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Musiktheater
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Oreste

Oper in drei Akten
Text nach einem Libretto von Giovanni Gualberto Barlocci
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 40' (eine Pause)

Premiere im Theater am Goetheplatz am 24. Mai 2015
(rezensierte Aufführung: 27.05.2015)

 

 

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Theater Bremen
(Homepage)

Schatten der Vergangenheit

Von Thomas Molke / Fotos von Jörg Landsberg

Während sich Cecilia Bartoli bei den diesjährigen Salzburger Pfingstfestspielen unter dem Motto "So ruf ich alle Götter" bei der szenischen Opernproduktion mit Christoph Willibald Glucks Iphigénie en Tauride beschäftigt, präsentiert das Theater Bremen nahezu zeitgleich eine andere Version des berühmten Stoffes, der sich in Deutschland vor allem durch Goethes Iphigenie auf Tauris großer Bekanntheit erfreut. Doch während Glucks und Goethes Auseinandersetzungen mit dem Thema einem regelrechten Iphigenie-Hype entsprangen, den das 1757 in Paris uraufgeführte und auf der antiken Tragödie von Euripides basierende Schauspiel von Guimond de la Touche ausgelöst hatte, geht das Theater Bremen mit Händels Fassung weiter zurück. So ist hier auch nicht die Atridentochter die Titelfigur, sondern ihr Bruder Orest.

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Oreste (Ulrike Mayer) wird von Wahnvorstellungen (Patrick Zielke als Videoprojektion) getrieben.

Die Oper beginnt mit Orest (Oreste), der einem Orakelspruch folgend nach Tauris zum Tempel der Artemis kommt, um von seiner Schuld befreit zu werden. Schließlich hat er, um den Mord an seinem Vater Agamemnon zu rächen, die eigene Mutter Klytämnestra getötet und wird seitdem von den Furien verfolgt und von Wahnsinnsattacken gequält. Auf Tauris trifft er auf seine Schwester Iphigenie, die ihn vor dem Opfertod bewahren will. Da dem König Thoas nämlich prophezeit worden ist, dass er einst durch Oreste sterben werde, soll auf Tauris jeder Neuankömmling getötet werden. Die Geschwister erkennen sich zunächst nicht. Auch Orestes Ehefrau Hermione und sein Freund Pylades landen auf der Suche nach Oreste auf Tauris. Während Pylades sofort gefangen genommen wird, verliebt sich Thoas in Hermione und bietet ihr die Freiheit an, wenn sie seine Gefühle erwidert. Doch Hermione weist ihn zurück. Als Oreste erfährt, dass Pylades in Gefangenschaft geraten ist, weigert er sich, die Insel zu verlassen, und will seinen Freund retten. Dadurch gerät auch er in Thoas' Gewalt. Iphigenie soll nun die Opferung der Gefangenen durchführen. Verzweifelt bittet sie Thoas' Diener Philoktet um Hilfe, der ihr Unterstützung zugesichert hat, wenn sie seine Gefühle erwidert. Da gibt sich Pylades als Oreste aus, um den Freund zu retten, woraufhin Oreste seine wahre Identität enthüllt. In der allgemeinen Verwirrung töten sie Thoas und befreien damit Tauris vom Tyrannen.

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Iphigenie (Marysol Schalit) will den Unbekannten (Ulrike Mayer) retten.

Das Regie-Team um Robert Lehniger interpretiert Thoas als das personifizierte Böse, das auch die anderen Figuren im Stück motiviert. So tragen Oreste als Muttermörder und Iphigenie als Opferpriesterin ebenfalls einen Teil dieses Bösen in sich. Lehniger lässt deshalb Thoas auch als Agamemnon auftreten, der Iphigenie als Kind opfert und dann in einer Videoprojektion in der Wanne brutal abgestochen wird. Wenn Iphigenie dann in Ausübung ihres Amtes die Neuankömmlinge mit einem Schwert hinrichtet, sieht man nicht nur auf ihrem Kopf ein Geweih, das wohl andeuten soll, dass Artemis sie kurz vor dem Tod mit einer Hirschkuh vertauscht hat, die an ihrer Stelle gestorben ist, während Iphigenie nach Tauris gekommen ist, sondern sieht auch mit jedem Hieb Blut in ihr Gesicht spritzen. Doch Thoas schlüpft auch in die Rolle der Klytämnestra und muss sich leicht bekleidet mit einem aus riesigen Kissen geformten Teddy vergnügen, der wohl ihren Geliebten Ägisth darstellen soll, bis Oreste dann den Muttermord begeht. Bei Orestes Vermählung mit Hermione offenbart sich dann auch nicht Hermiones, sondern Thoas' Gesicht unter dem Schleier, was Oreste durch ein riesiges Schilffeld fliehen lässt. In diesem Feld sieht man später auch Oreste und Pylades als Kinder tollen, wobei die beiden Jugendlichen in einer späteren Sequenz Zärtlichkeiten austauschen, die durchaus homoerotische Züge haben. Doch auch Hermiones Beziehung zu Thoas ist zwiespältig. Während sie auf der Bühne und im Gesang das Werben des Königs zurückweist, gibt sie sich ihm in einer Videoprojektion leidenschaftlich hin und scheint dabei auch eine gewisse Lust zu empfinden.

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Weitere Wahnvorstellungen bei Oreste (Ulrike Mayer, Mitte): Statt Hermione (Nerita Pokvytytė, rechts) trägt Thoas (Patrick Zielke) den Schleier.

Doch Thoas ruft nicht nur in den anderen Figuren die Schatten der Vergangenheit wach, sondern manipuliert in den Videoprojektionen auch wie ein Gott das ganze Geschehen. Zum einen erscheint sein Gesicht während der Ouvertüre auf dem Vorhang und erzählt im Anschluss die Vorgeschichte, die im Libretto eigentlich fehlt, weil man damals davon ausgehen konnte, dass die Zuschauer alle mit dem kompletten Mythos vertraut waren. In weiteren Sequenzen scheint er in der Projektion das ganze Bühnenbild wie ein Spielzeug in der Hand zu haben und die Figuren nach Gutdünken durcheinander wirbeln zu können. Da mutet die Szene, in der er ermordet wird, schon beinahe makaber an. Während Oreste ihn zunächst mehrmals absticht, erstickt ihn Hermione anschließend mit einem Kissen, bevor Iphigenie ihn in einem Bottich ertränkt, Philoktet ihn mit einem Telefon erschlägt und Pylades ihn schließlich zwischen einer Tür einklemmt. Da scheinen die übrigen Figuren sicherstellen zu wollen, dass sie "das Böse" wirklich ausrotten. Doch auch hier macht ihnen Thoas einen Strich durch die Rechnung. Während alle im Schlusschor jubelnd singen, dass das Böse endlich besiegt worden ist, lächelt Thoas erneut mit einem bösen Grinsen aus einer Videoprojektion und verkündet nach dem letzten Ton des Orchesters "Ich bin Oreste". Damit greift er natürlich einerseits die Szene wieder auf, in der sich alle als Oreste ausgeben, um Thoas zu verwirren. Andererseits macht er deutlich, dass das Böse eben in jedem steckt, auch in Oreste.

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Oreste (Ulrike Mayer, vorne rechts) und Pylades (Hyojong Kim, vorne links) wollen gemeinsam in den Tod gehen (im Hintergrund: Philoktet (Christoph Heinrich)).

Musikalisch ist der Abend komplett mit Ensemblemitgliedern besetzt. Das führt durch die Erkrankung von Nerita Pokvytytė zu einem kleinen Problem. Berit Solset singt die Partie der Hermione von der Seitenbühne ein, während die Regiehospitantin die szenische Darstellung übernimmt. Solset begeistert bei den Arien mit leuchtendem Sopran, und Wagner kommt Pokvytytė optisch sehr nahe, so dass auch die Videoprojektionen zu keiner Verwirrung führen. Dass allerdings einige Rezitative im zweiten Teil, die Solset wohl wegen der Kürze der Zeit - sie hat die Partie quasi auf der Zugfahrt von Potsdam nach Bremen einstudiert - nicht mehr übernehmen konnte, von einem Mann aus dem Orchestergraben eingesungen werden, irritiert dann doch ein wenig, weil man dabei dann wirklich Schwierigkeiten hat, sie mit Hermione zu verbinden. Ansonsten überzeugt der Abend musikalisch auf ganzer Linie. Marysol Schalit stattet die Iphigenie mit kräftigem Sopran und sauberen Höhen aus. Ulrike Mayer verfügt mit ihrem Mezzo über große Virilität, so dass man ihr die Hosenrolle optisch und stimmlich in jeder Hinsicht abnimmt. Hyojong Kim begeistert als Pylades mit strahlendem Tenor, und Patrick Zielke mimt als Thoas nicht nur darstellerisch einen wunderbar fiesen Bösewicht, sondern verleiht dem König der Taurer auch mit schwarzem Bass etwas Diabolisches. Christoph Heinrich gefällt als Philoktet mit weichem Bass-Bariton. Wieso er allerdings wie ein Hund über die Bühne rasen und für Thoas ein Stöckchen mit dem Mund fangen muss, bleibt einer der unnötigen Regieeinfälle. Olof Boman erweist sich am Pult der Bremer Philharmoniker als Barockspezialist und erzeugt einen frischen Klang aus dem Graben, so dass es am Ende lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Das Theater Bremen beweist auch fernab der diversen Händel-Festspiele, dass ein äußerst selten gespieltes Werk wie Oreste musikalisch seine Meriten hat und durchaus einen Platz im Repertoire verdient.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Olof Boman

Regie und Video
Robert Lehniger

Bühne und Kostüme
Irene Ip

Choreographie
Emmanuel Obeya

Licht
Christian Kemmetmüller

Dramaturgie
Katinka Deecke

 

Bremer Philharmoniker


Solisten

*rezensierte Aufführung

Oreste
Ulrike Mayer

Thoas
Patrick Zielke

Hermione
Nerita Pokvytyt
ė /
*Berit Solset (Gesang)
*Nele Wagner (Szene)

Iphigenie
Marysol Schalit

Pylades
Hyojong Kim

Philoktet
Christoph Heinrich

Kinderstatisten
*Letizia Menne /
Anna Berthold
Bruno Fischer /
*Constantin Hussong

Video
Akira Baumgarten
Samuel Kim
Hale Richter
Justus Testor


Weitere Informationen
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Theater Bremen
(Homepage)





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