Wandeln auf schwankendem Boden
Von Thomas Molke /
Fotos von Barbara Aumüller
Während Gioacchino Rossini gewissermaßen den Grundstein dafür
legte, dass die italienische Oper im 19. Jahrhundert ganz Europa eroberte, kann
Vincenzo Bellini als der Belcanto-Komponist schlechthin bezeichnet werden, dem
nicht nur Richard Wagner zugestand, von ihm für die eigene Musiksprache
profitiert und gelernt zu haben. Auch Verdis Finale im zweiten Akt von La
traviata wäre wahrscheinlich ohne La sonnambula gar nicht denkbar
gewesen. In Konkurrenz zu Gaetano Donizetti schuf Bellini Anfang der 30er Jahre
des 19. Jahrhunderts in seinen Opern Frauenschicksale, die vor allem durch eine
Ausnahmesängerin Unsterblichkeit erlangten: Giuditta Pasta. Vielleicht sind es
aber gerade die extremen stimmlichen Anforderungen, die dazu führen, dass Werke
wie La sonnambula heutzutage eher selten auf den
Spielplänen der Opernhäuser zu finden sind. Doch wenn man über eine
entsprechende Sängerin verfügt, kann man mit diesen Werken zwar nicht, wie
Bellini es einmal als Wunsch formuliert haben soll, das Publikum vor Rührung
"durch den Gesang sterben lassen", aber dennoch einen regelrechten Coup landen. Und der heißt in
Frankfurt Brenda Rae.
Noch ist die Welt für Amina (Brenda Rae, 2. von
links) und Elvino (Stefan Pop, 2. von rechts) in Ordnung (links: Teresa
(Fredrika Brillembourg), Mitte: ein Notar (Simon Bode), rechts: Alessio (Vuyani
Mlinde)). Was die amerikanische
Sängerin, die seit der Spielzeit 2008/09 zum Ensemble der Oper Frankfurt gehört,
aus der Titelpartie herausholt, ist stimmlich und darstellerisch Weltklasse.
Scheinbar mühelos bewegt sie sich durch die halsbrecherischen Koloraturen und
lässt dem Zuhörer in den leisen Momenten regelrecht den Atem stocken. Wenn sie
mit zartem, fast schon zerbrechlich klingendem Sopran über die Bühne wandelt,
könnte man unter den Zuschauern, die an anderen Stellen nicht immer ein Husten
zu unterdrücken vermögen, eine Stecknadel fallen hören. Schon in ihrer Kavatine "A
te, diletta tenera madre "
im ersten Akt, wenn sie sich bei Teresa dafür bedankt, von ihr als Waisenkind
aufgenommen worden zu sein, erntet Rae frenetischen Applaus. Bei der berühmten
Schlafwandel-Arie "Ah! Non credea mirarti" im zweiten Akt, wenn sie Elvino
erneut ihre Liebe gesteht und ihre Unschuld für alle bewiesen wird, gibt es im
Publikum schon kein Halten mehr, und nach dem folgenden glücklichen Finale "Ah! Non giunge
uman pensiero" reißt Rae mit ihren Koloraturen, bei denen man sich kaum
vorstellen kann, wie eine menschliche Stimme sie in einer derartigen Perfektion
erzeugen kann, das Publikum regelrecht von den Sitzen. Leider kann Stefan Pop
als Elvino bei dieser stimmlichen Brillanz nicht ganz mithalten. Pop verfügt mit
seinem Tenor zwar über eine solide Mittellage, klingt allerdings in den Höhen
sehr angestrengt und lässt durch ständiges Forcieren den tenoralen Glanz
vermissen. Dass er vereinzelte Unmutsbekundungen beim Schlussapplaus über sich
ergehen lassen muss, hat er allerdings nicht verdient.
Doch dann landet Amina (Brenda Rae)
schlafwandelnd im Zimmer des Grafen Rodolfo (Kihwan Sim).
Die weiteren Partien sind hochkarätig besetzt. Louise Alder
begeistert als Aminas Gegenspielerin Lisa mit klarem Sopran und sauberen
Koloraturen. Ihre Kavatine "Tutto è gioia, tutto è festa" im
ersten Akt, in der sie ihre nicht erwiderte Liebe zu Aminas Bräutigam Elvino
beklagt, avanciert musikalisch zu einem weiteren Höhepunkt des Abends. Kihwan
Sim überzeugt als Graf Rodolfo, in dessen Zimmer die schlafwandelnde Amina
landet, mit profundem Bass. Seine Kavatine "Vi ravviso, o luoghi ameni" im ersten Akt, in der er
sich darüber freut, seine ehemalige Heimat wiederzusehen, gestaltet Sim mit weichen Tiefen.
Auch im Duett mit Rae "Oh! Come lieto è il popolo", in dem er Aminas Zustand als
Schlafwandlerin erkennt, bewegt er mit großer Innigkeit. Fredrika Brillembourg stattet die Partie von Aminas
Ziehmutter Teresa mit warm timbriertem Mezzo aus. Auch der von Tilman Michael
homogen einstudierte Chor weiß stimmlich zu überzeugen. Tina Lanik versteht es
dabei auch, ihn als bedrohliche Masse wunderbar in Szene zu setzen. So findet
sie für den Chor immer wieder beeindruckende Standbilder, die ihn nicht nur als
Kommentator der Szene, sondern auch als Motor des Geschehens erscheinen lassen,
der Aminas Fall vom geliebten zum geächteten Mädchen erst ermöglicht.
Die Berggesellschaft (Opernchor) entwickelt sich
für Amina (Brenda Rae, im Vordergrund) zum gefährlichen Mob.
Hierfür hat Herbert Murauer ein beeindruckendes Bühnenbild entworfen, das an den
Seitenwänden eine abstrakt aufgemalte Bergwelt zeigt, die im Hintergrund durch
einen mit Schnee bedeckten Berg und zeitweise herabfallenden Schnee die
emotionale Kälte der Berggesellschaft widerspiegelt. Auf der Bühne befindet sich
ein schräger Boden, der nach vorne gekippt und nach hinten hochgefahren werden
kann und somit deutlich macht, dass niemand sich auf festem Grund bewegt und es
keine Sicherheit in dieser Welt gibt. Wer heute von dieser Gesellschaft geliebt
wird, kann im nächsten Moment schon in Ungnade fallen. Eine verschiebbare
transparente Wand, die ebenfalls nach vorne gefahren werden kann, ermöglicht
ferner, den Chor als Masse von einzelnen Figuren zu isolieren. Der
Vorhang wird durch eine schwarze Wand ersetzt, den Amina während der Ouvertüre
scheinbar schlafwandelnd zur Seite zu schieben scheint und damit den Blick auf
die Bühne ermöglicht.
Ansonsten wird auf weitere Requisiten größtenteils verzichtet. Das
Hotelzimmer, in dem Rodolfo auf seinem Weg zum Schloss des Grafen die Nacht
verbringt, befindet sich vor dem doppelten Boden, so dass Amina auf dem erhöhten
Boden gewissermaßen wie durch ein Fenster bei Rodolfo eintreten kann. Der Wald
im zweiten Akt, durch den Amina in ihrer Verzweiflung irrt, wird vom Chor in
einem weiteren Standbild dargestellt.
Amina (Brenda Rae) schlafwandelt erneut, dieses
Mal auf dem Dach (im Vordergrund: Opernchor). Dem
glücklichen Ende misstraut Lanik in ihrer Inszenierung. Beim allgemeinen Jubel
schiebt sich ganz langsam die schwarze Wand zwischen Amina und den Rest der
Gesellschaft, so dass fraglich bleibt, ob Amina den glücklichen Ausgang der
Geschichte nicht vielleicht doch nur geträumt haben könnte. Auch lässt Lanik
offen, was Amina eigentlich mit Rodolfo verbindet, in dessen Bett sie ja im
ersten Akt landet. Wenn sich die Wand am Ende zwischen Amina und ihren Bräutigam
Elvino schiebt, steht nur noch Rodolfo mit Amina vor der Wand. Doch wenn sie ihn
dann am Ende ansieht, verlässt er ebenfalls die Bühne und lässt sie allein
zurück. Soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass Amina nach dem Scheitern
ihrer Beziehung zu Elvino vielleicht in Rodolfo doch eine Alternative für ihr
weiteres Leben sehen könnte? Die Beantwortung dieser Frage überlässt Lanik dem
Zuschauer. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester präsentiert unter der
Leitung von Eun Sun Kim einen wunderbaren Belcanto-Klang aus dem Graben, so dass
auch das Orchester am Ende mit großem Applaus bedacht wird.FAZIT
Brenda Rae macht aus dieser Belcanto-Oper ein Juwel, das man sich nicht entgehen
lassen sollte.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Eun Sun Kim Regie
Tina Lanik Bühnenbild
Herbert Murauer Kostüme
Stefan Hageneier
Licht
Olaf Winter Chor
Tilman Michael
Dramaturgie
Mareike Wink Chor
der Oper Frankfurt Frankfurter Opern- und
Museumsorchester
Solisten
*rezensierte Aufführung
Amina
Brenda Rae
Elvino
*Stefan Pop /
Luciano Botelho Rodolfo
Kihwan Sim
Lisa
*Louise Alder /
Catriona Smith /
Nina Minasyan
Teresa
Fredrika Brillembourg
Alessio
Vuyani Mlinde Ein Notar
Simon Bode
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erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)
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