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Vanessa

Oper in drei Akten
Text von Giancarlo Menotti
Musik von Samuel Barber
mit Auszügen aus The Lovers von Samuel Barber

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)


Premiere im Theater Hagen am 7. März 2015

Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Aus der Zeit gefallen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre (© Theater Hagen)

Samuel Barber ist in der landläufig mitteleuropäischen Wahrnehmung als Komponist eines einzigen, ziemlich kurzen Werkes bekannt, eines hübschen Adagio für Streichorchester, das sein zweifelhaft populäres Dasein irgendwo zwischen Wunschkonzert und „Klassik zum Träumen“ fristet. Eben diese hörerfreundliche Popularität stand sicher auch der Verbreitung der Oper Vanessa im Wege, die bei den Salzburger Festspielen 1961 Spott und Hohn der Kritikergilde erntete („50 Jahre Rückstand“ auf die europäische Moderne diagnostizierte etwa der Spiegel, die Wiener Arbeiter Zeitung sprach von einer „Plüschoper“). Inhaltlich wie kompositorisch ganz in der spätromantischen, durch und durch tonalen Tradition verhaftet (wenn auch mit eigenem Stil), im fernen Amerika ohne den auch ästhetischen Bruch von 1945 entstanden (und nicht einmal erkennbar „amerikanisch“), muss das Werk bei allen Fortschrittsgläubigen als haarsträubender Anachronismus gewirkt haben. Mit der gewachsenen zeitlichen Distanz ist die amerikanische Moderne auch an deutschen Theatern ein wenig salonfähiger geworden, nicht zuletzt durch das beharrliche Engagement des Theater Hagen um diese Stilrichtung.

Vergrößerung in neuem Fenster Die altende Diva: Vanessa Katrina Sheppeard) hängt ihrer Vergangenheit als Stummfilmstar nach

Vanessa wartet mit einer nicht ganz unüblichen Figurenkonstellation auf: Ein Mann zwischen zwei Frauen. Die alternde Vanessa trauert ihrer Jugendliebe Anatol nach, ja noch mehr: Sie wartet über 20 Jahre abgeschottet in einem einsamen Landhaus auf dessen Wiederkehr, umgeben von ihrer adeligen Mutter (die nicht mit ihr spricht) und ihrer jungen Nichte Erika. Doch nicht der Erwartete kommt, sondern dessen Sohn, auch er heißt Anatol, und der verbringt gleich eine nicht ganz folgenlose Liebesnacht mit Erika, die sich aber nicht zu einer dauerhaften Beziehung durchringen kann. Schließlich heiratet Anatol doch Vanessa, die ihre Liebe zum (längst verstorbenen) Vater auf den Sohn projiziert. Vanessa und Anatol verlassen das Haus, die geschwängerte Erika verliert bei einem Selbstmordversuch das Kind und bleibt mit der greisen Baronin vereinsamt zurück.

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Man liest Drehbücher: Vanessas Mutter, die alte Baronin (Gudrun Pelker, links), Erika (Kristine Larissa Funkhauser, mitte) und Vanessa (Katrina Sheppeard) und Vanessa

Ein wenig riecht das Libretto von Gian Carlo Menotti schon wie eine Ansammlung von Versatzstücken aus der mitteleuropäischen Opern- und Literaturgeschichte, aber, und darauf kommt es ja letztendlich an, es liefert nicht ungeschickt die Seelenzustände für Barbers hochexpressive Musik – und die recht ordentlich aufspielenden Hagener Philharmoniker unter der Leitung von Chefdirigent Florian Ludwig lassen es erstaunlich frisch klingend donnern und krachen oder auch zart schwebend leuchten. Regisseur Roman Hovenbitzer witterte wohl dennoch bei allen musikalischen Reizen die Gefahr, angesichts der ziemlich konventionellen Form allzu leicht in szenische Plattitüden zu verfallen, und hat zusätzliche (Be-)Deutungsebenen eingezogen. Zunächst bringt er mit dem Film ein weiteres Medium ins Spiel: Ganz konkret, indem er Vanessa als Diva der Stummfilmzeit vorführt, die aus der Zeit gefallen ist und ihrer ruhmreichen Vergangenheit nachhängt. Ihr Salon ist gleichzeitig ein Kinosaal, und hinter der Leinwand erkennt man schnell die unverputzte Rückwand des Hauses (Ausstatter Jan Bammes springt ein wenig vordergründig mit solcher Symbolik um). Aber die an vielen Stellen eingeblendeten Filmsequenzen verwischen auch die Trennlinie zwischen Realität und Einbildung. Es bleibt in der Schwebe, ob sich die Geschichte tatsächlich ereignet oder doch nur ein Produkt der Phantasie Vanessas ist.

Vergrößerung in neuem Fenster Liebe macht auf mindestens einem Auge blind, will der Chor der Wölfe wohl sagen: Vanessa (Katrina Sheppeard) und Anatol (Richard Furman)

Aus der Nichte Erika macht Hovenbitzer die Tochter, Folge der seinerzeitigen Affäre mit Anatol, was gemäß dem Libretto zeitlich so ungefähr hinkommt. Wirklich notwendig ist dieser (dem Programmheft zu entnehmende) Eingriff in die Handlung zwar nicht, schafft aber einen zusätzlichen psychologischen Spannungsbogen – wobei diese und andere Regieakrobatik eben auch den Verdacht nährt, dass die dramaturgische Substanz der Oper vielleicht doch etwas dünn geraten ist. Erika gleicht Vanessa aufs Haar, was noch einmal verstärkt, dass sich die Geschichte wiederholt: Auch sie wird an der verpassten Chance vereinsamen. Insofern passt es, dass sich Kristine Larissa Funkhauser als (mit lyrischem Sopran überzeugende) Erika und Katrina Sheppeard als recht leichtgewichtige jugendlich-dramatische Vanessa im Timbre kaum unterscheiden; unter musikalischen Gesichtspunkten hätte man sich eine Vanessa mit noch größerer Durchschlagskraft gewünscht als die solide singende Australierin. So bleibt unbestimmt, ob es eigentlich um Vanessa der nicht doch um Erika geht – wodurch dem Stück ein wenig das Zentrum fehlt.

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Zukunftsvisionen: Vanessa (Katrina Sheppeard, links) beschäftigt sich mit ihrem neuen Heim in Paris, Erika (Kristine Larissa Funkhauser) wird vereinsamt zurück bleiben.

Aufhorchen lässt der junge Amerikanischer Richard Furman als Anatol mit immer klangschönem, beweglichem und höhensicherem Tenor (die jugendlichen Wagner-Helden hat der Amerikaner auch schon im Repertoire, da darf man gespannt sein), und auch Ilkka Vihavauinens profunder Bass für den Arzt ist durch und durch souverän. Gudrun Pelker, für die erkrankte Marilyn Bennett eingesprungen, verleiht den wenigen gesungenen Passagen der alten Baronin die erforderliche Präsenz. Der altgediente Hagener Kammersänger Horst Fiehl hat ein paar hübsche Szenen als Diener. Musikalisch also macht sich das Theater Hagen einmal mehr auf hohem Niveau um die amerikanische Oper verdient.


FAZIT

Sehens- und hörenswert, auch wenn die bemerkenswerte Hagener Produktion nicht alle Einwände gegen Barbers Vanessa ausräumen kann.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ludwig

Inszenierung
Roman Hovenbitzer

Ausstattung
Jan Bammes

Licht
Ulrich Schneider

Video
Volker Köster

Choreinstudierung
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Imme Winckelmann


Chor des Theater Hagen

Philharmonisches
Orchester Hagen


Solisten

* Besetzung der Premiere

Vanessa
Katrina Sheppeard

Erika
Kristine Larissa Funkhauser

Anatol
Richard Furman

Doktor
Ilkka Vihavainen

Baronin
Marilyn Bennett
* Gudrun Pelker

Haushofmeister
Horst Fiehl

Ein Musiker
Alexander Marrosov /
* Alexander Pankow

Pastor
Martin Schaepe


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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