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Musiktheater
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Dog Days

Oper in drei Akten
Libretto von Royce Vavrek, basierend auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Judy Budnitz
Musik von David T. Little


In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 27. Februar 2016


 

Logo: Theater Bielefeld

Theater Bielefeld
(Homepage)

Endzeit-Szenario als europäische Erstaufführung

 Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß

Seit einigen Spielzeiten gelingt es dem Theater Bielefeld immer wieder, mit Stücken fernab des Standardrepertoires auch überregionales Interesse zu wecken. Meistens handelte es sich dabei in den letzten Jahren um Musicals, die nicht in den kommerziell tourenden Mainstream-Produktionen zu erleben sind oder zu Klassikern des Genres gehören, aber es dennoch qualitativ mit diesen aufnehmen können. Nun kann man in Bielefeld David T. Littles Dog Days erleben, eine Oper, die 2012 ihre Uraufführung in Montclair (New Jersey) erlebte und seitdem auf diversen amerikanischen Bühnen große Erfolge feierte. Das Stück gilt als zentrales Opus im Schaffen von Little, der unter anderem von der New York Times als einer der neuen Komponisten des 21. Jahrhunderts gefeiert wird. Zur europäischen Erstaufführung sind nicht nur Little und sein Librettist Royce Vavrek nach Bielefeld gekommen, um die letzten Proben zu begleiten. Auch der Sound-Designer Garth MacAleavy, der bereits drei Produktionen von Dog Days in den USA begleitete, ist extra angereist und hat mit Thomas Noack den einzigartigen Klang dieser Oper gestaltet. In einer ganz eigenen Musiksprache verwebt Little nämlich Elemente der amerikanischen Klassik und Moderne mit Sounds aus den Bereichen der Independent, Rock und Heavy-Metal-Musik und ergänzt diese Mischung durch Soundeinspielungen, die den bedrohlichen Endzeitcharakter der Geschichte noch unterstützen. Da dies mitunter recht laut werden kann, müssen die Solisten auch verstärkt werden, um sich gegen diesen Klangkosmos durchsetzen zu können.

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Lisa (Nienke Otten) freundet sich mit dem Bettler (Omar El-Saeidi) im Hundekostüm an.

Als Vorlage für das Stück dient die gleichnamige Kurzgeschichte von Judy Budnitz, in der der allmähliche Zerfall einer Familie in einer apokalyptischen Zeit gezeigt wird. Vor dem von der Welt abgeschnittenen Haus dieser Familie lungert ein Bettler im Hundekostüm, mit dem sich die Tochter des Hauses, Lisa, allmählich anfreundet. Doch als die Lebensmittel ausgehen, sehen ihr Vater Howard und ihre Brüder Pat und Elliot nur noch eine einzige Möglichkeit zu überleben. Sie töten den Bettler und fallen wie Kannibalen über ihn her. Little bleibt mit seiner Oper dicht an der literarischen Vorlage, zieht die Zuhörer mit seiner Musik allerdings noch tiefer in das Unglück der Familie hinein, indem er die einzelnen Figuren mit einer ganz individuellen musikalischen Sprache auszeichnet. So findet er bei Lisa zu verträumt romantischen Klängen, die sie in eine Außenseiterstellung drängen, mit der es in dieser Dystopie eigentlich keine Chance zum Überleben gibt. Für die Mutter wählt er eine melancholische Tonsprache, die zeigt, dass diese Frau bereits alle ihre Hoffnungen aufgegeben hat. Den Vater zeichnet musikalisch ein recht aggressiver Tonfall aus, der unterstreicht, dass er verzweifelt versucht, seine Familie am Leben zu halten, auch wenn seine Jagdversuche nicht von Erfolg gekrönt werden. Erst als er am Ende den Bettler jagt, gelingt es ihm, "Beute" zu machen. Die beiden Söhne halten die Situation nur durch Drogenkonsum aus und testen zu modernen Klängen ihre Grenzen aus.

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Howard (Yoshiaki Kimura) und die Mutter (Melanie Kreuter, rechts) verzweifeln an ihrer Situation (im Hintergrund links: Lisa (Nienke Otten)).

Klaus Hemmerle lässt dieses Endzeit-Szenario schon im Foyer vor der Aufführung beginnen. Beim Programmverkauf stehen Statisten in Soldatenuniformen, die an jedem verkauften Programm eine Kette befestigen. Der tiefere Sinn dieser Aktion erschließt sich nicht. Vielleicht soll damit die Registrierung in einem totalitären System angedeutet werden. Unheimlich ist es jedenfalls und laut, da jede Kette mit lauten Hammerschlägen am Heft fixiert wird. Vor dem Bühnenbild ist zunächst ein Netz heruntergelassen, das auf die Isolation der Familie hinweist. Bühnenbildner Tilo Steffens hat auf einer Drehbühne das Haus der Familie konstruiert, das mit wenigen Requisiten in dieser Endzeit auskommen muss. Die Wände sind nackt mit Ausnahme eines Geweihs über einer Tür, das auf die ehemaligen Jagderfolge des Vaters hindeuten mag, und eines Posters von einem Pin-up-Girl, das für die Träume der beiden Söhne nach einer anderen Welt steht. Unter der Drehbühne ist Platz für den Bettler, der sich in seinem Hundekostüm bisweilen unter diese Drehbühne kauert, wenn er nicht gerade die Abfälle, die ihm die Mutter und Lisa geben, an der Seite hortet. Die apokalyptische Atmosphäre wird auch durch ein geschicktes Licht-Design von Johann Kaiser gesteuert, der die Ausgangssperre zu atonalen Tönen mit grellen Scheinwerfern andeutet oder mit einem orangefarbenen Lichtkegel den Helikopter über dem Haus fliegen lässt, der im Sommer ein Lebensmittelpaket abwirft, das aus dem Schnürboden herabgelassen wird. Im Herbst wird das Paket wieder in den Schnürboden gezogen, und der Familie bleiben als Nahrung nur die Gräser vom Feld, während der Helikopter im Winter einfach vorbeifliegt, was dann die Katastrophe auslöst.

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Pat (Lianghua Gong, rechts) und Elliot (Max Friedrich Schäffer) träumen sich in eine andere Welt.

Ist man als Zuschauer schon während des ganzen Stückes durch die bedrückende Atmosphäre auf der Bühne absolut angespannt, steigt der Horror am Ende ins Unermessliche. Während sich die Mutter am Ende völlig kraftlos ins Bett legt und Lisa und der Bettler versuchen, sich gegenseitig vor der Kälte des Winters zu schützen, halten die Söhne und der Vater die Situation nicht mehr aus. Zunächst sinnieren sie über Völker in Afrika, die Würmer essen, und überlegen, wo sich die Würmer wohl im Winter aufhalten würden und wie tief man graben müsse, um sie zu finden. Als sie dann über China reden, wo die Menschen angeblich auch Hunde verspeisen, ist das Schicksal des Bettlers besiegelt. Der Vater verlangt nach seinem Gewehr. Lisa versucht verzweifelt, den Bettler zu schützen, doch die Brüder jagen sie aus dem Haus, während der Vater den "Hund" erschießt. Es folgt der Epilog "The Three Ravens", der ganz ohne Text und nur mit einem dröhnenden Ton auskommt, der immer mehr anschwillt. Die beiden Söhne haben dem Bettler das Fell abgezogen und legen den entkleideten Bettler auf den Küchentisch. Der Vater schneidet ihn mit dem Messer auf, und die drei fallen über ihn her. Da tritt aus dem Orchestergraben ein Soldat auf, der vorher versucht hatte, die beiden Jungen für das Militär abzuwerben, und lässt die drei Männer von weiteren Soldaten, den Statisten aus dem Foyer, abführen. Der Bettler und die Mutter werden in schwarzen Leichensäcken "entsorgt". Die Drehbühne mit dem Haus wird nach hinten gefahren, während Lisa sich langsam das Hundekostüm überstreift. Und dann tritt plötzlich eine neue fünfköpfige Familie auf, die vom Militär in diesem Haus untergebracht wird. Ein Sohn scheint Interesse an Lisa im Wolfskostüm zu haben. Sollte sich die Geschichte wiederholen? Diese Frage bleibt im Raum stehen, wenn das Licht auf der Bühne verlischt.

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Der Soldat (Nohad Becker, rechts) will Howards (Yoshiaki Kimura, links) Söhne für das Militär anwerben.

Dass der Abend dermaßen unter die Haut geht, ist nicht zuletzt dem intensiven Spiel des Ensembles zu verdanken. Da ist zunächst Omar El-Saeidi als Bettler im Hundekostüm zu nennen, der im zweiten Teil von Lisa den Namen Prince erhält. Auch wenn er keinen eigenen Text hat und nur einmal bellen darf, begeistert er durch enorme Bühnenpräsenz, die das Leiden dieses Bettlers spürbar macht. So krümmt er sich häufig am Bühnenrand und ist nicht bereit, seine Rolle als Hund abzulegen. Lieber lässt er sich vom Vater schlagen. Erst als er sich kurz vor Schluss mit Lisa vor der Kälte schützen will, nimmt er menschliche Züge an. Umso brutaler wirkt es, dass er dann von ihrem Vater erschossen wird. Nienke Otten überzeugt als Lisa stimmlich mit mädchenhaftem Sopran und verleiht der Tochter sympathische Züge. Großartig gestaltet sie ihre Spiegelszene im zweiten Akt, in der sie erstmals über ein Leben nach dem Tod auf der andere Seite des Spiegels nachdenkt, was sie sich in traumhaften Bildern ausmalt. Wenn sie sich anschließend unter den Spiegel legt, gibt es aus dem Publikum Szenenapplaus. Melanie Kreuter stattet die Mutter darstellerisch mit einer tiefen Melancholie aus, die machtlos miterleben muss, wie sich die Männer in der Familie immer mehr zu Tieren entwickeln. Dieser Prozess wird auch durch Video-Projektionen von Lena Thimm unterstützt. So tauchen die Raben aus dem Epilog schon auf, wenn die Söhne Lisa und den Bettler bedrohen. Lianghua Gong und Max Friedrich Schäffer stellen als Pat und Elliot diesen Wandel glaubhaft dar und überzeugen als renitente Söhne. Yoshiaki Kamura verleiht dem Vater Howard durch sein Spiel brutale Autorität.

Musikalisch interessant ist, dass Little die Partie des Soldaten für eine Frau komponiert hat. Nohad Becker verleiht diesem Soldaten mit dunklem Mezzo diabolische Züge. In der Familie sind es zwar die Männer, die am Ende zu Kannibalen werden, von außen scheint aber eine Frau diesen Prozess zu steuern. Merijn van Driesten gelingt es, mit den Musikern der Bielefelder Philharmoniker die klassischen Klänge mit den modernen Elementen und den Soundeinspielungen zu einer Einheit verschmelzen zu lassen, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt, in den sich nicht nur das Regie-Team, sondern auch der Komponist und der Librettist unter großem Jubel einreihen.

FAZIT

Dieser Abend ist szenisch alles andere als leichte Kost und lässt das Publikum betroffen und nachdenklich zurück. Aber es ist auch ein gutes Beispiel, wie aktuell und spannend Musiktheater des 21. Jahrhunderts sein kann.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Merijn van Driesten   

Inszenierung
Klaus Hemmerle   

Bühne und Kostüme
Tilo Steffens

Choreographie
Dirk Kazmierczak

Licht
Johann Kaiser

Sound-Design
Garth MacAleavy
Thomas Noack

Video
Lena Thimm

Dramaturgie
Daniel Westen

 

Bielefelder Philharmoniker

Statisterie des Theaters Bielefeld


Solisten

Lisa
Nienke Otten

Howard
Yoshiaki Kimura

Mother
Melanie Kreuter

Pat
Lianghua Gong

Elliot
Max Friedrich Schäffer

Soldier
Nohad Becker

Prince
Omar El-Saeidi

 

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Bielefeld
(Homepage)




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