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Musiktheater
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Turandot

Dramma lirico in drei Akten
Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni
Musik von Giacomo Puccini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (keine Pause)

Koproduktion mit Théatre du Capitole Toulouse und der Nothern Ireland Opera Belfast
Premiere im Opernhaus Nürnberg am 4. Oktober 2014


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Staatstheater Nürnberg
(Homepage)

Von der Last des Vergangenen

Von Joachim Lange / Fotos von Ludwig Olah


Bei einem Regisseur wie Calixto Bieito gibt es natürlich keine Chinoise-Folklore irgendeiner Kaiserdynastie, wenn er sich Turandot vornimmt. Bis ins späte zwanzigste Jahrhundert bzw. die Gegenwart zoomt der Katalane Giacomo Puccinis (1858-1924) unvollendete, blutrünstige China-Oper in Nürnberg an uns heran. Ohne sich gleich unter die gerade demonstrierenden Studenten in Hongkong zu mischen. Bieito skizziert zum Auftakt knapp, aber mit großem Effekt einen exemplarischen Hintergrund für einen existenziellen Konflikt. In der Bühnentiefe stapeln sich unzählige Kartons zur Verpackung irgendwelcher Massenprodukte zur Großen Mauer. Die Volksmassen marschieren im blauen Mao-Look mit dem Smokmundschutz aus den Postmaojahren auf. Jeder hat genau eine Puppe vor sich. Massenproduktion und Einkindpolitik in einem Bild. Gleichschaltung und ein paar Uniformierte - mehr braucht's nicht, um das moderne China und seine Problemfelder zu skizzieren.

Szenenfoto

Calaf und das Volk von Peking

Noch bevor die Musik einsetzt, sieht man einen einzelnen schwer atmen, sich mit irgendetwas quälen, schließlich sein Fahrrad wegwerfen und demonstrativ in eine andere Richtung blicken. Bei Bieito wird Calaf so von einem psychopatischen "Fall" mit ausgeprägtem Stalker-Symptom, der es aus unerfindlichen Gründen auf die Prinzessin abgesehen hat, zu einem Rebellen gegen lähmend gleichschaltende Machtstrukturen. Er ist und bleibt Teil des Systems, seine Fixierung auf Turandot hat gleichwohl etwas Aufbegehrendes gegen die patriarchalischen Strukturen. Das Ganze wird so auch zu einem Kampf der Geschlechter. Mit der Tochter des Kaiser auf der anderen Seite. Sie hat nämlich die Macht, um die Vergewaltigung einer Frau aus ferner Vergangenheit, die für die Unterdrückung der Frau in der Gegenwart steht, mit dem zutiefst männlichen Mittel der Gewalt, zu rächen. Der Kaiser ist auf die Rolle eines senilen Gottesnarren reduziert. Nackt mit Windeln. Nur noch ein Schatten seiner selbst. Das Lösen der Rätsel Turandots durch Calaf ist ein Kampf auf Leben und Tod und zugleich ein existenzieller Diskurs. Das Bild dazu sind gefesselte Frauen, die aus dem Schnürboden zu Erde schweben. Calafs Antworten befreien sie, eine nach der anderen. Mit Turandot (zugleich die dritte Antwort, und natürlich nicht verschnürt, sondern im herrischen Business-Anzug) gelingt ihm das nicht.

Szenenfoto

Calaf und Turandot

In Nürnberg bricht die Oper nach Lius Opfer-Selbstmord ab. Kein dazu komponiertes Pseudo-happy-end, über dem Puccini starb, und das er vielleicht auch nicht über sich gebracht hätte. Die erwachende Liebe zwischen zwei Psychopaten wirkt immer etwas aufgesetzt. Hier sitzt Turandot als zutiefst verletzte Frau, mit kahlem Kopf ohne ihre Perücke, in dem Haufen Kleidung, die ihre Handlanger den Leuten abgenommen haben, um ihnen das Geheimnis von Calafs Namen abzuringen. Als zerstörte Frau ohne Chance auf ein Leben mit Liebe sitzt sie da und reißt den Puppen die Beine und Arme aus, so wie sie vorher die Prinzen köpfen ließ.

Szenenfoto

Turandot allein - ein trauriges Ende

Zu dieser stringent erzählten Schlacht im Kampf der Geschlechter kommen, wie immer bei Bieito, eine faszinierend genaue Personenregie und packende Bilder. Wenn etwa Calaf nach dem gewonnenen (Rätsel-)Duell die Masse, einen nach dem anderen, im wörtlichen und im übertragenen Sinne, ermutigt aufzustehen, und ihm die gleiche Geste später nicht noch einmal gelingt, ist das berührend. Und pessimistisch. Oder wenn die drei Minister Ping, Pang und Pong einander ihre Utopie vom friedlichen bürgerlichen Leben unter einer Unzahl von tanzenden roten Lampions ausmalen und sich dabei in Brautkleider hüllen, die ihnen eine allegorische Figur reicht, die an jene vergewaltigte Prinzessin aus der Vergangenheit erinnert, die Turandots Gedanken beherrscht.

Szenenfoto

Tristesse pur und kein Ausweg

Aber nicht nur Bieito, auch Peter Tilling am Pult der Staatsphilharmonie Nürnberg und das famose Ensemble machen aus Puccinis unvollendetem Opernmonstrum ein packendes Musiktheaterereignis. Vincent Wolfsteiner verkneift es sich, das "Nessun dorma" als Wunschkonzerthit zu schmettern. Auch das gehört bei ihm zu einem packenden Rollenporträt. Das gilt ebenso für Rachael Toveys Turandot, die sich ohne Zurückhaltung auf deren eiskaltes Wesen einlässt - beide sind vokal auf der Höhe und grandiose Darsteller. Hrachuhi Bassénz' lyrisch feine Liù hat da nur Chancen, als Kontrast zu wirken.


FAZIT

Nach dem szenischen Tosca-Flopp, den Alvis Hermanis einen Tag zuvor an der Berliner Staatsoper verzapfte, kommt das Nürnberger Turandot-Ereingis einer Ehrenrettung des Opernkomponisten Puccini gleich. Was Bravos und Buhs für die Regie einschließt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Peter Tilling

Inszenierung
Calixto Bieito

Bühne
Rebecca Ringst

Kostüme
Ingo Krügler

Licht
Olaf Lundt

Video
Sarah Derendinger

Choreinstudierung
Tarmo Vaask

Dramaturgie
Johann Casimir Eule


Statisterie des
Staatstheater Nürnberg

Chor und Extrachor des
Staatstheaters Nürnberg

Jugendchor des Lehrergesangsvereins
Nürnberg (Kinderchor)

Staatsphilharmonie Nürnberg


Solisten

Turandot
Rachael Tovey

Altoum
Richard Kindley

Timur
Nicolai Karnolsky

Calaf
Vincent Wolfsteiner

Liù
Hrachuhí Bassénz

Ping
Sébastien Parotte

Pang
Hans Kittelmann

Pong
Martin Platz

Mandarin
Taehyun Jun



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)



Da capo al Fine

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