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What Next?

Oper in einem Aufzug
Text von Paul Griffiths
Musik von Elliott Carter

Trouble in Tahiti

Oper in sieben Szenen
Text und Musik von Leonard Bernstein

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln 

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (eine Pause)

Premiere im Theater Duisburg am 4. Juni 2016
(rezensierte Aufführung: 24.06.2016)


Homepage

Rheinoper
(Homepage)

Über die Unfähigkeit zu kommunizieren

Von Thomas Molke / Fotos von Hans Jörg Michel

Nachdem Intendant Christoph Meyer in den vergangenen Spielzeiten bereits Aufführungen des Opernstudios etabliert hat, in denen junge aufstrebende Künstlerinnen und Künstlern nicht nur an der Seite von erfahrenen Ensemble-Mitgliedern in kleineren Rollen ihr Repertoire ausbauen können, sondern auch in der Regel eine eigene Produktion pro Spielzeit erarbeiten, widmet er sich ab dieser Spielzeit auch dem Nachwuchs im Bereich des Tanzes und der Regie. So gibt es neben dem Projekt Young Moves, bei dem sechs Tänzerinnen und Tänzer aus Martin Schläpfers Ensemble die Möglichkeit erhalten, mit der Ballett-Compagnie der Deutschen Oper am Rhein eine eigene Choreographie zu kreieren und sie im Theater Duisburg einem breiten Publikum zu präsentieren (siehe auch unsere Rezension), auch die Plattform Young Directors, bei der zwei aufstrebende Jung-Regisseure zwei Operneinakter einander gegenüberstellen, die musikalisch kaum unterschiedlicher sein könnten. Dabei handelt es sich um zwei amerikanische Komponisten des 20. Jahrhunderts, die nicht nur ungefähr zur gleichen Zeit gelebt haben, sondern auch beide In Harvard studiert haben. Während Elliott Carter in seinen Werken allerdings eher auf die Zwölftonmusik aufbaut und mit der Hervorhebung der einzelnen Musiker als Individuen im Orchester den Ensemble-Gedanken dekonstruiert, präsentiert sich Leonard Bernstein vielseitiger und "ohrenfreundlicher", indem er das Genre Oper mit Gattungen der Unterhaltungsmusik vermischt.

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Orientierungslosigkeit nach der Katastrophe: von links Stella (Susan Maclean), Mama (Romana Noack), Kid 1 (David Chestnut), Harry or Larry (Dmitri Vargin), Rose (Heidi Elisabeth Meier) und Zen (Corby Welch), oben: Kid 2 (Jan Vorjohann)

Den Anfang macht What Next?, Carters einziger Oper, die Daniel Barenboim am 16. September 1999 an der Staatsoper unter den Linden in Berlin zur Uraufführung brachte. Die Geschichte trägt Züge des Absurden Theaters, da hier die Figuren nicht miteinander kommunizieren, sondern in ihrer eigenen Fantasiewelt verharren. Die Ausgangssituation ist ein Unfall, der nicht genauer präzisiert wird und der die Figuren orientierungslos in einem Chaos hinterlässt. Da ist zum einen Mama, die glaubt, dass sich alle auf dem Weg zur Hochzeit ihres Sohnes, der sich selbst Harry or Larry nennt, befunden haben. Zen hält sie für ihren ehemaligen Ehemann, der jetzt mit Stella zusammen ist. Dies sieht Zen allerdings ganz anders. Er selbst ist davon überzeugt, ein Meister zu sein, dem die anderen bedingungslos folgen, obwohl er selbst weiß, dass er ein Betrüger ist. Stella betrachtet sich selbst als Astronomin, die auf keinen Fall zu einer Hochzeit wollte, sondern in ihr Observatorium, um weitere Erkenntnisse über die Sterne zu gewinnen. Harry or Larry macht keine brauchbaren Äußerungen darüber, was er denkt, und präsentiert sich als zynischer Clown, während Rose sicher ist, eine gefeierte Opernsängerin gewesen zu sein. Kid hingegen erfindet keine eigene Geschichte im Verlauf der Oper, sondern setzt nur alles daran, seinen Hunger und Durst zu stillen. Am Ende ist man nicht weiter als am Anfang. Die Figuren haben zwar im Verlauf des Stückes die Fähigkeit gewonnen, sich wieder zu artikulieren, während sie zu Beginn nur Zischlaute und Silben ausgestoßen haben, aber den Sinn ihres Daseins suchen sie immer noch vergeblich.

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Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens: Mama (Romana Noack, vorne) und Rose (Heidi Elisabeth Meier, dahinter) (im Hintergrund: Marc Gosemärker als Gartenzwerg) und Harry or Larry (Dmitri Vargin))

Carters Musik ist genauso abstrus wie die Geschichte und lässt den Zuhörer keinen Ankerpunkt finden. Wie bei den Figuren, die nicht zueinander finden können, hat man auch bei den Duisburger Philharmonikern unter der Leitung von Jesse Wong das Gefühl, das jedes Instrument für sich steht, so dass ein atonaler und zusammenhangsloser Klang entsteht. Das ist zwar anstrengend, aber konsequent. Tibor Torell findet in seiner Inszenierung einen überzeugenden Ansatz, indem er in drei Phasen zeigt, wie sich die Figuren in den Zustand eines Kleinkindes zurückverwandeln. So starten die Figuren mit Ausnahme von Kid als gebrechliche Rentner, die vielleicht wie Schlaganfallpatienten erst langsam ins Leben zurückfinden. Dadurch wird nachvollziehbar, wieso die Figuren sich zunächst nur in Vokalen und Silben artikulieren, bevor sie sich wieder in ganzen Sätzen ausdrücken. Mit der Rückkehr der Sprache verjüngen sich die Figuren und stehen nun in der Blüte ihres Lebens, in der sie ihre eigene Geschichte erzählen und hoffen, damit ins Leben zurückzufinden. Doch dieser Wunsch ist eine Illusion. Ihre Geschichten geben keinen Sinn und die Orientierungslosigkeit kehrt zurück. Dass Torell hier die entgegengesetzte menschliche Entwicklung wählt, unterstreicht, dass die Figuren zu keinem Zeitpunkt ans Ziel gelangen. Die Bühne von Ana Tasic zeigt dabei eine Straße, die scheinbar einen Looping gemacht hat und in der Mitte eingebrochen ist. In der Decke und auf dem Boden befindet sich jeweils ein riesiger Krater. In der ersten Szene wächst im Boden noch ein Baum, der mit dem roten Apfel an den Garten Eden erinnert. Durch das Loch in der Decke beobachtet ein junger Mann, der im Programmheft als Kid 2 ausgewiesen wird, die Szenerie und fungiert stellenweise als Strippenzieher.

Die beiden Straßenarbeiter, die in der zweiten Szene erscheinen, um den Unfall aufzuräumen, sich im weiteren Verlauf allerdings als Schlagzeuger entpuppen und den atonalen Klang des Orchesters auf der Bühne fortsetzen, lässt Torell als Gartenzwerg und als Heiland auftreten, um zu zeigen, wie sich die übrigen Charaktere bei ihrer verzweifelten Sinnsuche an Spießbürgerlichkeit und Religion klammern. Die Solisten setzen szenisch und stimmlich den absurden Charakter des Stückes überzeugend um. Dennoch bleibt der Applaus verhalten, weil das Publikum wohl größtenteils von der Musik verstört wird.

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Szenen einer Ehe: Dinah (Ramona Zaharia) und Sam (Thomas Laske) mit Junior (Alen Pepik)

Da verspricht der zweite Teil des Abends schon mehr Hörgenuss. Mit dem 1952 an der Brandeis University in Waltham Massachusetts uraufgeführten Trouble in Tahiti unternahm Bernstein den Versuch, dem Image des "seichten" Musical-Komponisten, das er sich mit erfolgreichen Werken wie On the Town erworben hatte, zu entkommen. Trouble in Tahiti zeichnet ein schonungsloses Bild einer scheinbar perfekten Welt eines amerikanischen Durchschnitts-Ehepaars aus der Mittelschicht. Dinah und Sam haben sich nach zehn Jahren Ehe nichts mehr zu sagen. Jeder Versuch eines Gesprächs endet in einem Streit, selbst wenn es nur darum geht, dem anderen beim Frühstück den Toast zu reichen. Sam flüchtet sich in seinen Job und in eine Affäre mit der Sekretärin Miss Brown. Dinah verbringt ihre Zeit beim Psychiater, um ihre Probleme aufzuarbeiten. Als sich die beiden zufällig in der Mittagspause auf der Straße begegnen, lügen sie sich gegenseitig an und behaupten, keine Zeit zu haben, um mit dem anderen gemeinsam Essen zu gehen. Stattdessen schieben sie eine wichtige Verabredung vor. Dinah flüchtet ins Kino, um sich den Film Trouble in Tahiti anzusehen, den sie allerdings wütend verlässt, da sie den Kitsch und die heile Welt, die ihr im Film vorgegaukelt wird, mit Blick auf die eigene Situation nicht ertragen kann. Als die beiden dann beim Abendessen doch noch einmal versuchen, ein Gespräch zu beginnen, fehlt ihnen erneut die Kraft, sich den gemeinsamen Problemen zu stellen, und Sam schlägt vor, sich doch lieber im Kino einen neuen Film anzusehen: Trouble in Tahiti. Dinah willigt ein.

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Versuch einer Aussprache nach missglückter Party: Dinah (Ramona Zaharia, rechts) und Sam (Thomas Laske, rechts), auf der linken Seite von links: Boy 2 (Roman Hoza), Girl (Annika Kaschenz) und Boy 1 (Cornel Frey)

In Dinahs melancholischer Melodie von einem traumhaften Garten nimmt Bernstein schon Ansätze des in der West Side Story perfektionierten "Somewhere" vorweg. Ramona Zaharia begeistert hierbei als Dinah mit warmem Mezzo, der die Verzweiflung der jungen Frau bewegend zum Ausdruck bringt. Eine persiflierende Note bringt ein Jazztrio (Annika Kaschenz, Cornel Frey und Roman Hoza) ein, das im Stil der amerikanischen Werbung der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts das Musterleben der Familien in der amerikanischen Vorstadt karikiert. Philipp Westerbarkei lässt die drei zunächst nur aus dem Off singen. Erst im weiteren Verlauf des Stückes übernimmt Annika Kaschenz die Rolle der Sekretärin Miss Brown, die sich von Sam auf dem Küchentisch verführen lässt. Cornel Frey und Roman Hoza treten dann als Sams Arbeitskollegen Mr. Partridge und Bill auf. Thomas Laske überzeugt als Sam stimmlich mit markantem Bariton und verleiht der Figur in der Darstellung glaubhaft chauvinistische Züge, wenn er beispielsweise seinem Sohn die wahren Gewinner-Qualitäten eines Mannes erklärt. Alen Pepik, der als Sohn Junior die Fassade durchschaut, versteckt sich daraufhin unter dem Küchentisch. Der Küche kommt in Westerbarkeis Inszenierung eine besondere Bedeutung zu, da er alle Szenen hier stattfinden lässt. Tatjana Ivschina hat als Bühne eine große Einbauküche in drei Teilen konstruiert, die in ihrem blassen Weiß absolut makellos, dabei aber auch klinisch wirkt.

Patrick Francis Chestnut führt die Duisburger Philharmoniker mit leichter Hand durch die abwechslungsreichere Partitur, die das Publikum, was den Hörgenuss betrifft, für den ersten anstrengenden Teil entschädigt. So gibt es nach dem zweiten Teil herzlicheren Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Torell und Westerbarkei stellen mit ihren beiden durchaus unterschiedlichen Inszenierung unter Beweis, dass sie genügend Potenzial besitzen, den Schritt vom Spielleiter zum Regisseur zu machen.


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Produktionsteam

Licht
Franz-Xaver Schaffer

Dramaturgie
Anne do Paço

 

Duisburger Philharmoniker


What Next?

Musikalische Leitung
Jesse Wong

Inszenierung
Tibor Torell

Bühne und Kostüme
Ana Tasic

Video
Marco Kreuzer

Solisten

Rose
Heidi Elisabeth Meier 

Mama
Romana Noack

Stella
Susan Maclean

Zen
Corby Welch

Harry or Larry
Dmitri Vargin

Kid 1
David Chestnut

Kid 2
Jan Vorjohann

Straßenarbeiter (Schlagzeug)
Marc Gosemärker
Alexander Nolden

 

Trouble in Tahiti

Musikalische Leitung
Patrick Francis Chestnut

Inszenierung
Philipp Westerbarkei

Bühne und Kostüme
Tatjana Ivschina

Solisten

Dinah
Ramona Zaharia

Sam
Thomas Laske

Girl
Annika Kaschenz

Boy 1
Cornel Frey

Boy 2
Roman Hoza

Junior
Alen Pepik


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutschen Oper am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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