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Musiktheater
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Faust I - Gewissen!

Ballett von Xin Peng Wang
Musik von Henryk Miko
łaj Górecki, Michael Daugherty, Bryce Dressner, Igor Wakhevitch, Super Flu und Rammstein

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 13. Februar 2016
(rezensierte Aufführung: 19.02.2016)



Theater Dortmund
(Homepage)

Kampf um die Seele auf dem Schachbrett

Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß (Stage Pictures)

Seit einigen Jahren ist es gewissermaßen zum Markenzeichen des Dortmunder Ballettdirektors Xin Peng Wang geworden, gemeinsam mit seinem Chefdramaturgen Christian Baier Klassiker der Weltliteratur für den Tanz zu erschließen. Zu erwähnen sind hier Leo Tolstois Roman Krieg und Frieden, der auf dem chinesischen Nationalroman basierende Der Traum der roten Kammer, Ödön von Horváths Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald und in der letzten Spielzeit Thomas Manns Zauberberg. Nun hat sich Wang für die neue Spielzeit den Klassiker der Deutschen schlechthin vorgenommen: Goethes Faust. Dabei ist die Idee eines Faust-Handlungsballettes im Gegensatz zu den vorher erwähnten Stücken keine absolute Neuheit. Schon 1848 gab es in Mailand zur Musik von Giacomo Panizza den ersten Ballettabend zum Faust, den kein geringerer als Marius Petipa ans Marinski-Theater in St. Petersburg brachte, wo das Ballett, nun mit neuer Musik von Cesare Pugni, 1867 eine umjubelte Premiere feierte und sich auch viele Spielzeiten im Repertoire hielt. Im deutschsprachigen Raum ist man allerdings wahrscheinlich aus Respekt vor Goethes Text recht zurückhaltend mit dem Thema beim Ballett umgegangen, so dass Wang wie bei den anderen erwähnten Stücken einen ganz neuen Zugang wählt.

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Der alte Faust (Harold Quintero, links) trifft auf Mephisto (Dann Wilkinson, Mitte oben) mit seinen drei Teufeln (Giacomo Altovino, Francesco Nigro und Giuseppe Ragona).

So geht Wang in seiner Inszenierung von dem berühmten Zitat aus dem Prolog aus: "Der Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst", und entwickelt aus dieser These in den zwei Teilen des Abends die Frage, ob das Streben nach Wissen oder das Gewissen bei einem Menschen stärker ausgeprägt ist. Die von Wang ausgewählte Musik für diesen Abend stammt von unterschiedlichen Komponisten. Die meisten Szenen werden von Werken des polnischen Komponisten Henryk Mikołai Górecki untermalt, der mit seinem leicht sakral angehauchten Stil, der um Elemente der Volksmusik bereichert wird, zur osteuropäischen Avantgarde zählt. Hinzu kommt Matines von Igor Wakhevitch, einem französischen Pionier der elektronischen Musik, der Anhängern des zeitgenössischen Tanzes vor allem aus Choreographien von Maurice Béjart bekannt sein dürfte. Des Weiteren sind Stücke der amerikanischen Komponisten Michael Daugherty und Bryce Dressner zu hören. Daugherty zählt in den USA zu den am meisten gespielten zeitgenössischen Komponisten im Konzertsaal, während Dressner neben seinen Kompositionen auch als Gitarrist bei der Rockband "The National" große Erfolge feiert. Während diese Musik komplett von den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Philipp Armbruster live begleitet wird, werden Lieder der Musikgruppen Super Flu und Rammstein über Lautsprecher eingespielt.

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Margarethe (Barbara Melo Freire) erliegt auf dem Schachbrett Fausts (Javier Cacheiro Alemán) Werben.

Den Anfang macht der Prolog im Himmel. Aus dem Bühnenboden kriecht Dann Wilkinson als charismatischer Mephisto hervor. Als Hinkefuß klebt ein Eimer an seinem Fuß, von dem er sich während des Prologs krampfhaft zu befreien versucht. Während er noch seine magischen Fähigkeiten ausprobiert, indem er mit einem Wink im Zuschauersaal das Licht angehen und verlöschen lässt und er mit diabolischer Mimik den Kontakt zum Publikum sucht, ertönt Gottes Stimme in einem leicht verzerrten Tondesign über die Lautsprecher und wettet mit Mephisto um Fausts Seele. Im Anschluss wird ein riesiger verschnörkelter Spiegel in den Schnürboden gezogen, in dem sich ein Schachbrett auf der Bühne spiegelt. Auf dem Schachbrett treten auch schon die drei weiteren zentralen Figuren auf, auf die Wang sich in seiner Inszenierung beschränkt: Faust, Margarethe und Marthe Schwerdtlein als ihre Tante, die damit zum einen Margarethes Mutter und zum anderen Valentin ersetzt. Mephisto will das Spiel mit Gott wagen und lässt durch ein geschicktes Videodesign von Frank Vetter im Spiegel die Felder des Schachbrettes verschwinden. Im späteren Verlauf verformt er mit seinen drei Teufeln das quadratische Schachbrett zu einem Erdball.

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Nur zu gern gibt sich Marthe Schwerdtlein (Jelena-Ana Stupar) Mephisto (Dann Wilkinson) hin.

Die Kostüme von Bernd Skodzig sind fantasievoll gestaltet. So stattet er beispielsweise die vier Wissenschaften mit aufwändigen Gewändern aus, die sich jeweils an einem Symbol in ihrer Hand als Theologie, Jura, Medizin und Philosophie erkennen lassen. Harold Quintero scheint als alter Faust zu Beginn unschlüssig zu sein, welcher Wissenschaft er den Vorzug geben soll, so dass er mit jeder einzelnen tanzt, wobei ihm aber seine Kenntnis dieser Wissenschaften keine Befriedigung schenkt. Er wünscht sich mehr, und da kommt ihm Mephisto natürlich gerade recht. Erneut hat Wilkinson mit seinen drei Teufeln (Giuseppe Ragona, Francesco Nigro und Giacomo Altovino), für die Skodzig ebenfalls ausgefallene Kostüme entworfen hat, einen diabolischen Auftritt, nun ohne Eimer, und verleitet geschickt den unzufriedenen Faust zu einem Pakt. Zur Musik von Wakhevitch erfolgt nun die Verwandlung. Das Ballett-Ensemble tritt mit zahlreichen Bilderrahmen auf. Hinter einem verbirgt sich Javier Cacheiro Alemán als junger Faust. Während der alte Faust ganz in Schwarz gekleidet ist und damit auf dem Schachbrett die Farbe Mephistos trägt, ist der junge Faust ganz in Weiß gekleidet und wird optisch somit zum Gegenspieler des Teufels. Großartig gelingt die anschließende Sequenz "Full of Life", in der Mephisto Faust einen Blick in die Zukunft werfen lässt, die von Hightech und Newstickern geprägt ist. Über dunkle herabgelassene Leinwände flimmern permanent Nachrichten und Meldungen in allen möglichen Sprachen, um die Überfrachtung der heutigen Gesellschaft mit Informationen zu illustrieren.

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Wilde Walpurgisnacht (Ensemble)

Dass Faust sich da nach etwas Ruhe sehnt, ist gut nachvollziehbar. So begegnet er zu "Lex" von Michael Daugherty erstmals Margarethe und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Nach der Pause gibt es dann zur Musik von Bryce Dressner ein bewegendes Pas de quatre zwischen Barbara Melo Freire als Margarethe, Alemán als jungem Faust, Jelena-Ana Stupar als Marthe und Wilkinson als Mephisto. Dabei bilden sich die beiden Paare. Während Marthe sich dem Teufel hingibt, erliegt Margarethe Fausts Werben. Doch Mephisto zerstört Fausts Liebesglück. Marthe ist empört über die Verbindung ihrer Nichte zu Faust und schlägt so laut Alarm, dass Mephisto nichts anderes übrig bleibt, als Marthe zu erwürgen. Gemeinsam mit Faust flieht er, während die Dorfgemeinschaft, die durch Strumpfmasken als einheitliche Masse auftritt, Margarethe für den Tod verantwortlich macht. Es folgt die Walpurgisnacht. Der Bühnenboden wird empor gefahren und aus einem abstrakten Wald tauchen weitere Teufel auf, die mit anderen Wesen in hautfarbenen engen Kostümen einen Hexensabbat feiern, der diesen Namen wirklich verdient. Zu "Ich will" gehen Mephisto und seine Diener auf der Bühne richtig ab, und dies ist vielleicht ein Moment, der in seinem Ausdruck noch stärker als die literarische Vorlage ist.

Nach der Walpurgisnacht geht es wieder zurück zu Margarethe. Als Sünderin steht sie vor einer weißen Wand, auf die das Volk rote Farbbeutel wirft, so dass Margarethe kraftlos zusammenbricht. Faust tritt nun wieder als alter Mann auf und versucht, Margarethe zu retten, aber es ist zu spät. So beschließt er, gemeinsam mit ihr in den Tod zu gehen. Die weiße Wand öffnet sich, die Musik setzt aus, und Faust und Margarethe schreiten gemeinsam durch die nun offene Wand von der Bühne. Mephisto bleibt verzweifelt zurück. Er hat seine Wette verloren und ist nun wieder mit einem Eimer am Fuß gestraft. Neben dem Ensemble, das als Masse durch modernen Ausdruckstanz mit homogenen Bewegungen überzeugt, begeistern auch die fünf Haupttänzer in ihrer Darstellung. Freire legt die Margarethe einerseits anmutig und andererseits sehr zerbrechlich an, während Stupar als Marthe im Spiel mit Mephisto wesentlich dominanter auftritt. Quintero gibt den alten Faust als grüblerischen Zweifler mit treffender Mimik und Gestik, während Alemán als junger Faust durch jugendlichen Leichtsinn besticht. Wilkinson avanciert mit seinem diabolischen Spiel als Mephisto zum Publikumsliebling des Abends. Die Dortmunder Philharmoniker erweisen sich unter der Leitung von Philipp Armbruster als kongenialer Begleiter, so dass es im nahezu ausverkauften Haus großen Beifall für alle Beteiligte gibt.

FAZIT

Xin Peng Wang ist mit dieser Umsetzung des Faust-Stoffes erneut ein großer Wurf gelungen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Philipp Armbruster

Inszenierung und Choreographie
Xin Peng Wang

Bühnenbild
Frank Fellmann

Kostüme
Bernd Skodzig

Lichtdesign
Carlo Cerri

Video
Frank Vetter

Tondesign
Dirk Matschuk

Konzept, Szenario, Dramaturgie
Christian Baier

 

Dortmunder Philharmoniker

 

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Der alte Faust
*Harold Quintero /
Andrei Morariu /
Norton Fantinel

Der junge Faust
*Javier Cacheiro Alemán /
Alysson da Rocha /
William Dugan

Mephisto
*Dann Wilkinson /
Hiroaki Ishida /
Giuseppe Ragona

Margarethe
*Barbara Melo Freire /
Haruka Sassa /
Amanda Vieira

Marthe Schwertlein
*Jelena-Ana Stupar /
Denise Chiarioni /
Debora di Giovanni

Erzengel Michael
Erik Sosa Sánchez

Drei Teufel
*Giuseppe Ragona
Arsen Azatyan
*Francesco Nigro
Tigran Sargsyan
*Giacomo Altovino
Davide D' Elia

Vier Wissenschaften

Theologie
*Sae Tamura /
Stephanine Ricciardi

Philosophie
*Clara Sorzano Hernandez /
Nae Nishimura

Medizin
*Amanda Vieira /
Debora di Giovanni

Jura
*Nae Nishimura /
Gemma Gullefer

Schachfiguren, Gesellschaft,
Dämonen der Walpurgisnacht

Debora di Giovanni
*Karina Moreira
*Denise Chiaroni
Jelena-Ana Stupar
Stephanine Ricciardi
*Clara Sorzano Hernandez
*Sae Tamura
*Fernanda Verarda
Lucia das Gracas Lopes Barbosa
*Moonsun Yoon
*Nae Nishimura
*Gemma Gullefer
*Amanda Vieira
*Risa Terasawa
*Haruka Sassa
*Arsen Azatyan
*Giuseppe Ragona
*William Dugan
Javier Cacheiro Alemán
*Stephen C. King
*Carlos Montalvan
Tigran Sargsyan
*Francesco Nigro
*Davide D' Elia
*Giacomo Altovino
*Dayne Florence
*Erik Sosa Sánchez
*Norton Ramos Fantinel
*Hiroaki Ishida

Engel
*Juliane Goll
Noa Rötzel
Katharina Luhrmann
Johanna Bennholz
*Viktoria Schuhmann
 


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