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Von Roberto Becker / Fotos: © Minika Rittershaus Wenn Claus Guth Regie führt, dann geht es allemal gediegen opulent und tierschürfend zugleich zur Sache. Dabei vermag er es, trotz ausformulierter und bewährter Handschrift, auch zu überraschen. Sein metaphorisches Repertoire bewegt sich zwischen einem gepflegt hintersinnigen Treppenhaus (wie beim Bayreuther Holländer oder dem Salzburger Figaro) und einem Einbruch der Vitalität des Obsessiven (etwa in seinem Don Giovanni-Wald in Salzburg oder seiner Daphne in Frankfurt). Jochanaan und Salome Dass er nun ausgerechnet Salome in ein nobles Kaufhaus für Herrenkonfektion im look der 50er Jahre verlegt, war nicht unbedingt zu erwarten, weist aber den Weg in Richtung einer Lehrstunde zum Thema Rollenzwang im Patriarchat - und zwar historisch in der Ausprägung eines andauernden Missbrauchs unter dem Deckmantel der Biederkeit und der blank polierten Oberfläche. Ausstatterin Muriel Gerstner hat eine holzvertäfelte Kaufhaus-Abteilung für Maßanfertigungen auf die Bühne gebaut. Bei diesem Herrenausstatter fehlen weder Anzüge, Krawatten noch Sitzecken, Umkleidekabinen oder Schaufensterpuppen. Nachts wird alles von einem großen Vorhang verdeckt. Mittendrin findet sich der weiß gedeckte, intime Familien-Esstisch für Vater, Mutter und Kind. Den lässt Jochanaan bei seinem Begrüßungsfluch doppeldeutig effektvoll in Flammen aufgehen. Bei Claus Guth wird die nicht nur bei der Uraufführung 1905 schockierende Enthauptung des Propheten und Salomes Spiel mit dem abgetrennten Kopf zu einem eher therapeutisch rituellen Akt der zerstörerischen Selbstbefreiung. Salome ist also nicht die unheimliche, völlig aus dem Ruder gelaufene Prinzessin von Judäa, sondern die Tochter eines Kaufhausbesitzers, der in seinem Laden das Sagen und seine Stieftochter "zu lieb" hat, wie er ja selbst zugibt. Salome über ihrer Kaufhaustraumwelt, Salome als junge Frau mit ihren Eltern Auf bestimmte, lieb gewordene optische Salome-Konstanten muss man bei dieser Neuproduktion an der Deutschen Oper also verzichten. Nicht mal einen klassischen Tanz gibt es. Auch das Haupt des Propheten ist "nur" der Kopf einer Schaufensterpuppe, die obendrein auf Haar und Brille dem des Herodes gleicht. Diesen Jochanaan hat sich Salome selbst erschaffen. Als Gegengewicht zu dem nach außen korrekten, doch anhaltend übergriffigen Vater. Dem hatte auch die vor allem mit ihrer eigenen Vergangenheit, sich selbst und ihrem Whiskyglas beschäftige Mutter nie Einhalt geboten. Deshalb zwingt ihre Tochter sie, beim Tanz, der die Anklage zum rituellen, selbstbefreienden Vatermord bildet, das erste Mal wirklich hinzusehen (sprich: mit dem Vater zu tanzen). Ein Tanz der besonderen Art Diese Perspektivenverschiebung der Regie, von der neutralen Betrachterposition zur Sicht Salomes auf die Welt, funktioniert, weil die Stationen ihrer überschatteten Kindheit stets personalisiert auf der Bühne präsent sind: Sechs kindliche Doubles verschiedenen Alters bevölkern die Szene und übernehmen, anklagend vorgeführt, die Rolle der Schleier. Und am Ende, wenn Salome "befreit" und zu sich gekommen das Elternhaus endlich verlässt, sieht sie sich bei einem letzten Blick zurück selbst als Kind am Tisch sitzen. Dass Claus Guth nicht mit Gruseleffekten, sondern mit betonter Nähe zur bürgerlichen Erfahrungswelt schockiert, hat auch seinen Preis. Noch dazu, wenn es in dieser Welt gar keinen Propheten gibt. Nachdem der Mann, den das Mädchen unter einem Kleiderberg hervorholen wird, schneller als man sich versieht zu einem Doppelgänger des Vaters ausstaffiert wird. Aber auch alle anderen Männer sind nichts anderes als erstarrte Klone ihres Vaters. Ein makabres väterliches Wachsfigurenkabinett mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen besonders für Töchter. Alle erstarrt und im Halbdunkel. Nur Stimmen. Und wenn sie sich bewegen, dann wie Roboter. Salome hält sich Herodes vom Leib Dass dabei einiges von dem, was an Binnenspannung unerfüllten Begehrens, etwa zwischen Narraboth (Thomas Blondelle) und Salome, dem Pagen (Annika Schlicht) und Narraboth, oder gar an glaubenspolitischem Sprengstoff zwischen den Juden, dem Königspaar und dem Propheten in dem Geflecht der Konstellationen steckt, auf der Strecke bleibt und im Halbdunkel verschwindet, ist die Konsequenz dieser Perspektivenverschiebung. Wohl dafür und für die Anstrengung, die es bereitet, hier immer zu folgen, kassierten Claus Guth und sein Team heftige Buhs. Die Zustimmung für die Sänger und das Orchester und seinen Dirigenten Alain Altinoglu fiel hingegen geradezu euphorisch aus. Vor allem bei Catherine Naglestad für ihre (trotz Probenverletzung und Schmerzmitteln) faszinierend leuchtende und beim Schlussgesang geradezu über dem Orchester schwebende Salome. Und natürlich für Michael Volle, der sowieso einer der derzeit besten Jochanaan-Sänger überhaupt ist. Ihre Chance, sich auch darstellerisch und nicht nur mit vokaler Präzision zu profilieren, nutzten Burkhard Ulrich als ein allemal leicht überdrehter Herodes und Jeanne-Michèle Charbonnet als präsente, nie unangenehm schrille Herodias an seiner Seite. Im Halbdunkel und der Einheitskonfektion ihres Aufzuges haben es die übrigen Sänger schwer, ihre Rollen markant zu profilieren. Alain Altingolu setzt am Pult des Orchesters der Deutschen Oper auf dessen große Strauss-Erfahrung und offenkundige Affinität zum großen Ton, der freilich immer wieder mit fein gesponnenen Details und Rücksicht auf die Sänger durchzogen ist.
Die neue Salome an der Deutschen Oper bietet den Stoff zum Nachdenken, den es bei einer Claus Guth-Inszenierung immer gibt. Sie lohnt zugleich wegen ihrer musikalischen Ausstattung, die von einer souveränen Catherine Naglestad angeführt wird. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographie
Dramaturgie
Solisten
Herodes
Herodias
Salome
Jochanaan
Narraboth
Ein Page
1. Jude
2. Jude
3. Jude
4. Jude
5. Jude
1. Nazarener
2. Nazarener
1. Soldat
2. Soldat
Ein Cappadocier
Ein Sklave
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