Germanicus
Von
Ursula
Decker-Bönniger / Fotos von
Jörg Landsberg
Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, sich dem
berühmten römischen Feldherrn Germanicus historisch
zu nähern und zugleich seine barocke
Aufbereitung im Musiktheater kennen zu lernen. Nur ca. 20 km vom
Theater Osnabrück entfernt, im schönen Osnabrücker
Land, liegt Kalkriese, wo die legendäre Varusschlacht, die militärische Tragödie der Römer,
stattfand. 6 Jahre später wird Germanicus an den
Rhein geschickt, um Rache zu üben. Während 2015 im
Museum Kalkriese, in der Sonderausstellung Ich
Germanicus! Feldherr Priester Superstar, der
biographische, politische und militärische Werdegang
des Adoptivsohns Neros beleuchtet wird, zeigt das
Theater Osnabrück als letzte Operninszenierung der
Spielzeit 2014/15 ein bisher unbekanntes, frühes
Pasticcio von Telemann: Germanicus.
Agrippina (Erika Simons) in
Erwartung einer zauberhaften Liebesnacht
Auch der Osnabrücker Inszenierung
gingen umfangreiche Forschungen voraus. Den
Grundstein legte der Musikwissenschaftler Michael
Maul, der im Rahmen seiner Doktorarbeit eine
Ariensammlung entdeckte, die er einem Libretto der
1704 in Leipzig uraufgeführten Telemann-Oper
zuordnen konnte. Weitere Detektivarbeit folgte. Als
Vorlage scheint Telemann die italienische Oper Germanico
sul Reno von Giovanni Legrenzi benutzt zu
haben, die die Schriftstellerin Christine Dorothea
Lachs, Tochter des Leipziger Operngründers Nikolaus
Adam Strungk für ihn ins Deutsche übertrug. Arien
aus Flavius Bertaridus, Der misslungene
Brauwechsel oder Riccardo I., Der neumodische
Liebhaber Damon oder Die Satyrn von Arkadien
und Miriways von Telemann kamen hinzu. Die
Rezitative der Osnabrücker Neuinszenierung übernahm
man aus der Legrenzi-Oper. So entstand ein typisch
barockes, buntes, deutsch-italienisches Pasticcio um
den römischen Feldherrn Germanicus, seine Gattin
Agrippina, den mutigen Cheruskerfürsten Arminius und
seine Geliebte Claudia.
Gewürzt mit politischen Intrigen, Liebesdramen,
Verwechslungen und ironisch distanzierten
Betrachtungen und Kommentaren wird erzählt, dass der
siegreiche Germanicus glaubt, seinen Todfeind
Arminius bezwungen, getötet zu haben und zur
Festigung seiner Herrschaft am Rhein die Tochter des
Gouverneurs Segestes mit dem römischen Prinzen
Lucius verheiraten will. Claudia jedoch liebt den
Cherusker Arminius, der lebt und seinerseits
versucht, Rache an Germanicus zu nehmen, indem er
seine Frau Agrippina und sein Kind Caligula zu
entführen versucht. Hauptmann Florus vereitelt dies,
entpuppt sich jedoch als intriganter, auch vor einem
Mord an Germanicus nicht zurückschreckender,
machtgieriger Mensch, während der eifersüchtige
Germanicus seinen Sohn aufstachelt, die ehrlose
Mutter zu töten. Auch die Liebe zwischen Arminius
und Claudia scheint in Gefahr, als dieser
beobachtet, wie die gehorsame Claudia zum Schein auf
das Gebot des Vaters eingeht, Lucius zu ehelichen.
Cherusker Arminius
(Jan Friedrich Eggers) rettet sich mit einem
Sprung in die Arme seiner geliebten Claudia
(Lina Liu).
Alexander May betont in seiner Regieführung zwar den
Spielcharakter des Werkes - z.B. sind die für das
Spiel benötigten Requisiten auf der Bühne, stellen
Komponist und Librettistin die Protagonisten vor und
begleiten den Abend. Letztere greift sogar als Deus
ex Machina ins Geschehen ein. Manche Arie, das
Machtstreben des Florus, die scheinbare
Treuherzigkeit Agrippinas werden witzig kommentiert.
Insgesamt bringt der Regisseur jedoch zu wenig Licht
in den Symbolcharakter der ständig wechselnden
Handlungsstränge und –orte, sodass der besondere,
zwischen Tragik und Komik changierende Charakter des
Telemann-Werkes zu wenig herausgestellt wird.
Wolf Gutjahr hat die Bühne in ein gülden
glitzerndes, manchmal auch die Kehrseite zeigendes
barockes Heckentheater verwandelt, dessen
Stangenordnung und Zentralperspektive dank Drehbühne
immer mehr ins Wanken gerät. Barocke Kostüme im
überwiegend historisierenden Stil und eine mitunter
bunte Beleuchtung ergänzen das Bild der
Selbstinszenierung.
Intrigant
Florus (Antonio Giovannini) und Prinz Lucius (Almerija Delic)
Musikalisch überwiegt ein
rhythmisch beschwingter, manchmal geradezu
tänzerischer Musiziergestus. Der
Orchestergraben ist angehoben. Zum klangfarblich mit
Bachtrompeten und Horn angereicherten
Barockorchester kommt eine Generalbassgruppe aus
Barockcello, Kontrabass, Fagott, Cembalo und Laute
hinzu. Instrumentalmusiker und Gesangssolisten
interpretieren mit viel Sinn für Gestaltung und
barocke Verzierungskunst. Bis auf Leslie Visco, die
mit schlankem Sopran die Rolle des Caligula
verkörpert und als Erasmusstudentin ein Jahr am
Theater Osnabrück verbringt und dem Countertenor
Antonio Giovannini, der in zahlreichen Arien mit
reichen, nicht enden wollenden Koloraturketten das
Publikum zu verzaubern weiß, werden alle Gesangs-
und Schaupielrollen vom Osnabrücker Solistenensemble
übernommen. Erika Simons gestaltet anschaulich die
schillernden Seiten der Gemahlin des Germanicus. Mal
rührt sie mit zartem, leisen, geradezu gehauchten
Stimmklang, mal locken klangvolle Verzierungen, dann
wieder formen sich die Töne zu einem langgezogenen
Aufschrei. Shady Torbey strahlt mit klangvoll
brustigem Stimmklang als selbstbewusster,
leidenschaftlicher römischer Feldherr Germanicus.
Lina Liu vermag auch in höchsten Sopranhöhen
textverständlich zu singen.
FAZIT
Ein schillerndes, barockes
Pasticcio mit vielen wundervollen Arien und verwirrenden
Handlungssträngen