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Vom Überlebenskampf der Familie Waldner
Von Thomas Tillmann / Fotos von Hans Jörg Michel
Nein, Arabella ist keine putzig-zuckrige Geschichte vor morbid-hübschem Hintergrund, ist kein wenig inspirierter Abklatsch des Rosenkavalier in veränderter Epoche, kein B-Stück des Teams Strauss/Hofmannsthal, jedenfalls nicht in der Regie von Tatjana Gürbaca. In den äußerst reduzierten Räume von Henrik Ahr, der zwei für die gründerzeitlichen Hotelbauten so typischen Drehtüren ins Zentrum der weiß ausgeschlagenen Bühne stellt, fächert sie konsequent und klug die von Hofmannsthal so präzis erzählten Beziehungen der Figuren untereinander auf, und tatsächlich bleibt es nicht bei der Ankündigung im Programmheft, nach der sie erfasse, wie die Figuren "ticken". Nicht zuletzt entdeckt sie an ihnen vieles, das uns vertraut ist, "ihre Angst, gesellschaftlich abzusteigen, ihre Geltungssucht und Sehnsucht nach Reichtum und Bedeutung, die Art wie sie sich von der Gesellschaft, der sie unbedingt angehören möchten, verbiegen lassen". Und so zeigt sie unsentimental, aber mit großer Sympathie für die Figuren den "Überlebenskampf der Familie Waldner ..., die auf eine völlig absurde Weise ihr gesamtes Leben aus ärmlichen Intrigen zusammenzimmert, um zu Geld zu kommen und weiterhin Anerkennung zu genießen".
Die vielen Kartons deuten an, dass es vielleicht gar nicht so sehr Theodors Spielsucht ist, die die Familie ruiniert, sondern Adelaides Kaufsucht. Opfer der finanziellen Misere ist in dieser Inszenierung vor allem die zweite Tochter: Dass Zdenka sich nicht wohlfühlt in ihrer Jungenrolle, wird von Anfang an deutlich, sinnfällig hält sie sich eines von Arabellas Kleidern an, geißelt sich mit dem grauen Pulli, dem die magentafarbenen Streifen fehlen, die Arabellas Kleidung schmücken. Überhaupt sind Silke Willretts Kostüme eine wichtige Komponente, sie sind nicht immer auf den ersten Blick schön, aber sie tragen viel bei zur Figurenzeichnung. So fand ich es etwa einen guten Einfall, dass sich Arabellas Ballkleid mehr und mehr auflöst: Die Dekoblumen werden abgenommen, Tüllschleier abgezogen - alle wollen etwas von dem Mädchen, zerren an ihm und halten nun auch direkt die Folgen ihres egoistischen, übergriffigen Treibens in den Händen. Matteo ist von Anfang an kein Sympathieträger, sondern ein unappetitlicher Kerl in Pyjama und Bademantel, er kriecht hündisch über die Bühne, später wird er Joghurt löffeln und im Clownskostüm zum Ball erscheinen. Die drei Grafen tragen Designersportswear, sie treten als Jockeys auf und imitieren Pferde - eine gute Visualisierung ihrer Geckenhaftigkeit, und so ist Elemers Schlitten nicht ganz eliminiert. Interessant fand ich auch die Idee, am Ende des Duetts alle Frauenfiguren auf der Bühne zu zeigen, sie alle reflektieren ihr Schicksal als Frau. Es sind auch solche kleinen Ideen am Rand, die Gürbacas Regie auszeichnen, wobei anders als in anderen Produktionen solche "Kommentare" nie die zentrale Story überlagern, sondern ergänzen, vertiefen. Natürlich gibt es auch Einfälle, die ein bisschen übers Ziel hinaus schießen, Standardzutaten des modernen Regietheaters, die man sich leid gesehen hat, wie etwa dass Arabella ihre Gedanken auf die weißen Wände schreibt oder das lustlose Kopulieren angezogener hetero- wie homosexueller Paare im Zeitlupentempo am Ende des als "Orgie ohne Lachen" konzipierten Schluss des Balles. Dass Matteo Arabella im dritten Aufzug beinahe vergewaltigt, ist eine drastische, aber doch plausible Sicht der Dinge, und dass man sich am Ende fragt, ob Zdenka und Matteo je ein glückliches Paar werden, und dass Gürbaca auch das "hohe Paar" in eine ungewisse Zukunft gehen lässt, dass sich die Bühne zum ersten Mal hin zu einer schwarzen Rückwand öffnet, überzeugt. Zu dieser letzten Szene war Arabella in schwarz erschienen, fast wie eine Witwe, Mandryka weint bei ihrem Anblick, denkt vielleicht an seine so früh verstorbene erste Frau.
Über Jacquelyn Wagner in der Titelpartie habe ich vor gut einem Jahr bereits alles gesagt, als sie Amsterdam mit ihrem Rollenportrait verzauberte: "DNO-Debütantin Jacquelyn Wagner war für mich nichts weniger als eine Idealbesetzung für die Titelpartie, und ich habe über die Jahre wirklich viele Soprane in Aufnahmen und live in dieser Rolle gehört. Die Amerikanerin, die die Waldnertochter bereits an der Minnesota Opera gegeben hatte, muss den Vergleich mit den allerersten Rollenvertreterinnen auch der Vergangenheit nicht scheuen. Sie ist nicht nur eine strahlend schöne Frau, sondern nimmt dazu durch die Natürlichkeit, Eleganz und Mühelosigkeit ihres Singens ein, durch das edle, feminine, schimmernd-leuchtende, silbrige Timbre der nicht zu großen, aber gut fokussierten, völlig unangestrengt die Partie bis zum Ende durchstehenden Stimme. Sie war eine optisch wie vokal berührende Arabella, die das Geschehen ganz natürlich beherrschte und zurecht am Ende gefeiert wurde." Dem ist nichts hinzuzufügen, vielleicht nur das Kompliment, dass sie sich auch auf dieses völlig andere Konzept problemlos einlassen konnte und dass sie sich von der Phonstärke der Düsseldorfer Symphoniker nicht zum Forcieren verleiten ließ.
Dagegen versuchte Anja-Nina Bahrmann den Kampf mit den Orchesterfluten aufzunehmen, was ihr meistens auch gelang, aber dem Klang der an sich ja nicht unrechten, verlässlichen Stimme ohne größeren Wiedererkennenswert nicht förderlich war, und hinsichtlich der Diktion ist da auch noch Luft nach oben. Susan Maclean war mit prallen Mezzotönen eine vitale, immer noch attraktive Adelaide, musste auch einmal nicht mit exponierten Höhen kämpfen und hatte offensichtlich auch Spaß, sich darstellerisch auf das Regiekonzept einzulassen, das in der Figur so etwas wie eine Karikatur der Marschallin sieht. Thorsten Grümbel war mit etwas trockenem Bass ein vokal sehr seriöser, etwas einfältiger, wenig Autorität ausstrahlender, übernervöser Graf Waldner, der mit Mandrykas Geldscheinen masturbiert und sich für den Ball als Freiheitsstatue verkleidet, Simon Neal war eine großartige Besetzung für den Mandryka, optisch ein rechtes Mannsbild in den besten Jahren, vokal in allen Lagen ausgesprochen präsent und volltönend (und auch er ließ sich von dem Lärm aus dem Graben nicht aus der Ruhe bringen), auf seinen Wotan im neuen Ring darf man sich freuen. Jussi Myllys ließ als Graf Elemer einiges Potential erkennen, und auch Dmitri Vargas und Günes Gürle entwickelten in jeder Hinsicht große Präsenz als Dominik und Lamoral, während Ramona Noack als Kartenaufschlägerin arg ins Forcieren geriet und ihr unten einige Töne fehlten. Den Hype um die ordentliche, aber nicht sensationelle Koloraturen und Spitzentöne beitragende Elena Snacho Pereg konnte ich nicht ganz nachvollziehen, da habe ich wahrlich brillantere Kolleginnen als Fiakermilli bewundert.
Die Buhs der Premiere für Lukas Beikircher und seine musikalische Leitung wiederholten sich in der besuchten Vorstellung. Fast in jeder Sekunde war das Spiel der Düsseldorfer Symphoniker unnötig grob und zu laut, die Eleganz der Straussschen Partitur war nur in wenigen Momenten zu ahnen, eine Zumutung - wie oben mehrfach beschrieben - für das Personal auf der Bühne, das zwar meistens weit vorn agierte, aber in einer so reduzierten Inszenierung eben auch darstellerisch stark gefordert war, aber auch für das Publikum, das ohne Übertitel verloren wäre.
Diese entstaubte, pointierte Arabella muss nicht jedem gefallen (nicht wenige Plätze blieben nach der Pause leer), aber sie wird dem Werk in mancherlei Hinsicht mehr gerecht als Ausstattungsorgien ohne Tiefgang oder krampfhafte Verortungen in der Entstehungszeit. Wäre da nicht der Lärm aus dem Graben ... Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Graf Waldner
Adelaide
Arabella
Zdenka
Mandryka
Matteo
Graf Elemer
Graf Dominik
Graf Lamoral
Fiaker-Milli
Kartenaufschlägerin
Zimmerkellner
Welko
Djura
Jankel
Arabellas Begleiterin
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