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Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 15' (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Nürnberg am 19. April 2015
(rezensierte Aufführung: 28.06.2015)




Staatstheater Nürnberg
(Homepage)

Leuchtende Liebe mit Flaschenbier und Kartoffel-Chips 

Von Thomas Molke / Fotos von Ludwig Olah


Ein Jahr lang musste man in Nürnberg warten, bis die im November 2013 begonnene Ring-Tetralogie in der Inszenierung von Georg Schmiedleitner mit dem dritten Teil, Siegfried, fortgesetzt wurde. Ob es dispositionellen Gründen geschuldet war, dass zwischen den Premieren der Walküre und des Siegfried ein längerer Zeitraum lag als zwischen den anderen Ring-Teilen, oder ob man damit auf den Verlauf der Geschichte oder die Entstehungszeit anspielen wollte, sei dahingestellt. Schließlich sind zwischen dem Ende der Walküre und dem Beginn von Siegfried knapp zwei Jahrzehnte vergangen, und auch Wagners Arbeit an der Komposition umfasste fast 20 Jahre, da er nach der Fertigstellung des zweiten Aufzuges erst Tristan und Isolde und Die Meistersinger von Nürnberg komponierte, bevor er sich erneut dem Siegfried zuwandte. Herausgekommen sei dabei "eine Art Intermezzo", wie Cosima Wagner es in ihren Tagebüchern notiert. Und dieser scherzohafte Ton der Musik mag Schmiedleitner bei seiner "Vermenschlichung" der Geschichte dazu verleitet haben, den Schabernack in seinen Regiemätzchen noch ein bisschen weiter zu treiben, als dies in den beiden ersten Teilen zu beobachten war. Nach dem dritten Aufzug erntet er dafür vom Publikum auch bei der besuchten Folge-Vorstellung zahlreiche Unmutsbekundungen.

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Siegfried (Vincent Wolfsteiner, links) schmiedet Nothung neu (rechts: Mime (Peter Galliard)).

Schon direkt zu Beginn des ersten Aufzuges scheint Mime seine Karriere als Schmied an den Nagel gehängt zu haben und versucht gar nicht mehr, für Siegfried ein Schwert zu schmieden, mit dem der Riesenwurm Fafner getötet werden soll. Stattdessen betätigt er sich als Koch und klopft beim von der Musik vorgegebenen Schmiedevorgang lediglich mit einem Kochlöffel auf einen Topfdeckel. Seine Behausung ist dabei ein heruntergekommenes Ein-Zimmer-Apartment mit Waschmaschine, Kühlschrank und Etagenbett. Dass sich Mime und Siegfried in dieser Enge auf die Nerven gehen müssen, ist nachvollziehbar. Wenn Siegfried von der Jagd zurückkehrt, bringt er direkt mehrere Bären als Kumpanen mit. Ob man sich den jugendlichen Held optisch in einer roten Jogging-Hose mit Hosenträgern und einem orangefarbenen T-Shirt mit der Aufschrift "Siegfried" vorstellt, wie Kostümbildner Alfred Mayerhofer ihn zeichnet, ist sicherlich Geschmacksache. Stimmlich wird Vincent Wolfsteiner dem jungen Helden mit kräftigem Tenor aber in jeder Hinsicht gerecht und meistert die enormen Anforderungen des ersten Aufzuges fast ohne Ermüdungserscheinungen. Auch Peter Galliard glänzt stimmlich als böser Zwerg Mime mit sauberer Diktion und großem Stimmvolumen.

Fragen wirft auch der Inhalt des Kühlschranks auf. Scheint dieser ganz zu Beginn mit scheinbar abgelaufenen Lebensmitteln eine Art Eigenleben zu führen, enthält er während des Fragespiels zwischen Mime und dem Wanderer plötzlich einen abgeschlagenen Kopf. Auf wen hierbei angespielt werden soll, erschließt sich nicht. Im weiteren Verlauf ist dieser Kopf dann auch wieder verschwunden. Stattdessen stößt Siegfried das neu geschmiedete Schwert Nothung in den Kühlschrank und löst damit einen Kurzschluss aus. Antonio Yang komplettiert als Wanderer mit großer Textverständlichkeit und sauber geführtem Bass die hochkarätige Solistenriege im ersten Aufzug, auch wenn man sich einen Wanderer optisch nicht mit roter Kappe und Einkaufstrolley vorstellt. Den Speer hat er erst im dritten Aufzug dabei. Dass vorher darauf verzichtet wird, ist nur einer der zahlreichen Logikfehler in Schmiedleitners Regie-Ansatz.

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Siegfried (Vincent Wolfsteiner, vorne) kämpft mit Fafner (Nicolai Karnolsky, dahinter) (im Hintergrund: der Waldvogel (hier Leah Gordon)).

Fafners Höhle im zweiten Aufzug liegt dann an - oder sollte man besser sagen unter? - einer Autobahn. Die Idee mit der Autobahn ist dabei nicht neu. Auch Tankred Dorst hatte bei seiner Inszenierung in Bayreuth den Wald und die Höhle in die Nähe einer unvollendeten Autobahn gelegt, nur dass bei Dorst die Natur die Autobahn überwucherte. Im Bühnenbild von Stefan Brandtmayr ist von Natur nichts mehr zu spüren. Das Autobahnschild auf der linken Bühnenseite ist ebenso verkommen wie die Fahrbahn, die sicherlich nicht mehr in Betrieb ist. Warum auf dem Schild kyrillische Schriftzeichen zu lesen sind, wirft ebenfalls Fragen auf. Soll das "Ende der Welt", auf das Schmiedleitner in seiner Inszenierung in den drei Aufzügen anspielt, hier in Sibirien sein? Beeindruckend hingegen gelingt der erste Auftritt des Riesenwurmes, der unter der Autobahn zu liegen scheint und die ganze Bahn in eine Wellenbewegung versetzt. Nicolai Karnolsky wird als Fafner dabei mit leicht verzerrtem Klang durch ein Mikrophon unterstützt, was dem Riesen einen bedrohlichen Klang verleiht. Der wird hingegen dann zunichte gemacht, wenn er im blauen Anzug mit Fatsuit auftritt und gegen Siegfried kämpft. Da wirkt Siegfrieds Tötung des Riesenwurmes keineswegs mehr so heldenhaft.

Fragen wirft auch die Auslegung des Waldvogels auf. Mit den schwarzen herabhängenden Flügeln wirkt er wie ein gefallener Engel, den nur die zahlreichen Luftballons, die an seinem Körper befestigt sind, in der Luft zu halten scheinen. Dazu muss er auch noch an Krücken gehen, was laut Erläuterung des Dramaturgen Kai Weßler ebenfalls auf die zerstörte Natur hinweisen soll. Ist denn die Natur wieder intakt, nachdem Siegfried Riesenwurm und Mime getötet hat? Da flattert der Vogel nämlich plötzlich ohne Krücken und Ballons leichtfüßig über die Bühne und lenkt Siegfrieds Schritt zum Walkürenfelsen. Gut umgesetzt wird hingegen der erste Auftritt des Waldvogels. Schmiedleitner lässt ihn bereits auftreten, wenn musikalisch das Waldvogel-Thema zum ersten Mal erklingt. Zur Musik bewegt Csilla Csövari lediglich die Lippen, um anzudeuten, dass sie bereits jetzt versucht, mit Siegfried zu kommunizieren. Woher dann die Flöte kommt, mit der Siegfried den Ruf zu imitieren versucht, bleibt wieder unklar. Sie steckt einfach an der Autobahnbaustelle. Für Siegfrieds Hornruf tritt dann Michael Lösch als Siegfried-Double auf, der dann auf der Bühne das Motiv spielt. Dass Mime den Gifttrunk in einem Nutella-Glas zubereitet hat, mag als einer der wenigen gelungenen Gags der Inszenierung betrachtet werden.

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Siegfried (Vincent Wolfsteiner, links vorne) trifft auf den Wanderer (Antonio Yang, rechts hinten).

Stimmlich bewegt sich auch der zweite Aufzug auf hohem Niveau. Martin Winkler begeistert als Alberich mit schwarzem Bass und verbittertem Spiel, auch wenn es ein unnötiger Regie-Einfall ist, ihn über den Wanderer urinieren zu lassen. Csilla Csövari glänzt als Waldvogel mit perlenden Koloraturen und sauber angesetzten Höhen. Leider kann der dritte Aufzug das musikalische Niveau nicht halten, und damit ist keineswegs Wolfsteiner gemeint, der die kräftezehrende Partie des Siegfried mit winzigen Abstrichen bis zum Schluss tadellos meistert. Auch Julie-Marie Sundal überzeugt als Gast in der Partie der Erda mit dunkel geführtem Mezzo. Rachael Tovey stößt als Brünnhilde beim Publikum hingegen auf weniger Zustimmung. Konnte sie in der Walküre noch mit ihrem durchschlagenden dramatischen Sopran überzeugen, ist ihre Stimme für die Siegfried-Brünnhilde offensichtlich ein wenig zu schwer. Die Höhen trifft sie dabei nicht immer sauber und setzt die Töne bisweilen zu kurz an, worunter natürlich auch die Textverständlichkeit leidet. Doch auch Marcus Bosch erntet hier mit seinem Dirigat nicht von allen Seiten Zustimmung. Vielleicht wirft ihm der eine oder andere Zuschauer vor, dass er mit der wuchtig aufspielenden Staatsphilharmonie Nürnberg den Solisten kaum eine Chance gibt, über das Orchester zu kommen.

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Brünnhilde (Rachael Tovey) und Siegfried (Vincent Wolfsteiner)

Doch auch szenisch scheint der dritte Aufzug zahlreichen Besuchern zu weit zu gehen, was sich in einigen Buhrufen äußert, die ertönen, sobald der Vorhang gefallen ist. Schon die Szene zwischen Erda und Wotan spielt am Rande einer Gesellschaft, die nicht der Norm entspricht, was die Statisten als Penner kopulierend und sich übergebend zum Ausdruck bringen müssen. Dass Wotan hier zwei Klappstühle mit einem Karton als Tisch für Erda aufbaut, wirkt absolut überflüssig. Zumindest erinnert Erdas Outfit an ihren Auftritt im Rheingold, nur dass sie nun über ihren mit grauer Farbe bedeckten Brüsten einen Mantel trägt. Wenn Siegfried dann den Feuerkreis durchschreitet, entsteht ein Moment der Hoffnung, dass die Inszenierung doch nicht mit allen Erwartungshaltungen brechen könnte. Brünnhildes Bett ist von hohen weißen Tüchern umgeben, die bei der entsprechenden Beleuchtung durchaus einen Feuerkreis darstellen können. Auch das Kostüm aus der Walküre und die Reste des Filmplakats "Wir rufen dich" sind noch vorhanden. Doch die Erweckungsszene macht dann sehr schnell deutlich, dass Schmiedleitner nicht an einem hehren Ende interessiert ist. Wie Brünnhilde nach dem Kuss immer wieder taumelnd auf das Bett zurückfällt und sich verschlafen die Augen reibt, erinnert zwar durchaus an das eigene morgendliche Aufwachen, nimmt in diesem Zusammenhang allerdings äußerst komische Züge an. Stein des Anstoßes dürfte allerdings sein, wie Siegfried Brünnhilde schlussendlich überzeugt, seinem Werben nachzugeben. Da fährt er nämlich ein braunes Ledersofa und einen Flachbildschirm auf die Bühne. Aus dem Bühnenboden erhebt sich ein Hochzeitstisch mit diversen Paketen - was das Skelett mit dem Brautschleier dabei soll, bleibt unverständlich -, und bei Flaschenbier, Kartoffel-Chips und Sekt mit Strohhalm besingen die beiden dann die "leuchtende Liebe" und den "lachenden Tod".

FAZIT

Schmiedleitner übertreibt es mit seinen flachen Regiemätzchen, so dass die Inszenierung bei großen Teilen des Publikums nicht auf Gegenliebe stößt. Auch musikalisch kann der Abend nicht in jeder Hinsicht überzeugen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Georg Schmiedleitner

Bühne
Stefan Brandtmayr

Kostüme
Alfred Mayerhofer

Licht
Olaf Lundt

Dramaturgie
Kai Weßler


Statisterie Staatstheater
Nürnberg

Staatsphilharmonie Nürnberg

Hornsolo "Siegfriedruf"
Michael Lösch


Solisten

*rezensierte Aufführung

Siegfried
Vincent Wolfsteiner

Mime
Peter Galliard

Der Wanderer (Wotan)
Antonio Yang

Alberich
Martin Winkler

Fafner
Nicolai Karnolsky

Erda
Leila Pfister /
*Julie-Marie Sundal

Brünnhilde
Rachael Tovey

Waldvogel
Leah Gordon /
*Csilla Csövari


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)



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