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Argos in der Abflugshalle
Von den drei Pasticci, die Georg Friedrich Händel für die Londoner Bühne in den
30er Jahren des 18. Jahrhunderts komponierte, galt sein letztes Werk Giove in
Argo lange Zeit als nicht rekonstruierbar, da die Originalpartitur nicht
erhalten ist, und zwei im vorhandenen Libretto enthaltene Arien verloren zu sein
schienen. Doch der Händel-Experte John H. Roberts stellte 2001 fest, dass diese
beiden Arien aus Francesco Araias Oper Lucio Vera stammten und dass
Händel sie entgegen seiner sonstigen Gewohnheit für die Mezzosopranistin
Costanza Posterla übernommen hatte. So konnte durch Komposition einiger
fehlender Rezitative doch noch eine aufführbare Fassung erstellt werden, die bei
den Händel-Festspielen in Halle im Juni ihre szenische deutsche
Erstaufführung erlebte. Da die Inszenierung als Koproduktion mit l'arte del
mondo entstand und dieses Ensemble seit 2010/11 als permanentes Orchestra in
residence von Bayer Kultur gefördert wird, ist diese Produktion nun auch im
Bayer Kulturhaus in Leverkusen zu erleben.
Die Handlung verwebt drei mythologische Erzählungen zu einer Geschichte, die mit
den ursprünglichen Sagen eigentlich gar nichts mehr zu tun hat. Licaone, der in
Ovids Metamorphosen wegen seiner Grausamkeit vom Göttervater Jupiter in einen
Wolf verwandelt wird, hat Inachus, den König von Argos (der in der Mythologie
ein Flussgott ist), ermordet, um die Macht zu übernehmen, ist aber von der
Bevölkerung vertrieben worden und irrt nun durch die Wälder. Iside - hierbei
handelt es sich eigentlich um die Nymphe Io, die von Juno in eine Kuh verwandelt
und nach Ägypten vertrieben worden ist, wo sie den Isis-Kult begründet hat -
kehrt auf der Suche nach dem Mörder ihres Vaters Inachus nach Argos zurück. Dort
trifft sie auf Jupiter, der sich als Hirte Arete ausgibt und bereit ist, ihr zu
helfen, wenn sie seine Liebe erhört. Den ägyptischen König Osiris, der seiner
Verlobten Iside heimlich unter dem Decknamen Erasto gefolgt ist, lässt er in dem
Glauben, dass Iside die Treue gebrochen habe. Zeitgleich ist auch Calisto, die
im ursprünglichen Mythos von Juno in einen Bär verwandelt und von Jupiter
anschließend als Sternbild an den Himmel versetzt worden ist, in Argos auf der
Suche nach ihrem Vater. Auch ihr verspricht Arete alias Jupiter Hilfe gegen
Isides Rachepläne. Doch Calisto hat der Göttin Diana ewige Keuschheit geschworen
und befindet sich somit in einem Gewissenskonflikt. Als Diana Calisto mit
Jupiter überrascht, verbannt sie sie aus ihrem Gefolge und verurteilt sie zum
Tode. Inzwischen trifft Iside auf Licaone, der vor ihren Augen stirbt. Isides
Rache hat sich erfüllt. Jupiter gibt sich zu erkennen, hebt Calistos Todesurteil
auf und verbindet Iside wieder mit Erasto.
Argos als Abflughalle: Dianas Begleiterinnen
(Nathalie Journo und Johanna Malecki) "überprüfen" Erasto (Thilo Dahlmann)
(rechts hinten: Calisto (Natalia Rubis)).
Auch wenn Licaone bereits während der Ouvertüre in einem modernen Anzug mit
einem silbernen Koffer durch den Zuschauerraum irrt, bevor er auf die Bühne
flüchtet, lässt der erste Blick auf Olga von Wahls Bühnenbild hoffen, dass
Regisseur Kay Link die Inszenierung in einem mythologischen Rahmen angesiedelt
hat. Das verheißen zumindest die Naturmotive auf den Bühnenelementen, die an ein
sagenumwobenes Arkadien erinnern. Doch dann treten Diana und ihre beiden
Begleiterinnen als Stewardessen auf, und die Bühne verwandelt sich in eine
Abflughalle eines Flughafens, an dem allerdings alle Flüge gestrichen sind. So
stranden hier nacheinander Iside, Calisto und Erasto. Während Iside in einem
Kampfanzug ein Attentat auf Licaone plant und ständig damit beschäftigt ist, ihr
Maschinengewehr zu putzen, beschließt Calisto, im Gefolge der Diana ebenfalls
den Weg der Stewardess einzuschlagen. Jupiter tritt mit schwarzer Sonnenbrille
im weißen Anzug als Flugkapitän auf, wobei er durch ein Loch im Bühnenboden
emporgefahren wird. Wenn er am Ende den Frieden wieder hergestellt hat,
verschwindet er auch auf dem gleichen Weg wieder im Boden. Isides Vater Inachus
ist der Souffleur, der direkt zu Beginn von Licaone aus dem Souffleurkasten
gezerrt und auf der Bühne ermordet wird. Die Chormitglieder treten als
Passagiere im ersten Akt mit Gepäck auf und nehmen dann im Orchestergraben auf
der rechten Seite Platz, um von dort wie in der antiken Tragödie das Geschehen
auf der Bühne zu kommentieren.
Menage à trois: Jupiter als Arete (Krystian Adam)
mit Calisto (Natalia Rubis, links) und Iside (Raffaella Milanesi, rechts)
Nach der Pause erinnern die Bühnenwände wieder an eine pittoreske Landschaft in
Arkadien, wobei von der Abflughalle nur einzelne Stühle und das Absperrband
geblieben sind. Die Informationstafel mit den gestrichenen Flügen steht noch auf
der rechten Seite im Bühnenhintergrund. Wo die Protagonisten jetzt eigentlich
hingelangt sind, bleibt genauso unbeantwortet, wie die Frage, wieso sich denn
Iside im ersten Akt mit Erasto auf dem Kofferband vergnügt, obwohl sie ihm laut
gesungenem Text ihre Liebe erst in Aussicht stellt, wenn er sie in ihrer Rache
an Licaone unterstützt hat. Auch im zweiten Akt inszeniert Link inhaltlich gegen
das Libretto, wenn Arete Iside und Calisto eine Menage à trois vorschlägt und
sich die beiden Frauen scheinbar darauf einlassen, obwohl sie doch beide völlig
unterschiedliche Absichten verfolgen und ihnen in dieser Konstellation klar sein
muss, dass Jupiter nicht beide Versprechen halten kann. Wieso sollten sich also
Iside und Calisto auf ein gemeinsames Liebesspiel einlassen, dem schlussendlich
nur von dem eintreffenden Erasto Einhalt geboten wird? Dass Jupiter sich
hingegen als der Bär entpuppt, vor dem Iside flieht, bevor sie auf Licaone
trifft, kann hingegen als gelungener Regie-Einfall betrachtet werden, auch wenn
nicht klar ist, wieso Licaone dann von Diana erstochen wird, die anschließend
auch noch das ganze Bühnenbild herunterreißt und den Blick auf die kahlen
schwarzen Bühnenwände freigibt.
Am Ende wird alles gut? Von links: Iside
(Raffaella Milanesi), Calisto (Natalia Rubis) und Diana (Barbara Emilia
Schedel), im Hintergrund liegend: Licaone (Johan Rydh)
Dass das Publikum an diesen teilweise schwer nachvollziehbaren Regie-Ansätzen
keinen Anstoß nimmt, ist wohl vor allem der musikalischen Umsetzung zu
verdanken, die mit den Anleihen aus zahlreichen mehr oder weniger bekannten
Händel-Opern beinahe wie ein "Best of" klingt. Krystian Adam wird als Arete zwar
als leicht indisponiert entschuldigt, überzeugt aber mit leichtem, beweglichem
Tenor und großartigem Spiel, so dass man ihm den lüsternen Göttervater in jedem
Moment abnimmt. Raffaella Milanesi stattet die Partie der Iside mit
geschmeidigem Sopran aus und verfügt auch in der Mittellage über Volumen und
großen Ausdruck. Im Gedächtnis bleibt vor allem ihre große Arie "Ombra che
pallida" im zweiten Akt, in der sie allmählich dem Wahnsinn verfällt und ihr der
Schatten ihres verstorbenen Vaters, hier der Souffleur, erscheint. Natalia Rubis
gefällt als Calisto mit leuchtenden Koloraturen, die sich vor allem im zweiten
Akt in der aus der Oper Alcina übernommenen Arie "Tornami vagheggiar" entfalten
können. Wenn sie im dritten Akt mit ihrem Schicksal hadert, geht Rubis'
Interpretation darstellerisch und stimmlich unter die Haut. Barbara Emilia
Schedel stattet die Göttin Diana mit warmem Sopran und sauberen Bögen in den
Koloraturen aus. Besondere Erwähnung verdient auch das Terzett der drei Frauen
am Ende der Oper, in der Calisto ihrem Glück Ausdruck verleiht, dass sie wieder
in Dianas Gefolge aufgenommen worden ist, Diana froh ist, dass ihre Dienerin ihr
Gelübde nicht gebrochen hat, und Iside endlich wieder glücklich mit Erasto
vereint ist. Thilo Dahlmann und Johan Rydh überzeugen als Erasto und Licaone mit
markanten Tiefen.
Der Chor hat in dieser Oper mehr zu singen, als es in einer Barockoper ansonsten
üblich ist. Händels große Erfolge, die er zur damaligen Zeit mit seinen
Oratorien feierte, färbten bereits auf seine Opern ab, so dass er zum einen
hoffte, das Interesse für die Oper bei den Anhängern seiner Oratorien zu wecken,
zum anderen sich vielleicht auch versprach, mit dieser Variation seine
Konkurrenz auszustechen. Das Vokalensemble l'arte del mondo setzt die
Chorpassagen mit einem homogenem Klang um. Warum allerdings einige
Chormitglieder den Text bei der Aufführung ablesen, bleibt unklar, zumal dies
das Spiel des Chors als kommentierende Masse beeinträchtigt. Werner Erhardt
präsentiert sich mit dem Orchester l'arte del mondo erneut als Spezialist für
Barockmusik, so dass es am Ende begeisterten Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Regie Ausstattung Licht
Vokalensemble und Orchester Solisten
Arete, der sich später als Zeus zu Iside, Tochter des Inachus, verlobt mit
Erasto, in Wirklichkeit Osiris,
Calisto, Tochter des Licaone Diana Licaone, Tyrann von Arkadien Begleiterinnen Dianas Souffleur
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- Fine -