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Totentanz mit Variationen
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt
Na, da hat Martin Schläpfers Ballett am Rhein ja mal ein formidables Handlungsballett einstudiert: Der grüne Tisch von Kurt Jooss, uraufgeführt 1932 von der Essener Folkwang Tanzbühne bei einem Choreographie-Wettbewerb in Paris (und mit dem ersten Preis ausgezeichnet) und sicher das berühmteste Werk von Jooss. Die Handlung ist allerdings keine "schöne Geschichte" im klassischen Ballettsinne, sondern ein boshafter Totentanz, inspiriert von der (1942 bei einem Bombenangriff zerstörten) mittelalterlichen Totentanz-Darstellung in der Lübecker Marienkirche. Jooss stellte das Thema in einen pazifistischen Rahmen; an dem namensgebenden grünen Tisch diskutieren zehn mit fratzenhaften Masken versehene "schwarze Herren". Plötzlich, ziehen sie Pistolen - und der Krieg beginnt. In der Folge erscheint der Tod und nimmt alle zu sich, die Soldaten, die trauernde Mutter, das junge Mädchen. Nur den "Schieber", den allgegenwärtigen Kriegsgewinnler, den will er nicht. Und am Ende beginnt alles von vorne: In einer Reprise sieht man erneut die schwarzen Herren am grünen Tisch.
Vom Sujet her wäre das etwa 40-minütige Stück, für das Fritz A. Cohen in enger Zusammenarbeit mit Jooss die punktgenaue Musik für zwei Klaviere komponierte (mit flotten Tanzrhythmen für die Kriegstreiber), trotz des zeitlosen pazifistischen Impetus ein wenig in die Jahre gekommen, hätte Jooss das nicht mit bärbeißigem Witz choreographiert. Marschierende Soldaten scheinen ja so ziemlich das Letzte, was sich mit der Eleganz des Balletts verträgt, aber mit aberwitzigen Sprüngen und weit ausladenden Armbewegungen, in verzerrter, leicht gehockter Haltung gibt Jooss dem jede Menge Ironie und trotzdem auch die latente Gewalt mit auf den Marsch. Andrey Boyetsky, Albin Pinet, Michael Foster und Bruno Narnhammer tanzen das wundervoll, wie überhaupt das Ensemble Großartiges leistet. Chidozie Nzerem ist der Tod im Gewand eines antiken Kriegsgottes, von grünlich kaltem Licht umgeben, von bestehender Kraft und Würde. Friedrich Pohl als wirbelnder Fahnenträger, Marlúcia do Amaral als hinreißend verstörtes junges Mädchen und Sonny Locsin als mephistophelischer Schieber seien noch beispielhaft genannt. Die soliden Pianisten Christian Grifa und Wolfgang Wiechert könnten die boshafte, durch ihre tänzerische Wucht unverändert beeindruckende Choreographie ruhig noch eine Spur pointierter begleiten. Kurt Jooss: Der Grüne Tisch © The Jooss Estate – Ensemble (Die Soldaten) © Foto: Gert Weigelt
Im weiteren Sinne um den Tod geht es auch im Duo Concertant von George Balanchine am Beginn des Abends. Balanchine entwarf das Werk 1972 nämlich als Reaktion auf den Tod Igor Strawinskys, mit dem er über Jahre zusammengearbeitet hatte und dessen Duo für Violine und Klavier aus dem Jahr 1932 (also dem Uraufführungsjahr des Grünen Tisch, eine merkwürdige Querverbindung) er als Grundlage wählte. Die beiden Musiker befinden sich auf der Bühne, eine Tänzerin und ein Tänzer stehen am Flügel und hören der Musik andächtig zu. Dieser Moment des Wartens ist eine Verbeugung vor dem Komponisten, bevor ein sehr anmutiger pas de deux beginnt: Da inszeniert Balanchine ganz explizit, wie Strawinskys Musik den Tanz inspiriert, ihn auslöst und trägt. Man kann aber auch in dem Paar die Verbindung von Tanz und Musik erkennen, ein sehr zartes und sehr vertrautes Spiel, das in zwei Soli führt, die wiederum miteinander verschmelzen. In der hier besprochenen Vorstellung tanzen Sonja Dvorak und Brice Asnar mit bestechender Eleganz (sie alternieren mit Ann-Kathrin Adam und Marcos Menha), Dragos Manza - Konzertmeister der Düsseldorfer Symphoniker - und Alina Bercu spielen mit abgeklärtem Understatement. Im elegischen fünften und letzten Satz gibt es dann einen sanften Bruch: Das Licht verlöscht, nur noch ein Spot ist auf die Tänzer gerichtet, und oft sieht man nur die Hände. Aus dem koketten Verliebtsein wird ein erotisches Begehren, aber dann isolieren sich beide voneinander und verlieren sich im Dunkeln - ein Abschied. Zum ganz großen Ballettglück fehlt es diesem Moment an der letzten Präzision in den Abläufen zwischen Licht und Dunkelheit.
Als Bindeglied zwischen der abgeklärten Hommage Balanchines an Strawinskys Musik und Jooss' bitterbösem Totentanz setzt Martin Schläpfer mit Variationen und Partiten eine eigenes Stück. Mit Johann Sebastian Bachs Partita e-Moll BWV 830 für Klavier hatte er sich bereits 2003 am ballettmainz beschäftigt und greift hier darauf zurück, wobei nach seinen Worten "etwa drei Viertel der alten Choreographie" für die jetzt uraufgeführte Neufassung verworfen wurden. Vor allem aber gibt er der strengen Musik Bachs einen neuen Kontext, indem er ein kurzes Klavierwerk Beethovens voran stellt: 12 Variationen über das Menuett ‚à la Vigano' aus Jakob Haibels Ballett Le nozze Disturbate (Die gestörte Hochzeit. Haibel hatte das seinerzeit sehr populäre Stück 1795 an Schikaneders Theater auf der Wieden (wo auch Mozarts Zauberflöte uraufgeführt worden war) herausgebracht; noch im selben Jahr schrieb Beethoven seine Variationen darüber. Vor einer Wand aus bunten Lampions zeigt Schläpfer eine Reihe von unbeschwerten Paaren, deutet die zunächst noch ungestörte Hochzeit an und greift die Stimmung der ersten Sätze des Duo Concertant auf, nicht ohne eigene (ganz andere) Akzente zu setzen. Lässt Balanchine sein Paar luftig-leicht und voller Eleganz neoklassisch über den Dingen schweben, so sind Schläpfers Tänzer erdverbunden (man kann darin eine Querverbindung zu den marschierenden Soldaten aus dem Grünen Tisch erahnen), spielen mit viel Witz mit dem akademischen Bewegungsrepertoire, als würden sie es ausprobieren und verwerfen. Es liegt ein Hauch von Übermut über der Szene. Variationen und Partiten – © Foto: Gert Weigelt Dann kommt ein Bruch: Eine schwarz gekleidete Frau, "die Andere" (Barbara Stute), erscheint und nimmt das Mädchen aus dem zentralen Paar mit wie eine Mutter, die dem verliebten Treiben ihrer Tochter ein Ende macht. Im Kontext von Duo Concertant und vor allem Der grüne Tisch lässt diese Gestalt in schwarz auch an den Tod denken. Danach ist es mit der Leichtigkeit vorbei, es beginnt die Partita von Bach, mit verblüffender Schönheit, aber auch deutlich größerer Strenge choreographiert. Die Lampions sind nach oben entschwunden, ebenso der flatternde Tüll der Kostüme, die jetzt engen Trikots gewichen ist, und die Frauen haben mit hochgesteckten Frisuren einiges an Weiblichkeit verloren. In einer Szene hämmern die Tänzerinnen mit dem Spitzenschuh auf den Boden wie zum Protest gegen die alten Ballethöhenflüge, aber die klassische Formensprache wird keineswegs aufgegeben. Souverän wechselt die etwa einstündige Choreographie zwischen Ensembles und Soli. Im Orchestergraben spielt Denys Proshayev mit lässiger Nonchalance in den schnellen Noten, was Beethovens Musik besser bekommt als der (dadurch unterbelichteten) rhythmischen Präzision Bachs. Die Schlussakkorde nimmt Proshayev oft manieriert frei, lässt die Sätze fast schroff enden und gibt der Musik etwas Fragmentarisches. Das korrespondiert mit dem Tanz, der sich bei aller Disziplin seine Freiheiten deutlich macht: Den Vergleich mit den Altmeistern Balanchine und Jooss nehmen Schläpfers Variationen und Partiten selbstbewusst auf.
Der spektakuläre grüne Tisch hat auch in dieser Einstudierung frappierende Wirkung, aber dieser Tanzabend ist viel mehr. Martin Schläpfer versteht es, einen spannenden und vielschichtig assoziationsreichen Bogen von Balanchines intimem Duo Concertant über seine eigenen zwischen Freiheit und Disziplin, Individualität und Gruppe pendelnden Variationen und Partiten bis hin zu Kurt Jooss' eminent politischem Tanzmanifest aufzuspannen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamDuo Concertant
Choreographie
Licht
Choreographische Einstudierung
Violine
Klavier Tänzerinnen und Tänzer* Besetzung der rezensierten AufführungAnn-Kathrin Adam / * Sonia Dvorak Marcos Menha / * Brice Asnar Variationen und Partiten
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Klavier Tänzerinnen und Tänzer12 Variationen über das menuett "à la vigano"
Die Andere
Tänzerinnen
Tänzer Partita Nr. 6 e-Moll
Tänzerinnen
Tänzer Der grüne Tisch
Choreographie und Buch
Kostüme
Lichtentwurf und Masken
Licht
Einstudierung und
Choreographische Einstudierung
Klavier Tänzerinnen und Tänzer
Der Tod
Der Fahnenträger
Der junge Soldat
Das junge Mädchen
Die Frau
Der alte Soldat
Die alte Mutter
Der Schieber
Soldaten
Frauen
Die schwarzen Herren
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