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Der ferne Klang

Oper in drei Aufzügen
Musik und Libretto von Franz Schreker

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: 3 ½ Stunden – eine Pause

Premiere im Nationaltheater Mannheim am 10. Juli 2015
(rezensierte Aufführung: 12.07.2015 (B-Premiere))


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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Die Frau im grünen Kleid

Von Christoph Wurzel / Fotos von Hans Jörg Michel

Gescheitert in der Kunst, gescheitert im Leben – das ist  die Bilanz des jungen Komponisten Fritz, der männlichen Hauptfigur in Schrekers Der ferne Klang. Seine Oper „Die Harfe“ ist wegen des misslungenen dritten Aktes bei der Uraufführung durchgefallen, weil es dem Komponisten nicht gelang, „das Glück zu besingen“. Eben das „Glück“ ist dieser ferne Klang, dem Fritz von Anbeginn erfolglos nachjagt. Nur in Schrekers wunderbarer Orchestermusik klingt er mehrmals als sphärische Harfen- und Celestamusik auf. Aber im Leben kann Fritz es nicht realisieren. Der Frau, die er liebt, rennt er in der Jugend davon, der Karriere und dem Erfolg zuliebe. Als er ihr später wieder begegnet, ist sie ihm nicht gut genug. Als beide sich endlich ein drittes Mal gefunden haben, stirbt er in ihren Armen.

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3. Akt: Ein anderer Liebestod: Grete (Astrid Weber) und Fritz (Michael Baba)

Gemeinhin gilt Schrekers Oper daher als Künstlerdrama. Vom bloßen Umfang her steht allerdings die weibliche Hauptfigur, Grete Graumann, viel eher im Mittelpunkt. So hat Tatjana Gürbaca in ihrer Inszenierung in Mannheim den Focus auf diese weibliche Lebensgeschichte gerichtet. Während die Oper von Fritz’ Abstieg erzählt, schreibt die Inszenierung Grete eine beeindruckende Entwicklung zu, von der bedrückenden Beengtheit ihrer prekären heimischen Umgebung, über die Todessehnsucht nach dem Verlassenwerden im ersten Akt bis hin zu gewonnener innerer Freiheit am Schluss.

Bemerkenswert dabei, dass Grete im zweiten Akt während der Zeit in der „Casa di maschere“, dem „Rendezvousort der galanten Welt Venedigs“ (wie es im Libretto heißt, also einem Edelbordell) nicht als vulgäre Prostituierte desavouiert wird.  Vielmehr zeigt die Regie hier eine Frau auf der Suche nach ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Im ersten Akt soll das junge Mädchen als Preis für die Spielschulden des versoffenen Vaters an den Dorfwirt verkuppelt werden. Die groben Bauern zwingen die Verängstigte auf ein Sofa und tragen sie  wie eine Trophäe über ihren Köpfen herum. Ein ähnliches Bild im zweiten Akt: Nunmehr als Greta, der  Königin des Etablissements, lässt sie sich von den Männern genauso emporheben, diesmal aber genussvoll und selbstbestimmt und doch auch einsam als  Projektionsfläche männlicher Sehnsüchte. Sie selbst setzt sich aus reiner Lust als Preis für denjenigen aus, der das anrührendste Liebeslied singt. Als Fritz auf fast mysteriöse Weise an diesem Ort auftaucht, wählt sie ihn, doch er stößt sie als „Dirne“ zurück.

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2. Akt: Greta – umschwärmt von Männern und doch einsam (Premierenbesetzung: Cornelia Ptassek)

Im 3. Akt erscheint sie wieder, erfahrungsklug, als reife Frau und gelöst, während sie von fern den Niedergang des Künstlers Fritz miterlebt. Im Schlussbild wendet sie sich ihm zu, zärtlich, empathisch, fast erlösend - im einzigen und letzten Moment kurzen Glücks zwischen beiden. Einer szenischen Psychoanalyse vergleichbar verdeutlicht die Inszenierung Gretes Entwicklung besonders während der ausführlichen Zwischenspiele, die Schreker als klangliche Ereignisse an zentralen Stellen seiner Oper einbaut. Sie werden hier zu Verwandlungsmusiken im doppelten Sinn. Immer trägt Grete das grüne Kleid, aber Szene für Szene scheint ihre Persönlichkeit zu wachsen und zu reifen. Traumsequenzen und Erinnerungen, als Videoprojektionen in den weißen Bühnenraum geworfen, lassen bewundernswert kongruent zu Schrekers assoziativreicher Musik Gretes innere Bilder entstehen. Besonders schön im dritten Akt, wo sich ein Kubus auf der Bühne dreht, als  kleinere Bühne auf der Bühne, auf deren offner Seite andeutungsweise Fritz’ Oper gespielt wird, deren Rückwände aber die projizierten Erinnerungs- und Hoffnungsbilder vorbeiziehen lassen.

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1. Akt: Traumphantasie. Grete (Premierenbesetzung: Cornelia Ptassek) auf der Suche zu sich selbst

Genau, als sei es ein Schauspiel, werden die Figuren geführt. Bühnenrealismus vermischt sich mit phantastischen Elementen, kafkaesken Situationen und Momenten surrealer Magie. So öffnet auch die Inszenierung, ebenso wie die Musik, für den Betrachter weite Felder der Assoziation. Ein wunderbarer Gleichklang von Musik und Szene entsteht. Die kann unter Dan Ettingers Leitung ihren eigentümlichen Reiz wunderbar entfalten. Für Schrekers suggestive Klangwelt entwickelt das Orchester eine beeindruckende Sensibilität, vor allem für die einkomponierte Stilvielfalt, die besonders im 2. Akt die bunte, flirrende Welt des Vergnügens musikalisch evoziert.

Auch das Mannheimer Sänger-Ensemble zeigt sich dieser sensitiven Musik wie der differenzierten Regie gleichermaßen bestens gewachsen. Astrid Weber war in der B-Premiere eine ausdrucksstarke Grete. Stimmlich ebenso farbenreich wie emphatisch ließ sich die Sängerin auf diese herausfordernde Partie mit ihrer großen Bandbreite psychischer Situationen ein. Als Fritz überzeugte Michael Baba als rastlos nach Erfüllung suchender, fast schon besessener Künstler, der an seinem eigenen Anspruch zerbricht. Die solistischen Einlagen im 2. Akt wurden durch Raymond Ayers als Graf mit der Ballade vom bleichen König und Andreas Hermann als Chevalier mit dem Couplet über die  Blumenmädchen von Sorrent zu besonderen gesanglichen Höhepunkten. Bis in die kleinen Rollen hinein  waren die Solistinnen und Solisten als Charaktere in höchsten Maße prägnant. Fast unheimlich Bartosz Urbanowicz als skurriler Dr. Vigelius und in mysteriöser Undurchsichtigkeit Marie-Belle Sandis als das „alte Weib“. Im bunten, nahezu grotesken Treiben in der Casa di maschere zeigte der Chor stimmlich wie darstellerisch enorme Bühnenpräsenz.

FAZIT

Die Inszenierung beeindruckt durch starke Bilder, die der Psychologie des Stücks klug entsprechen und zugleich viel Raum für eigene Assoziationen lassen. Die musikalische Interpretation lässt Schrekers sinnlich intensive Klangwelt ausdrucksvoll erstehen. Die Solistinnen und Solisten überzeugen als homogenes Ensemble. Eine der stärksten Operneindrücke dieser Saison.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dan Ettinger

Regie
Tatjana Gürbaca

Bühne
Marc Weeger

Kostüme
Silke Willrett

Licht
Christian Wurmbach

Chor
Anton Tremmel

Video
Thilo David Heins

Dramaturgie
Merle Fahrholz



Chor, Extrachor und Statisterie
des Nationaltheaters Mannheim

Orchester des
Nationaltheaters Mannheim

Solisten

*rezensierte Aufführung

Grete Graumann
Cornelia Ptassek /
*Astrid Weber

Fritz, ein junger Komponist
Michael Baba

Der alte Graumann / Der Baron
Sung Ha

Seine Frau
Petra Welteroth

Der Wirt des Gasthauses „Zum Schwan“ /
Rudolf

Sebastian Pilgrim

Ein Schmierenkomödiant /
Der Graf / Der Schauspieler

Raymond Ayers

Dr. Vigelius, ein Winkeladvokat
Bartosz Urbanowicz

Ein altes Weib
Marie-Belle Sandis

Mizi
Tamara Banješević

Milli
Ludovica Bello

Mary
Estelle Kruger

Eine Spanierin / Kellnerin
Evelyn Krahe

Der Chevalier /
Ein zweifelhaftes Individuum

Andreas Hermann

1. Chorist
Daewoo Park

2. Chorist
Slawomir Czarnecki

Ein Mädchen
Juliane Herrmann

Eine Choristin
Eun Young Kim

Eine andere Choristin
Babett Dörste-Ewald

Ein Polizist
Wolfgang Heuser

Ein junger Mann
Jürgen Theil

Gäste
Markus Graßmann
Jeonkkong Choi
Jürgen Theil
Alexander Wilhelm
Junchel Ye
Karl Adolf Appel
Hyun-Seok Kim






Weitere Informationen
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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)



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