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Anatevka (Fiddler on the roof)

Musical basierend auf Geschichten von Scholem Alejchem
Buch von Joseph Stein
Gesangstexte von Sheldon Harnick
Deutsch von Rolf Merz und Gerhard Hagen
Musik von Jerry Bock


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3h 20' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 13. März 2016
(rezensierte Aufführung: 30. April 2016)


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Theater Bonn
(Homepage)

Eine Familiengeschichte vom Erwachsenwerden

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


Szenenfoto

Er hadert mit Gott: Tevje, Milchmann und Alltagsphilosoph

Anatevka ist unversehens zu brisanter Aktualität gelangt: Progrome, Vertreibung und Flucht, das ist ja das, womit wir inzwischen permanent konfrontiert werden, wenn auch aus der ungefährdet bequemen Perspektive des Zuschauers. Im Grunde müsste man angesichts der polarisierten Stimmung im Land ja erwarten, dass irgendein selbsternannter Grenzschützer im Publikum aufsteht und dem jüdischen Milchmann Tevje, der sein Heimatdorf verlassen muss und auswandern will, ein "Halt, Du Flüchtling! Nicht zu uns!" zuruft. Tut natürlich niemand. Und ebenso natürlich war Regisseur Karl Absenger gut beraten, das Stück ohne zusätzliche Aktualisierung da anzusiedeln, wo es historisch hingehört: In die Spätphase des zaristischen Russland.

Szenenfoto

Tevje und seine heiratsfähigen und -willigen Töchter

Ausstatterin Karin Fritz hat mit ein paar Birken und einem schon von Spuren des Verfalls gezeichneten jüdischen Friedhofs im Hintergrund ikonographisch bewährte Symbole für Russland und Judentum gefunden. Das Dorf Anatevka wird durch ein paar Holzwände aus rohen Brettern angedeutet, die Innen- wie Außenraum darstellen können und bis in den verkleinerten Orchestergraben hinunter reichen. Das ist wohl mehr Pragmatismus als Abstraktion, denn die Kostüme zeichnen ziemlich folkloristisch das jüdische Leben nach, wie man es sich vorstellt. In diesem Rahmen wird die Geschichte konventionell erzählt. Dass die Regie sich dafür viel Zeit nimmt, bekommt dem Stück gut und betont den melancholischen Charakter. An ein paar Stellen bekommt die Inszenierung durch den Einsatz von sechs (nicht allzu virtuosen) Tänzern die Züge einer Revue - das zielt auf den Unterhaltungseffekt ab (und kommt beim Publikum der hier besprochenen Aufführung auch an). Bei fast dreieinhalb (nie langweiligen) Stunden Dauer wären allerdings ein paar Straffungen durchaus vorstellbar.

Szenenfoto

Hochzeitsfeier mit Tanzgruppe

Die politische Dimension bleibt unterbelichtet. Das Progrom - ausgerechnet zur Hochzeitsfeier von Tevjes ältester Tochter Tzeitel - beschränkt sich denkbar harmlos auf das symbolische Umwerfen von ein paar Stühlen. Mit störender Gewalt wird das Publikum nicht allzu sehr behelligt, da hat man schon Inszenierungen von pointierterem Zugriff gesehen. In den Vordergrund rückt dadurch die Familiengeschichte, der Abschied der drei heiratsfähigen und -willigen Töchter aus dem Elternhaus und deren Aufbegehren gegen die Tradition, dabei den Vorgaben der Heiratsvermittlerin Jente zu folgen. Die Regie bleibt im Rahmen der Erwartungen, ist aber im Detail sehr genau. Es wird durchweg schön gesungen und sehr differenziert gespielt, wobei die Partien überwiegend mit Musicaldarstellern besetzt sind (aus dem Bonner Opernensemble sind in größeren Partien Martin Tzonev als Fleischer Lazar Wolf und Anjara I. Bartz als Tevjes Frau Golde zu sehen und hören, und beide passen sich gut ein). Auch Opern-, Kinder- und Jugendchor der Oper Bonn spielen und singen engagiert - wobei leider der letzte Chor, der Abschied vom Dorf Anatevka, arg breit und rührselig interpretiert wird. Ansonsten leitet Christopher Sprenger die sehr ordentliche Band aus Musikern des Beethoven Orchesters flott und stilsicher durch die Partitur.

Szenenfoto

Verlust der Heimat: Der erzwungene Aufbruch nach Amerika

Was die Aufführung von einer ordentlichen zu einer sehr guten macht, das ist der großartige Gerhard Ernst in der Rolle des Tevje. Der ist nicht nur nachdenklicher Komödiant (wobei er mehr auf die Zwischentöne als auf die schnellen, aber eben auch schnell hausbackenen Pointen des Textes setzt) und dadurch auch Philosoph, sondern er zeigt einen unterschwelligen Zorn, und das gibt ihm mitunter etwas von der Wucht eines alttestamentarischen Propherten. Mehr noch als in anderen Aufführungen ist dieser Tevje Dreh- und Angelpunkt, das Kraftzentrum des Stücks, um das alle anderen kreisen. Und er singt auch wunderbar und trifft den beiläufigen Tonfall der Musik ganz ausgezeichnet.


FAZIT

Auch wenn die Regie wenig Risiko eingeht: Eine tolle Aufführung, vor allem dank Gerhardt Ernst als hintersinnigem Milchmann Tevje.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christopher Sprenger

Inszenierung
Karl Absenger

Ausstattung
Karin Fritz

Licht
Friedel Grass

Chor
Marco Medved

Kinder- und Jugendchor
Ekaterina Klewitz

Choreographie
Vladimir Snizek


Statisterie des Theater Bonn

Chor, Kinder- und Jugendchor
des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

Tevje
Gerhard Ernst

Golde
Anjara I. Bartz

Tzeitel, ältere Tochter
Sarah Laminger

Hodel, zweite Tochter
Maria Ladurner

Chava, dritte Tochter
Lisenka Kirkcaldy

Shprintze, vierte Tochter
Victoria Telegina

Bielke, fünfte Tochter
Lola Eulitz

Mottel Kamzoil, Schneider
Christian Georg

Schandel, Mottel Kamzoils Mutter /
Goldes verstorbene Großmutter
Barbara Teuber

Perchik
Dennis Laubenthal

Lazar Wolf
Martin Tzonev

Fruma-Sara, seine verstorbene Frau
Daniela Päch

1. Russe
Johannes Mertes

Fedja
Jeremias Koschorz

Jente, Heiratsvermittlerin
Maria Mallé

Motschach
Michael Seeboth

Rabbi
Boris Beletskiy

Mendel, sein Sohn
Sven Bakin

Sascha, ein Freund von Fedja
Johannes Ipfelkofer

Awram, ein Buchhändler
Christian Specht

Nachum, ein Bettler
Georg Zingerle

Jussel
Niklas Schurz

Ein Wachtmeister
Stefan Viering

Tänzer
Hayato Yamaguchi
Salim Ben Mammar
Gino Abet Gino
James Atkins
Tim ?e?atka
Erik Constantin



Weitere
Informationen

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Theater Bonn
(Homepage)



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