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b.26

Bournonville Divertissement

Choreographien von Auguste Bournonville (1805 - 1879)
Tarantella und Pas de six aus Napoli von Edvard Mads Ebbe Helstedt
pas de deux aus Blumenfest in Genzano von Holger Simon Paulli

Dark Elegies

Ballett von Antony Tudor
Musik von Gustav Mahler (Kindertotenlieder nach Gedichten von Friedrich Rückert)

One

Ballett von Terence Kohler
Musik von Johannes Brahms (Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68)
- Uraufführung -

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (zwei Pausen)

Premiere am 16. Januar 2016 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 30. Januar 2016)


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Sie sind dann mal weg, die Tänzer ...

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Eine Choreographie aus dem Jahr 1842, das klingt ein wenig verstaubt. Zumal das Ballett am Rhein unter der Ägide von Martin Schläpfer zwar die Tradition pflegt, aber doch eine Tradition der Moderne, und bisher hat Schläpfer um das 19. Jahrhundert mit seinen Handlungsballetten einen großen Bogen gemacht. Jetzt hat er drei Szenen des dänischen Choreographen August Bournonville (1805 - 1879) zu einem Divertissement zusammengestellt, einen Pas de deux aus Blumenfest in Genzano und den Pas de six und eine Tarantella aus Napoli. Aus einzelnen Szenen aus Handlungsballetten solch ein Divertissement zu basteln, das war auch zu Bournonvilles Lebzeiten ein beliebtes Verfahren, und nicht zuletzt weil die Schrittfolgen immer mündlich weitergegeben wurden, bleiben da für jede Neueinstudierung Freiräume. Für das Ballett am Rhein hat Johnny Eliasen, der viele Jahre am Königlichen Ballett Kopenhagen gearbeitet hat, die Einstudierung übernommen und das Kunststück vollbracht, ein trotz der technischen Schwierigkeiten federleichtes, bei aller Verspieltheit keineswegs biedermeierliches Stück daraus zu machen. Lose ergibt sich eine Art Handlung, ein Fest (vielleicht eine Hochzeit), bei der sich Paare finden, kokettieren, lässig die anderen betrachten. Natürlich ist das ein wenig harmlos und vielleicht allzu unbeschwert, hat in den hübschen Kostümen von Maja Ravn mit viel Tüll für die Damen aber ausgesprochen viel Charme und ist mit Doris Becker und Philip Handschin in den zentralen Rollen auch souverän getanzt. (Ein wenig mehr Leichtigkeit hätte man sich von den Duisburger Philharmonikern unter der Leitung von Wen-Pin Chien vorstellen können.)

Vergrößerung August Bournonville: Bournonville Divertissement, Ensemble

Die Reise durch rund 175 Jahre Ballettgeschichte wird fortgesetzt mit Antony Tudors Dark Elegy, einer choreographischen Umsetzung von Mahlers Kindertotenliedern für das Londoner Rambert Ballett aus dem Jahr 1937. Entstanden unter dem Eindruck des spanischen Bürgerkriegs, hat Tudor ein ritualhaftes Trauerstück geschaffen. Der Sänger sitzt auf der Bühne, bleibt aber unbeteiligt (Dmitri Vargin singt mit etwas engem Bariton unprätentiös solide). Neben ihm kauert eine Gruppe von Tänzerinnen im Kreis, deutet ein Zeremoniell an. Eine weitere Tänzerin (Camille Andriot) kommt mit einer eigentümlichen Kombination aus Sprung und Schritt zurück hinzu, ein Gegensatz zu den regelhaften Bewegungsabläufen der Gruppe. Darin spiegelt sich der Kontrast von individueller und kollektiver Trauer, und es ist bewundernswert, wie organisch Tudor in diesem ersten der fünf Lieder Solo und Gruppe gegeneinander setzt und doch miteinander verschmilzt.

Vergrößerung

Antony Tudor: Dark Elegies © The Antony Tudor Ballet Trust - Ensemble; FOTO © Gert Weigelt

Das gilt auch für die weiteren Lieder, einen pas de deux (Virginia Segarra Vidal und Marcos Menha vereinigen sich darin zu einer umgekehrten Pietá, d.h. die Frau liegt in den Armen des Mannes) im zweiten, ein Solo (Michael Foster) im dritten und weitere im vierten (So-Yeon Kim) und fünften (Andriy Boyetskyy) Lied, jeweils mit (oft sparsamen) Gesten und Bewegungen der Gruppe begleitet, und das ist von allergrößter Disziplin gekennzeichnet. Trotz der Soli bleibt Dark Elegies ein Ensemblestück. Tudor geht sehr genau und sehr fein auf die Regungen der Musik ein und gibt den musikalischen Bewegungen oft in Dehnungen oder Armbewegungen körperlichen Ausdruck, choreographiert aber trotz dieser Kleinteiligkeit einen großen Bogen über alle fünf Lieder hinweg. Thomas Ziegler hat für diese Aufführung schlichte Kostüme entworfen, die behutsam den Stil der 1930er-Jahre andeuten, aber zeitlos bleiben. Als Hintergrund verwendet er eine abstrakte, in schwarzweiß gehaltene Landschaft, in der man Wolken oder auch Eisschollen erahnen mag. Dark Elegies bleibt ein faszinierendes Moment kultivierter Trauer.

Vergrößerung Antony Tudor: Dark Elegies © The Antony Tudor Ballet Trust - Michael Foster, Marcos Menha, Boris Randzio, Virginia Segarra Vidal, Wun Sze Chan; FOTO © Gert Weigelt

Dann gibt es einen weiteren Zeitsprung von rund 80 Jahren in die unmittelbare Gegenwart, will heißen: Eine Uraufführung. Der 1984 in Sydney geborene Terence Kohler, tänzerisch am Badischen Staatsballett Karlsruhe groß geworden (auch mit eigenen Choreographien), widmet sich der c-Moll-Symphonie von Johannes Brahms, und der düster-zerklüftete erste Satz gibt die Stimmung vor. Wenn der Vorhang sich nach (erst nach einigen Takten, in denen die Musik für sich spricht) öffnet, trippelt Marlúcia do Amaral unter höchster Anspannung auf eine Mauer aus riesigen monolithischen Betonquadern zu, prallt ab, versucht es erneut. Es wird ein Ringen gegen diese Mauer sein, die das Werk durchzieht, und das düstere Bühnenbild von Vera Hemmerlein ist schon sehr eindrucksvoll. Wen-Pin Chien und die nicht immer sehr genauen Duisburger Philharmoniker liefern passend dazu eine fulminante, expressiv aufgeladene musikalische Interpretation voller Dramatik. Einen Sturm in verschiedenen Phasen hat Kohler sich vorgestellt, und Wolkenformationen hat Kostümbildnerin Louise Flanagan auf die eng anliegenden, knappen und teilweise wie zerfetzt wirkenden Kostüme drucken lassen. Entsprechend lässt Kohler das Ensemble entfesselt über die Bühne wirbeln, und bei aller Faszination ist manches eine Spur (zu) reißerisch geraten im Vergleich zu Tudors Strenge und Disziplin zuvor. Aber es gibt ganz große Momente, zwei faszinierende, sehr gegensätzliche pas de deux etwa: Anne Marchand und Boris Randzio verschmelzen zu einer androgynen Einheit, ganz im Gegensatz zu Chidozie Nzerem und Marlúcia do Amaral, die geradezu miteinander kämpfen, bis die Tänzerin gebrochen wird und wie eine leblose Puppe an Nzerem hängt. Und Yuko Kato hat den entspannt-heiteren dritten Satz un poco allegretto e grazioso ganz für sich, ein phänomenales Solo von phasenweise kindlicher Unbeschwertheit.

Vergrößerung

Terence Kohler: One, Chidozie Nzerem, Marlúcia do Amaral

Mit dem Finalsatz allerdings verärgert Kohler Teile des Publikums ganz erheblich. Zur Einleitung variiert er das Anfangsbild, nur das Marlúcia do Amaral nun versucht, den Block hinauf zu klettern (dazu gibt es, keine ganz glückliche Bildlösung, ein paar Griffe wie an Kletterwänden). Sie scheitert, hängt ein wenig pathetisch an der Wand und steigt zurück. Dann kommt jemand auf die einfachere Idee: Eine Leiter wird hereingetragen, und zum Hauptteil dieses Finalsatzes steigt einer nach dem anderen mit Hilfe dieser Leiter über die erste Mauer hinweg ins Ungewisse, und die letzten Minuten darf man die menschenleerer Bühne betrachten. "Eine einmalige Gelegenheit, noch im Theater darüber zu reflektieren, was man gerade gesehen hat", heißt es ziemlich hilflos in der Werkeinführung.

Vergrößerung Terence Kohler: One,Ensemble

Kohler will das Motiv des "durch Dunkelheit zum Licht" der Symphonie aufgreifen, und der etwa zweijährige Entstehungsprozess der Choreographie mit den politischen Ereignissen der letzten Monate, vor allem der Flüchtlingskrise (die in der Sturm-Motivik mit offenbar gestrandeten Menschen vage anklingt), mag da mehr und mehr Zweifel an einer optimistischen Lösung aufgeworfen haben. Tatsächlich hat dieses offene Ende mit dem Weg ins Ungewisse einiges für sich, und doch bleibt der unbefriedigende Eindruck, Brahms nicht wirklich gerecht geworden zu sein. Es ist trotz der unterschwelligen Anklänge an Beethovens Ode an die Freude ja kein ungetrübtes Jubelfinale in dieser ach so komplizierten Symphonie, mit der Brahms 22 Jahre lang rang und in der bis zum letzten Ton viele Zweifel einkomponiert sind, und da ist die tänzerische Verweigerung eine doch ziemlich einfache Lösung. Auf der anderen Seite kann man das offene, unbefriedigende Ende als adäquate und keineswegs unpassende Geste eines "wir wissen nicht weiter" verstehen, das in der Tat gerade in die Zeit passt. So bleibt der Schluss ambivalent. Ein paar kräftige Buhs für den (in dieser dritten Aufführung naturgemäß nicht mehr anwesenden) Choreographen unterstreichen, dass der Abend eben nicht in allgemeiner Gefälligkeit endet, sondern manche Frage hinterlässt.


FAZIT

Der Spannungsbogen von der ziemlich heilen Welt Bournonvilles bis in unsere zerissene Gegenwart endet mit einer provokativen Leerstelle - darüber kann man sich produktiv ärgern, aber man sollte diesen Tanzabend keineswegs deshalb versäumen.


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Produktionsteam

Bournonville Divertissement

Choreographie
August Bournonville

Kostüme
Maja Ravn

Licht
Franz-Xaver Schaffer

Choreographische Einstudierung
Johnny Eliasen

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Die Duisburger Philharmoniker

Tänzerinnen und Tänzer

Ann-Kathrin Adam
Feline van Dijken
Nathalie Guth
Alexandra Inculet
Julie Thirault
Brice Asnar
Filipe Frederico
Philip Handschin
Sonny Locsin
Friedrich Pohl


Dark Elegies

Choreographie
Antony Tudor

Bühne und Kostüme
Thomas Ziegler

Licht
Franz-Xaver Schaffer

Choreographische Einstudierung
Amanda McKerrow
John Gardner

Bariton
Dmitri Vargin

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Die Duisburger Philharmoniker


Tänzerinnen und Tänzer

Camille Andriot
Wun Sze Chan
Nathalie Guth
Christine Jaroszewski
So-Yeon Kim
Helen Clare Kinney
Anne Marchand
Virginia Segarra Vidal
Andriy Boyetskyy
Michael Foster
Marcos Menha
Boris Randzio


One

Choreographie
Terence Kohler

Bühne
Verena Hemmerlein

Kostüme
Louise Flanagan

Licht

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Die Duisburger Philharmoniker


Tänzerinnen und Tänzer

Ann-Kathrin Adam
Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Doris Becker
Wun Sze Chan
Sabrina Delafield
Feline van Dijken
Sonia Dvorak
Nathalie Guth
Alexandra Inculet
Christine Jaroszewski
Yuko Kato
So-Yeon Kim
Helen Clare Kinney
Norma Magalhães
Anne Marchand
Asuka Morgenstern
Louisa Rachedi
Aryanne Raymundo
Virginia Segarra Vidal
Elisabeta Stanculescu
Julie Thirault
Irene Vaqueiro
Rashaen Arts
Brice Asnar
Andriy Boyetskyy
Odsuren Dagva
Michael Foster
Filipe Frederico
Philip Handschin
Vincent Hoffman
Richard Jones
Sonny Locsin
Marcos Menha
Tomoaki Nakanome
Bruno Narnhammer
Chidozie Nzerem
Alban Pinet
Friedrich Pohl
Boris Randzio
Eric White



Weitere Informationen
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