Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Giove in Argo

Pasticcio (Oper) in drei Akten HWV A14
Libretto nach Giove in Argo von Antonio Maria Lucchini zur Musik von Antonio Lotti (Dresden 1717 und 1719)
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 20' (eine Pause)

Koproduktion von l'arte del mondo und den Internationalen Händelfestspielen Halle

Aufführung im Bayer Kulturhauses am 19. Oktober 2014
(Premiere im Goethe-Theater Bad Lauchstädt am 13. Juni 2014)

 

 

(Homepage)

Argos in der Abflugshalle


Von Thomas Molke
/ Fotos: Tilman Graner

Von den drei Pasticci, die Georg Friedrich Händel für die Londoner Bühne in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts komponierte, galt sein letztes Werk Giove in Argo lange Zeit als nicht rekonstruierbar, da die Originalpartitur nicht erhalten ist, und zwei im vorhandenen Libretto enthaltene Arien verloren zu sein schienen. Doch der Händel-Experte John H. Roberts stellte 2001 fest, dass diese beiden Arien aus Francesco Araias Oper Lucio Vera stammten und dass Händel sie entgegen seiner sonstigen Gewohnheit für die Mezzosopranistin Costanza Posterla übernommen hatte. So konnte durch Komposition einiger fehlender Rezitative doch noch eine aufführbare Fassung erstellt werden, die bei den Händel-Festspielen in Halle im Juni ihre szenische deutsche Erstaufführung erlebte. Da die Inszenierung als Koproduktion mit l'arte del mondo entstand und dieses Ensemble seit 2010/11 als permanentes Orchestra in residence von Bayer Kultur gefördert wird, ist diese Produktion nun auch im Bayer Kulturhaus in Leverkusen zu erleben.

Die Handlung verwebt drei mythologische Erzählungen zu einer Geschichte, die mit den ursprünglichen Sagen eigentlich gar nichts mehr zu tun hat. Licaone, der in Ovids Metamorphosen wegen seiner Grausamkeit vom Göttervater Jupiter in einen Wolf verwandelt wird, hat Inachus, den König von Argos (der in der Mythologie ein Flussgott ist), ermordet, um die Macht zu übernehmen, ist aber von der Bevölkerung vertrieben worden und irrt nun durch die Wälder. Iside - hierbei handelt es sich eigentlich um die Nymphe Io, die von Juno in eine Kuh verwandelt und nach Ägypten vertrieben worden ist, wo sie den Isis-Kult begründet hat - kehrt auf der Suche nach dem Mörder ihres Vaters Inachus nach Argos zurück. Dort trifft sie auf Jupiter, der sich als Hirte Arete ausgibt und bereit ist, ihr zu helfen, wenn sie seine Liebe erhört. Den ägyptischen König Osiris, der seiner Verlobten Iside heimlich unter dem Decknamen Erasto gefolgt ist, lässt er in dem Glauben, dass Iside die Treue gebrochen habe. Zeitgleich ist auch Calisto, die im ursprünglichen Mythos von Juno in einen Bär verwandelt und von Jupiter anschließend als Sternbild an den Himmel versetzt worden ist, in Argos auf der Suche nach ihrem Vater. Auch ihr verspricht Arete alias Jupiter Hilfe gegen Isides Rachepläne. Doch Calisto hat der Göttin Diana ewige Keuschheit geschworen und befindet sich somit in einem Gewissenskonflikt. Als Diana Calisto mit Jupiter überrascht, verbannt sie sie aus ihrem Gefolge und verurteilt sie zum Tode. Inzwischen trifft Iside auf Licaone, der vor ihren Augen stirbt. Isides Rache hat sich erfüllt. Jupiter gibt sich zu erkennen, hebt Calistos Todesurteil auf und verbindet Iside wieder mit Erasto.

Bild zum Vergrößern

Argos als Abflughalle: Dianas Begleiterinnen (Nathalie Journo und Johanna Malecki) "überprüfen" Erasto (Thilo Dahlmann) (rechts hinten: Calisto (Natalia Rubis)).

Auch wenn Licaone bereits während der Ouvertüre in einem modernen Anzug mit einem silbernen Koffer durch den Zuschauerraum irrt, bevor er auf die Bühne flüchtet, lässt der erste Blick auf Olga von Wahls Bühnenbild hoffen, dass Regisseur Kay Link die Inszenierung in einem mythologischen Rahmen angesiedelt hat. Das verheißen zumindest die Naturmotive auf den Bühnenelementen, die an ein sagenumwobenes Arkadien erinnern. Doch dann treten Diana und ihre beiden Begleiterinnen als Stewardessen auf, und die Bühne verwandelt sich in eine Abflughalle eines Flughafens, an dem allerdings alle Flüge gestrichen sind. So stranden hier nacheinander Iside, Calisto und Erasto. Während Iside in einem Kampfanzug ein Attentat auf Licaone plant und ständig damit beschäftigt ist, ihr Maschinengewehr zu putzen, beschließt Calisto, im Gefolge der Diana ebenfalls den Weg der Stewardess einzuschlagen. Jupiter tritt mit schwarzer Sonnenbrille im weißen Anzug als Flugkapitän auf, wobei er durch ein Loch im Bühnenboden emporgefahren wird. Wenn er am Ende den Frieden wieder hergestellt hat, verschwindet er auch auf dem gleichen Weg wieder im Boden. Isides Vater Inachus ist der Souffleur, der direkt zu Beginn von Licaone aus dem Souffleurkasten gezerrt und auf der Bühne ermordet wird. Die Chormitglieder treten als Passagiere im ersten Akt mit Gepäck auf und nehmen dann im Orchestergraben auf der rechten Seite Platz, um von dort wie in der antiken Tragödie das Geschehen auf der Bühne zu kommentieren.

Bild zum Vergrößern

Menage à trois: Jupiter als Arete (Krystian Adam) mit Calisto (Natalia Rubis, links) und Iside (Raffaella Milanesi, rechts)

Nach der Pause erinnern die Bühnenwände wieder an eine pittoreske Landschaft in Arkadien, wobei von der Abflughalle nur einzelne Stühle und das Absperrband geblieben sind. Die Informationstafel mit den gestrichenen Flügen steht noch auf der rechten Seite im Bühnenhintergrund. Wo die Protagonisten jetzt eigentlich hingelangt sind, bleibt genauso unbeantwortet, wie die Frage, wieso sich denn Iside im ersten Akt mit Erasto auf dem Kofferband vergnügt, obwohl sie ihm laut gesungenem Text ihre Liebe erst in Aussicht stellt, wenn er sie in ihrer Rache an Licaone unterstützt hat. Auch im zweiten Akt inszeniert Link inhaltlich gegen das Libretto, wenn Arete Iside und Calisto eine Menage à trois vorschlägt und sich die beiden Frauen scheinbar darauf einlassen, obwohl sie doch beide völlig unterschiedliche Absichten verfolgen und ihnen in dieser Konstellation klar sein muss, dass Jupiter nicht beide Versprechen halten kann. Wieso sollten sich also Iside und Calisto auf ein gemeinsames Liebesspiel einlassen, dem schlussendlich nur von dem eintreffenden Erasto Einhalt geboten wird? Dass Jupiter sich hingegen als der Bär entpuppt, vor dem Iside flieht, bevor sie auf Licaone trifft, kann hingegen als gelungener Regie-Einfall betrachtet werden, auch wenn nicht klar ist, wieso Licaone dann von Diana erstochen wird, die anschließend auch noch das ganze Bühnenbild herunterreißt und den Blick auf die kahlen schwarzen Bühnenwände freigibt.

Bild zum Vergrößern

Am Ende wird alles gut? Von links: Iside (Raffaella Milanesi), Calisto (Natalia Rubis) und Diana (Barbara Emilia Schedel), im Hintergrund liegend: Licaone (Johan Rydh)

Dass das Publikum an diesen teilweise schwer nachvollziehbaren Regie-Ansätzen keinen Anstoß nimmt, ist wohl vor allem der musikalischen Umsetzung zu verdanken, die mit den Anleihen aus zahlreichen mehr oder weniger bekannten Händel-Opern beinahe wie ein "Best of" klingt. Krystian Adam wird als Arete zwar als leicht indisponiert entschuldigt, überzeugt aber mit leichtem, beweglichem Tenor und großartigem Spiel, so dass man ihm den lüsternen Göttervater in jedem Moment abnimmt. Raffaella Milanesi stattet die Partie der Iside mit geschmeidigem Sopran aus und verfügt auch in der Mittellage über Volumen und großen Ausdruck. Im Gedächtnis bleibt vor allem ihre große Arie "Ombra che pallida" im zweiten Akt, in der sie allmählich dem Wahnsinn verfällt und ihr der Schatten ihres verstorbenen Vaters, hier der Souffleur, erscheint. Natalia Rubis gefällt als Calisto mit leuchtenden Koloraturen, die sich vor allem im zweiten Akt in der aus der Oper Alcina übernommenen Arie "Tornami vagheggiar" entfalten können. Wenn sie im dritten Akt mit ihrem Schicksal hadert, geht Rubis' Interpretation darstellerisch und stimmlich unter die Haut. Barbara Emilia Schedel stattet die Göttin Diana mit warmem Sopran und sauberen Bögen in den Koloraturen aus. Besondere Erwähnung verdient auch das Terzett der drei Frauen am Ende der Oper, in der Calisto ihrem Glück Ausdruck verleiht, dass sie wieder in Dianas Gefolge aufgenommen worden ist, Diana froh ist, dass ihre Dienerin ihr Gelübde nicht gebrochen hat, und Iside endlich wieder glücklich mit Erasto vereint ist. Thilo Dahlmann und Johan Rydh überzeugen als Erasto und Licaone mit markanten Tiefen.

Der Chor hat in dieser Oper mehr zu singen, als es in einer Barockoper ansonsten üblich ist. Händels große Erfolge, die er zur damaligen Zeit mit seinen Oratorien feierte, färbten bereits auf seine Opern ab, so dass er zum einen hoffte, das Interesse für die Oper bei den Anhängern seiner Oratorien zu wecken, zum anderen sich vielleicht auch versprach, mit dieser Variation seine Konkurrenz auszustechen. Das Vokalensemble l'arte del mondo setzt die Chorpassagen mit einem homogenem Klang um. Warum allerdings einige Chormitglieder den Text bei der Aufführung ablesen, bleibt unklar, zumal dies das Spiel des Chors als kommentierende Masse beeinträchtigt. Werner Erhardt präsentiert sich mit dem Orchester l'arte del mondo erneut als Spezialist für Barockmusik, so dass es am Ende begeisterten Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Auch wenn szenisch nicht alles nachvollziehbar ist, was Kay Link sich zur Umsetzung für diese absolute Rarität überlegt hat, ist die Aufführung musikalisch ein Genuss.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Werner Erhardt

Regie
Kay Link

Ausstattung
Olga von Wahl

Licht
Stephan Teschke

 

Vokalensemble und Orchester
l'arte del mondo


Solisten

Arete, der sich später als Zeus zu
erkennen gibt

Krystian Adam

Iside, Tochter des Inachus, verlobt mit
Osiris, dem König von Ägypten

Raffaella Milanesi

Erasto, in Wirklichkeit Osiris,
König von Ägypten

Thilo Dahlmann

Calisto, Tochter des Licaone
Natalia Rubis

Diana
Barbara Emilia Schedel

Licaone, Tyrann von Arkadien
Johan Rydh

Begleiterinnen Dianas
Nathalie Journo
Johanna Malecki

Souffleur
Winfried Wehrhahn


Weitere Informationen
erhalten Sie von

Bayer Kultur

(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2014 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -