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Ein Loch in den Himmel fragen
Von Joachim Lange / Fotos von Ruth Walz Die spezielle Spielstätte passt zum Titel der Novität von Louis Andriessen. Und umgekehrt. Theatre of the World - unter dem macht es der Altmeister der niederländischen Komponisten, Louis Andriessen (Jahrgang 1939), diesmal nicht. Nach Reconstructie (1969), De Materie (1989), ROSA - a Horse Drama (1994), Writing to Vermeer (1999) und La Commedia (2008) ist das schon rein quantitativ keine schlechte Bilanz für einen Komponisten in einem Land ohne große eigene Tradition. Aber in den 50 Jahren seit ihrer Gründung hat die Oper in Amsterdam, die sich seit kurzem in „Nationale Opera&Ballet“ umbenannt hat, mit ihren Produktionen von Anfang an den Schulterschluss mit dem mitteleuropäischen und britischen Opernleben gesucht. Eine kleine Ausstellung im Foyer des Opernhauses führt das eindrucksvoll vor. Die Bühne - eine Installation zwischen Himmel und Erde
Besonders Langzeit-Opernchef Pierre Audi ist hier mit seiner Programmpolitik prägend. Als Regisseur ist er zudem der Richtige, um Andriessens jüngste Novität mit dem besonderen Charme des Careé, wie über dem ehemaligen Königlichen Zirkus-Gebäude an der Amstel zu lesen ist, zusammenzuführen. Das Hollandfestival im 50er-Jubiläumsjahr der niederländischen Nationaloper bot neben der neuen Pique Dame, die Stefan Herheim großformatig inszenierte und Mariss Jansons im Opernhaus feinsinnig musikalisch zum Leben erweckte, also auch wieder einen neuen Andriessen als Höhepunkte. Der zog diesmal alle Register. Das Libretto für die Groteske in neun Szenen, wie das neue Werk recht zutreffend im Untertitel heißt, stammt von Helmut Krausser. Der 1964 geborene, in Berlin lebende Autor ist u.a. mit einer Biographie von Alberto Franchetti (1860-1942) hervorgetreten und hat Librettoerfahrung. Die Weltreise des Gelehrten: Die Hexen sind immer dabei
Im Mittelpunkt dieses Welttheaters steht Athanasius Kircher. Der 1601 in Geisa (Rhön) Geborene und 1680 in Rom Verstorbene veröffentlichte Arbeiten zu Themen der Ägyptologie, Geologie, Medizin, Mathematik und Musiktheorie. Er erkannte als erster, dass die Verbreitung der Pest etwas mit „kleinen Wesen“ zu tun hat und stellte Regeln zu ihrer erfolgreichen Bekämpfung auf. Also eine ziemlich schillernde Persönlichkeit, die die Fähigkeiten des Menschen in alle Richtungen auszuloten versuchte. Er ist ein bemerkenswertes Exemplar des Universalgelehrten, als diese Spezies ihre Zeit hatte. Krausser und Andriessen nehmen das als dankbare biographische Vorlage und machen daraus eine Art Faust-Figur mit einem entsprechenden Personentableau für die Reise durch Raum und Zeit. Kirchner ist immer in Gesellschaft. Vom zwölfjährigen Jungen (Lindsay Kesselman), der sein Lehrling sein könnte, vielleicht aber auch ein mephistophelischer Widerpart, bis zu Papst Innozenz XI (mit betörendem Tenor: Marcel Beekman), der vor allem zurück nach Rom will. Am Ende tauchen als personifizierte Nachwelt Voltaire, Descartes, Goethe und Leibnitz auf. Den beiden Deutschen bleibt das grabsteintaugliche Resümee vorbehalten: „Er hat der Sehnsucht der Menschen nach Wissen Flügel verliehen. Die Flügel der Phantasie. Dreht ihm daraus keinen Strick. Man wird sich an seinen Namen erinnern.“ Zur Reisegesellschaft gehört auch der Papst (rechts)
Bis dahin freilich kreuzen immer wieder drei in Lack und Leder geschnürte, laszive Hexen mit Insektenkopfputz den Weg der Truppe zu der auch noch der agile sogenannte Carnifex (Mattijs van de Woerd) gehört. Mal hinten auf der imaginären, barock anmutenden Bühne, über die immer wieder fantastische Videos flimmern und ein Saturn vor sich hin schwebt. Und über die immer wieder im leuchtend roten Rahmen die Schwester Juana Inés de la Cruz (Cristina Zavalloni) schwebt, bis sie Kircher einmal auch handfeste Avancen macht. Da begegnet sie ihm vorn auf der Spielfläche im Rund der Arena, um den in den Himmel aufragenden Strahl, der oben das Firmament berührt. Diese Bühneninstallation scheint ein Raum gewordener alter Stich zu sein und passt zu der Überlegung, was denn wäre, wenn der Turm zu Babel tatsächlich den Himmel erreichen würde…. Aber die fantasievoll opulent von den Gebrüdern Quay ausgestattete Bühne liefert nicht nur das imaginäre Tor fürs Hoch-hinaus - sondern auch fürs tief hinab. Ein geöffnetes Grab und der durchs Bild geisternde feuerrote Henker weisen diesen Weg. Rot wie Blut, wenn der Henker durchs Bild schreitet und die Gräber offen stehen
Es geht auch um nicht weniger als eine Zeitreise, die bis ins alte Ägypten und nach Babylon führt. Am Pult des Ensembles Asko|Schönberg steht der mit Andriessens Musik bestens vertraute Reinbert de Leeuw. Er serviert mit bemerkenswerter Frische und Vitalität den bunten Stilmix, der nichts neu erfinden, sondern höchstens so klingen lassen will und sich fröhlich im Zitieren oder im musikalischen Witz übt, um das in vielen Sprachen gesungene Wort theaterwirksam zum Leben zu erwecken. Was neben allem entfesselten Theaterzauber natürlich der entscheidende Schritt auf dem Weg zum alles in allem unterhaltenden und packenden Gesamtkunstwerk ist.
Die neue Oper von Louis Andriessen hält, was der Titel verspricht: Sie bietet ein Stück Welttheater! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung und Video
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten
Athanasius Kirchner
A Boy
Papst Innozenz XI.
Schwester Juana Inez de la Cruz
Der Carinifex
Ein heimliches Liebespaar Martijn Cornet
Janssonius
Die Nachwelt (in Person von Voltaire, Pascal Pittie Michael Wilmering Tomeu Bibiloni
Rafaele Fabretti
Drei Hexen
Sophie Fetokaki Ingeborg Bröcheler
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