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Musiktheater
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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss



in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 10' (zwei Pausen)

Koproduktion mit dem Staatsthetare Kassel
Premiere im Musiktheater im Revier am 28. September 2014


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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Keine Kinder für den Krieg

Von Stefan Schmöe / Fotos: Karl Forster

Es ist ja so eine Sache mit dieser Frau ohne Schatten. Während Europa von der Katastrophe des ersten Weltkriegs zerrieben wird, komponiert Richard Strauss im Garmischer Idyll eine Zauberoper im Geiste der Zauberflöte, worin einer Geisterprinzessin und kaiserlichen Gemahlin die Mutterschaft versagt bleibt (in der Bildersprache der Oper: sie keinen Schatten wirft) und die deshalb mit Hilfe einer hinterlistigen Amme einer Menschenfrau deren Schatten (respektive Fruchtbarkeit) abkaufen will. Die dann aber im letzten Moment auf den Handel verzichtet, weil sie damit alle Aussichten auf Eheglück der Färberin und deren Gatten Barak unweigerlich zerstören würde, und die durch diese Erkenntnis geläutert und fruchtbar wird. Man könnte an dieser zeitfremden Märchenwelt Hugo von Hofmannsthals verzweifeln, hätte Strauss nicht eine unfassbar großartige Musik dazu komponiert.

Szenenfoto kommt später

Kaiserin und Amme

So unpolitisch will Michael Schulz, Regie führender Intendant in Gelsenkirchen, Strauss und seine Frau ohne Schatten nicht davonkommen lassen. Zwar verweist zunächst ein Prospekt mit Schinkels berühmter Zauberflöten-Kulisse zunächst auf eben diese Märchenwelt, aber dahinter wartet bereits das Personal des Weltkriegs, mit dem Kaiser als Offizier (und später Kriegsverbrecher) und dem Färber Barak und dessen Frau als Betreiber einer Wäscherei für Kriegsuniformen. Die Inszenierung ist in Koproduktion mit dem Staatstheater Kassel entstanden, in unserer Rezension hat Bernd Stopka diese Umdeutung detailliert beschrieben. Wo der Regieansatz erhellende Einblicke in das Werk gibt und wo blanker Regietheaterblödsinn auf Bedeutung komm 'raus beginnt, wird jeder Zuschauer selbst entscheiden - die Grenzen sind fließend, und am Ende dieser Gelsenkirchener Premiere hielten sich Protest und Zustimmung in etwa die Waage.

Manche Idee ist sicher unmittelbar nachvollziehbar: Wenn Baraks Brüder, laut Libretto ein Einäugiger, ein Einarmiger und ein Buckliger, hier als Kriegsversehrte erscheinen, dann wird man ihnen empathisch ein gewisses Maß an Narrenfreiheit zugestehen und Baraks Einsatz für sie nachvollziehen wollen. Auch die Konfrontation der Kaiserin mit den Verwundeten im Kriegslazarett, zu dem das Färberhaus wird, oder mit den nach ihren vermissten Vätern suchenden Kindern geht unter die Haut und macht ihre Läuterung wie den inneren Konflikt (der weitere Verzicht auf den Schatten würde ihren kaiserlichen Gemahl zu Stein werden lassen) überdeutlich. Auf der anderen Seite bleibt gerade die Zeichnung des Kaisers als Kriegsverbrecher, der quasi nebenbei ein paar Menschen per Kopfschuss hinrichtet, äußerst fragwürdig (und wirft sogar die Frage auf, was der Kaiserin an diesem Scheusal eigentlich gelegen ist).

Szenenfoto kommt später

Barak der Färber und Frau

Immerhin, das war auch der Eindruck nach der Kasseler Premiere, Schulz mag im Detail nicht immer plausibel verfremden, aber im Großen und Ganzen bleibt die Geschichte kenntlich und bekommt das Weltkriegsdiorama als zusätzlichen Hintergrund. Da stößt der Regisseur Schulz mit seinem Konzept wohl auch auf handwerkliche Grenzen - die Virtuosität der ungleich gewagteren, ebenfalls heftig umstrittenen Inszenierung Christof Loys für die Salzburger Festspiele 2011 erreicht er nicht annähernd, und auch nicht die Balance zwischen Ironie und Ernst, mit der am Abend zuvor Dietrich Hilsdorf in seiner Düsseldorfer Ariadne auf Naxos Strauss-Maßstäbe für die Ruhr-Region gesetzt hat. Es hat aber auch schon genug harmlosere, naivere, dümmlichere Inszenierungen gegeben. Auch wenn das Konzept nicht wirklich stringent aufgeht, es liefert als Kommentar zur Märchenwelt ein paar Bilder, die sich einprägen.

Szenenfoto kommt später

Kaiser und Falke

Für ein Stadttheater wie das Musiktheater im Revier ist die Frau ohne Schatten und deren bombastischen Besetzung, darunter fünf höchst anspruchsvolle Hauptrollen, naturgemäß ein Kraftakt sondergleichen, und es verdient allein schon großen Respekt, eine solche Produktion überhaupt zu schultern. Sehr beachtlich ist die Orchesterleistung: Nach etwas ruppigem Beginn findet Rasmus Baumann am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen die nötige Ruhe, die elegischen Orchesterzwischenspiele sehr schön auszukosten. Auf der anderen Seite lässt er es gewaltig krachen, entwickelt große Dramatik, und das Orchester steigert sich immer mehr. Kleiner Wermutstropfen: Die großen (und dramaturgisch wichtigen) Violinsoli im Schlussakt hätten etwas weniger operettenhaft daherkommen und auf so manchen Schluchzer verzichten dürfen. (Und die scheppernd über Lautsprecher zugespielten Chorpassagen sind klanglich auch nicht gerade glücklich.)

Szenenfoto kommt später

Moment der Erkenntnis: Die Kaiserin und die angehörigen vermisster Soldaten

Die Hauptpartien muss das Theater mit Gästen besetzen, allein Gudrun Pelker in der mörderischen Partie der Amme ist am Haus fest engagiert. Die Stimme ist nicht riesig, in der tiefen Lage sogar ziemlich dünn, und fehlende Kraft wird durch deutliche Deklamation ausgeglichen, aber das hat große Präsenz. Martin Homrich wirkt als Kaiser zunächst wacklig, singt sich aber mehr und mehr frei; sein höhensicherer Tenor klingt dabei mehr nach Mozart-Partien wie Ferrando oder Don Ottavio als nach Lohengrin, den er laut Pressemitteilung auch im Repertoire hat - der Kaiser in dieser Oper bleibt für ihn momentan sicher ein Grenzfall. Ähnliches gilt auch für Yamina Maamar als Kaiserin, in der Höhe ungenau flackernd, oft angestrengt, auf der anderen Seite mit großer Expressivität singend und dann doch anrührend. Sängerisch auf sichererer Seite ist das Färberpaar. Sabine Hogrefe als Färberin hat keine ganz große, aber durchschlagskräftige und nicht unangenehme hochdramatische Stimme, und Urban Malmberg bleibt als Barak stimmlich schlank und klangschön und widersteht der Versuchung, gegen die Orchestermassen zu forcieren.

Dass es eben doch oft sehr laut zugeht (und der Dirigent zwar oft, aber nicht immer Rücksicht auf die Stimmen nimmt), macht dem gesamten Ensemble zu schaffen - besonders sängerfreundlich hat Strauss das nicht komponiert. Dong-Won Seo als ziemlich mulmiger Geisterbote und Dorin Rahardja als ungenau um die eigentliche Tonhöhe herumflackernder Falke mühen sich damit mehr als Alfia Kamalova als strahlend leuchtende Hüterin der Tempelschwelle oder Piotr Prochera, Joachim G. Maaß und William Saetre als ganz ordentliches Brüdertrio. Die Stimmen der Wächter der Stadt mit ihrem schönen Choral am Ende des ersten Aufzugs sollte man eigentlich homogener und klangschöner besetzen können. Da zeigt sich doch: Das Stück ist richtig schwer. Und, das zeigen die so oder so heftigen Publikumsreaktionen, es lohnt doch.


FAZIT

Musikalisch schlägt sich das Musiktheater im Revier mit dieser Riesenpartitur sehr achtbar; über den Regieansatz, der zwischen nachdenklich stimmenden Kriegsassoziationen und Regiewillkür hin und her pendelt, lässt sich viel streiten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rasmus Baumann

Inszenierung
Michael Schulz

Bühnenbild
Dirk Becker

Kostüme
Reneé Listerdal

Licht
Patrick Fuchs
Albert Geisel

Chor
Christian Jeub

Kinderchor
Alfred Schulze-Aulenkamp

Dramaturgie
Jürgen Otten
Juliane Schunke



Statisterie des Musiktheater im Revier
und des Staatstheater Kassel

Chor und Extrachor
des Musiktheater im Revier

Kinder- und Jugendchor Gelsenkirchen

Neue Philharmonie Westfalen


Solisten

* Besetzung der Premiere

Der Kaiser
Martin Homrich

Die Kaiserin
Yamina Maamar

Die Amme
Gudrun Pelker

Barak der Färber
Urban Malmberg

Sein Weib
Sabine Hogrefe

Der Einäugige
Piotr Prochera

Der Einarmige
Joachim G. Maaß

Der Bucklige
William Saetre

Der Geisterbote
Dong-Won Seo

Die Stimme des Falken
Dorin Rahardja

Erscheinung eines Jünglings
Ingo Schiller

Stimme des Jünglings
Hongjae Lim

Ein Hüter der Schwelle des Tempels
Alfia Kamalova

Eine Stimme von oben
Dimitra Kalaitzi-Tilidou

Stimmen der Wächter
Michael Dahmen
Jacoub Eisa
Christian Henneberg
Charles E. Moulton
Dong-Won Seo

Dienerinnen
Dimitra Kalaitzi-Tilidou
Alfia Kamalova
Anke Sieloff

Stimmen der Ungeborenen
Marie Heeschen
Almuth Herbst
Dimitra Kalaitzi-Tilidou
Alfia Kamalova
Dorin Rahardja
Anke Sieloff



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