame Pirouetten dreht. Wenn Max aus Kaspars Gewehr die letzte Freikugel abfeuert, trifft sie eine muslimische Frau, die einen Kinderwagen schiebt. Max ist entsetzt und schneidet ihr die Freikugel am Bande blutig aus der Brust, wäscht sich die Hände und geht ins Bordell, das später auch der Weihnachtsmann aufsucht, bevor er – völlig verdreckt – von Ännchen mit ins Bett genommen wird. Kaspar (ein Riese im Zwergenkostüm) kümmert sich hingegen fürsorglich um das verwaiste Baby, während er seine Rachearie  singt. Diese Szenen in ausführlicherer Beschreibung, der Rest läuft entsprechend.

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Ännchen (Ania Vegry)

Ännchen und Agathe (im gleichen Kostüm) befummeln Max gleichermaßen, bekommen zuvor aber noch Besuch von den sieben Zwergen zum Fernsehen. Samiel, der Künstler, schlägt Ännchen ein Bild über den Kopf, auf dem zwei Hakenkreuze zu sehen waren. „Lass das Ahnenbild in Ehren!“ wird da zur familiären Vergangenheitsbewältigung. Agathe ist eine selbstbewusste und fordernde Frau, vor der dieser Max durchaus Angst  haben kann. Ob das gleich Kastrationsängste sein müssen, sei dahingestellt. Agathes Traum im dritten Akt wird als eine überdehnte Ausrutschorgie eines auferstandenen Schneewittchens in leicht assoziierbarer brauner Masse auf dem Flur einer Pathologie bebildert, was schon unter dem wunderschönen Gesang zu störenden, dummen Lachern führt und im Dialog mit Ännchen („Ich hatte so quälende Träume.“ – „Was hat Dir denn geträumt?“ – „Manche Träume gehen in Erfüllung“) zu Lachern auf Comedyniveau führt. Zweimal taucht das Bild eines walküreähnlichen Mannweibs mit blonder Lockenpracht und dem Begriff STAAT auf der nackten Brust auf. In der Wolfsschlucht soll das wohl Maxens Mutter sein („So lag sie im Sarg, so ruht sie im Grab.“). Nachdem Max, trottelig wie er ist,  nach zwei Ladehemmungen mit seinem Maschinengewehr die ganze Gesellschaft erschossen hat, ändert Samiel den Schluss und erfindet den Eremiten, der in seinem weißen wallenden Gewand und mit langem weißem Bart lächerlich überzeichnet wirkt, fast schon wie ein Vorwurf (nach dem Motto „wollte ihr etwa so was sehen?“). Max findet am Schluss seine Potenz wieder, zeigt Ännchen und Agathe seine aufstrebende Männlichkeit, die Agathe sogleich coram publico rittlings ausprobiert.

Von besonderer Bedeutung ist ein Schild, das die Dirigentin bei einer Projektion hochhält „Ich distanziere mich von dieser Szene. K. K.“. Hierbei geht es um einen eingeblendeten Ausschnitt eines Interviews mit Christian Thielemann, der Volksmusik als Kunst bezeichnet, hier offensichtlich vorgeführt werden soll, im Endeffekt aber den wenig klug fragenden Journalisten vorführt. Warum sollte man der Volksmusik das Künstlerische absprechen? Ganz einfach gesagt: Wann immer Töne zu einer Melodie zusammengefügt werden, ist das Kunst. Samiel müht sich auch zu diesem Thema und stört laut grummelnd den Gesang der Brautjungfern (die als Wildecker Herzbuben ausstaffiert sind), während er versucht, „Kunst“ und „Volk“, „schön“ und „Musik“ auf Schildern, die sie vor sich hertragen, zu einem sinnvollen Satz zu ordnen. Das nervt und ärgert. Dass zum anschließenden Jägerchor „Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen“ über die gesamte Bühnengröße eine Dresdner Pegida-Demonstration projiziert wird, schließt den Kreis zur ersten Szene in einer haarsträubenden und diskriminierenden Gleichsetzung. Eine Auseinandersetzung mit der heutigen Bedeutung von Jagd und Hege wäre da dringend notwendig gewesen.

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Ottokar (Stefan Adam), Max (Eric Laporte), Kuno (Michael Dries)

Wurden zur mit „okidoki“ eröffneten Ouvertüre zunächst noch Bilder von bedeutenden deutschen Persönlichkeiten gezeigt, die Samiel im düsteren Raum betrachtet,  kommen im Laufe der Aufführung auch assoziative Bilder hinzu, wie das Bild des angespülten toten Flüchtlingsjungen. Im bunten Volk auf der Bühne findet sich eine Mischung aller möglichen Charaktere, die einem zum Thema „Deutschland“ einfallen könnten. Auch Personen wie Heino oder Walter Freiwald sind darunter, ein Koch (für die vielen Kochshows) darf auch nicht fehlen. Aber wo ist Otto? Das könnte ja eine Idee sein, aber alles ist sehr schrill und bunt überzeichnet und dazu kommen überdeutlich und damit dominierend Neonazis und sonstige Schlägertypen, Huren und die schon beschriebenen sieben Zwerge, ein Wolf, ein mannsgroßer lebendiger Kuschelhase und dergleichen mehr. Ob man mit einer derartigen Reizüberflutung, Überpsychologisierung und Brutalisierung dem Freischütz gerecht wird, mag jeder Besucher selbst entscheiden. Das Buhkonzert für die Regie war mit einigen „Bravo“-Rufen durchsetzt, die zeigen, dass die Inszenierung durchaus kontrovers aufgenommen wurde. Glücklich ist aber vor allem der, der dem optischem Tsunami entfliehen, die Augen schließen und sich dem musikalischen Anteil der Produktion widmen kann, der sich – wenn auch durch zahlreiche Bühnengeräusche und ablenkende Aktionen und Bilder respektlos gestört – sehr viel erfreulicher zeigt.

Dorothea Maria Marx gestaltet die Agathe mit warmem, substanzreichem, aber doch auch  mädchenhaft klingendem Sopran. Ania Vegry verleiht dem Ännchen mit beweglicher, aber nicht schmal klingender Stimme einen ebenbürtigen Charakter. Zusammen bilden sie auch gesanglich ein sehr harmonisches Freundinnenpaar. Eric Laporte ist entgegen der szenischen Charakterisierung stimmlich ein kraftvoller Max mit gesundem Tenor und strahlenden Spitzentönen. Tobias Schabel lässt in allen Lagen, selbst in den hohen Tönen des Trinkliedes eine satte klangvolle Stimme hören, die neben einer charakteristischen Färbung auch über  hohe Stimmkultur verfügt. Da bleibt kein Wunsch offen. Als Ottokar tönt Stefan Adam stimmvoll, hatte in der Premiere aber nicht seinen besten Tag. Mit Michael Dries und Byung Kweon Jun sind Kuno und Kilian adäquat besetzt. Shavleg Armasi verleiht dem Eremiten mit üppigem Bass Größe und Würde. GMD Karen Kamensek führt das überwiegend gut disponierte Orchester mit sicherer Hand und überwiegend raschen Tempi durch den Abend. Die Zusammenarbeit mit der szenischen Umsetzung fordert ihr einige Kompromisse ab, nicht nur, wenn die Musik unterbrochen oder weit in den Hintergrund gedrängt wird, sondern auch, wenn sie sich wie oben beschrieben, öffentlich von einer Szene distanzieren muss. Bestens einstudiert, ausgewogen und stimmstark klingen Chor und Extrachor.

FAZIT

Ich bin diese billigen Aktualisierungen, sexualisierten, brutalisierten, Ekel erregenden  Provokationsversuche so leid… bis zur Langeweile leid… Eigentlich hilft hier nur eins: Wegschmeißen und neu machen. Dann käme hoffentlich auch die Musik wieder zu ihrem Recht, die jetzt unter der überbordenden bildlichen Reizüberflutung geradezu untergeht. Das ist besonders schade, weil die musikalische Seite der Produktion aufgrund ihrer Qualitäten einen respektvolleren Umgang verdient hätte.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Karen Kamensek /
Benjamin Reiners

Inszenierung
Kay Voges

Bühne
Daniel Roskamp

Kostüme
Mona Ulrich

Kostüm-Mitarbeit
Theresa Mielich

Licht
Susanne Reinhardt

Video
Voxi Bärenklau

Live-Bildschnitt
Lennart Laberenz

Kamera
Vlad Margulis
Jan Voges

Chor
Dan Ratiu

Dramaturgie
Klaus Angermann

 

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor und Extrachor der
Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover

Solisten

*Premierenbesetzung

Ottokar
*Stefan Adam /
Christopher Tonkin

Cuno
Michael Dries

Agathe
*Dorothea Maria Marx /
Kelly God

Ännchen
*Ania Vegry /
Athanasia Zöhrer

Kaspar
*Tobias Schabel /
Bjørn Waag

Max
Eric Laporte

Ein Eremit
Shavleg Armasi

Kilian
*Byung Kweon Jun /
Roland Wagenführer

Vier Brautjungfern
Denitza Christo
Anna Doelle
Daniela Butina
Hye-Jin Eun

Samiel
Eva Verena Müller



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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