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Musiktheater
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Rigoletto

Melodramma in tre atti
Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Drama Le Roi s’amuse (1830)  von Victor Hugo
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 2 ¾  Stunden – eine Pause

Premiere am 28. Juni 2015

 



(Homepage)

Musiktheater der Grausamkeit

Von Christoph Wurzel / Fotos: A. T. Schaefer

Unschuldige Tochter, tragischer Vater: Wer in alten Opernführern blättert, wird die Handlung von Verdis Rigoletto stets nach diesem Muster erzählt finden. Vom Regie- und Dramaturgenduo Jossi Wieler und Sergio Morabito ist man gewohnt, dass sie mit scharfem Blick auf die Stücke schauen und ihre Inszenierungen nicht an eingefahrenen Interpretationsmustern ausrichten. So wartet auch diese Neuproduktion an der Stuttgarter Staatsoper mit einer zwar nicht völlig neuen, aber doch einer vertieften Lesart auf, die das Stück von manch tradiertem Klischee befreit.

Rigoletto ist hier nicht der erbarmungswürdige Alte, der durch ein tragisches Missverständnis seine Tochter verliert, sondern eine höchst unangenehme Figur, die sich zum Rächer an einem Unrechtssystem aufschwingt, in dem sie selbst ein Rad im Getriebe ist. Der Hofnarr erweist sich als ein noch weit mehr zynischer Gewaltmensch als der Herzog selbst, der vor allem als von seiner Sexsucht Getriebener erscheint. Im dritten Akt in der Schänke gibt dieser eher ein trostloses Bild ab, wenn er ermüdet und einsam vor seinem Rotwein sitzt und dabei den berühmten Schlager "La donna è mobile" trällert, wobei die selbstbewusste Maddalena ihn mit seinen Avancen ziemlich abblitzen lässt.  Der eigentliche Motor ist offensichtlich Rigoletto, der (im 1. Akt) mit umgehängtem Königsmantel die Hofgesellschaft kujoniert, die ihn aber ihrerseits mit beißendem Spott überschüttet. Eine drückende, böswillige Atmosphäre herrscht ringsum, in der Markus Marquardt diese Figur auch stimmlich bis ins Groteske steigert und seinen mächtigen Bariton aggressiv herausschleudert.

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Revolutionspropaganda im Hinterhof: Giovanna (Carmen Mammoser), Rigoletto ( Markus Marquardt) und Gilda (Ana Durlovski) (1. Akt)

Gegenüber seiner Tochter spielt er den jovialen Vater, der mit ihr herumbalgt, ihr zugleich aber jede Freiheit versagt, obwohl  sie gemeinsam als eine Art Widerstandszelle im Untergrund Plakate mit Parolen der Revolution pinseln. Ohne Wissen des Vaters hat sich die burschikose Gilda, mit Ringelpulli und proletarischer Schiebermütze, aber bereits in ein postpubertäres Liebesabenteuer gestürzt, das Ana Durlovski in "Caro nome, tuo sarà" stimmlich virtuos, aber in flacher Tongebung scheinbar mädchenhaft unbedarft nachklingen lässt. Später klingt die Stimme runder, reifer; da hat Gilda sich von der väterlichen Autorität emanzipiert, vom Revoluzzer-Gebahren befreit und ist im goldglitzernden Paillettenkleid mit Diadem in die herzogliche Welt des Luxus und des Vergnügens übergelaufen.

Besonders in der Figur Gildas und deren Charakterisierung durch die klug gewählten Kostüme Nina von Mechows wird der Bezug der Regie auf den politischen Charakter von Verdis Vorlage augenfällig, des antiroyalistischen Schauspiels Le Roi s’amuse von Victor Hugo: die Figur mutiert von der Barrikadenkämpferin zur Ikone des napoleonischen Empire - der Umschlag der Revolution in die Restauration. Eine Entwicklung, die dem Vater verhasst sein muss, so wird sein Verhalten am Schluss verständlich, als er den Sack mit der sterbenden Tochter beinahe verächtlich liegen lässt, sich erst entfernt, bis er viel zu spät die menschliche Dimension seiner Lynchaktion begreift, dass es nämlich sein Kind ist, das tot vor ihm liegt.

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Vergebliche Konfrontation mit der Wahrheit: Rigoletto mit Gilda vor der Schänke im 3. Akt (Innen: Atalla Ayan als Herzog)

Der düstere Grundton der Musik zog sich bereits von den ersten Takten des Preludio markant durch die gesamte Aufführung, zudem ließ Sylvain Cambreling spannungsvoll und mit glühender Dramatik musizieren, was am Premierenabend nicht immer zu optimaler Koordination führte. Zum hochexpressiven Menetekel wurde der Fluch Monterones, den Roland Bracht von der Publikumsloge aus der feixenden Hofgesellschaft furchterregend entgegen schleuderte. In den wenigen Momenten lyrischer Ruhe inmitten aller aufgewühlten Dramatik zeigte das Staatsorchester insbesondere auch in den solistischen Stellen sein Potential zu klangschönem Spiel.

Das Sängerensemble agierte nicht nur darstellerisch überzeugend, sondern war auch stimmlich bestens in Form. Neben der höhensicheren Ana Durlovski war Atalla Ayan ein faszinierender Herzog. Seine geschmeidige, durchschlagende Stimme ist makellos geführt und von eleganter Schönheit. Hier ist ein Spintotenor angetreten, dessen Name noch sehr hoch gehandelt werden wird. Auch die Nebenrollen waren mit hervorragenden Sängerinnen und Sängern besetzt. Besonders Anaïk Morel zeigte in der Rolle der Maddalena starke Bühnenpräsenz. Nicht zu vergessen der enorm stimmstarke Herrenchor.

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Düstere Szenerie: Bühnenbild von Bert Neumann  im 2. und 3. Akt

In einer gekonnten Synthese von emblematischer Deutung und genauem Bühnenrealismus, der die Regieanweisungen des Textes treffend abbildet, entsteht eine Aufführung, die nie dem Missverständnis eines falschen Naturalismus verfällt. Die Szenerie unterstreicht dies eindrücklich. Das Fest im Herzogspalast findet auf der Vorderbühne statt, nur andeutungsweise mit Stühlen möbliert. Der Eindruck der düsteren Vorstadt  wird durch mehr stilisierte als naturalistische Bühnenprospekte evoziert und mittels Drehbühne gewinnt das Mordkomplott zwischen Rigoletto und Sparafucile inmitten der engen Gassen eindrucksvoll an Gewicht.

Bert Neumanns Bühnenkonzeption lässt immer wieder bezwingende Übergänge entstehen. Großartig gelöst ist die Ensembleszene im 3. Akt, das Quartett: wie im Inneren der Schänke der Herzog Maddalena umwirbt, während draußen Gilda von Rigoletto gezwungen wird, dieses Treiben zu beobachten. Deutlich bleibt das Geschehen aber stets erfundene Wirklichkeit. So fallen am Schluss alle gemalten Bühnenprospekte in sich zusammen und die ganze Hofgesellschaft betrachtet vom Rand aus das bittere Ende dieses Geschehens.

FAZIT

Lang anhaltende einhellige Begeisterung des Premierenpublikums belohnte ein Sängerensemble höchster Güte, eine Regie, die der Oper kein Konzept aufzwingt, sondern deren immanenten Kern freilegt und Dirigent und Orchester für musikalische Dramatik höchsten Grades.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sylvain Cambreling

Regie und Dramaturgie
Jossi Wieler
Sergio Morabito

Bühne
Bert Neumann

Kostüme
Nina von Mechow

Licht
Lothar Baumgarte

Chor
Johannes Knecht

 

Staatsorchester Stuttgart

Herren des Staatsopernchores
Stuttgart

Statisterie der Oper Stuttgart


Solisten

Der Herzog von Mantua
Atalla Ayan

Borsa, Höfling
Daniel Kluge

Rigoletto, Hofnarr
Markus Marquardt

Gräfin von Ceprano
Karin Torbjörnsdóttir

Graf von Ceprano
Eric Ander

Marullo, ein Höfling
Ashley David Prewett

Graf von Monterone
Roland Bracht

Sparafucile, Auftragsmörder
Liang Li

Gilda, Rigolettos Tochter
Ana Durlovski

Giovanna, Gildas Amme
Carmen Mammoser

Page der Herzogin
Thembinkosi Mgetyengana

Gerichtsdiener
William David Halbert

Maddalena, Sparafuciles Schwester
Anaïk Morel

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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