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Abstieg einer Kurtisane
Von Thomas Molke /
Fotos von Thomas Jauk (Stage Picture)
Jens-Daniel Herzogs oberstes Ziel in dieser Spielzeit scheint es zu sein, die Auslastungszahlen der Oper Dortmund zu steigern. So gibt es direkt in den ersten Monaten der neuen Spielzeit neben einem märchenhaften Ballettabend Der Nussknacker, der seit der Premiere für ausverkaufte Vorstellungen sorgt, und einer familientauglichen Inszenierung von Hänsel und Gretel, die ebenfalls in der Vorweihnachtszeit Jung und Alt ins Theater lockt, auch mit Kiss me, Kate einen Musical-Renner mit hohem Revue-Faktor und für das "traditionelle" Opernpublikum Wagners Tristan und Isolde. Die nächste Opernproduktion passt ebenfalls in dieses Schema und sorgt auch in der dritten Vorstellung für ein nahezu ausverkauftes Haus: Verdis La Traviata. Immerhin wurde diese Oper, die mit Rigoletto und Il Trovatore auch als "Trilogia popolare" bezeichnet wird, 2010 vom Deutschen Fernsehen zur "beliebtesten Oper aller Zeiten" gekürt. Nun präsentiert Tina Lanik die Geschichte der "Kameliendame" in bewegenden Bildern, ohne dabei in triefendem Kitsch zu versinken. Violetta (Eleonore Marguerre) bewegt sich am Abgrund. Stefan Hageneier hat dafür einen hohen, relativ kahlen Raum entworfen, der die Einsamkeit Violettas reflektiert. Riesige Fenster auf der Rückwand führen ins Nichts, und bereits in der Ouvertüre bricht Violetta beim Blick in die Leere zusammen. Da kann sie auch nicht die verbrachte Nacht mit einem gut gebauten Mann trösten, der zu Beginn der Ouvertüre ihrem Bett entsteigt. Die Gesellschaft, die dann beim rauschenden Fest im ersten Akt in diesen Raum eindringt, erinnert in den schwarzen Kostümen im Gothic-Look eher an Vampire, die Violetta das Blut aussaugen, als ihr neue Lebenskraft zu spenden. In ihrem cremefarbenem Kleid und mit der blonden Lockenpracht wirkt Violetta wie ein bildhübscher Fremdkörper in einer Gesellschaft am Rande des Abgrunds. Optisch unspektakulär tritt Alfredo Germont in unauffälligem grauen Anzug auf, und vielleicht ist es gerade das, was Violetta an diesem Mann fasziniert. In ihrer großen Arie am Ende des ersten Aktes reißt sie sich nämlich die Perücke vom Kopf und vollzieht eine Wandlung vom glamourösen It-Girl zu einer natürlichen Frau. Hoffnung auf ein neues Glück: Violette (Eleonore Marguerre) und Alfredo (Lucian Krasznec) Für das "bürgerliche" Leben, das Violetta dann im zweiten Akt mit Alfredo im Pariser Vorort führt, hat Hageneier dann eine Zwischenwand eingezogen, die den Raum kleiner macht, aber damit keineswegs mehr füllt. Da hilft auch der Kamin in der Mitte der Bühne nichts. Im Verlauf des Aktes verlöscht das Feuer, wenn Violetta sich von Alfredos Vater überreden lässt, ihre kleinbürgerliche Idylle aufzugeben. Dass Alfredo hier zu Beginn des Aktes Fußball spielt, um sich die Zeit zu vertreiben, mag als Hommage an die Fußballstadt Dortmund verstanden werden. Immerhin gab es hier ja in der letzten Spielzeit auch die Fußballoperette Roxy und ihr Wunderteam, in der der Sänger des Alfredo, Lucian Krasznec, als Kapitän der Mannschaft am Ball ebenfalls eine gute Figur gemacht hatte. Violetta tritt nun in roter Hose und roter Bluse auf. Von der Kurtisane hat sie sich in eine Geschäftsfrau verwandelt, die in dieser ländlichen Idylle die Verantwortung übernommen hat. Alfredos Vater bricht hier mit patriarchalischer Gewalt ein und macht Violetta auf brutale Weise klar, dass dieses Leben nicht für sie bestimmt ist. So reißt er ihr den Schmuck ab und degradiert sie, bis er erkennt, dass sie für seinen Sohn bereit ist, ihr ganzes Vermögen zu opfern. Zwar ist es nicht ganz glaubhaft, wieso sein flehentliches Bitten Violetta nach seinem ersten Auftritt überzeugen soll, ihr Glück zu opfern, aber sie kehrt dennoch in ihr altes Leben zurück. Giorgio Germont (Sangmin Lee) zerstört Violettas (Eleonore Marguerre) Traum vom Glück. Im nächsten Bild befindet man sich wieder in dem großen Raum mitten in Paris. Hier kommt es nun zum endgültigen Bruch zwischen Violetta und Alfredo. Wenn Alfredo in seiner Eifersucht Violetta nach seinem großen Erfolg beim Kartenspiel vor der ganzen Gesellschaft demütigt, indem er sie auf den Boden wirft und ihr Geld unter den Rock steckt, ist das von Lanik mit drastischen Bildern umgesetzt. Der letzte Akt nach der Pause ist die Partygesellschaft verschwunden. Violetta ist wieder allein mit ihrer Vertrauten Annina. Von den Requisiten ist eine Vase geblieben, die mit einer roten Blume Violettas und Alfredos Liebe verkörpert hat. Doch Violetta zerschlägt diese Vase in ihrer Verzweiflung, da sie erkennt, dass auch Alfredos Rückkehr ihren Tod nicht mehr verhindern kann. Wieder brennt ein Feuer im Kamin, das wie Violettas Lebenslicht im letzten Akt verlischt. Großartiges leistet im dritten Akt auch die Maske, die Violetta von einer strahlenden Schönheit in eine vom Tod gezeichnete Frau verwandelt hat. Alfredo (Lucian Krasznec, Mitte vorne) sucht Ablenkung beim Kartenspiel (von links: Flora (Natascha Valentin), Hausdiener (Edward Steele), Marquis d'Obigny (Morgan Moody), Viconte (Xiaoke Hu) und Doktor Grenvil (Ian Sidden)). Mit Eleonore Marguerre, die in Dortmund unter anderem schon als Donna Anna (Don Giovanni) , Konstanze (Die Entführung aus dem Serail) und Manon aus Massenets gleichnamiger Oper geglänzt hat, ist auch die Partie der Violetta hochkarätig besetzt. Mit strahlender Kraft schwingt sich ihr beweglicher Sopran in die Höhe und begeistert im ersten Akt mit großer Dramatik vor allem in ihrer Arie "È strano", in der sie sich über ihre Gefühle für Alfredo bewusst wird. In der Cabaletta "Sempre libera degg'io" lässt sie die Koloraturen nur so perlen und erntet vom Publikum frenetischen Applaus. Großartig gelingt ihr darstellerisch die Wandlung von der Kurtisane zur Geschäftsfrau, die dann aber an ihrer Liebe zu Alfredo zerbricht. Wenn sie im dritten Akt mit "Addio, del passato" erkennt, dass jede Hilfe für sie nun zu spät kommt, geht ihre eindringliche Interpretation und ihr bewegendes Spiel unter die Haut. Lucian Krasznec meistert die Partie des Alfredo mit sauberen Höhen und unbeschwertem Spiel. Mit großer Strahlkraft stimmt er das berühmte Trinklied "Libiamo" an und überzeugt auch im anschließenden "Un di, felice, eterea", wenn Alfredo und Violetta sich ihre Liebe gestehen. Großartig gelingt ihm auch die Arie "De' miei bollenti spiriti" zu Beginn des zweiten Aktes. Der dritte Star des Abends ist Sangmin Lee als Giorgio Germont, der den patriarchalischen Charakter von Alfredos Vater durch einen profunden Bass unterstreicht. Die große Szene zwischen ihm und Marguerre im zweiten Akt, an deren Ende er Violetta überzeugt, auf Alfredo zu verzichten, stellt einen weiteren Höhepunkt des Abends dar. Die kleineren Rollen sind mit Morgan Moody als Marquis d'Obigny, Marvin Zobel als Baron Douphol und Xiaoke Hu als Viconte ebenfalls gut besetzt. Christine Groeneveld ist als Annina in der Inszenierung genauso wie Ian Sidden als Doktor Grenvil von Anfang an präsent. Während Annina aber von Anfang an um Violettas Wohl besorgt scheint, wird die Rolle des Doktors in Laniks Regie-Ansatz nicht ganz klar. Er scheint für die Gesellschaft auch als Drogendealer zu fungieren. Von daher wirkt er in der Inszenierung deutlich negativer, als man diese Rolle gewöhnlich wahrnimmt. Der von Manuel Pujol einstudierte Chor überzeugt als Party-Gesellschaft durch homogenen Klang und intensives Spiel. Motonori Kobayashi rundet mit den Dortmunder Philharmonikern den Abend musikalisch überzeugend ab, so dass es am Ende lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt. FAZIT Auch diese Produktion dürfte in Dortmund ein Garant für ausverkaufte Vorstellungen sein. Vielleicht könnte es auch gelingen, neues Publikum für die Oper zu begeistern.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Choreinstudierung Licht Dramaturgie
Opernchor des Theaters Dortmund Statisterie des Theaters Dortmund Dortmunder Philharmoniker
Solisten *rezensierte Aufführung
Violetta Valéry
Alfredo Germont
Giorgio Germont
Marquis d' Obigny
Baron Douphol
Doktor Grenvil
Gaston, Viconte de Letorières Flora Bervoix
Annina
Giuseppe, Diener Violettas
Hausdiener bei Flora
Dienstbote
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