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Fidelio

Oper in zwei Aufzügen
Libretto von Joseph Ferdinand Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke
Neue Textfassung von Jenny Erpenbeck
Musik von Ludwig van Beethoven

In deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 18. April 2015
(rezensierte Aufführung: 24.04.2015)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Eine Frau blickt zurück

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)

Ungefähr zehn Jahre lang arbeitete Ludwig van Beethoven seine einzige Oper Fidelio von der ersten Fassung, die am 20.11.1805 im Theater an der Wien ihre Uraufführung erlebte, bis zu der heute geläufigen Version um und komponierte dabei unter anderem vier verschiedene Ouvertüren. Doch nicht nur musikalisch erfuhr das Werk zahlreiche Änderungen. Auch die gesprochenen Dialoge wurden im Laufe der Zeit immer mal wieder abgewandelt. So schuf beispielsweise die Autorin Jenny Erpenbeck 2007 eine neue Textfassung, die eine alte Leonore einführt, die viele Jahre später auf das Geschehen von damals zurückblickt und mit ihrer Verbitterung das "Prinzip Hoffnung", welches sich eigentlich als Leitthema durch die Musik zieht, permanent in Frage stellt und somit dem glücklichen Ende der "Befreiungsoper" einen faden Beigeschmack gibt. Dabei gibt Erpenbecks Text allerdings keinerlei Hinweise darauf, welche Ereignisse dazu geführt haben könnten, dass der positive Schluss der Oper für Leonore und Florestan nicht die ersehnte Zukunft gebracht hat.

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"Mir ist so wunderbar": von links: Jaquino (Kejia Xiong), die alte Leonore (Harriet Kracht), Marzelline (Maria Klier), Rocco (Rainer Zaun) und Leonore (Sabine Hogrefe)

Sind es die zerstörten Ideale einer jungen Frau, die den Sinn der errungenen Freiheit hinterfragen? Die gesprochenen Texte jedenfalls wirken zwischen den musikalischen Nummern wie ein Fremdkörper und ziehen den Abend stellenweise in die Länge. Schon direkt nach der Ouvertüre, die vom Philharmonischen Orchester Hagen unter der Leitung von Florian Ludwig an einigen Stellen recht ungenau angegangen wird - so hat vor allem das Blech Intonationsprobleme -, hat man das Gefühl, dass der Monolog der alten Leonore überhaupt kein Ende nimmt, bevor Marzelline und Jaquino zu ihrem Duett übergehen. Dabei liegt es keinesfalls an Harriet Kracht, die als alte Leonore über eine enorme Bühnenpräsenz verfügt und allein mit ihrer Mimik das ganze Stück dominiert. Nahezu jeden einzelnen Satz knallt sie dem Zuschauer wie eine Ohrfeige ins Gesicht, so dass man selbst beim jubelnden Chor am Ende des Abends keine Freude über die Befreiung vom Tyrannen Pizarro empfinden kann. Auch wird nicht immer ganz klar, wessen Text die alte Leonore denn jetzt gerade spricht. Wie ein Geist wandelt sie zwischen den Figuren der Oper umher und wird von diesen nicht wahrgenommen. Nur Florestan umklammert im zweiten Akt ihre Beine, wenn er seinen "Engel Leonore" besungen hat. Allein in diesem Moment bröckelt die emotionslose Fassade, die Kracht um die Figur der alten Leonore aufgebaut hat.

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Don Pizarro (Rolf A. Scheider, Mitte) weist Rocco (Rainer Zaun, rechts) an, ein Grab für den Gefangenen Florestan auszuheben.

Das Regie-Team um Gregor Horres hält das Stück in der Ausstattung relativ zeitlos und verzichtet bewusst auf aktuelle Anspielungen. Jan Bammes hat einen flexiblen Bühnenraum geschaffen, der sich ohne großen Aufwand von Roccos Wohnung in den Gefängnishof verwandeln lässt. Hässliche hohe graue Wände mit sterilen Fliesen lassen Roccos Küche wie ein Vorzimmer des Gefängnisses erscheinen, das sich hinter der Rückwand befindet, die später in den Schnürboden gezogen wird und dem Raum nur mehr Tiefe gibt, ohne ihn dabei in seiner Struktur zu verändern. In Roccos farbloser Wohnung hängt ein riesiges Foto an der Wand, das die unberührte Natur in Form eines riesigen Waldes in Kontrast zum farblosen Rest der Wände und des Bodens stellt. Auch im Gefängnishof schimmert im Hintergrund auf einem Bild von einer Insel die Hoffnung auf Freiheit durch. Doch dieses Bild wird im Laufe des ersten Aktes von der alten Leonore teilweise abgerissen. Der zweite Akt ist noch düsterer gestaltet. Über den ganzen Boden ist nun brauner Torf verteilt, der wohl für das ausgehobene Grab Florestans steht. Wenn dann Don Fernando gewissermaßen als Deus ex machina auftritt, werden die grauen Wände mit weißen Tüchern bedeckt, die nicht weniger steril sind und mit dem strahlend weißen Anzug des Ministers korrespondieren. Ob Pizarro am Ende wirklich seiner ihm gebührenden Strafe zugeführt wird, bleibt offen. Zwar sticht die alte Leonore den Gouverneur am Ende ab, aber Pizarro gesellt sich dennoch trotz Blutflecken auf seinem weißen Hemd zum jubelnden Schlusschor. Wieso Bammes für den Chor am Ende scheinbar den Fundus geplündert und unterschiedliche Epochen zusammengestellt hat, erschließt sich nicht wirklich. Soll damit die Zeitlosigkeit der Geschichte unterstrichen werden?

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Wiedersehensfreude im Kerker: Leonore (Sabine Hogrefe) und Florestan (Richard Furman), rechts: die alte Leonore (Harriet Kracht)

Die beiden Hauptpartien sind mit zwei Gästen gut besetzt. Sabine Hogrefe verleiht der Partie der Leonore stimmlich zahlreiche Schattierungen. So punktet sie einerseits in den dramatischen Ausbrüchen mit sauberen Höhen, die allerdings nicht immer ganz textverständlich sind, und verfügt andererseits auch in der Mittellage und in den Tiefen über ein enormes Volumen. Darstellerisch kann sie durchaus mit Kracht als alter Leonore mithalten. Die große Arie im ersten Akt, "Abscheulicher! Wo eilst du hin?", in der Leonore sich selbst ermutigt, ihr Vorhaben, den vermissten Gatten zu finden, nicht aufzugeben, wird von Hogrefe nicht nur stimmlich beeindruckend umgesetzt. Auch beim späteren Abstieg in Florestans Zelle gelingt es Hogrefe, den inneren Kampf dieser Frau glaubhaft zu vermitteln. Richard Furman, der in Hagen bereits in Barbers Vanessa mit strahlendem Tenor aufhorchen ließ, erweist sich auch für die Partie des Florestan als Glücksgriff. Hat man noch beim ersten Ton seiner großen Arie zu Beginn des zweiten Aktes, "Gott, welch Dunkel hier!", leichte Zweifel, ob Furman den Anforderungen der Rolle gewachsen ist, macht er sehr schnell deutlich, dass er den Anfang nur deshalb etwas schwächer und leicht schrill angesetzt hat, um den Zustand des Gefangenen zu illustrieren. Mit seinem ekstatischen Traum vom "Engel Leonore" stellt Furman anschließend sofort unter Beweis, zu welchen dramatischen Höhenflügen er mit sauber Stimmführung und hervorragender Textverständlichkeit fähig ist. Auch das Duett mit Hogrefe entwickelt sich zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends.

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Don Fernando (Kenneth Mattice, vorne rechts) lässt sich vom Volk (Chor, im Hintergrund) als Retter feiern (vorne links: Rocco (Rainer Zaun), Mitte: die alte Leonore (Harriet Kracht)).

Die weiteren Partien sind größtenteils mit Mitgliedern des Ensembles besetzt. Rainer Zaun stattet den Kerkermeister Rocco mit beweglichem Bass aus. Unklar bleibt, wieso das Regie-Team ihn mit einer steifen Hand straft, was ihm den Umgang mit der Spitzhacke im zweiten Akt deutlich erschwert. Maria Klier gibt mit jugendlichem Sopran eine bezaubernde Marzelline, die in den Höhen allerdings bisweilen etwas schrill wird. Wieso Horres sie bei ihrer Auftrittsszene den Boden schrubben lässt, obwohl im gesprochenen Text vom Bügeln die Rede ist, erschließt sich nicht. Kejia Xiong gefällt als Marzellines verstoßener Bräutigam Jaquino mit leichtem Spieltenor und darf darstellerisch seiner Aggression über die Zurückweisung seiner Geliebten auf der Bühne durchaus Luft machen. Rolf A. Scheider rettet als durchtriebener Pizarro den Abend für den eigentlich eingeplanten Joachim Goltz, der im Stau stecken geblieben ist und es nicht rechtzeitig zur Aufführung nach Hagen geschafft hat. Kenneth Mattice bleibt als Minister Don Fernando stimmlich eher blass. Der von Wolfgang Müller-Salow einstudierte Herrenchor lässt den berühmten Gefangenenchor aus dem ersten Akt, "Oh, welche Lust!", zu einem weiteren musikalischen Höhepunkt des Abends werden, und auch der komplette Opernchor präsentiert sich beim jubelnden Finale stimmgewaltig. Wie oben bereits erwähnt, überzeugt das Philharmonische Orchester Hagen an diesem Abend nicht auf ganzer Linie.

FAZIT

Auch wenn man in Hagen vielleicht froh ist, dass Gregor Horres auf eine mehr oder weniger unpassende Aktualisierung des Stoffes verzichtet, bleibt fraglich, ob die Textfassung von Jenny Erpenbeck eine so glückliche Wahl ist, da sie in starkem Widerspruch zur hoffnungsvollen Musik steht.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ludwig

Inszenierung
Gregor Horres

Bühnenbild und Kostüme
Jan Bammes

Licht
Ulrich Schneider

Chor
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Dorothee Hannappel

 

Opernchor und Extrachor
des Theater Hagen

Philharmonisches Orchester
Hagen


Solisten

*rezensierte Aufführung

Don Fernando, Minister
Kenneth Mattice

Don Pizarro, Gouverneur eines
Staatsgefängnisses

Joachim Goltz /
*Rolf A. Scheider

Florestan, ein Gefangener
Richard Furman

Leonore, seine Frau unter dem Namen Fidelio
Sabine Hogrefe

Alte Leonore
Harriet Kracht

Rocco, Kerkermeister
Rainer Zaun

Marzelline, seine Tochter
Maria Klier

Jaquino, Pförtner
Kejia Xiong

1. Gefangener
Matthew Overmeyer

2. Gefangener
Sebastian Joest /
*Egidijus Urbonas


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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