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Die Macht der Finsternis
Von Roberto Becker
/ Fotos © Opera Vlaanderen / Annemie Augustijns
Mit dem reißerischen Plakat, das für ihn wirbt, hat dieser Otello nun wirklich nichts gemein. Höchstens, dass auch im üppigen Sadomaso-Look der Maskierung das Unterbewusste Triumphe feiert. Das muss bei Otello schon mächtig rumoren, wenn ein Taschentuch in den falschen Händen genügt, um die Liebe seines Lebens mit Vorsatz, nach Abendgebet und Sündenbeichte, zu ermorden. Und damit auch die eigene Karriere und die hart erkämpfte Stellung in der Gemeinschaft zu ruinieren. Da obwaltet fürwahr eine schwarze Seele. Oder eben jener Abgrund Mensch, in den man besser nicht zu lange schaut, weil er irgendwann zurückblickt.
Dass den Theatern heutzutage ein Raunen in den Netzwerken entgegenschlägt, wenn sie den Shakespearschen Untertitel, der den Feldherren als Mohren von Venedig bezeichnet, allzu wörtlich oder überhaupt, sozusagen biologisch, ernst nehmen und nicht einen entsprechenden Diskurs dazu mitliefern, was denn davon zu halten ist, wenn weißhäutige Menschen, schwarzhäutige so darstellen, dass man das auch erkennt, mag ja durchaus sein Gutes haben. Der Diskurs passt eben auf, ob Diskriminierung oder gar Rassismus drohen. Wobei die Besetzung Otellos mit einem afroamerikanischen oder afrikanischen Tenor dann als rassistischer Gau vermeldet werden müsste. Oder aus Selbstzensur gar nicht zustande käme, was eigentlich erst recht diskriminierend wäre….. Kurzum: die ganze blackfacing-Debatte nervt. Zumal die Neigung zum kaltblütigen (Un-)Ehrenmord eifersüchtiger Männer an sexuell selbstbestimmten Frauen heutzutage als etabliertes Vorurteil eh einer anderen Bevölkerungsgruppe zugeordnet wird.
Schwarz ist in Michael Thalheimers Inszenierung in Antwerpen gleichwohl fast alles. Darunter auch - wie von einer Gesichtsmaske bedeckt - das Antlitz des krankhaft eifersüchtigen Feldherrn. Doch nicht nur sein Gesicht ist schwarz. Auch die Kleidung des gesamten Personals (Intendant Aviel Cahn verlängerte das zur Premiere gleich bis in sein eigenes Outfit), ja die ganze Welt ist schwarz. Im Bühnenkasten von Henrik Ahr gibt es kein Tageslicht. Nirgends. Und wenn denn mal Licht einfällt, ist es unwirklich, wirft unheimliche Schatten an der Wand oder formt sich zu einem magischen Kreuz, in dessen kaltem Widerschein Jago sein nihilistisches Credo der Vernichtung herausschleudert. Oder ein Lichtkegel markiert für die Dauer eines Duettes den Raum für eine intime Begegnung von Otello und Desdemona, die wie ein Heiligenbild in dieser von jeder Helligkeit abgeschotteten Welt eintritt. Doch selbst die Begegnung mit ihr hat schon einen drohenden Unterton, so als würde ein gebändigtes Raubtier mit seiner Beute spielen. Desdemona lässt sich zwar auf diese, im wahrsten Sinne des Wortes, besitzergreifende Art von Zuneigung ein, aber dass das gefährlich werden kann, ist schon hier unübersehbar. Mit Jago als Strippenzieher nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Erst spuckt der auf die Stelle, auf der Otello gerade noch stand, dann träufelt er das Gift der Eifersucht in kleinen Dosen in Otellos Ohr, schließlich ergreift er blitzschnell das berühmt berüchtigte Taschentuch Desdemonas, das Otello selbst in hohem Bogen Jagos Frau Emilia vor die Füße wirft. Weiß ist hier eh keine Glücksfarbe. Das blütenweiße Brautkleid wird sogar ganz direkt zum Mordwerkzeug, mit dem Otello Desdemona erwürgt. Ein Symbol der Auslieferung an den Mann war es ja immer schon.
Thalheimer zieht in Antwerpen seine bewährten Register der Konzentration und Verknappung. Anders als bei seinen in der metaphorischen Statik erstarrten Trojanern in Hamburg dringt er bei Verdis finsterem Kammerspiel zum Kern eines atemberaubenden Psychothrillers vor. Zumal er diesmal auch an den entscheidenden Stellen nicht den direkten körperlichen Kontakt verweigert, sondern als zwingende Konsequenz der Musik in das streng choreographierte Spiel integriert.
Am Pult des Symphonischen Orchesters der Flämischen Oper lässt es Alexander Joel immer wieder betörend aus der Tiefe der Dunkelheit grummeln und drohen. Doch auch in die Ausbrüche der Leidenschaft, etwa gleich zu Beginn beim Sturmchor, wirft er sich mit Vehemenz, um dann wieder streichersamt durchzuatmen. Das bleibt sängerfreundlich, auch wenn Ian Storey etwas Anlauf braucht, um sich die kräftezehrende Titelpartie zu eigen zu machen. Es gelingt ihm alles in allem, weil er genügend Kraft in Reserve hat, um mit einer Steigerung zum Ende hin, zu glänzen. Vladimir Stoyanow ist ein geschmeidiger Jago, der noch die betont finstere Miene zum diabolischen Bösewicht beisteuert. Corinne Winters bietet sowohl die mädchenhafte Leichtigkeit als auch die Verzweiflung für eine überzeugende Desdemona. Adam Smith muss für seinen Cassio bis an seine Grenzen gehen, während Kai Rüütel eine energisch dunkle Emilia beisteuert. Das restliche Ensemble und der bestens vorbereitete und mitwogende Chor runden die musikalische Seite eines packenden Opernabends überzeugend ab.
Michael Thalheimer zelebriert Verdis Otello als Blick in den finsteren Abgrund der menschlichen Natur. Und überzeugt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Otello
Desdemona
Jago
Cassio
Emilia
Rodrigo
Lodovico
Motano / Herold
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