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Kehraus um St. Stephan

Satirische Oper in zwei Teilen
Musik und Text von Ernst Krenek

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 16. Mai 2015
(rezensierte Aufführung: Dernière am 11.07.2015)



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Zurück zur Natur

Von Thomas Molke / Fotos von Rolf K. Wegst

60 Jahre hat es gedauert, bis Ernst Kreneks satirische Zeitoper Kehraus um St. Stephan 1990 an der Wiener Staatsoper zur Uraufführung gelangte, die eigentlich für 1930 in Leipzig angesetzt war. Man hatte damals sogar schon mit der Anfertigung des Bühnenbildes begonnen, als die Bedenken gegen die inhaltliche Brisanz der Oper immer lauter wurden und letztendlich zur Absetzung des Werkes führten. So verwundert es auch nicht, dass Kreneks Werke nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten von den Spielplänen verbannt wurden, da die künstlerische Gestaltung als "entartet" und Krenek selbst als "Kulturbolschewist" betrachtet wurden. Es grenzt nahezu an ein Wunder, dass Krenek selbst im hohen Alter von 90 Jahren die Uraufführung in Wien noch miterleben konnte, die damals mit stehenden Ovationen von Publikum und Presse gefeiert wurde. Bei der Dernière der deutschen Erstaufführung dieses Werkes im Stadttheater Gießen gab es zwar heftigen, aber eher kurzen Applaus, was weniger der Inszenierung oder dem Ensemble anzulasten ist, sondern vielmehr darauf hindeutet, dass Kreneks Musik, die zwar mit ihrem Mix aus Schrammeln, Schlager, Operette und Jazz noch weit von der Zwölftontechnik entfernt ist, mit der Krenek ab 1933 experimentierte, aber dennoch nicht die Eingängigkeit des Belcanto oder Verismo besitzt und weit vom Revuecharakter eines Ralph Benatzky oder der Schlagerseligkeit eines Eduard Künneke entfernt ist.

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Kundrather (Wilfried Staber, rechts) und seine Kinder Ferdinand (Erik Biegel, zweiter von rechts) und Maria (Naroa Intxausti) bewahren den Offizier Othmar Brandstetter (Wolfgang Schwaninger, am Strick) vor dem Selbstmord.

Das Libretto, das Krenek selbst verfasst hat, bietet ein Kaleidoskop verschiedener Bevölkerungsschichten, die nach Ende des Ersten Weltkrieges einen Platz in der vom radikalen Umbruch begriffenen Gesellschaft suchen. Da ist zum einen der ehemalige Offizier Othmar Brandstetter, der nach dem Ende des Kriegs im Wienerwald Selbstmord begehen will, aber von dem Weinbauern Kundrather gerettet wird. Er arbeitet zunächst für Kundrather in den Weinbergen, verkauft anschließend in einem Wiener Vorstadtcafé Aktbilder und versucht dann sein Glück im Prater als Ausrufer, bevor er erkennt, dass er seinen inneren Frieden nur gemeinsam mit der Gräfin Elisabeth in den Weinbergen finden kann. Zum anderen gibt es den Reserveoffizier Alfred Koppreiter, der als Industrieller sein Unternehmen mit unlauteren Mitteln wieder aufzubauen versucht, letztendlich aber an den Intrigen seines Gewerkschaftsvertreters Schwoistaler, hinter dem sich der steckbrieflich gesuchte ungarische Jude Moritz Fekete verbirgt, scheitert. Als ihn auch noch Kundrathers Tochter Maria, der er eine Modeboutique in Wien eingerichtet hat, verlässt und sich als neu gewählte "Miss Vienna" mit dem Berliner Industriellen Kabulke einlässt, der Koppreiters ruinierte Firma aufkauft, nimmt sich Koppreiter das Leben.

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Maria (Naroa Intxausti) und Ferdinand (Erik Biegel) haben hehre Pläne für ihre Zukunft.

Die Bühne von Lukas Noll ist in einen pittoresken Bilderrahmen eingebettet. Als Vorhang dient ein Gemälde, das einen Panoramablick aus dem schönen Wienerwald über Wien mit dem Stephansdom bietet. Der einsame knorrige Baum, der auf der rechten Seite des Bildes zu sehen ist, findet sich auch im Bühnenhintergrund wieder, nur dass er hier auf dem Kopf steht. Auch das restliche Bühnenbild nimmt den lieblichen Charakter des Gemäldes nicht wieder auf. Eine grün gestrichene Wand mit roten Vorhängen in Augenhöhe soll wohl einen Hügel in den Weinbergen Kundrathers darstellen. Die unterschiedlichen Szenen werden mit wenigen Details, die entweder aus dem Schnürboden herabgelassen werden oder von drei Statisten, die in ihren schwarzen Livreen mit vornehmen schwarzen Hüten eine längst vergangene Zeit heraufbeschwören, in gediegenen Bewegungen auf die Bühne getragen. Die Kostüme, für die ebenfalls Noll verantwortlich zeichnet, sind im Gegensatz zum Bühnenbild sehr naturalistisch gehalten und fangen die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen optisch passend ein.

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Moritz Fekete (Tomi Wendt, links) wird von den Arbeitern (Opernchor) gelyncht. Alfred Koppreiter (Martin Berner, rechts) schaut zu.

Musikalisch wartet Krenek mit einer großen Bandbreite auf, die die unterschiedlichen Stile jeweils situationsbezogen anwendet, im Ganzen allerdings genauso konfus und widersprüchlich bleibt wie die Handlung des Stückes. Zwar schimmert an einzelnen Stellen die Walzerseligkeit eines Rosenkavaliers durch, im nächsten Moment ist die Musik aber wieder gebrochen wie die Figuren des Stückes.  So wie diese die ganze Zeit auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft sind, lässt auch Kreneks Musik den Zuhörer nicht verweilen, was stellenweise etwas anstrengend sein kann und vielleicht auch dazu führt, dass nach der Pause einzelne Plätze im Zuschauersaal frei bleiben. Dass Krenek textlich dem unzivilisierten Berliner Spekulanten Kabulke Parolen in den Mund legt, die bereits die aufkommenden Kriegspläne der Nationalsozialisten erkennen lassen, erfüllt den Zuhörer mit Schrecken. Hans Hollmann arbeitet in seiner Inszenierung in einer ausgeklügelten Personenregie den zynischen Unterton des Stückes sorgfältig heraus. Unterstützt wird diese Ironie noch von einer Tonbandstimme, die im Wiener Schmäh von einer Szene zur nächsten überleitet.

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Unten von links: Maria (Naroa Intxausti), Ferdinand (Erik Biegel), Kabulke (Tomas Möwes) und Kereszthely (Dan Chamandy) wollen ihr Glück in Berlin suchen, während Brandstetter (Wolfgang Schwaninger, oben rechts) mit Elisabeth (Heike Susanne Daum, oben) in Kundrathers (Wilfried Staber, oben links) Weinbergen bleiben will.

Getragen wird die Inszenierung von einem hervorragenden Ensemble. Zu nennen ist hier zunächst Wilfried Staber als Weinbauer Kundrather, der mit knorrigem Bass und wunderbarem Wiener Dialekt absolut authentisch klingt. Auch musikalisch gibt seine Klage am Ende des ersten Teils, wenn Kundrather verzweifelt die Würde des Menschen hinterfragt, dem Zuhörer einen nachdenklichen Moment des Innehaltens. Erik Biegel gibt seinen Sohn Ferdinand mit leichtem Spieltenor als gefährlichen Wendehals. Naroa Intxausti begeistert mit strahlendem Sopran als ehrgeizige Tochter Maria, die ein Verhältnis mit Koppreiter eingeht, um eine Modeboutique in Wien führen zu können, und ihn dann eiskalt für den Berliner Industriellen Kabulke abserviert. Tomi Wendt gefällt mit solidem Bariton als schmieriger Moritz Fekete, der am Ende von der aufgebrachten Masse gelyncht wird. Martin Berner macht als Alfred Koppreiter mit markantem Bariton den rasanten Aufstieg und Fall des Industriellen auch darstellerisch absolut nachvollziehbar. Wolfgang Schwaninger begeistert als Othmar Brandstetter mit durchschlagskräftigem Tenor und sauberen Spitzentönen. Ihm zur Seite steht Heike Susanne Daum als Elisabeth mit warmem Sopran und verständlicher Diktion. Auch der Chor des Stadttheaters Gießen begeistert als aufrührerische Arbeiter mit kräftigem und homogenem Klang. Chorleiter Jan Hoffmann sorgt auch noch als schmieriger Tangosänger mit manieriertem Spiel für komische Momente. Florian Ziemen arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Gießen die Klangvielfalt Kreneks sorgfältig heraus.

FAZIT

Das Stadttheater Gießen wird mit dieser deutschen Erstaufführung seinem Ruf als Haus selten gespielter Opern erneut gerecht. Als Repertoiretauglich lässt sich dieses Stück allerdings nicht einstufen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ziemen

Inszenierung
Hans Hollmann

Bühne und Kostüme
Lukas Noll

Choreographie "Miss Vienna-Ballett"
Anthony Taylor

Licht
Christopher Moos

Chorleitung
Jan Hoffmann

Dramaturgie
Christian Schröder

 

Chor des Stadttheaters Gießen

Philharmonisches Orchester
Gießen

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Othmar Brandstetter
Wolfgang Schwaninger

Sebastian Kundrather
Wilfried Staber

Ferdinand, sein Sohn
Erik Biegel

Maria, seine Tochter
Naroa Intxausti

Alfred Koppreiter, Industrieller
Martin Berner

Moritz Fekete (auch Schwoistaler und
Rosenbusch)

Tomi Wendt

Emmerich von Kereszthely
Dan Chamandy

Elisabeth Torregiani
Heike Susanne Daum

Nora Rittinghaus
Olga Vogt

Herr Kabulke aus Berlin, Industrieller
Tomas Möwes

Oberwachmann Sachsl
Harald Pfeiffer

Tangosänger
Jan Hoffmann

Drei Pompes Funèbres
Theresa Gehring
Robert Schmidt
*Benjamin Can /
Hermann Kron

Tobias Lämmergeier, ein Tiroler
Klaus-Peter Burger

Flurwächter / Ein weiterer Wachmann
Aleksey Ivanov

Pepi, ein Pülcher
Christian Richter

Abdullah Ali
Vepkhia Tsiklauri

Madonna / Asdali, das Geheimnis
des Orients
Elisabeth Jürgens

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Stadttheater Gießen
(Homepage)



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