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Ein pathologischer Fall ohne Aussicht auf Heilung
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Jung
Nein, schön wird dieser Abend nicht. Das ist spätestens nach dem dritten Ton klar, wenn das Orchester die einleitende "Agamemnon"-Fanfare niederfahren lässt in so eisiger Schärfe, wie man sie selten hört. Die fabelhaften Essener Philharmoniker können natürlich auch den Strauss'schen Wohlklang, aber der blitzt nur gelegentlich auf, und dann mitunter wie vergiftet, trügerisch glänzend und nicht greifbar angesichts des dunkel vibrierenden und immer wieder dissonant zerrissenen Untergrunds. Diese Elektra ist radikal modern, klingt mitunter, als habe Schostakowitsch da bereits mitgemischt (der war bei der Uraufführung 1090 gerade einmal zwei Jahre alt). Sind in vielen Aufführungen die Dissonanzen die Würze für den großen tonalen Orchestersound, so ist es hier andersherum: Konstituierend sind die Fliehkräfte. Am Pult stand bei der hier besprochenen Aufführung ausnahmsweise nicht der Essener Chefdirigent Tomaš Netopil, sondern als Gast Georg Fritzsch, Strauss-erfahrener GMD aus Kiel. Der leitete die Aufführung nicht nur sehr umsichtig, deckte bei aller Wucht die Sänger nicht zu, sondern erzeugte vom ersten Moment an eine Spannung, die einem förmlich den Boden unter den Füßen wegzog. Klytämnestra
Das deckt sich in beklemmender Dichte mit der Inszenierung von David Bösch, die in Koproduktion mit der Opera Vlaanderen Antwerpen und Gent entstanden ist und dort bereits zu sehen war (unsere Rezension). Bösch erzählt die Geschichte von ihrem psychoanalytischen Kern her und auf den ersten Blick fast ohne Aktualisierung. Als Bühnenbild (Patrick Bannwart und Maria Wolgast) dient eine Art riesenhaft vergrößerte Blutwanne. "Mama, where is Papa?" ist leitmotivisch auf die blutbespritzte Wand gekritzelt. Zu Klytämnestras Auftritt fallen gehäutete Tierkadaver von der Decke, von denen Schläuche ausgehen, die die Gattenmörderin mit frischem Blut versorgen - das ist ein drastisches Bild, ist aber eng am Text entlang inszeniert. Dazwischen stehen - zunächst wie nebensächlich - Objekte aus Elektras Kindheit: Drei Kinderstühle, mit eingeritzten Buchstaben E für Elektra und O für Orest (auf dem dritten wird sicher C für Chrysothemis stehen). Ein Schaukelpferd gibt es noch, und einen Teddybären, und wenn der tot geglaubte Orest zurück kehrt und diesen Bären in einem kurzen Moment der Erinnerung an sich drückt, dann trägt diese Geste unendlichen Schmerz über die verlorene Kindheit in sich. Wie auch das Foto von Agamemnon und Elektra, das eine innige Vater-Tochter-Beziehung zeigt, eine beklemmend persönliche Dimension zeigt. Elektra
Ausgezeichnet ist die Sängerbesetzung. Rebecca Teem stürzt sich mit ganzer Kraft in die Titelpartie, und es ist kein Fehler, dass man ihr die Anstrengung hier und da anhört - schließlich geht es um alles. Reserven hat sie genug, und in den Spitzentönen und hochdramatischen Ausbrüchen kann sie immer noch zulegen, auch das Piano hat viel Substanz. Sie gestaltet die Partie mit enormer Ausdruckskraft, mit nuancierten, oft bewusst fahlen Farben. Aber "schöner Klang" ist ohnehin nicht (oder nur gelegentlich) Sache dieser Figur, sondern passt eher zu ihrer Schwester Chrysothemis. Der verleiht Katrin Kapplusch jugendlich-dramatische Züge, gibt der Figur großes Format und lebensbejahende Emphase, die Elektras Abgründen standhält. Als Klytämnestra besticht Renée Morloc mit ihrer warmen, dunklen, tragfähigen Stimme und immenser Ausdruckskraft. Den Orest singt Almas Svilpa mit sonorer Würde, vielleicht ein wenig zu statisch angelegt angesichts der Selbstzweifel, die er mit sich herum trägt, gebeugt im schwarzen Mantel mit Kapuze wie der Tod persönlich. Rainer Maria Röhr gestaltet die kleine Partie des Aegisth auf den Punkt genau zupackend, und auch die Mägde sind gut besetzt. Orest und Aegisth
Musikalisch wird der soghaft fesselnde Regieansatz also auf hohem Niveau beglaubigt. Bösch lässt noch einen weiteren Gedankengang zu: Nicht erst im düsteren Schlussbild, wenn die drei Geschwister eng zusammenhocken und Elektra und Orest sich umbringen, lassen sich die drei Personen als Elemente von Elektras Persönlichkeit deuten. Auch die äußerliche Ähnlichkeit zwischen Elektra und Chrysothemis, die fast abstrakt-symbolische Zeichnung Orests weisen darauf hin. Bösch belässt es aber bei kleinen Zeichen, vor denen das Musikdrama präzise erzählt wird. Kein schöner Abend. Aber ein erschütternder.
Szenisch wie musikalisch eine ganz starke Aufführung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam* Besetzung der rezensierten Vorstellung
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht-Design
Chor
Dramaturgische Betreuung
Solisten* Besetzung der rezensierten Vorstellung
Klytämnestra
Elektra
Chrysothemis
Orest
Ägisth
Der Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Die Aufseherin
Erste Magd
Zweite Magd
Dritte Magd
Vierte Magd
Fünfte Magd
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