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Glänzende Realisation großen Musiktheaters
Von Christoph Wurzel
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Fotos von Karin Stuke Zu den bemerkenswertesten Ereignissen der letzten Jahre auf den Opernbühnen hierzlande gehört mit Sicherheit die Entdeckung des polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg, dessen zwei große Opern Die Passagierin (1968) und Der Idiot (1986) nach langen Jahren des Vergessenseins 2010 bzw. 2013 im deutschsprachigen Raum uraufgeführt wurden und die allmählich auch auf weiteren Bühnen nachgespielt werden. Nach der umjubelten szenischen Uraufführung in Mannheim (siehe auch unsere Rezension) erprobte nun das Oldenburgische Staatstheater mit seiner Inszenierung von Weinbergs Dostojewski-Oper Der Idiot (als zweite Produktion erst überhaupt, jedoch erheblich gekürzt), ob dieses anspruchsvolle Werk auch auf einer kleineren Bühne überzeugend umgesetzt werden kann. Und nach der mit größtem szenischen Aufwand prunkenden Mannheimer Produktion zeigt sich nun in Oldenburg, wie spannend diese Oper auch im Kammerformat inszeniert werden kann, zumal dann, wenn auch hier ein großartiges Solistenensemble zusammenkommt. „Gottesnarr“ und Zyniker: Myschkin (Zurab Zurabishvili) und Lebedjev (Paul Brady) (v.l.) Andrea Schwalbach hat sich ganz auf eine subtile Personenführung verlassen und die verhängnisvollen Beziehungen, ja Verstrickungen zwischen den Figuren konzentriert und packend herausgearbeitet. Gespielt wird vornehmlich auf der vorderen Bühne. Wie bei einem Schauspiel lassen sich so die Interaktionen der Handelnden intensiv nachvollziehen. Bereits das erste Bild führt, noch bevor die Musik unvermittelt und machtvoll einsetzt, direkt zum Kern: Fröstelnd, vereinsamt, wie auf irgendeine Befreiung wartend stehen vor einer geschlossenen Tür die Akteure der Oper aufgereiht an der Zimmerwand. Plötzlich ein starkes Klopfen und zum ersten Akkord des Vorspiels tritt ein Fremder herein - Fürst Leo Nikolajewitsch Myschkin, der Heimkehrer aus dem Schweizer Sanatorium. Freundlich, entwaffnend lächelnd kommt er in diese erstarrte Gesellschaft, die er durch seine Wahrhaftigkeit, seine Fähigkeit zu kompromisslos menschlicher Zuwendung zutiefst irritieren wird. In Gestalt des epileptisch Kranken ist dieser „Idiot“ mit seiner besonderen Art unbewusster Weisheit in allem das Gegenbild zu den von Geldgier, Selbstsucht und Gewalt gezeichneten Menschen, die sich zugleich alle nach Liebe sehnen. Da er den destruktiven Kräften dieser Gesellschaft aber nur passiv begegnet, wird er tragischerweise am Schluss selber darin untergehen und auch unwillentlich schuldig werden. Gewaltmensch Rogoschin (Daniel Moon) Als eine Art Laborversuch hat die Regie die Handlung mit epischen Mitteln präzise erzählt. Auf der kargen Bühne, die nur eine einzige, weit nach vorn geschobene Rückwand, einige Podeste, wenig Mobiliar, und mehrere vom Schnürboden herab hängende Zugseile benötigt, konzentriert sich die Aufmerksamkeit ganz auf die ausgefeilte Personenführung. Auch der Dramaturgie des Werkes mit schnellem Szenenwechsel und teilweise parallelen Handlungsebenen kommt diese offene Szenengestaltung wirkungsvoll entgegen. Wohin menschliche Kälte und ignorante Mitleidslosigkeit letztendlich führen, deutet symbolisch das Foto im Hintergrund an, das eine verwüstete Landschaft zeigt, andeutungsweise vielleicht auch das Trümmerfeld eines abgeschossenen (?) Flugzeugs. Gegenspielerinnen: Nastassja (l.: Irina Oknina) und Aglaja (r.:Julia Sokolik) dazwischen Alexandra (Anna Avakian) Die Titelfigur spielt und singt der georgische Tenor Zurab Zurabishvili als hochsensiblen, empathischen, aber auch entschlusslosen Sonderling mit schwärmerisch ausschwingender vokaler Strahlkraft. Als Antipode steht Rogoschin dem Fürsten in einer merkwürdigen Mischung aus Zuneigung und Eifersucht gegenüber. Mit herbem Bariton zeigt Daniel Moon diesen Charakter zwischen unterschwelliger Aggressivität, roher Gewalt und schlussendlicher Verzweiflung über den Mord, den er an der von ihm vergötterten Nastassja Filippowna begangen hat. Diese Frau, der eigentliche Mittelpunkt allen Geschehens, wird von der Sopranistin Irina Oknina mit großartigem stimmlichen Format in ihrer ganzen Zerrissenheit faszinierend gestaltet. Als Kurtisane in der Gesellschaft ebenso begehrt wie verachtet und unter den Männern für Geld verschachert, liebt Myschkin sie, weil er sie retten will, vernichtet sie aber zugleich, indem er Rogoschin den Anlass zur Eifersucht gibt. Als Karikatur von Berechnung und Vorurteilen erscheint in ihrer kleinbürgerlichen Enge die Familie Japantschin mit ihren zwei Töchtern, von denen vor allem die ältere, Aglaja, auf Myschkin großen Eindruck macht, was sie nicht davon abhält, ihn zu verspotten. Julia Sokolik gibt dieser Rolle enorme Präsenz und singt mit ausgesprochen lyrischem Schmelz. Deutlich gezeichnet sind auch die Charaktere der übrigen Protagonisten, vor allem des Aufsteigers Ganja (als Schwächling eindrucksvoll: Alexander Murashov), der bereit ist, die verachtete Nastassja für siebzigtausend Rubel zu heiraten und des mephistophelisch zynischen Strippenziehers Lebedjew (darstellerisch wie vokal sehr profiliert: Paul Brady). Das robuste Dirigat des Oldenburger Ersten Kapellmeisters Vito Cristofaro arbeitet die dramatische Schlagkraft der Musik plastisch heraus und zeigt dabei ebenso feines Gespür für die wunderbaren Lyrismen (vor allem in der musikalischen Zeichnung des Fürsten) wie für den Ton von Groteske und Sarkasmus, den Weinberg pointiert zur musikalischen Charakterzeichnung anschlägt. FAZIT Gratulation: Auch in verkleinerter Fassung kommt Weinbergs große Oper zu vollem Recht. Besonders Regie und Sängerleistungen am Staatstheater Oldenburg sind exzellent. Hoffentlich der Durchbruch für diese großartige Oper ins Repertoire. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Oldenburgisches Staatsorchester
Solisten
Fürst Leo Nokolajewitsch Myschkin
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