Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Peer und seine AspekteVon Thomas Molke / Fotos von Holger BadekowHenrik Ibsens Drama Peer Gynt, das für die Norweger einen ähnlichen Stellenwert haben dürfte wie für die Deutschen Goethes Faust, verbindet man musikalisch in der Regel mit Edvard Griegs Bühnenmusik, die dieser für die Uraufführung 1876 in Oslo komponierte. Wenn der Stoff nun in einem Ballettabend vertanzt wird, erwartet man deshalb sicherlich, zumindest einen der drei Ohrwürmer, "Solveigs Lied", "In der Halle des Bergkönigs" oder die in der Werbung häufig zitierte "Morgenstimmung", zu hören. Doch John Neumeier hat für seine Choreographie einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Als er Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts mit den Planungen seines lang gehegten Wunsches, Peer Gynt in ein Handlungsballett umzusetzen, begann, konnte er Alfred Schnittke gewinnen, die Musik eigens für dieses Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper zu komponieren. Nach zahlreichen persönlich bedingten Verzögerungen - Alfred Schnittke erlitt beispielsweise während der Komposition einen Schlaganfall - erlebte das Stück im Januar 1989 seine Uraufführung. Neumeier hat diese Choreographie danach lange Zeit ruhen lassen, um sich gut 25 Jahre später erneut damit auseinanderzusetzen. Im Rahmen der 41. Hamburger Ballett-Tage präsentiert er nun eine Neufassung, die zur damaligen Uraufführung einige Änderungen aufweist. Peer Gynt (Carsten Jung, Mitte vorne) mit seiner Mutter Aase (Anna Laudere) und den vier Aspekten (vorne Karen Azatyan als Aggression) Ein wichtiger Punkt in Neumeiers Konzept sind die unterschiedlichen Aspekte, die er der Titelfigur zuordnet. Wird der Peer in Schauspielaufführungen häufig von unterschiedlichen Darstellern gespielt, um die Figur des ungestümen Jünglings und des alten Mannes, der nach langen Reisen wieder in seine Heimat zurückkehrt, glaubhaft zu machen, lässt Neumeier die Titelpartie zwar von einem einzigen Tänzer verkörpern, ordnet ihm aber unterschiedliche Aspekte zu, die einzelne Charaktereigenschaften Peers verdeutlichen sollen. Waren es 1989 insgesamt sieben Aspekte, beschränkt er sich in der Neufassung auf vier, die er Unschuld, Vision, Aggression und Zweifel nennt und die jeweils im gleichen Kostüm wie Peer auftreten. Beeindruckend gelingt die Geburtsszene im vorangestellten Prolog. Unter dem weit wallenden Kleid Aases kommen zunächst ohne Musik die vier Aspekte Peers zum Vorschein und bahnen sich ihren Weg ins Leben, noch bevor sie wieder mit Aase zu einer Einheit verschmelzen und Peer geboren wird. In einer feuerroten Latzhose, die Peer im ersten Akt dann anzieht, unterscheidet er sich deutlich von den dunklen Farben der restlichen Dorfgemeinschaft und macht deutlich, dass er in dieser Gesellschaft eine Außenseiterrolle einnimmt. Nur das Kleid seiner Mutter hat den gleichen roten Farbton, weil sie losgelöst vom Rest des Dorfes zu ihrem Sohn steht. Jürgen Rose hat mit groben Strukturen ein abstraktes Bühnenbild geschaffen, dass die Bergwelt von Peers Heimat andeutet. Im Hintergrund ist ein von Baumstämmen getragenes Haus angedeutet. Hier richtet sich Peer später im ersten Akt ein. Wichtiger Bestandteil ist eine Schaukel, die er zwischen einer Leiter aufhängt und die an das Haus seiner Mutter erinnert. Hier wartet hinterher Solveig auf seine Rückkehr. Wichtiger Bestandteil dieses Hauses ist auch ein weißer Stuhl, den Solveig im ersten Akt mitbringt und den Peer im weiteren Verlauf des Stückes auf der Suche nach seinem Weg häufig mit sich herumträgt. Solveigs weißes Kleid strahlt zum einen einen Ruhepol für den umhergetriebenen Peer aus, zum anderen dient es auch als Projektionsfläche für sie, ihre Sehnsucht und ihr Hoffnungen niederzuschreiben. So näht sie während ihrer Zeit des Wartens einige Gedichte in ihr Kleid ein. Doch Neumeier lässt Solveig nicht nur im Hintergrund warten. Auch auf Peers Reise im zweiten Akt tritt sie zwischendurch auf und versucht, ihn in ihr Leben zurückzuholen. Peer Gynt (Carsten Jung) und Solveig (Alina Cojocaru) Der erste Teil umfasst die ersten drei Akte von Ibsens Drama und konzentriert sich auf drei Episoden: den Brautraub, die Erlebnisse bei den Trollen und Aases Tod. Nachdem Carsten Jung als Peer gemeinsam mit seinen vier Aspekten seine Mutter (Anna Laudere) mit jugendlichem Elan und tollkühnen Sprüngen in eine Fantasiewelt entführt hat, landet er auf der Bauernhochzeit, die dagegen bewusst volkstümlich gehalten wird. Besonders Konstantin Tselikov macht als Bräutigam Mads Moen mit klobigen Bewegungen deutlich, wieso Carolina Agüero als Ingrid nicht an ihrem zukünftigen Gatten interessiert ist und ihn immer wieder zurückweist. Mit exaltierten Bewegungen zeigt sie, dass sie andere Träume hat und eigentlich nicht mit einem Bauerntölpel vermählt werden möchte. Da kommt ihr Peer mit seinem Übermut eigentlich sehr recht. Doch er hat nur Augen für Solveig, die von Alina Cojocaru mit sanften Bewegungen sehr scheu angelegt wird. Einerseits ist ihr dieser tollkühne Peer unheimlich, und sie versteckt sich stets vor ihm hinter ihren Eltern, andererseits nimmt sie ihn allerdings auch vor den Anfeindungen der Bauern in Schutz. Dennoch ist Peer dieses Versteckspiel zu viel, und entnervt raubt er Ingrid, wobei er allerdings ihrer sehr schnell überdrüssig wird. Da er nicht zurück in sein Dorf kann, begibt er sich in die Welt der Trolle. Neumeier legt diese keineswegs als Naturwesen an, sondern kleidet die Männer in graue Anzüge. Die Kostüme der Frauen sind in dunklem Grün gehalten. Nur die Grüne, mit der sich Peer anschließend einlässt, hebt sich farblich von den anderen Frauen ab. Sie ist es auch, die ihn aus seiner anschließend aufgebauten heilen Welt mit Solveig wieder herausreißt. Wenn er dann ans Sterbebett seiner Mutter eilt, zieht er diese erneut in einem Karren über die Bühne, um sie in seine Fantasiewelt zu entführen, doch Aase haucht auf der Fahrt ihr Leben aus, was von Laudere bewegend umgesetzt wird. Schnittkes Musik begleitet die Episoden dabei sehr lautmalerisch und fängt die jeweiligen Stimmungen gut nachvollziehbar ein. Der zweite Teil stellt Peers Wanderschaft aus dem vierten Akt von Ibsens Drama als steile Karriere eines Tänzers dar. Wie durch Zufall gelangt Peer am Anfang zu einem Vortanzen. Der Choreograph und der Produzent werden aufgrund seiner unkonventionellen Art auf ihn aufmerksam und engagieren ihn für ihre Show. Sehr ironisch wird hier mit dem klassischen Ballett gespielt. Einem Tänzer, der mit grazilen Sprüngen immer aus der Reihe tanzt, rät man, sich diese Extravaganzen doch für seinen Auftritt im Bolschoi-Theater aufzusparen. Schnittke bedient hier absolut gekonnt die oberflächliche Musik des Revuetheaters. Auch die Kostüme bedienen dieses Konzept absolut treffend. In glitzerndem Kostüm tritt Peer als Regenbogensextett auf, wobei die anderen Tänzer nach und nach von Peers Aspekten ersetzt werden und aus den Regenbogenfarben sich das rote Kostüm Peers immer mehr durchsetzt. Mit beeindruckenden Bildern wird dann Peers anschließende Filmkarriere gezeigt. Während zunächst noch Anitra (Carolina Agüero) der Star der Leinwand ist, verdrängt Peer sie allmählich immer mehr von den Filmplakaten, bis er schließlich als "Kaiser der Welt" regelrecht größenwahnsinnig wird. Das führt dann auch dazu, dass Peer im Irrenhaus landet. Sein Filmkostüm tauscht er gegen eine Zwangsjacke ein. Peer (Ensemble) als "Jedermann", im Hintergrund: die wartende Solveig (Alina Cojocaru) Der letzte Teil schildert dann seine Rückkehr nach Norwegen. In einem grauen Anzug sieht man ihn zunächst in einem Ruderboot auf der Bühne, das anschließend von seinen Aspekten zum Kentern gebracht wird. Auf der folgenden Suche nach sich selbst, tritt dann das ganze Ensemble in einem grauen Anzug mit Hut auf. Wahrscheinlich wird nun auf das Zwiebelgleichnis angespielt. Wie die einzelnen Schichten der Zwiebel streift er die einzelnen Tänzer ab, indem er sie zu Boden wirft und findet dennoch keinen Kern, sondern trifft nur auf eine weitere Schale. Doch dann offenbart ihm Solveig scheinbar diesen Kern, indem sie ihm den grauen Anzug abstreift. Nun ist er nicht mehr die graue Masse sondern ein Individuum. In einem ausgedehnten Adagio befreit er auch Solveig aus ihrem weißen Kleid der Erinnerungen und tanzt mit ihr ein langsames nicht enden wollendes Pas de deux, in das das restliche Ensemble in ähnlichem Outfit ebenfalls einsteigt. Zum Ende hin wird diese Stelle allerdings etwas langatmig, da eigentlich nichts mehr passiert. Neumeier möchte mit diesem Epilog wohl dem Ende des Dramas entgegenwirken, da ihm bei Ibsen die Wiederbegegnung zwischen Solveig und Peer am Ende doch etwas zu kurz geraten scheint. Musikalisch zaubern die Philharmoniker Hamburg unter der Leitung von Markus Lehtinen einen betörenden Klang aus dem Orchestergraben, so dass alle Beteiligten am Ende dieser B-Premiere mit lang anhaltendem Applaus belohnt werden. FAZIT John Neumeier macht mit seiner Choreographie deutlich, dass man Peer Gynt auch ohne Edvard Griegs Musik als Handlungsballett bewegend umsetzen kann. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreographie und Inszenierung,
Bühnenbild und Kostüme Philharmoniker Hamburg
Solisten
Peer Gynt
Aase, seine Mutter
Peers Aspekte
Vision Aggression Karen Azatyan
Zweifel
Solveig
Die Andere - Ingrid, die Grüne, Anitra
Mads Moen, der Bräutigam
Ingrids Vater
Solveigs Eltern
Bergbauern und -bäuerinnen Yuka Oishi Madoka Sugai Nako Hiraki Emanuel Amuchástegui Silvano Ballone Zachary Clark Christopher Evans Aljoscha Lenz Marcelino Libao Matias Oberlin Kiran West
Trollwelt
Choreograph
Produzent
Pianist
Tänzer
Nummern-Girl
Regenbogensextett
Sklavinnen
Damen und Herren der Gesellschaft
Gladiatoren
Fächerträgerinnen
Blumenjungfrauen
Sklaven
Maskenbildner
Ankleiderin
|
- Fine -