Leuchtende Liebe mit Flaschenbier und Kartoffel-Chips
Von Thomas Molke
/
Fotos von Ludwig Olah
Ein Jahr lang musste man in Nürnberg
warten, bis die im November 2013 begonnene Ring-Tetralogie in der
Inszenierung von Georg Schmiedleitner mit dem dritten Teil, Siegfried,
fortgesetzt wurde. Ob es dispositionellen Gründen geschuldet war, dass zwischen
den Premieren der Walküre und des Siegfried ein längerer Zeitraum
lag als zwischen den anderen Ring-Teilen, oder ob man damit auf den
Verlauf der Geschichte oder die Entstehungszeit anspielen wollte, sei
dahingestellt. Schließlich sind zwischen dem Ende der Walküre und dem
Beginn von Siegfried knapp zwei Jahrzehnte vergangen, und auch Wagners
Arbeit an der Komposition umfasste fast 20 Jahre, da er nach der Fertigstellung
des zweiten Aufzuges erst Tristan und Isolde und Die Meistersinger von
Nürnberg komponierte, bevor er sich erneut dem Siegfried zuwandte.
Herausgekommen sei dabei "eine Art Intermezzo", wie Cosima Wagner es in ihren
Tagebüchern notiert. Und dieser scherzohafte Ton der Musik mag Schmiedleitner
bei seiner "Vermenschlichung" der Geschichte dazu verleitet haben, den
Schabernack in seinen Regiemätzchen noch ein bisschen weiter zu treiben, als
dies in den beiden ersten Teilen zu beobachten war. Nach dem dritten Aufzug
erntet er dafür vom Publikum auch bei der besuchten Folge-Vorstellung zahlreiche
Unmutsbekundungen.
Siegfried (Vincent Wolfsteiner,
links) schmiedet Nothung neu (rechts: Mime (Peter Galliard)).
Schon direkt zu Beginn des ersten Aufzuges scheint Mime seine Karriere als
Schmied an den Nagel gehängt zu haben und versucht gar nicht mehr, für Siegfried
ein Schwert zu schmieden, mit dem der Riesenwurm Fafner getötet werden soll.
Stattdessen betätigt er sich als Koch und klopft beim von der Musik vorgegebenen
Schmiedevorgang lediglich mit einem Kochlöffel auf einen Topfdeckel. Seine
Behausung ist dabei ein heruntergekommenes Ein-Zimmer-Apartment mit
Waschmaschine, Kühlschrank und Etagenbett. Dass sich Mime und Siegfried in
dieser Enge auf die Nerven gehen müssen, ist nachvollziehbar. Wenn Siegfried von
der Jagd zurückkehrt, bringt er direkt mehrere Bären als Kumpanen mit. Ob man
sich den jugendlichen Held optisch in einer roten Jogging-Hose mit Hosenträgern
und einem orangefarbenen T-Shirt mit der Aufschrift "Siegfried" vorstellt, wie
Kostümbildner Alfred Mayerhofer ihn zeichnet, ist sicherlich Geschmacksache.
Stimmlich wird Vincent Wolfsteiner dem jungen Helden mit kräftigem Tenor aber in
jeder Hinsicht gerecht und meistert die enormen Anforderungen des ersten
Aufzuges fast ohne Ermüdungserscheinungen. Auch Peter Galliard glänzt stimmlich
als böser Zwerg Mime mit sauberer Diktion und großem Stimmvolumen.
Fragen wirft auch der Inhalt des Kühlschranks auf. Scheint dieser ganz zu Beginn
mit scheinbar abgelaufenen Lebensmitteln eine Art Eigenleben zu führen, enthält
er während des Fragespiels zwischen Mime und dem Wanderer plötzlich einen
abgeschlagenen Kopf. Auf wen hierbei angespielt werden soll, erschließt sich
nicht. Im weiteren Verlauf ist dieser Kopf dann auch wieder verschwunden.
Stattdessen stößt Siegfried das neu geschmiedete Schwert Nothung in den
Kühlschrank und löst damit einen Kurzschluss aus. Antonio Yang komplettiert als
Wanderer mit großer Textverständlichkeit und sauber geführtem Bass die
hochkarätige Solistenriege im ersten Aufzug, auch wenn man sich einen Wanderer
optisch nicht mit roter Kappe und Einkaufstrolley vorstellt. Den Speer
hat er erst im dritten Aufzug dabei. Dass vorher darauf verzichtet wird, ist nur
einer der zahlreichen Logikfehler in Schmiedleitners Regie-Ansatz.
Siegfried (Vincent Wolfsteiner,
vorne) kämpft mit Fafner (Nicolai Karnolsky, dahinter) (im Hintergrund: der
Waldvogel (hier Leah Gordon)).
Fafners Höhle im zweiten Aufzug liegt dann an - oder sollte man besser sagen
unter? - einer Autobahn. Die Idee mit der Autobahn ist dabei nicht neu. Auch
Tankred Dorst hatte bei seiner Inszenierung in Bayreuth den Wald und die Höhle
in die Nähe einer unvollendeten Autobahn gelegt, nur dass bei Dorst die Natur
die Autobahn überwucherte. Im Bühnenbild von Stefan Brandtmayr ist von Natur nichts mehr zu spüren. Das Autobahnschild auf der linken Bühnenseite
ist ebenso verkommen wie die Fahrbahn, die sicherlich nicht mehr in Betrieb ist.
Warum auf dem Schild kyrillische Schriftzeichen zu lesen sind, wirft ebenfalls
Fragen auf. Soll das "Ende der Welt", auf das Schmiedleitner in seiner
Inszenierung in den drei Aufzügen anspielt, hier in Sibirien sein? Beeindruckend
hingegen gelingt der erste Auftritt des Riesenwurmes, der unter der Autobahn zu
liegen scheint und die ganze Bahn in eine Wellenbewegung versetzt. Nicolai
Karnolsky wird als Fafner dabei mit leicht verzerrtem Klang durch ein Mikrophon
unterstützt, was dem Riesen einen bedrohlichen Klang verleiht. Der wird hingegen
dann zunichte gemacht, wenn er im blauen Anzug mit Fatsuit auftritt und gegen
Siegfried kämpft. Da wirkt Siegfrieds Tötung des Riesenwurmes keineswegs mehr so
heldenhaft.
Fragen wirft auch die Auslegung des Waldvogels auf. Mit den schwarzen
herabhängenden Flügeln wirkt er wie ein gefallener Engel, den nur die
zahlreichen Luftballons, die an seinem Körper befestigt sind, in der Luft zu
halten scheinen. Dazu muss er auch noch an Krücken gehen, was laut Erläuterung
des Dramaturgen Kai Weßler ebenfalls auf die zerstörte Natur
hinweisen soll. Ist denn die Natur wieder intakt, nachdem Siegfried Riesenwurm
und Mime getötet hat? Da flattert der Vogel nämlich plötzlich ohne Krücken und
Ballons leichtfüßig über die Bühne und lenkt Siegfrieds Schritt zum
Walkürenfelsen. Gut umgesetzt wird hingegen der erste Auftritt des Waldvogels. Schmiedleitner lässt ihn bereits auftreten, wenn musikalisch das Waldvogel-Thema
zum ersten Mal erklingt. Zur Musik bewegt Csilla Csövari lediglich die Lippen,
um anzudeuten, dass sie bereits jetzt versucht, mit Siegfried zu kommunizieren.
Woher dann die Flöte kommt, mit der Siegfried den Ruf zu imitieren versucht,
bleibt wieder unklar. Sie steckt einfach an der Autobahnbaustelle. Für
Siegfrieds Hornruf tritt dann Michael Lösch als Siegfried-Double auf, der dann
auf der Bühne das Motiv spielt. Dass Mime den Gifttrunk in einem Nutella-Glas zubereitet hat, mag
als einer der wenigen gelungenen Gags der Inszenierung betrachtet werden.
Siegfried (Vincent Wolfsteiner,
links vorne) trifft auf den Wanderer (Antonio Yang, rechts hinten).
Stimmlich bewegt sich auch der zweite Aufzug auf hohem Niveau. Martin Winkler
begeistert als Alberich mit schwarzem Bass und verbittertem Spiel, auch wenn es
ein unnötiger Regie-Einfall ist, ihn über den Wanderer urinieren zu lassen.
Csilla Csövari glänzt als Waldvogel mit perlenden Koloraturen und sauber
angesetzten Höhen. Leider kann der dritte Aufzug das musikalische Niveau nicht
halten, und damit ist keineswegs Wolfsteiner gemeint, der die kräftezehrende
Partie des Siegfried mit winzigen Abstrichen bis zum Schluss tadellos meistert.
Auch Julie-Marie Sundal überzeugt als Gast in der Partie der Erda mit dunkel
geführtem Mezzo. Rachael Tovey stößt als Brünnhilde beim Publikum hingegen auf weniger
Zustimmung. Konnte sie in der Walküre noch mit ihrem durchschlagenden
dramatischen Sopran überzeugen, ist ihre Stimme für die Siegfried-Brünnhilde
offensichtlich ein wenig zu schwer. Die Höhen trifft sie dabei nicht immer
sauber und setzt die Töne bisweilen zu kurz an, worunter natürlich auch die
Textverständlichkeit leidet. Doch auch Marcus Bosch erntet hier mit seinem
Dirigat nicht von allen Seiten Zustimmung. Vielleicht wirft ihm der eine oder
andere Zuschauer vor, dass er mit der wuchtig aufspielenden Staatsphilharmonie
Nürnberg den Solisten kaum eine Chance gibt, über das Orchester zu kommen.
Brünnhilde (Rachael Tovey) und
Siegfried (Vincent Wolfsteiner)
Doch auch szenisch scheint der dritte Aufzug zahlreichen Besuchern zu weit zu
gehen, was sich in einigen Buhrufen äußert, die ertönen, sobald der Vorhang
gefallen ist. Schon die Szene zwischen Erda und Wotan spielt am Rande einer
Gesellschaft, die nicht der Norm entspricht, was die Statisten als Penner
kopulierend und sich übergebend zum Ausdruck bringen müssen. Dass Wotan hier zwei
Klappstühle mit einem Karton als Tisch für Erda aufbaut, wirkt absolut
überflüssig. Zumindest erinnert Erdas Outfit an ihren Auftritt im Rheingold, nur dass sie nun über ihren mit grauer Farbe bedeckten Brüsten
einen Mantel trägt. Wenn Siegfried dann den Feuerkreis durchschreitet, entsteht
ein Moment der Hoffnung, dass die Inszenierung doch nicht mit allen
Erwartungshaltungen brechen könnte. Brünnhildes Bett ist von hohen weißen
Tüchern umgeben, die bei der entsprechenden Beleuchtung durchaus einen
Feuerkreis darstellen können. Auch das Kostüm aus der Walküre und die
Reste des Filmplakats "Wir rufen dich" sind noch vorhanden. Doch die
Erweckungsszene macht dann sehr schnell deutlich, dass Schmiedleitner nicht an
einem hehren Ende interessiert ist. Wie Brünnhilde nach dem Kuss immer wieder
taumelnd auf das Bett zurückfällt und sich verschlafen die Augen reibt, erinnert
zwar durchaus an das eigene morgendliche Aufwachen, nimmt in diesem Zusammenhang
allerdings äußerst komische Züge an. Stein des Anstoßes dürfte allerdings sein,
wie Siegfried Brünnhilde schlussendlich überzeugt, seinem Werben nachzugeben. Da
fährt er nämlich ein braunes Ledersofa und einen Flachbildschirm auf die Bühne.
Aus dem Bühnenboden erhebt sich ein Hochzeitstisch mit diversen Paketen - was
das Skelett mit dem Brautschleier dabei soll, bleibt unverständlich -, und bei
Flaschenbier, Kartoffel-Chips und Sekt mit Strohhalm besingen die beiden dann
die "leuchtende Liebe" und den "lachenden Tod".
FAZIT
Schmiedleitner übertreibt es mit seinen flachen Regiemätzchen, so dass die
Inszenierung bei großen Teilen des Publikums nicht auf Gegenliebe stößt. Auch
musikalisch kann der Abend nicht in jeder Hinsicht überzeugen.
Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Marcus Bosch
Inszenierung
Georg Schmiedleitner
Bühne
Stefan Brandtmayr
Kostüme
Alfred Mayerhofer Licht
Olaf Lundt
Dramaturgie
Kai Weßler
Statisterie Staatstheater
Nürnberg
Staatsphilharmonie Nürnberg
Hornsolo "Siegfriedruf"
Michael Lösch
Solisten
*rezensierte Aufführung
Siegfried
Vincent Wolfsteiner
Mime
Peter Galliard
Der Wanderer (Wotan)
Antonio Yang
Alberich
Martin Winkler
Fafner
Nicolai Karnolsky
Erda
Leila Pfister /
*Julie-Marie Sundal
Brünnhilde
Rachael Tovey
Waldvogel
Leah Gordon /
*Csilla Csövari
Weitere
Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)
|