Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Giselle

Ballett in zwei Akten von David Dawson
Musik von Adolphe Adam arrangiert von David Coleman

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Koproduktion mit dem Aalto Ballett Essen

Premiere im Großen Haus des Musiktheaters im Revier am 12. Oktober 2014

Homepage

Musiktheater im Revier
(Homepage)

Ballettchefin als Giselle

Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß


Seit Bridget Breiner die Ballettsparte im Musiktheater im Revier übernommen hat, kommen hier auch Anhänger des klassischen Tanzes wieder auf ihre Kosten. Nachdem sie in der letzten Spielzeit mit der eigenen Compagnie von gerade mal 14 Tänzerinnen und Tänzern einen Schwanensee choreographiert hat, bei dem zwar mangels Masse auf die großen Schwanen-Tableaus verzichtet wurde (siehe auch unsere Rezension), hat sie sich mit Adams Giselle nun den nächsten großen Klassiker des Spitzentanzes vorgenommen. Um jedoch die Wilis in ausreichender Zahl im zweiten Akt auf die Bühne stellen zu können, hat sich das Ballett im Revier kurzerhand zu einer Koproduktion mit dem Aalto Ballett Essen entschieden, wo die Choreographie von David Dawson, die er 2008 für das Semperoper Ballett entwickelt hat, in einer überarbeiteten Fassung bereits in der letzten Spielzeit am 29. März Premiere feierte (siehe auch unsere Rezension). Zur Premiere in Gelsenkirchen lässt es sich die Ballettchefin, die für diese Inszenierung sowohl die Titelpartie als auch die Bathilde einstudiert hat, nicht nehmen, neben Raphaël Coumes-Marquet, der nicht nur für die Neueinstudierung von Dawsons Choreographie verantwortlich zeichnet, sondern auch in Dresden bei der Premiere den Albrecht getanzt hat, die Hauptpartien zu interpretieren. Das Premierenpublikum dankt es ihr mit tosendem Applaus.

Bild zum Vergrößern

Bauernhochzeit: in der Mitte Braut (Adeline Pastor) und Bräutigam (Davit Jeyranyan), vorne: Trauzeuge (Wataru Shimizu) rechts und links: Ensemble

Dawsons Version des Handlungsballettes, zu der David Coleman Adams Musik neu arrangiert und bearbeitet hat, unterscheidet sich in einigen Punkten von der weitläufig bekannten Geschichte. Die Welten, die Giselle und Albrecht voneinander trennen, sind hier eher abstrakt gehalten. Albrecht gehört als Bathildes Gefolge zu den "schwarzen" Gestalten, die sich mit einer großen Tätowierung auf der Brust und durch die schwarze Kleidung deutlich von der in hellen Farben gehaltenen Dorfgemeinschaft, zu der Giselle gehört, abheben. Wenn Hilarion Albrecht auf der Hochzeitsfeier enttarnt, ist es eigentlich nicht der Wahnsinn, der Giselle in den frühzeitigen Tod treibt, sondern Albrechts Dolch, in den sie durch einen tragischen Unglücksfall läuft. Der zweite Akt konzentriert sich ganz auf Albrecht und seine Erinnerungen an Giselle, die ihm in Form der Wilis entgegentreten. Hilarion, der sich in der eigentlichen Geschichte mit den Wilis zu Tode tanzt, kommt dabei nicht vor. Auch Bathilde erscheint im zweiten Akt nicht noch einmal, um Albrecht am nächsten Morgen an Giselles Grab vorzufinden. Colemans musikalische Eingriffe sollen nach eigenem Bekunden die Version der Urfassung wieder näher bringen. Der gewöhnlich aufgeführte Pas de deux bei der Bauernhochzeit, dessen Echtheit nicht geklärt ist, wird durch einen Pas de cinq ersetzt, bei dem neben der Braut und dem Bräutigam auch noch ein Trauzeuge und zwei Brautjungfern auftreten. Giselles Solo im ersten Akt ist eine Rekonstruktion aus Adams Autograph von 1841, die auf dem Motiv des im Original enthaltenen Blumen-Pas de deux basiert.

Bild zum Vergrößern

Giselle (Bridget Breiner) und Albrecht (Raphaël Coumes-Marguet) beim Pas de deux im ersten Akt

Beim Bühnenbild von Arne Walther, das mit abstrakten Formen in Weiß (1. Akt) und Schwarz (2. Akt) spielt und auf jeglichen Naturalismus mit Ausnahme des beeindruckenden großen Vollmondes im zweiten Akt verzichtet, wird deutlich, dass die Bühne im Musiktheater im Revier um einiges schmaler als im Aalto-Theater ist. Die weiß gebogenen Formen wirken hier in Gelsenkirchen etwas gedrängt und scheinen die Tänzerinnen und Tänzer zumindest bei den Ensembles ein bisschen einzuengen. So hat man den Eindruck, dass die Choreographie noch nicht vollständig auf die neuen Gegebenheiten übertragen worden ist und die Tänzerinnen und Tänzer in den Ensembles ein wenig mit dem Platz zu kämpfen haben, was sich auf die Homogenität gerade im berühmten Walzer im ersten Akt auswirkt, wo das Ensemble sich eben nicht in der Freude der Dorfidylle richtig freitanzen kann. Begeistern können hingegen wie bereits in Essen Adeline Pastor, Davit Jeyranyan und Wataru Shimizu im Hochzeits-Pas de cinq mit Carolina Boscán und Nora Brown als Brautjungfern. Pastor verzaubert das Publikum als Braut mit ihren virtuosen Pirouetten. Jeyranyan und Shimizu punkten als Bräutigam und Trauzeuge durch kraftvolle Sprünge. Armen Hakobyan verleiht dem Hilarion wie bereits in Essen eine tiefe Traurigkeit, die sich stellenweise in heftiger Aggression Albrecht gegenüber entlädt.

Bild zum Vergrößern

Die Wilis (Ensemble)

Im zweite Akt treten die Wilis dann in weißen Tüll verhüllt als junge Bräute auf. Ihre Gesichter kann man dabei nicht erkennen, was ihnen in der Masse etwas Gespenstisches verleiht. Hiroko Asami beeindruckt hierbei als Myrtha ebenso durch grazilen Spitzentanz wie die anderen 11 Tänzerinnen, die als Wilis auftreten. Unterstützt wird diese unheimliche Atmosphäre auch noch durch die beeindruckende Lichtregie von Bert Dalhuysen, der den Vollmond vor dem dunklen Hintergrund zunächst in fahlem Weiß gewissermaßen mit den Wilis korrespondieren lässt, bevor er sich dann am Ende als schwarze Scheibe von dem blassen Hintergrund abhebt. Hier wird angedeutet, dass sich bei Albrecht ein Wandel vollzogen hat. Ob er, wie das Programmheft angibt, am Ende wirklich seine Trauer ablegen kann, bleibt Ansichtssache. Wenn Giselle am Schluss nämlich im Boden versinkt und Albrecht, der sie gerade noch umarmt hat, nur noch die Kirschblüten in der Hand hält, die während des ganzen Stückes immer mal wieder aus dem Schürboden herabgefallen sind, ist es fraglich, ob für Albrecht ein Weiterleben ohne Giselle wirklich möglich ist oder ob er immer in seiner Erinnerung gefangen bleiben wird. Die Neue Philharmonie Westfalen lotet unter der Leitung von Valtteri Rauhalammi diesen recht kammermusikalisch gehaltenen zweiten Teil ebenso differenziert aus wie die lebhaften Tänze des ersten Aktes und die Dramatik am Ende des ersten Aktes, wenn Giselle stirbt.

Stars des Abends sind Bridget Breiner und Raphaël Coumes-Marquet. Breiner beweist als Giselle, dass sie den Spitzentanz in Perfektion beherrscht. Wie sie im zweiten Akt nahezu schwerelos auf Spitzen hereinschwebt und mit Albrecht in einem innigen Pas de deux noch einmal zueinander findet, bevor sie dann im Bühnenboden verschwindet, geht unter die Haut. Breiner verleiht der Titelfigur eine Zerbrechlichkeit und eine Melancholie, die sich regelrecht auf das Publikum überträgt. Dabei arbeitet sie im ersten Akt Giselles überbordende Freude mit einer kindlichen Naivität heraus und wirkt vor ihrer Kenntnis von Albrechts Vergangenheit als ein glückliches Mädchen, das seine jugendliche Freude mit spielerischer Leichtigkeit auslebt. Coumes-Marquet präsentiert sich als kongenialer Partner. In den Pas de deux findet er als Albrecht mit Breiner zu einer Innerlichkeit, die die tiefen Gefühle, die Giselle und Albrecht füreinander hegen, absolut glaubhaft macht. Mit großer Emotionalität präsentiert Coumes-Marquet den Albrecht nach Giselles Tod als gebrochenen Charakter, der inmitten der Wilis verzweifelt nach Erlösung von seiner Reue sucht. So gibt es am Ende tosenden Applaus für dieses großartige Paar und alle anderen Beteiligten.

FAZIT

Für Liebhaber des klassischen Tanzes ist Gelsenkirchen mit dieser Produktion wieder eine erste Adresse geworden. Für diese Inszenierung sollte man sich frühzeitig Karten sichern. (Weitere Termine: 24. Oktober 2014, 13. und 22. November 2014 jeweils um 19.30 Uhr, 23. November 2014 um 15.00 Uhr und 14. Dezember 2014 um 18.00 Uhr)


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valtteri Rauhalammi

Choreographie, Konzept und
Inszenierung
David Dawson

Einstudierung
Tim Couchman
Raphaël Coumes-Marquet

Bühne
Arne Walther

Kostüme
Yumiko Takeshima

Licht
Bert Dalhuysen

Dramaturgie
Freya Vass-Rhee

 

Neue Philharmonie Westfalen

Solisten

*rezensierte Aufführung

Giselle
*Bridget Breiner /
Anna Khamzina

Albrecht
*Raphaël Coumes-Marquet
Armen Hakobyan

Hilarion
*Armen Hakobyan /
Tomás Ottych /
José Urrutia

Bathilde
Bridget Breiner /
*Ayako Kikuchi

Braut
Adeline Pastor

Bräutigam
Davit Jeyranyan

Trauzeuge
Wataru Shimizu

Brautjungfern
Carolina Boscán
Nora Brown

Freunde
Maiko Arai
Francesca Berruto
Yuki Kishimoto
Rita Duclos
Elisa Fraschetti
Igor Volkovskyy
Valentin Juteau
Fabio Boccalatte

Bathildes Begleiter
Nour Eldesouki
Joseph Bunn
Ordep Rodriguez Chacon

Myrtha, Königin der Wilis
Hiroko Asami

Wilis
Alena Gorelcikova
Julia Schalitz
Xiyuian Bai
Nora Brown
Francesca Berruto
Ayako Kikuchi
Paula Archangelo
Carla Colonna
Rita Duclos
Ana Carolina Reis
Yuki Kishimoto


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Musiktheater im Revier
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2014 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -