Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Johannes-Passion

Szenische Aufführung der Passio Secundum Johannem BWV 245
Musik von Johann Sebastian Bach

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 22. Mai 2015




Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Flüchtlingsproblematik als Leidensweg Christi


Von Thomas Molke / Fotos von Uwe Stratmann

Dass Oratorien szenisch auf der Opernbühne aufgeführt werden, kennt man heutzutage hauptsächlich von den Werken Georg Friedrich Händels. Seine Vertonungen alttestamentarischer oder auch mythologischer Texte weisen eine so dramatische Struktur auf, dass man ihnen durchaus einen opernhaften Charakter bescheinigen kann. Dies soll auch für die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach gelten, die erstmals am Karfreitag 1724 in der Nikolaikirche Leipzig zur Aufführung gelangte und in den folgenden Jahren noch dreimal von Bach überarbeitet wurde. Während beispielsweise das Ballett Schindowski dieses Werk vor knapp 20 Jahren in Gelsenkirchen vertanzte und in Salzburg vor fünf Jahren bei den Osterfestspielen ein szenischer Ansatz gewählt wurde, hat man sich nun auch in Wuppertal entschieden, zum Ende einer Spielzeit, die vom absoluten Standardrepertoire geprägt war, mit der szenischen Aufführung dieses neben Bachs Matthäus-Passion berühmtesten Chorwerkes etwas Außergewöhnliches zu präsentieren. Da es keine vollständig erhaltene Partitur gibt, hat Jörg Halubek, der musikalische Leiter, aus den vier unvollständig erhaltenen Varianten eine eigene Fassung erstellt.

Bild zum Vergrößern

Das Volk (Opernchor) ist über die Ankunft der Fremden (vorne von links: Peter Paul, Lucie Ceralová, Johannes Grau und Laura Demjan) nicht glücklich.

Die Geschichte basiert auf der Überlieferung im Johannes-Evangelium und beschreibt den Leidensweg Christi in zwei Teilen, die sich grob in fünf Akte unterteilen lassen. Der erste Teil beginnt mit dem Verrat und der Gefangennahme Jesus, die bei Bach relativ kurz abgehandelt wird. So wird auf den berühmten Judas-Kuss verzichtet. Stattdessen liefert sich Jesus den Hohepriestern selbst aus. Etwas mehr Raum wird dann Petrus gegeben, der im Anschluss Jesus dreimal verleugnet. Der zweite Teil schildert dann das Verhör und die Verurteilung durch Pontius Pilatus, Jesus' anschließende Kreuzigung und sein Begräbnis, wobei der Bericht des Evangelisten, der in Rezitativen erfolgt, durch Choräle und Arien angereichert wird und für die Choräle meist bekannte Kirchentexte verwendet worden sind, während die Arien von unterschiedlichen Verfassern stammen, die wahrscheinlich den jeweiligen Erfordernissen der damaligen Aufführungen angepasst wurden.

Bild zum Vergrößern

Das Volk (Opernchor) setzt Pilatus (Peter Paul, vorne Mitte) unter Druck.

Philipp Harnoncourt entscheidet sich in seiner Inszenierung, die Handlung in die Gegenwart zu verlegen. So lässt er Jesus als Figur nicht auftreten, sondern verbindet stattdessen seinen Leidensweg mit den Erlebnissen heutiger Asylanten. Deshalb hat er Flüchtlinge, Migranten und ihre Angehörige als Statisten ins Spiel einbezogen, die ihre Erfahrungen eingebracht haben und somit Parallelen zur damaligen Geschichte herstellen. Wenn im Text beispielsweise davon die Rede ist, dass Jesus unter Folter zu einem Bekenntnis gezwungen werden soll, werden vier Männer zunächst mit Stöcken geschlagen, während auf einer weißen Plane im Hintergrund rote Farbe das vergossene Blut versinnbildlicht. Wenn die Männer dann noch mit einer Schweinsnase und Schildern ausgestattet werden, die sie als "Scheinasylanten", "Drogendealer" oder "Integrationsverweigerer" abstempeln, erinnert diese Szene in schrecklichen Bildern an aktuell aufgedeckte Verhörmethoden. Teilweise werden dabei auch einzelne Sätze, die im Oratorium Jesus zugeordnet sind, von diesen Statisten gesprochen. Der Chor schlüpft dabei in verschiedene Rollen. Zum einen übernehmen einzelne Choristen kleine Solo-Partien, zum anderen stellen sie in modernen Kostümen von Wilfried Buchholz eine bedrohliche Masse dar, die den Flüchtlingen gegenüber auch aufgrund eigener Existenzängste eine feindliche Haltung einnehmen.

Bild zum Vergrößern

Das Volk (Opernchor) fordert die Verurteilung (vorne links: Peter Paul als Pilatus, vorne Mitte: Statisten).

Auf der Bühne, für die ebenfalls Buchholz verantwortlich zeichnet, steht ein riesiger dreckiger Sandkasten, den der Chor als eigenen Lebensraum behalten will. Darin befindet sich ein von Planen umgebener Raum, der vor der Videoprojektion einer zerbombten Stadt gewissermaßen ein Refugium darstellt, das dann aber von einer herabgelassenen Wand zerstört wird. Wenn dann nach der Kreuzigung auf diese Wand in großen schwarzen Lettern "GOTT IST TODT. WIR HABEN IHN GETÖDTET" geschrieben wird, lässt sich dies in zweifacher Hinsicht deuten. Zum einen mag hier auf das berühmte Nietzsche-Zitat aus Also sprach Zarathustra angespielt werden, zum anderen irritiert aber auch die Rechtschreibung. Ist hier neben dem Adjektiv "tot" auch das Substantiv "Tod" gemeint, das die göttliche Existenz nicht in Frage stellt, sondern die Glaubenskriege anspricht, die in Gottes Namen geführt werden und für viele Menschen den Tod bedeuten? Die hochgefahrene Bühne, auf der Pilatus sein Verhör durchführt, passt jedenfalls als "Folterkammer" genau in dieses Bild. Unklar hingegen bleibt das Ende, wenn der Chor und die Solisten gemeinsam mit den Statisten Tische auf die Bühne stellen und sich in Kleingruppen zum gemeinsamen Mahl versammeln. Soll damit ein Hoffnungsschimmer am Ende des Abends gegeben werden? Als Ausweg wird jedenfalls nach dem ersten Teil, wenn in der Kirche normalerweise die Predigt folgt, eine Rede eingefügt, in der Roland Stolte als Referent das in Berlin auf dem Petriplatz geplante "House of One" als Vorbild für ein friedliches Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen anpreist. Dort errichten nämlich Christen, Juden und Muslime ein gemeinsames Welthaus als Symbol des friedlichen Dialogs. Ob dieser "Werbeblock" allerdings vor der Pause richtig positioniert ist oder ob man ihn doch eher hätte ans Ende stellen sollen, ist diskutabel. Bei allem Informationsgehalt, den Stoltes Rede enthält, stellt sie doch in der Musik einen Bruch dar, an den sich das anschließende Verhör und die Kreuzigung nicht logisch anschließt.

Bild zum Vergrößern

Leichenschmaus (vorne links: Laura Demjan, hinten rechts: Johannes Grau und Jan Szurgot, am Tisch: Mitglieder des Opernchors und Statisten)

Musikalisch kommt dem von Jens Bingert einstudierten Wuppertaler Opernchor in dieser Produktion neben dem Sinfonieorchester Wuppertal die bedeutendste Funktion zu. Wirkt der Chor beim Auftrittschoral "Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm" noch etwas leise, steigert er sich im Laufe des Abends und überzeugt vor allem im zweiten Teil als bedrohliche Masse und aufgeregter Mob, der Pilatus dazu bringt, gegen seine eigenen Überzeugungen zu handeln. Jörg Halubek lotet mit dem Sinfonieorchester Wuppertal die vielschichtige Partitur differenziert aus und sorgt für musikalischen Hochgenuss. Die Solisten können da teilweise leider nicht ganz mithalten. Laura Demjans Sopran gelingt es nicht immer, sich gegen das Orchester durchzusetzen, und wirkt bei aller Jugendlichkeit noch ein wenig zu klein für die Partie. Emilio Pons verfügt als Evangelist über eine weiche Mittellage, stößt in den Rezitativen in den Höhen allerdings manchmal an seine Grenzen. Gleiches gilt für Johannes Grau, der unter anderem in die Rolle des Petrus schlüpft. Überzeugen kann hingegen Peter Paul als Pilatus mit kräftigem Bass. Auch Falko Hönisch und Jan Szurgot gefallen mit dunklem Bass. Lucie Ceralová verfügt über einen warmen Mezzo, der im Volumen noch ausbaufähig ist. Dennoch werden alle mit frenetischem Applaus gefeiert. Vielleicht will das Wuppertaler Publikum seine Dankbarkeit darüber zum Ausdruck bringen, dass auch einmal etwas Ungewöhnliches auf dem Spielplan steht.

FAZIT

Philipp Harnoncourts Ansatz für eine szenische Umsetzung der Johannes-Passion bleibt in großen Teilen nachvollziehbar. Chor und Orchester machen eine sehr gute Figur. Von den Solisten hätte man insgesamt etwas mehr erwartet.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jörg Halubek

Regie und Licht
Philipp Harnoncourt

Bühne und Kostüme
Wilfried Buchholz

Chor
Jens Bingert

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Opernchor der
Wuppertaler Bühnen

Statisterie


Solisten

Sopran
Laura Demjan

Alt
Lucie Ceralová

Tenor / Evangelist
Emilio Pons

Tenor
Johannes Grau

Bass
Falko Hönisch

Bass / Pilatus
Peter Paul

Bass
Jan Szurgot

Referent
*Roland Stolte /
Erhard Ufermann /
Helge Lindh


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -