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Keine Kinder für den Krieg
Von Stefan Schmöe
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Fotos: Karl Forster
Es ist ja so eine Sache mit dieser Frau ohne Schatten. Während Europa von der Katastrophe des ersten Weltkriegs zerrieben wird, komponiert Richard Strauss im Garmischer Idyll eine Zauberoper im Geiste der Zauberflöte, worin einer Geisterprinzessin und kaiserlichen Gemahlin die Mutterschaft versagt bleibt (in der Bildersprache der Oper: sie keinen Schatten wirft) und die deshalb mit Hilfe einer hinterlistigen Amme einer Menschenfrau deren Schatten (respektive Fruchtbarkeit) abkaufen will. Die dann aber im letzten Moment auf den Handel verzichtet, weil sie damit alle Aussichten auf Eheglück der Färberin und deren Gatten Barak unweigerlich zerstören würde, und die durch diese Erkenntnis geläutert und fruchtbar wird. Man könnte an dieser zeitfremden Märchenwelt Hugo von Hofmannsthals verzweifeln, hätte Strauss nicht eine unfassbar großartige Musik dazu komponiert.
Kaiserin und Amme
So unpolitisch will Michael Schulz, Regie führender Intendant in Gelsenkirchen, Strauss und seine Frau ohne Schatten nicht davonkommen lassen. Zwar verweist zunächst ein Prospekt mit Schinkels berühmter Zauberflöten-Kulisse zunächst auf eben diese Märchenwelt, aber dahinter wartet bereits das Personal des Weltkriegs, mit dem Kaiser als Offizier (und später Kriegsverbrecher) und dem Färber Barak und dessen Frau als Betreiber einer Wäscherei für Kriegsuniformen. Die Inszenierung ist in Koproduktion mit dem Staatstheater Kassel entstanden, in unserer Rezension hat Bernd Stopka diese Umdeutung detailliert beschrieben. Wo der Regieansatz erhellende Einblicke in das Werk gibt und wo blanker Regietheaterblödsinn auf Bedeutung komm 'raus beginnt, wird jeder Zuschauer selbst entscheiden - die Grenzen sind fließend, und am Ende dieser Gelsenkirchener Premiere hielten sich Protest und Zustimmung in etwa die Waage.
Manche Idee ist sicher unmittelbar nachvollziehbar: Wenn Baraks Brüder, laut Libretto ein Einäugiger, ein Einarmiger und ein Buckliger, hier als Kriegsversehrte erscheinen, dann wird man ihnen empathisch ein gewisses Maß an Narrenfreiheit zugestehen und Baraks Einsatz für sie nachvollziehen wollen. Auch die Konfrontation der Kaiserin mit den Verwundeten im Kriegslazarett, zu dem das Färberhaus wird, oder mit den nach ihren vermissten Vätern suchenden Kindern geht unter die Haut und macht ihre Läuterung wie den inneren Konflikt (der weitere Verzicht auf den Schatten würde ihren kaiserlichen Gemahl zu Stein werden lassen) überdeutlich. Auf der anderen Seite bleibt gerade die Zeichnung des Kaisers als Kriegsverbrecher, der quasi nebenbei ein paar Menschen per Kopfschuss hinrichtet, äußerst fragwürdig (und wirft sogar die Frage auf, was der Kaiserin an diesem Scheusal eigentlich gelegen ist).
Barak der Färber und Frau
Immerhin, das war auch der Eindruck nach der Kasseler Premiere, Schulz mag im Detail nicht immer plausibel verfremden, aber im Großen und Ganzen bleibt die Geschichte kenntlich und bekommt das Weltkriegsdiorama als zusätzlichen Hintergrund. Da stößt der Regisseur Schulz mit seinem Konzept wohl auch auf handwerkliche Grenzen - die Virtuosität der ungleich gewagteren, ebenfalls heftig umstrittenen Inszenierung Christof Loys für die Salzburger Festspiele 2011 erreicht er nicht annähernd, und auch nicht die Balance zwischen Ironie und Ernst, mit der am Abend zuvor Dietrich Hilsdorf in seiner Düsseldorfer Ariadne auf Naxos Strauss-Maßstäbe für die Ruhr-Region gesetzt hat. Es hat aber auch schon genug harmlosere, naivere, dümmlichere Inszenierungen gegeben. Auch wenn das Konzept nicht wirklich stringent aufgeht, es liefert als Kommentar zur Märchenwelt ein paar Bilder, die sich einprägen.
Kaiser und Falke
Für ein Stadttheater wie das Musiktheater im Revier ist die Frau ohne Schatten und deren bombastischen Besetzung, darunter fünf höchst anspruchsvolle Hauptrollen, naturgemäß ein Kraftakt sondergleichen, und es verdient allein schon großen Respekt, eine solche Produktion überhaupt zu schultern. Sehr beachtlich ist die Orchesterleistung: Nach etwas ruppigem Beginn findet Rasmus Baumann am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen die nötige Ruhe, die elegischen Orchesterzwischenspiele sehr schön auszukosten. Auf der anderen Seite lässt er es gewaltig krachen, entwickelt große Dramatik, und das Orchester steigert sich immer mehr. Kleiner Wermutstropfen: Die großen (und dramaturgisch wichtigen) Violinsoli im Schlussakt hätten etwas weniger operettenhaft daherkommen und auf so manchen Schluchzer verzichten dürfen. (Und die scheppernd über Lautsprecher zugespielten Chorpassagen sind klanglich auch nicht gerade glücklich.)
Moment der Erkenntnis: Die Kaiserin und die angehörigen vermisster Soldaten
Die Hauptpartien muss das Theater mit Gästen besetzen, allein Gudrun Pelker in der mörderischen Partie der Amme ist am Haus fest engagiert. Die Stimme ist nicht riesig, in der tiefen Lage sogar ziemlich dünn, und fehlende Kraft wird durch deutliche Deklamation ausgeglichen, aber das hat große Präsenz. Martin Homrich wirkt als Kaiser zunächst wacklig, singt sich aber mehr und mehr frei; sein höhensicherer Tenor klingt dabei mehr nach Mozart-Partien wie Ferrando oder Don Ottavio als nach Lohengrin, den er laut Pressemitteilung auch im Repertoire hat - der Kaiser in dieser Oper bleibt für ihn momentan sicher ein Grenzfall. Ähnliches gilt auch für Yamina Maamar als Kaiserin, in der Höhe ungenau flackernd, oft angestrengt, auf der anderen Seite mit großer Expressivität singend und dann doch anrührend. Sängerisch auf sichererer Seite ist das Färberpaar. Sabine Hogrefe als Färberin hat keine ganz große, aber durchschlagskräftige und nicht unangenehme hochdramatische Stimme, und Urban Malmberg bleibt als Barak stimmlich schlank und klangschön und widersteht der Versuchung, gegen die Orchestermassen zu forcieren.
Dass es eben doch oft sehr laut zugeht (und der Dirigent zwar oft, aber nicht immer Rücksicht auf die Stimmen nimmt), macht dem gesamten Ensemble zu schaffen - besonders sängerfreundlich hat Strauss das nicht komponiert. Dong-Won Seo als ziemlich mulmiger Geisterbote und Dorin Rahardja als ungenau um die eigentliche Tonhöhe herumflackernder Falke mühen sich damit mehr als Alfia Kamalova als strahlend leuchtende Hüterin der Tempelschwelle oder Piotr Prochera, Joachim G. Maaß und William Saetre als ganz ordentliches Brüdertrio. Die Stimmen der Wächter der Stadt mit ihrem schönen Choral am Ende des ersten Aufzugs sollte man eigentlich homogener und klangschöner besetzen können. Da zeigt sich doch: Das Stück ist richtig schwer. Und, das zeigen die so oder so heftigen Publikumsreaktionen, es lohnt doch.
Musikalisch schlägt sich das Musiktheater im Revier mit dieser Riesenpartitur sehr achtbar; über den Regieansatz, der zwischen nachdenklich stimmenden Kriegsassoziationen und Regiewillkür hin und her pendelt, lässt sich viel streiten.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Der Kaiser
Die Kaiserin
Die Amme
Barak der Färber
Sein Weib
Der Einäugige
Der Einarmige
Der Bucklige
Der Geisterbote
Die Stimme des Falken
Erscheinung eines Jünglings
Stimme des Jünglings
Ein Hüter der Schwelle des Tempels
Eine Stimme von oben
Stimmen der Wächter
Dienerinnen
Stimmen der Ungeborenen
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