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Bilder seines Abgrunds
Von Joachim Lange / Fotos von Jochen Quast Bei der reichlich verspäteten Dresdner Erstaufführung von Paul Hindemiths (1895-1963) sperrigem Großwerk Mathis der Maler sucht Regisseur Jochen Biganzoli den Zugang über ein metaphorisches Spiel mit der Profession des Titelhelden. Er lässt gar Matthias Grünewalds (1475-1528) Isenheimer Altar versteigern, um dann beim Komponisten selbst und dessen Werk zu landen. Samt einer eingespielten Attacke des Propaganda-Ministers der Nazis auf den Komponisten via Volksempfänger. Dazwischen versucht er aus dem selbst gemachten, mitunter arg sperrigen und redundanten Libretto jenen Politik-, Religions- und Künstlerdiskurs herauszufiltern, den die großformatige Hochdruckmusik durchweg behauptet. Damit weitet sich der Blick gleichsam von selbst auf heutige Konflikte und Konstellationen in der PEGIDA-Hochburg Dresden. Dieses Herangehen schließt freilich eine lineare Nacherzählung im historischen Gewand aus. Kann gut sein, dass sich die Nazis besonders von der Bücherverbrennung auf offener Szene so brüskiert fühlten, dass eine Uraufführung in Deutschland nicht mehr möglich war. 1926 wurde Hindemiths Cardillac unter Fritz Busch in Dresden uraufgeführt. Sein Mathis der Maler gelangte erst 1938 in Zürich auf die Bühne. Zur Historie gehört übrigens auch, dass eine Ende der 50er-Jahre geplante Aufführung in Dresden aus politischen Gründen nicht zustande kam. Der Bauernführer suchst Schutz beim Künstler im Atelier
In den ersten der sieben Szenen beherrschen Werke von Robert Longo, Roy Lichtenstein, Ernst Ludwig Kirchner und Claude Monet den abstrakten Bühnenraum. Eingeleitet mit jeweils einem projizierten Zitat dieser Künstler auf den geschlossenen Vorhang. Was wir dann erleben, ist ein Crescendo von verbaler zu physischer Gewalt, das die Verwicklung von Mathis in die Wirren von Bauernkrieg und Reformation übersetzt. Der Bauernführer Schwalb und seine Leute flüchten in das schicke Atelier des Malers und hinterlassen Blutspuren auf der Leinwand. Als sich Mathis vor den Papisten dafür verantworten soll, dass er den Flüchtigen geholfen hat, zerstört er vor Wut mit der blanken Faust das Glas, das jene Totenkopf-Reliquie schützt, die der tolerante und pragmatische Kardinal Albrecht (John Daszak) gerade gestiftet hat. Das Kirchner-Gemälde wird als Hintergrund der Bücherverbrennung ketzerischer Werke von einem zügelnden Flammenstreifen selbst verzehrt. Im Stück kommt es dann zum Ausbruch von realer Gewalt eines aufgestachelten Mobs. Nur das entschlossene Dazwischengehen von Mathis bewahrt die Gräfin Helferstein (Christa Mayer) davor, dem Mob in die Hände und, wie zuvor ihr Mann, zum Opfer zu fallen. Alles im denkbar größten atmosphärischen Kontrast zu Claude Monets berühmten Seerosen im Hintergrund. Wenn es um Bücherverbrennung geht, dann brennt das Bild
Für das Massaker, das die aufständischen Bauern niederstreckt, lässt Biganzoli keine Maschinenpistolen knattern, sondern zu jeder Orchester-Salve blutrote Scheinwerfer aufblitzen und Glitzer-Konfetti regnen. Für den Versuch der Lutheraner, dem pragmatischen Kardinal durch eine Hochzeit mit Ursula (Annemarie Kremer) den gut katholischen Schneid im wahrsten Wortsinn abzukaufen, hat Andreas Wilkens einen schlichten Behördenflur an die Rampe gesetzt. Immerhin bleibt vor diesen Türen und zwischen den Stühlen so viel Platz, dass der Kardinal seinen Entschluss vor einer Meute von Reportern verkünden kann: Nicht den, zu heiraten, wie von der pragmatischen Mainzer Bürgerschaft und Luther gefordert, um ein vermittelnder weltlicher Fürst zu werden, aber den, auf alle Macht und jeden Reichtum zu verzichten. Hier wird der Isenheimer Altar versteigert
Mathis' Flucht wiederum spielt sich vor einem riesigen leeren Bilderrahmen ab, weil er nicht nur vor seinen Verfolgern, sondern auch vor seinem Künstlertum (oder göttlichen Auftrag) davonzulaufen versucht. Zur inneren Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Sendung entfesselt Biganzoli in diesem Rahmen ein Panoptikum von personifizierten Erinnerungen und Erwartungen an den ermüdeten Künstler. Inklusive einer Jesus-Pantomime, die an Grünewalds berühmten Altar erinnert. Der dann auch noch als Satireattacke auf den Kunstbetrieb von heute zum einem Rekordpreis versteigert wird. Wenn der Aufstand niedergeschlagen wird regnet es Blut-Konfetti
Die letzte szenische Wendung schließt den Kreis der überzeitlichen Künstlerbiographie vor einem historischen Panoramablick. Sie bringt Mathis als Hindemith selbst auf die Bühne. Dass die von dem müden, resigniert wirkenden Mann scheidende junge Ziehtochter Regina (Emily Dorn) einen Koffer dabei hat und am Revers einen Judenstern, das wäre für das Verständnis gar nicht nötig gewesen. Simone Young hat am Pult der Sächsischen Staatskapelle die gewaltige Klangarchitektur alsbald imponierend im Griff und findet die Balance zur Bühne - ganz gleich, ob sie nun massives Blech oder feinere Lyrismen aus dem Graben beisteuert. Ihr gelingt die eloquente, packende musikalische Prachtentfaltung, die dem Werk als Legitimation gut tut. So wie das hochkarätige Ensemble, das Markus Marquardt in der Titelpartie überzeugend anführt.
Jochen Biganzoli und Simone Young haben Paul Hindemiths Mathis der Maler zu ersten Mal auf die Dresdner Bühne gebracht, und damit überzeugt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Chor
Video
Dramaturgie
Solisten
Albrecht von Brandenburg
Mathis
Lorenz
Wolfgang
Riedinger
Hans Schwalb
Truchseß
Sylvester
Der Pfeifer des Grafen
Ursula
Regina
Gräfin Helfenstein
Erster Bauer
Zweiter Bauer
Dritter Bauer
Vierter Bauer
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