Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Der misslungene Brautwechsel oder
Riccardo I.

Oper in drei Akten
Libretto von Christoph Gottlieb Wend und Paolo Antonio Rolli
Musik von Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel

in deutsche und italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 2. April 2015



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Gestrandet im Diner

Von Thomas Molke / Fotos von Rolf K. Wegst

Seit einigen Jahren wird nicht zuletzt auch dank der alle zwei Jahre stattfindenden Telemann-Festtage in Magdeburg Georg Philipp Telemann auf den Theaterbühnen wieder etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Immerhin hat dieser äußerst produktive Komponist des 18. Jahrhunderts neben zahlreichen Instrumentalwerken auch an die 50 Opern komponiert, 25 allein für die Gänsemarktoper in Hamburg, deren Leitung er 1722 übernahm. Das Stadttheater Gießen, das sich nun schon seit Jahren neben dem gängigen Repertoire absoluten Opernraritäten widmet, hat nun ein Werk auf den Spielplan gestellt, das gewissermaßen eine Koproduktion mit Telemanns langjährigem Freund Georg Friedrich Händel darstellt. Telemann überarbeitete nämlich für Hamburg Händels 15 Monate zuvor in London uraufgeführten Riccardo Primo, indem er die Rezitative und die im Libretto enthaltenen, in der Partitur aber nicht gedruckten Arien ins Deutsche übersetzen ließ und neu bzw. nachkomponierte. Auch bei den Gesangspartien nahm Telemann einige Änderungen vor. So wurde die Titelpartie für einen Bariton umgeschrieben und stattdessen die Partie des Philippus (bei Händel Berardo) mit einem Countertenor besetzt. Neu sind bei Telemann auch der Philosoph Gelasius und Formosas Amme Murmilla, die kommentierend das Stück begleiten und der tragischen Geschichte einen komischen Handlungsstrang hinzufügen.

Bild zum Vergrößern

Rock 'n' Roll auf Zypern (links: Isacius (Yannis François), auf der rechten Seite: Formosa (Francesca Lombardi Mazzulli) und Orontes (Magid El-Bushra), in der Mitte: Statisterie)

Das Stück basiert auf der historisch belegten Eroberung Zyperns am 6. Mai 1191 durch Richard Löwenherz (Richardus), als dieser sich auf seinem Weg nach Jerusalem zum Dritten Kreuzzug befand. Der zypriotische Kaiser Isaak Komnenos (Isacius) hatte dessen Braut Berengaria von Navarra (bei Händel: Costanza, bei Telemann: Berengera) gefangen genommen, als sie vor Zypern mit ihrem Vertrauten Philippus (bei Händel: Berardo) Schiffbruch erlitten hatte. Im Zentrum der Opernhandlung stehen aber neben der Befreiung Berengeras weitere Verwirrungen und Verwicklungen. So befiehlt Isacius seiner Tochter Formosa (bei Händel: Pulcheria), sich selbst als Berengera auszugeben, um durch eine Hochzeit mit Richardus die englische Königskrone zu erlangen. Formosa wiederum liebt den syrischen Fürsten Orontes, den sie allerdings für untreu hält, so dass sie sich aus Wut auf ihren Verlobten und aus Pflichtgefühl ihrem Vater gegenüber auf den Betrug einlässt. Doch Orontes deckt den Schwindel auf. Formosa will nun ebenfalls Richardus und Berengera zusammenführen, aber Isacius ist bereit, gegen Richardus und seine Truppen für Berengera in den Krieg zu ziehen. Mit Orontes' und Formosas Hilfe gelingt es Richardus, Berengera zu befreien und Zypern einzunehmen. In seiner großen Güte begnadigt Richardus Isacius, übergibt den zypriotischen Thron an Formosa und Orontes und schwört seiner Berengera ewige Liebe.

Bild zum Vergrößern

Berengera (Naroa Intxausti) und Philippus (Jakub Józef Orliński) "stranden" in einem amerikanischen Diner.

Balász Kovalik, der vor zwei Jahren in Gießen Händels Agrippina in eine Kindertagesstätte verlegt hatte, belässt natürlich die Geschichte weder in Zypern noch in der damaligen Zeit, sondern siedelt sie in einem American Diner am Rande einer Autobahn in der Petticoat-Ära des letzten Jahrhunderts an. Dass Berengera und ihr Begleiter hier Schiffbruch erleiden sollen, wird dadurch zwar nicht nachvollziehbar, aber "stranden" kann man natürlich auch hier, nachdem vielleicht der Wagen seinen Geist aufgegeben hat. Vielleicht erinnert auch deshalb Philippus mit seiner Ledermütze an einen Chauffeur. Ob Richardus allerdings bei seinem Befreiungsschlag im dritten Akt mit einem riesigen Schiff durch die Rückwand brechen muss und auf die Fenster der Raststätte ein Unter-Wasser-Panorama mit Fischen projiziert wird, in dem Richardus in weißem Matrosenanzug mit Rose zwischen den Zähnen zur Rettung der geliebten Berengera angeschwommen kommt, ist diskutabel. Zwar zeigt sich das Premierenpublikum äußerst amüsiert über diesen Einfall, zumal sich Berengera zur gleichen Zeit in ihrer bezaubernden Arie "Il volo così fido" mit einem kleinen Vogel vergleicht, der treu und glücklich in sein Nest zurückkehrt. Aber zum Verständnis der Handlung trägt dieser Einfall genauso wenig bei wie die Idee, Richardus als Rockstar mit schwarzer Lockenpracht auftreten zu lassen, wenn er als angeblicher Bote vor dem zypriotischen König Isacius erscheint, der mit seinem großen Stetson und den Cowboy-Stiefeln an einen Western-Held erinnert.

Bild zum Vergrößern

Maddin Schneider als Gelasius

Die Figur der Murmilla ist in Kovaliks Inszenierung gestrichen. Dafür kommentiert der "Philosoph" Gelasius als Betreiber des Diners mit humoristischen Einwürfen die Szenen. Besetzt hat man die Partie mit dem aus dem Fernsehen bekannten Comedian Maddin Schneider, der in gewohnter "Maddin"-Manier mit hessischem Dialekt die auch für die damalige Zeit wohl recht derben Kommentare passend in die heutige Zeit überträgt. Dabei verfügt Schneider allerdings über die ihm ganz eigene Bühnenpräsenz, die auch dann, wenn er eigentlich nicht im Mittelpunkt der Szene stehen soll, die Aufmerksamkeit des Publikums von den anderen Protagonisten auf ihn lenkt. Während die gesprochenen Sätze den musikalischen Ablauf nicht stören und mal mehr und mal weniger zur Szene passen, hätte Kovalik allerdings auf einen Einfall definitiv verzichten sollen: Schneider sollte nicht singen. Das ist nämlich wirklich überhaupt nicht mehr komisch und stört den ansonsten sehr hohen musikalischen Genuss doch sehr. Auch das Ende der Oper widmet Kovalik dem Comedian. Nachdem Orontes, der in der Inszenierung als amerikanischer Cop auftritt, Isacius mit dem Maschinengewehr erschossen hat, bleibt Schneider mit dem toten König allein auf der Bühne zurück. Nach einem längeren Monolog lässt er den jubelnden Schlusschor aus der Jukebox erklingen, während er selbst sinnierend ins Leere blickt.

Bild zum Vergrößern

Richardus (TomᚠKrál) als Retter in der Not

Mag man an über diesen Regieansatz auch geteilter Meinung sein, lässt die musikalische Gestaltung des Abends keinerlei Wünsche offen. Michael Hofstetter zaubert mit dem Philharmonischen Orchester Gießen einen barocken Sound aus dem Orchestergraben, der zu Recht vom Publikum mit großem Jubel bedacht wird. Als Ensemble-Mitglied stellt Naroa Intxausti wieder einmal ihre Vielseitigkeit unter Beweis. Als Berengera punktet sie mit lyrischem Sopran und glasklaren Höhen, die vor allem in der oben erwähnten Arie "Il volo così fido" im Zusammenspiel mit der Flöte unter die Haut gehen. Auch im Zusammenspiel mit TomᚠKrál in der Titelpartie findet sie in dem großartigen Duett "T'amo sì" zu einer bewegenden Innerlichkeit. Král begeistert mit einem beweglich geführten Bariton. Francesca Lombardi Mazzulli stattet die Formosa mit kräftigem Sopran aus, wobei sie in den deutschen Rezitativen durchaus noch an ihrer Textverständlichkeit arbeiten könnte. Ein Höhepunkt des Abends stellt sicherlich ihre große Arie "L'aquila altera" im zweiten Akt dar, wenn sie Richardus versichert, dass er sich wie ein "Adler" auf "seine Kinder" verlassen könne. Yannis François geht zwar aufgrund seiner Jugendlichkeit gewiss nicht als Formosas Vater durch, beweist aber, dass er neben seinem sauber geführten Bariton auch über einen durchtrainierten Körper verfügt, so dass er sich so gekonnt von der Theke hinter eine Bank stürzen lässt, dass man als Zuschauer zunächst nicht weiß, ob das jetzt ein Unfall oder beabsichtigt war. Ähnlichen Körpereinsatz zeigt der Countertenor Jakub Józef Orliński als Philippus, auch wenn nicht klar wird, wieso er im zweiten Teil Frauenkleider anziehen und anschließend schwer verwundet wieder auftauchen muss. In seiner grandiosen Arie am Ende punktet er nicht nur mit sauberen Koloraturen, sondern begeistert auch als begnadeter Bodenturner, der sich mit einem Hechtsprung aus dem Fenster verabschiedet. Magid El-Bushra stattet den Orontes mit einem kräftigen Countertenor aus, der vor allem in den Höhen eine betörende Farbigkeit entwickelt. So gibt es am Ende frenetischen Applaus für die Solisten und die Musiker, in den sich auch das Regie-Team ohne jedwede Unmutsbekundung einreiht.

FAZIT

Musikalisch kommt der Barockfan hier in Gießen wieder voll auf seine Kosten. Mit Maddin Schneider lassen sich vielleicht auch weitere Publikumsschichten für die Barockoper begeistern. Die Inszenierung von Balász Kovalik ist hingegen Geschmacksache.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Hofstetter

Inszenierung
Balász Kovalik

Bühne und Kostüme
Angelika Höckner

Licht
Manfred Wende

Dramaturgie
Christian Schröder

 

Philharmonisches Orchester
Gießen

Cello
Attila Hündöl

Laute
Michael Dücker
Stefan Rath

Theorbe, Barockgitarre
Stefan Maass

Cembalo
Markus Stein

Statisterie des Stadttheaters

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Richardus
Tomá
š Král

Berengera
Naroa Intxausti

Philippus
Jakub Józef Orli
ński

Isacius
Yannis François

Formosa
*Francesca Lombardi Mazzulli /
Alexandra Samouilidou

Orontes
Magid El-Bushra

Gelasius
Maddin Schneider

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Stadttheater Gießen
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -