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Grün ist die Ordnung, die Ordnung ist grün...
Von Bernd Stopka /
Fotos von Martina Pipprich
Eine neue Produktion der
Meistersinger von Nürnberg ist immer ein Ereignis, insbesondere,
wenn sich ein nicht ganz so großes Haus an dieses gewaltige Werk
wagt. Das bedeutet meist besonderes Engagement und viel
eingebrachte Begeisterung, die sich in der Aufführung von der
Bühne in den Zuschauerraum überträgt und einen ganz
besonderen, zusätzlichen Reiz ausmacht. So auch im Staatstheater
Mainz, in dem Wagners Festoper in ganz eigenen Farben beleuchtet wird.
Balthasar Zorn (Christopher Kaplan),
Konrad Nachtigall (Johannes Held), Kunz Vogelgesang (Max Friedrich
Schäffer), Walther von Stolzing (Alexander Spemannn, sitzend),
Hans Sachs (Derrich Ballard), Hans Schwarz (Georg Lickleder), Augustin
Moser (Scott Ingham), Ulrich Eisslinger (Karsten Münster), Fritz
Kothner (Peter Felix Bauer), Sixtus Beckmesser (Heikki Kilpeläinen)
Regisseur Ronny Jakubaschk
und Ausstatter Matthias Koch haben für sich die Quintessenz aus
den Meistersingern destilliert und diese optisch umgesetzt. Dabei gehen
sie davon aus, dass das Regelwerk des Meistergesangs ganz Nürnberg
mit einer Ordnungsliebe überzogen hat, die durch
allgegenwärtiges Grün sichtbar gemacht wird: In den
(biedermeierlichen) Kostümen, in den Requisiten (z. B. Sachsens
Leisten im zweiten Akt, Brezel, Schere und Schuh als Papp-Symbole
für die Zünfte auf der Festwiese) und im Bühnenbild,
dessen dunkelgraue Steinwände, über die im ersten und dritten
Akt zuweilen leuchtende, schnurgerade grüne Schläuche
gespannt sind, die im zweiten Akt zerstückelt und wirr an den
Wänden hängen. Während Stolzing die erste Strophe seines
Probeliedes im ersten Akt singt, leuchten die Wände geradezu
bedrohlich magentafarben auf. Da stört jemand die Ordnung, da ist
etwas Neues, dass nicht in die Regeln passt – genauso wenig wie seine
kastanienbraune Kleidung nebst gleichfarbiger Perücke, was ihn
doch recht unvorteilhaft aussehen lässt – um es vorsichtig
auszudrücken. (Evas Haare sind übrigens zunächst poppig
grün, doch das wächst sich strähnen- und aktweise zu
einem knalligen Rot aus).
Während Stolzings Preislied auf der Festwiese, die zunächst
ganz der grünen Ordnung verschrieben ist, mischt sich die
magentafarbene Beleuchtung zwischen die grün aufleuchtenden
Schlauchstreifen und beide erstrahlen nebeneinander in
(farbkombinatorisch gewöhnungsbedürftiger) Eintracht. Das
Alte und das Neue bilden ein neues Ganzes. Das ist umso
bedeutungsvoller, wenn man weiß, dass Stolzing sein Preislied
exakt und ohne jede Abweichung nach den Regeln der Tabulatur gedichtet
hat. Neu ist lediglich die Melodie. Die Kombination von beidem ist das
Geniale, das allgemeine Begeisterung erntet. Das wird deutlich, ja
deutlich genug. Der magentafarbene Konfettiregen ist da zuviel, das
Herabschweben des von Stolzing besungenen „Wunderbaums“ viel zu
viel.
Das Farbenspiel ist im
wahrsten Sinne einleuchtend und verständlich. Aber reicht diese
Idee für eine ganze Meistersinger-Produktion? Sind die
Meistersinger nicht noch viel mehr, vielschichtiger, tiefsinniger,
heiterer, ironischer und vor allem vielfarbiger? Dass David mit der
sehr viel älteren Magdalene liiert ist, dass Pogner seine Tochter
als Preis auslobt, dass die Nürnberger in der Prügelfuge
übereinander herfallen und sich heftigst beschimpfen und vieles
mehr zeugt doch auch von einer gewissen Vielfalt und einer zumindest in
Teilen sympathischen Un-Ordnung – ganz im Gegensatz zum hier
eingefügten szenischen Leitmotiv der Lehrbuben-Wischmopp-Brigade,
die immer wieder den Bühnenboden reinigt und in ihrer
uniformen Kostümierung an chinesische Arbeiter erinnert.
Des Grau-Grünen wird man schnell überdrüssig und ein das
Bild möglicherweise interessant machen könnendes uhrenartiges
Bühnenelement, das bei der Nennung des Merkers sichtbar wird, hat
zwar vielfältige Einsatzmöglichkeiten, erklärt sich aber
nicht wirklich. Im ersten Akt und auf der Festwiese ist diese
„Merkeruhr“ von vorn zu sehen, in den anderen Szenen von hinten. Dort
dient sie – begehbar – als Versteck für Eva und Stolzing, als
Balkon für die als Eva verkleidete Magdalene und als Podest
für David, der Beckmesser dort oben prügelnderweise den Rest
gibt und für den Nachtwächter, der hier kein anderer ist als
der Bäcker Fritz Kothner im Nebenberuf.
Prügelfuge
Der bühnenbildnerischen
Öde wird im ersten Akt auch von der Personenregie (und leider auch
musikalisch) nicht allzuviel entgegengesetzt. Das mag auch dem Umstand
geschuldet sein, dass die meisten Sänger der kleineren Partien,
mit selbigen schon genug beschäftigt (und an ihre Grenzen
geführt) sind. Es ist durchaus löblich, wenn Regisseur und
Dirigent darauf Rücksicht nehmen, aber es geht eben auch viel
verloren. Kurz gesagt: Der erste Akt war überwiegend langweilig.
Warum die Tuch-, Spange-, Buch-Suche so altbacken und unlogisch
gestaltet ist, bleibt ebenso fragwürdig, wie die bebrillten
Zylinder der Meistersinger und die rituellen Hand- und Armhaltungen
beim Eingangschor und zum Verlesen der Tabulatur. Ebenso unlogisch und
unsinnig bleibt das Auftreten Evas als verkleideter Meister in
der Singschule. Sie legt als einzige weder Umhang noch Zylinder ab und
selbst, wenn man davon ausgeht, dass sie auf dem sonst leer gebliebenen
Stuhl des erkrankten Niklas Vogel Platz nimmt, sind selbst die
verschrobensten Meistersinger nicht dumm genug, das nicht zu
durchschauen. Zumindest der als Schopenhauer karikierte Hans Schwarz
hätte das weise erkennen müssen. Das ist so eine Regie-Idee…
Eine von vielen, die irgendwie neu sein sollen, aber nicht
überzeugen können. Aber es gibt in der Personenregie auch
Elemente, die durchaus überzeugen und auch Spaß machen. Zum
Beispiel Kothners Herzkasper, als Stolzing vom Singestuhl aufspringt
und Beckmessers formvollendete Verabschiedung von Stolzing, nachdem
dieser mit seinem Probesingen gescheitert ist.
Schlussbild
Glücklicherweise bekommt
die Inszenierung im zweiten und dritten Akt die vorher vermisste
Lebendigkeit, Spielfreude, den Elan und Witz. Köstlich, wie Sachs
Stolzings stolz ausgestrecktes Schwert zum Kleiderständer
degradiert, wie er mit geradezu diabolischer Freude Beckmessers Fehler
nicht nur auf den Leisten schlägt, auf dem fragwürdiger- wie
unsinnigerweise kein Schuh steckt, sondern auf alles, was Schläge
aushalten kann und wie er am Ende der Prügelfuge, nachdem er alle
Personalien geordnet und gerade noch verhindert hat, dass David mit
Magdalene mitgeht, ein erleichtertes „Puh“ ins Publikum stöhnt.
Stöhnen dürfte das Volk in dieser Nacht auch. Zwar haben sie
sich nicht gegenseitig, sondern nur in ihre eigenen Kissen
geboxt, aber sie haben selbige nebst Betttüchern auf der
Bühne zurückgelassen, was ihnen einen unbequemen Schlaf
bescheren dürfte. Unbequem war der vorher aber auch schon, denn
alle scheinen mit ihrer Kleidung ins Bett gegangen zu sein. Vielleicht
hätte die Anschaffung von einigen Dutzend Nachthemden aber auch
einfach nur das Mainzer Kostümbudget gesprengt.
Zu Sachsens Meditation über die vorangegangenen Ereignisse und das
Leben als solches zeigt die Drehbühne ein lebendes Bild einer
allgemeinen Prügelei, die so nicht stattgefunden hat, sondern nur
zwischen David und Beckmesser ausgetragen wurde. Die dann
folgende Szene Beckmesser/Sachs ist ein Kabinettstückchen
fein gearbeiteter Personenregie. Eva erscheint im langen weißen
Kleid mit roten Streifen und zum (wunderschön gesungenen) Quintett
steht Sachs zwischen dem grünen und dem roten Paar. Nach der oben
beschriebenen Schlussszene sucht Stolzing Beckmesser und reicht ihm
versöhnlich die Hand. Den verschmähten Meisterhut bekommt
David. Sachs ist es zufrieden.
Sachs (Derrick Ballard), Beckmesser (Heikki Kilpeläinen)
Gerade über Sachs
ließe sich schier Unzähliges anmerken. Das liegt sicher an
der Personenregie, aber vor allem an Derrick Ballard, der ohne jeden
Zweifel zu den derzeit besten Besetzungen des Schusterpoeten
gezählt werden kann und der auch szenisch sicher viel von seiner
Erfahrung eingebracht haben dürfte. Mit traumwandlerischer
Sicherheit beherrscht er die Partie, stößt an keinerlei
stimmliche Grenzen und kann so auch gestalterisch, stimmlich wie
szenisch aus dem Vollen schöpfen. Selten hört man
gleichermaßen vollendete stimmliche Zartheit neben kernig
markanten Tönen. So schwebt der „Vogel, der heut’ sang“ in
schwereloser Zartheit durch den Raum (zu dezenter,
magentafarbener Beleuchtung versteht sich) und nach der gewaltigen
Schlussansprache hat man den Eindruck, dieser
außergewöhnliche Sängerdarsteller könnte die ganze
Partie gleich noch einmal singen. Und man würde sie auch gern
gleich noch einmal hören.
Alexander Spemann scheint den Stolzing farbenfroh mit mehreren Stimmen
zu singen, wovon eine traumhaft schön ist und
glücklicherweise auch bei den Probe-, Dicht- und Preisliedern
Einsatz findet. Seine kraftvollen, strahlenden Höhen beeindrucken
dabei ganz besonders. Vida Mikneviciute erinnert mit ihrem
stählernen Sopran und trompetenartig hervorgestoßenen
Spitzentönen ein bisschen an Anja Silja. Sie kann aber auch leise
– dann allerdings mit viel Vibrato. Als Beckmesser steht Heikki
Kilpeläinen mit kultiviertem Schöngesang auch stimmlich als
Verfechter der alten Ordnung in der Mitte der ansonsten ordentlich
singenden bis leicht überforderten Meisterriege. Als David
lässt Michael Pegher einen leichten, jugendlichen Tenor
hören, der jedoch mit den hohen Passagen der Partie
überfordert ist. Wunschlos glücklich macht Linda Sommerhage
als Magdalene und wertet diese undankbare Partie mit wunderschön
timbriertem, warmem Mezzo auf.
Stimmgewaltig, sangesfreudig und dabei im Klang ausgewogen mit einer
nicht selbstverständlichen üppigen Besetzung der
Männerstimmen klingen Chor und Extrachor, auch wenn nicht alle
Einsätze gemeinsam erklingen und gerade der Beginn des „Wach
auf!“-Chores eher individuell gestaltet zu nennen ist. Dennoch: Chapeau
für die Gesamtleistung und das Zusammenführen
verschiedener Chöre der Region.
GMD Hermann Bäumer kann nach dem eher vorsichtig klingenden,
rücksichtsvoll dirigiertem, aber eben auch wenig spannungsvollen
ersten Akt im zweiten und dritten Akt dann doch den Zauber
hervorlocken, der diese Musik so außergewöhnlich und
berührend sein lässt. Das schwelgt und blüht und
Spannungsbögen dürfen sich entfalten. Das Orchester folgt ihm
engagiert, aber nicht unfallfrei. FAZIT
Eine überwiegend brave
Inszenierung mit einigen eigenwilligen Ideen, aber auch vielen
schönen Details in der Personenregie und einem roten, nein
grünen Faden, der für eine Meistersinger-Produktion aber doch
etwas zu dünn ist. Musikalisch und sängerisch mit Licht und
Schatten. Derrick Ballard ist ein fantastischer Sachs.
Ihre Meinung
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ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Inszenierung
Bühne
und
Kostüme Licht Chor Dramaturgie
Chor und
Extrachor des SolistenHans
Sachs
Veit
Pogner
Kunz
Vogelgesang
Konrad
Nachtigall
Sixtus
Beckmesser
Fritz
Kothner Balthasar
Zorn
Ulrich
Eisslinger
Augustin
Moser
Hermann
Ortel
Hans
Schwarz
Hans
Foltz
Walther
von
Stolzing
David
Eva
Magdalene
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