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Feuerzauber
statt Gralsenthüllung
Da wird nach über 20 Jahren einmal wieder Wagners
Bühnenweihfestspiel Parsifal inszeniert, was nahezu einer Sensation
gleichkommt, und es wird vermeldet, dass der Kartenvorverkauf schleppend laufe.
Woran das wohl liegen mag. Normalerweise verfügt der Parsifal genau wie
Wagners Ring über eine große, eingeschworene Fangemeinde, die auch gerne
quer durch die Lande reist, um sich keine Inszenierung entgehen zu lassen. Wenn
aber in der Presse vorher für die Produktion Turner und eine Wrestlerin,
"möglichst füllig", als Statisten gesucht werden und ältere Damen, die als
Politikergattinnen auftreten wollen, dürfte bei dem einen oder anderen
"Wagnerianer" die Skepsis stärker gewesen sein als die Neugier, so dass bei der
Premiere noch einzelne Plätze frei blieben. Ob sich das nach der Premiere ändern
wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls lässt sich in der Inszenierung Gurnemanz'
Frage an Parsifal zum Ende des ersten Aufzugs, "Weißt du, was du sahst?",
sicherlich auch von großen Teilen des Publikums nicht beantworten. Morgendliche Turnübungen im
Elite-Internat: Gurnemanz (Thorsten Grümbel, Mitte vorne) mit den Gralsrittern
(Ensemble) Dabei ist zumindest die Ausgangssituation in Thilo Reinhardts
Inszenierung noch nachvollziehbar. Wenn man den Geheimbund der mittelalterlichen
Gralsritter auf die heutige Zeit übertragen will, landet man in einem
Elite-Internat, wo die Führungskräfte der Zukunft ausgebildet werden. Zwei
Gralsritter in roten Livreen empfangen schon während des Vorspiels die
Neuankömmlinge, und das Emblem mit den zwei Kelchen, die sich durch eine
geschickte Videoprojektion von Sönke Feick mal zu füllen und mal zu leeren
scheinen, lassen Assoziationen zum Gral entstehen. Natürlich spielt für die
zukünftigen Machthaber körperliche Fitness eine entscheidende Rolle, so dass es
nicht verwundert, dass der erste Aufzug in einer Turnhalle beginnt, wo sich die
jungen Gralsritter unter Anleitung von Gurnemanz im Trainingsanzug sportlich
betätigen. An dieser Stelle ist es noch nicht nachvollziehbar, wieso eine
Zuschauerin im Parkett empört mit dem Satz, das habe nichts mit Wagner zu tun,
den Saal verlässt. Vielleicht gehört das aber auch zur Inszenierung. Wieso
allerdings Parsifal ebenfalls als neuer Schüler in dieses Internat einzieht,
obwohl er optisch gar nicht zu den adrett gekleideten restlichen Neuankömmlingen
passt, bleibt genauso unklar wie der Ringer, der in atemberaubender Akrobatik
zunächst über der Szene schwebt und sich später als Schwan entpuppt, der von
Parsifal allerdings nicht ab-, sondern nur angeschossen worden ist und dann von
Kundry, die hier in einem gestreiften Kostüm als eine Art Sekretärin im Internat
fungiert, ärztlich versorgt wird. Diese Gralsenthüllung bleibt
Parsifal (Tilmann Unger, vorne) genauso unklar wie dem Publikum (an der Wand:
Amfortas (Thomas Gazheli)). Auch die Gralsenthüllung im ersten Aufzug sorgt bei
zahlreichen Zuschauern für absolutes Unverständnis. Denn man fragt sich bei
dieser Modernisierung natürlich zu Recht: Wer oder was ist denn der Gral? Da
treten zahlreiche Würdenträger mit ihren Gattinnen auf, wahrscheinlich ehemalige
Absolventen, die nun in der Politik die Strippen ziehen, um an diesem Ereignis
teilzunehmen. Amfortas tritt in einem goldenen Mantel verhüllt auf, den er
ablegt, um sich an eine Wand fesseln zu lassen. An dieser Wand hängend, wird er
nun durch Parsifal und einen Gralsritter mit einem Degen zum Bluten gebracht,
wobei das Blut in einem großen Becken aufgefangen, in zwei Kelche gefüllt und
anschließend von Würdenträger zu Würdenträger gereicht wird, während die
einfachen Gralsritter das Blut direkt aus dem Auffangbecken trinken, bevor sich
dann alle mit leicht blutverschmiertem Mund dem feierlichen Genuss von
Champagner hingeben, der in Form einer riesigen Flasche aus dem Schnürboden
herabgelassen und von den beiden Gralsrittern verteilt wird. Dass Parsifal bei
diesem Schauspiel genauso ratlos bleibt wie der Zuschauer, verwundert
keineswegs, wobei das allerdings wohl kaum Ausdruck seiner Torheit sein dürfte. Sorgt der erste Aufzug bei zahlreichen Zuschauern für Unmut,
kann der zweite Aufzug zumindest zum Ende hin die Gemüter wieder besänftigen,
auch wenn der Übergang an zahlreichen Stellen nicht zum gesungenen Text passt.
Bei Reinhardt ist es Kundry, die Klingsor aus einem der zahlreichen Spinde
befreit, in die er scheinbar wegen seines Fehlverhaltens mit einer Maske, die an
Hannibal Lecter erinnert, eingesperrt ist. Von daher passt es inhaltlich
überhaupt nicht, wenn Klingsor sie gegen ihren Willen zwingt, ihm zu Diensten zu
sein. Die Verwandlung von der unscheinbaren Sekretärin in eine mondäne Femme
fatale in einem wallenden roten Kleid ist optisch hingegen gut gelöst. Ob die
Blumenmädchen nun in den schicken Kostümen der Politikergattinnen auftreten
müssen, um sich dann in Cheerleader mit glitzernden Pompons zu verwandeln, die
den coolen (weil rauchenden) Parsifal auf einer dicken Turnmatte zu verführen
versuchen, ist Geschmacksache. Warum jetzt auch noch die Wrestlerin auftreten
muss, um Parsifal hochzuheben, erschließt sich ebenfalls überhaupt nicht. Kundry (Katrin Göring, Mitte
hinten) versucht, Parsifal (Tilmann Unger) zu verführen (links hinten:
Herzeleide (Statistin), rechts: der verkleidete Klingsor (Andreas Daum)). Doch dann folgt der sicherlich gelungenste Teil des Abends.
Kundry verscheucht die Blumenmädchen und lockt Parsifal in ihr Reich, das aus
einem weißen Quader mit einem weißen Bett in der Mitte besteht. An der linken
Wand hängen eine Knute und ein Kreuz als Zeichen für Kundrys Reue. In der linken
hinteren Ecke steht eine schwangere Frau in einem weißen Hochzeitskleid, die
Parsifals Mutter Herzeleide vor seiner Geburt darstellen soll, und auf der
rechten Seite sitzt eine schwarz verhüllte Witwe vor einem Grabstein. Man denkt
zunächst, dass es ebenfalls Herzeleide sein soll, die um ihren verstorbenen
Gatten trauert. In der rechten hinteren Ecke befindet sich der Speer, der
Amfortas die verhängnisvolle Wunde zugefügt hat. In diesem Kubus führt Kundry
Parsifal nun in seine Vergangenheit und versucht, ihn zu verführen. Doch durch
ihren Kuss wird er wissend und erkennt seine Mission. Nun entpuppt sich die
schwarz verhüllte Gestalt als Klingsor, der Parsifal mit dem Speer attackiert.
Doch Parsifal verlässt den Kubus, so dass ihm der Speer nichts mehr anhaben
kann. Er entreißt ihn Klingsor, und der Kubus verschwindet im Bühnenhintergrund.
Am Ende dieses Aktes lassen sich zahlreiche Bravorufe vernehmen, die aber zum
großen Teil sicherlich der überzeugenden musikalischen Umsetzung durch Katrin
Göring als Kundry, Andreas Daum als Klingsor und Tilmann Unger als Parsifal, dem
nur ganz am Ende ein wenig die Luft ausgeht, zu verdanken sind. Fußwaschung: Kundry (Katrin
Göring), Parsifal (Tilmann Unger, vorne) und Gurnemanz (Thorsten Grümbel,
dahinter) Der dritte Aufzug hingegen stürzt das Publikum erneut in
völlige Ratlosigkeit. Wenn Reinhardt hier den Niedergang des Geheimbundes mit
einem Kriegs-Szenario, UN-Blauhelm-Einsatz und Altenrepublik Deutschland
verknüpft, ist das ein bisschen zu viel und lässt eine klare Fokussierung, was
denn jetzt mit dieser Deutung zum Ausdruck gebracht werden soll, vermissen. Die
Turnhalle aus dem ersten Akt ist scheinbar einem Bombenangriff zum Opfer
gefallen. Wieso Kundry seit Jahren in einem Spind liegt, bleibt unklar. Ein
riesiges Loch in der Bühne, vor dem Erde aufgehäuft ist, scheint nur dazu zu
dienen, Klingsor und Amfortas einen unbemerkten Auftritt zu ermöglichen, wenn
die Soldaten vor diesem Loch einige Spinde als Tische aufbauen und dort mit
Parsifal als Erlöser die Position des letzten Abendmahles einnehmen. Da sitzen
nämlich Klingsor und Amfortas plötzlich zwischen den Soldaten und teilen mit
ihnen Brot und Wein. Dass Jahre vergangen sind, bis Parsifal wieder bei den
Gralsrittern ankommt, steht zwar auch im Libretto. Aber muss sich die Gralsburg
deshalb in ein Altersheim verwandelt haben? Gralsenthüllung in der
Altenrepublik Deutschland unter dem Schutz der UN-Blauhelme: Parsifal (Tilmann
Unger, hinten Mitte) übergibt alles dem Feuer (vorne links: Kundry (Katrin
Göring) und Amfortas (Thomas Gazheli) als neues Paar, hinten links am Feuer:
Gurnemanz (Thorsten Grümbel)). Und erneut wird mit Spannung erwartet, wie sich denn nun die
Gralsenthüllung im dritten Aufzug gestaltet. Dieses Mal fließt kein Blut. Es
wird aber auch nichts enthüllt, sondern der goldene Mantel, die Waffen und der
Speer werden in einen Spind geworfen und angezündet, so dass alles in Flammen
aufgeht. Fast glaubt man, die falsche Musik zu hören und wähnt sich eher im
Feuerzauber der Walküre. Mit diesem Bild endet dann auch die
Inszenierung, und man denkt erneut an Gurnemanz' Frage "Weißt du, was du
sahst?", auf die das Publikum im Gegensatz zu Parsifal jetzt wahrscheinlich
immer noch ratlos den Kopf schütteln wird. Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Tilmann
Unger überzeugt optisch und stimmlich in der Titelpartie mit strahlendem
Heldentenor, der nur zum Ende hin einige Ermüdungserscheinungen zeigt. Thorsten
Grümbel präsentiert den Gurnemanz mit solidem Bass, der nicht allen Zuhörern zu
gefallen scheint. Vereinzelte Unmutsbekundungen am Ende sind dann aber doch
unangebracht. Thomas Gazheli und Martin Blasius statten Amfortas und seinen
Vater Titurel mit stimmgewaltigem Bass und sauberer Diktion aus. Die Stars des
Abends sind Kathrin Göring als Kundry und Andreas Daum als Klingsor. Göring
wächst im zweiten Aufzug mit dramatischem Mezzo und intensivem Spiel über sich
hinaus und hat großen Anteil daran, dass der zweite Aufzug szenisch und
musikalisch zum Höhepunkt des gesamten Abends avanciert. Gleiches gilt für Daum,
der mit fulminantem Bass den Klingsor zu einem ernst zu nehmender Gegner werden
lässt. Auch die kleineren Partien, die größtenteils mit Mitgliedern des
Opernstudios besetzt sind, und der von Jens Bingert einstudierte Opern- und
Extrachor überzeugen auf ganzer Linie. Toshiyuki Kamioka führt das
Sinfonieorchester Wuppertal absolut sängerfreundlich durch die Partitur, könnte
vielleicht die ätherischen Momente der Musik noch etwas intensiver auskosten.
Dass auch ihn einzelne Unmutsbekundungen treffen, wirkt allerdings etwas
übertrieben und dürfte vielleicht eher den Querelen um seine Funktion als
Opernintendant geschuldet sein. Über das Regie-Team brechen dann heftige
Missfallensbekundungen herein, die von vereinzelten Bravorufen nicht übertönt
werden können.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Lichtdesign Video Chor
Opern- und Extrachor der Statisterie Sinfonieorchester Wuppertal SolistenAmfortas Titurel
Gurnemanz
Parsifal
Klingsor
Kundry
Blumenmädchen
Gralsritter
Knappen
Stimme aus der Höhe
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- Fine -