Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen
Musik und Text von Richard Wagner

Aufführungsdauer: 5 Stunden, 45 Minuten (2 Pausen)

Premiere im Großen Haus des Staatstheaters Mainz am 26. April 2015



Staatstheater Mainz
(Homepage)

Grün ist die Ordnung, die Ordnung ist grün...

Von Bernd Stopka / Fotos von Martina Pipprich

Eine neue Produktion der Meistersinger von Nürnberg ist immer ein Ereignis, insbesondere, wenn sich ein nicht ganz so großes Haus an dieses gewaltige Werk wagt. Das bedeutet meist  besonderes Engagement und viel eingebrachte Begeisterung, die sich in der Aufführung von der Bühne in den Zuschauerraum überträgt und einen ganz besonderen, zusätzlichen Reiz ausmacht. So auch im Staatstheater Mainz, in dem Wagners Festoper in ganz eigenen Farben beleuchtet wird.

Bild zum Vergrößern

Balthasar Zorn (Christopher Kaplan), Konrad Nachtigall (Johannes Held), Kunz Vogelgesang (Max Friedrich Schäffer), Walther von Stolzing (Alexander Spemannn, sitzend), Hans Sachs (Derrich Ballard), Hans Schwarz (Georg Lickleder), Augustin Moser (Scott Ingham), Ulrich Eisslinger (Karsten Münster), Fritz Kothner (Peter Felix Bauer), Sixtus Beckmesser (Heikki Kilpeläinen)

Regisseur Ronny Jakubaschk und Ausstatter Matthias Koch haben für sich die Quintessenz aus den Meistersingern destilliert und diese optisch umgesetzt. Dabei gehen sie davon aus, dass das Regelwerk des Meistergesangs ganz Nürnberg mit einer Ordnungsliebe überzogen hat, die durch allgegenwärtiges Grün sichtbar gemacht wird: In den (biedermeierlichen) Kostümen, in den Requisiten (z. B. Sachsens Leisten im zweiten Akt, Brezel, Schere und Schuh als Papp-Symbole für die Zünfte auf der Festwiese) und im Bühnenbild, dessen dunkelgraue Steinwände, über die im ersten und dritten Akt zuweilen leuchtende, schnurgerade grüne Schläuche gespannt sind, die im zweiten Akt zerstückelt und wirr an den Wänden hängen. Während Stolzing die erste Strophe seines Probeliedes im ersten Akt singt, leuchten die Wände geradezu bedrohlich magentafarben auf. Da stört jemand die Ordnung, da ist etwas Neues, dass nicht in die Regeln passt – genauso wenig wie seine kastanienbraune Kleidung nebst gleichfarbiger Perücke, was ihn doch recht unvorteilhaft aussehen lässt – um es vorsichtig auszudrücken. (Evas Haare sind übrigens zunächst poppig grün, doch das wächst sich strähnen- und aktweise zu einem knalligen Rot aus). Während Stolzings Preislied auf der Festwiese, die zunächst ganz der grünen Ordnung verschrieben ist, mischt sich die magentafarbene Beleuchtung zwischen die grün aufleuchtenden Schlauchstreifen und beide erstrahlen nebeneinander in (farbkombinatorisch gewöhnungsbedürftiger) Eintracht. Das Alte und das Neue bilden ein neues Ganzes. Das ist umso bedeutungsvoller, wenn man weiß, dass Stolzing sein Preislied exakt und ohne jede Abweichung nach den Regeln der Tabulatur gedichtet hat. Neu ist lediglich die Melodie. Die Kombination von beidem ist das Geniale, das allgemeine Begeisterung erntet. Das wird deutlich, ja deutlich genug. Der magentafarbene Konfettiregen ist da zuviel, das Herabschweben des von Stolzing besungenen „Wunderbaums“  viel zu viel.

Bild zum Vergrößern

Pogner (Hans-Otto Weiß), Eva (Vida Mikneviciute), Magdalene (Linda Sommerhage)

Das Farbenspiel ist im wahrsten Sinne einleuchtend und verständlich. Aber reicht diese Idee  für eine ganze Meistersinger-Produktion? Sind die Meistersinger nicht noch viel mehr, vielschichtiger, tiefsinniger, heiterer, ironischer und vor allem vielfarbiger? Dass David mit der sehr viel älteren Magdalene liiert ist, dass Pogner seine Tochter als Preis auslobt, dass die Nürnberger in der Prügelfuge übereinander herfallen und sich heftigst beschimpfen und vieles mehr zeugt doch auch von einer gewissen Vielfalt und einer zumindest in Teilen sympathischen Un-Ordnung – ganz im Gegensatz zum hier eingefügten szenischen Leitmotiv der Lehrbuben-Wischmopp-Brigade, die immer wieder den Bühnenboden reinigt und  in ihrer uniformen Kostümierung an chinesische Arbeiter erinnert. Des Grau-Grünen wird man schnell überdrüssig und ein das Bild möglicherweise interessant machen könnendes uhrenartiges Bühnenelement, das bei der Nennung des Merkers sichtbar wird, hat zwar vielfältige Einsatzmöglichkeiten, erklärt sich aber nicht wirklich. Im ersten Akt und auf der Festwiese ist diese „Merkeruhr“ von vorn zu sehen, in den anderen Szenen von hinten. Dort dient sie – begehbar – als Versteck für Eva und Stolzing, als Balkon für die als Eva verkleidete Magdalene und als Podest für David, der Beckmesser dort oben prügelnderweise den Rest gibt und für den Nachtwächter, der hier kein anderer ist als der Bäcker Fritz Kothner im Nebenberuf.

Bild zum Vergrößern

Prügelfuge

Der bühnenbildnerischen Öde wird im ersten Akt auch von der Personenregie (und leider auch musikalisch) nicht allzuviel entgegengesetzt. Das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass die meisten Sänger der kleineren Partien, mit selbigen schon genug beschäftigt (und an ihre Grenzen geführt) sind. Es ist durchaus löblich, wenn Regisseur und Dirigent darauf Rücksicht nehmen, aber es geht eben auch viel verloren. Kurz gesagt: Der erste Akt war überwiegend langweilig. Warum die Tuch-, Spange-, Buch-Suche so altbacken und unlogisch gestaltet ist, bleibt ebenso fragwürdig, wie die bebrillten Zylinder der Meistersinger und die rituellen Hand- und Armhaltungen beim Eingangschor und zum Verlesen der Tabulatur. Ebenso unlogisch und unsinnig  bleibt das Auftreten Evas als verkleideter Meister in der Singschule. Sie legt als einzige weder Umhang noch Zylinder ab und selbst, wenn man davon ausgeht, dass sie auf dem sonst leer gebliebenen Stuhl des erkrankten Niklas Vogel Platz nimmt, sind selbst die verschrobensten Meistersinger nicht dumm genug, das nicht zu durchschauen. Zumindest der als Schopenhauer karikierte Hans Schwarz hätte das weise erkennen müssen. Das ist so eine Regie-Idee… Eine von vielen, die irgendwie neu sein sollen, aber nicht überzeugen können. Aber es gibt in der Personenregie auch Elemente, die durchaus überzeugen und auch Spaß machen. Zum Beispiel Kothners Herzkasper, als Stolzing vom Singestuhl aufspringt und Beckmessers formvollendete Verabschiedung von Stolzing, nachdem dieser mit seinem Probesingen gescheitert ist.

Bild zum Vergrößern

Schlussbild

Glücklicherweise bekommt die Inszenierung im zweiten und dritten Akt die vorher vermisste Lebendigkeit, Spielfreude, den Elan und Witz. Köstlich, wie Sachs Stolzings stolz ausgestrecktes Schwert zum Kleiderständer degradiert, wie er mit geradezu diabolischer Freude Beckmessers Fehler nicht nur auf den Leisten schlägt, auf dem fragwürdiger- wie unsinnigerweise kein Schuh steckt, sondern auf alles, was Schläge aushalten kann und wie er am Ende der Prügelfuge, nachdem er alle Personalien geordnet und gerade noch verhindert hat, dass David mit Magdalene mitgeht, ein erleichtertes „Puh“ ins Publikum stöhnt. Stöhnen dürfte das Volk in dieser Nacht auch. Zwar haben sie sich nicht gegenseitig, sondern nur  in ihre eigenen Kissen geboxt, aber sie haben selbige nebst Betttüchern auf der Bühne zurückgelassen, was ihnen einen unbequemen Schlaf bescheren dürfte. Unbequem war der vorher aber auch schon, denn alle scheinen mit ihrer Kleidung ins Bett gegangen zu sein. Vielleicht hätte die Anschaffung von einigen Dutzend Nachthemden aber auch einfach nur das Mainzer Kostümbudget gesprengt.

Zu Sachsens Meditation über die vorangegangenen Ereignisse und das Leben als solches zeigt die Drehbühne ein lebendes Bild einer allgemeinen Prügelei, die so nicht stattgefunden hat, sondern nur zwischen David und Beckmesser ausgetragen wurde. Die dann folgende  Szene Beckmesser/Sachs ist ein Kabinettstückchen fein gearbeiteter Personenregie. Eva erscheint im langen weißen Kleid mit roten Streifen und zum (wunderschön gesungenen) Quintett steht Sachs zwischen dem grünen und dem roten Paar. Nach der oben beschriebenen Schlussszene sucht Stolzing Beckmesser und reicht ihm versöhnlich die Hand. Den verschmähten Meisterhut bekommt David. Sachs ist es zufrieden.

Bild zum Vergrößern

Sachs (Derrick Ballard), Beckmesser (Heikki Kilpeläinen)

Gerade über Sachs ließe sich schier Unzähliges anmerken. Das liegt sicher an der Personenregie, aber vor allem an Derrick Ballard, der ohne jeden Zweifel zu den derzeit besten Besetzungen des Schusterpoeten gezählt werden kann und der auch szenisch sicher viel von seiner Erfahrung eingebracht haben dürfte. Mit traumwandlerischer Sicherheit beherrscht er die Partie, stößt an keinerlei stimmliche Grenzen und kann so auch gestalterisch, stimmlich wie szenisch aus dem Vollen schöpfen. Selten hört man gleichermaßen vollendete stimmliche Zartheit neben kernig markanten Tönen.  So schwebt der „Vogel, der heut’ sang“ in schwereloser Zartheit durch den Raum (zu dezenter,  magentafarbener Beleuchtung versteht sich) und nach der gewaltigen Schlussansprache hat man den Eindruck, dieser außergewöhnliche Sängerdarsteller könnte die ganze Partie gleich noch einmal singen. Und man würde sie auch gern gleich noch einmal hören. Alexander Spemann scheint den Stolzing farbenfroh mit mehreren Stimmen zu singen, wovon eine traumhaft schön ist und glücklicherweise auch bei den Probe-, Dicht- und Preisliedern Einsatz findet. Seine kraftvollen, strahlenden Höhen beeindrucken dabei ganz besonders. Vida Mikneviciute erinnert mit ihrem stählernen Sopran und trompetenartig hervorgestoßenen Spitzentönen ein bisschen an Anja Silja. Sie kann aber auch leise – dann  allerdings mit viel Vibrato. Als Beckmesser steht Heikki Kilpeläinen mit kultiviertem Schöngesang auch stimmlich als Verfechter der alten Ordnung in der Mitte der ansonsten ordentlich singenden bis leicht überforderten Meisterriege.  Als David lässt Michael Pegher einen leichten, jugendlichen Tenor hören, der jedoch mit den hohen Passagen der Partie überfordert ist. Wunschlos glücklich macht Linda Sommerhage als Magdalene und wertet diese undankbare Partie mit wunderschön timbriertem, warmem Mezzo auf.

Stimmgewaltig, sangesfreudig und dabei im Klang ausgewogen mit einer nicht selbstverständlichen üppigen Besetzung der Männerstimmen klingen Chor und Extrachor, auch wenn nicht alle Einsätze gemeinsam erklingen und gerade der Beginn des „Wach auf!“-Chores eher individuell gestaltet zu nennen ist. Dennoch: Chapeau für die Gesamtleistung  und das Zusammenführen verschiedener Chöre der Region. GMD Hermann Bäumer kann nach dem eher vorsichtig klingenden, rücksichtsvoll dirigiertem, aber eben auch wenig spannungsvollen ersten Akt im zweiten und dritten Akt dann doch den Zauber hervorlocken, der diese Musik so außergewöhnlich und berührend sein lässt. Das schwelgt und blüht und Spannungsbögen dürfen sich entfalten. Das Orchester folgt ihm engagiert, aber nicht unfallfrei.

FAZIT

Eine überwiegend brave Inszenierung mit einigen eigenwilligen Ideen, aber auch vielen schönen Details in der Personenregie und einem roten, nein grünen Faden, der für eine Meistersinger-Produktion aber doch etwas zu dünn ist. Musikalisch und sängerisch mit Licht und Schatten. Derrick Ballard ist ein fantastischer Sachs.

Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hermann Bäumer

Inszenierung
Ronny Jakubaschk

Bühne und Kostüme
Matthias Koch

Licht
Alexander Dölling

Chor
Sebastian Hernandez-Laverny

Dramaturgie
Lars Gebhardt



Philharmonisches Staatsorchester
Mainz

Chor und Extrachor des
Staatstheaters Mainz


Solisten

Hans Sachs
Derrick Ballard

Veit Pogner
Hans-Otto Weiß

Kunz Vogelgesang
Max Friedrich Schäffer

Konrad Nachtigall
Johannes Held

Sixtus Beckmesser
Heikki Kilpeläinen

Fritz Kothner
(ist hier auch der Nachtwächter)

Peter Felix Bauer

Balthasar Zorn
Christopher Kaplan

Ulrich Eisslinger
Karsten Münster

Augustin Moser
Scott Ingham

Hermann Ortel
Manos Kia

Hans Schwarz
Georg Lickleder

Hans Foltz
Stefan Bootz

Walther von Stolzing
Alexander Spemann

David
Michael Pegher

Eva
Vida Mikneviciute

Magdalene
Linda Sommerhage

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Mainz
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -