Aus drei mach eins
Von Thomas Molke /
Fotos von Monika Rittershaus
Bohuslav Martinů, dem wohl nach Janáček bedeutendsten tschechischen Komponisten,
wird in letzter Zeit auch auf den deutschen Opernbühnen mehr Aufmerksamkeit
geschenkt. So brachten in der vergangenen Spielzeit das Theater Bremen und das
Stadttheater Gießen am gleichen Wochenende jeweils ein Werk des Komponisten
heraus, dessen Musik laut Gianmario Borio "im Spannungsfeld zwischen Avantgarde und
Klassizismus" anzusiedeln ist. Das Aalto Theater Essen eröffnet die kommende
Spielzeit mit der Griechischen Passion, und die Oper Frankfurt beendet
die Spielzeit mit einem regelrechten Martinů-Schwerpunkt. Nach Julietta
am 21. Juni 2015 im Opernhaus stehen nun im Bockenheimer Depot drei Einakter auf
dem Programm, die zwar von Martinů alle drei zwischen den beiden Weltkriegen in
Paris komponiert, dabei aber nicht als Trilogie konzipiert wurden. Dennoch
gelingt es Beate Baron in ihrer Inszenierung, diese drei an sich musikalisch und
dramaturgisch völlig unterschiedlichen Stücke miteinander zu verweben.
Messertränen: Die Mutter (Katharina
Magiera, Mitte) wünscht sich den Satan (Sebastian Geyer) für ihre Tochter
Eleonore (Elizabeth Reiter) als Mann, doch diese liebt den Erhängten (Puppe).
Den Anfang macht der 1928 entstandene Operneinakter Messertränen, der in
Zusammenarbeit mit dem Dada-Künstler Georges Ribemont-Dessaignes als eines von
drei Opernprojekten
entstand, allerdings erst 10 Jahre nach Martinůs Tod zur
Uraufführung in Brünn gelangte. Die junge Eleonore ist in einen Erhängten
verliebt, doch ihre Mutter wünscht sich den attraktiven Satan zum Schwiegersohn.
Eleonore weist diesen brüsk zurück, leidet aber darunter, dass der Erhängte ihr
keinerlei Aufmerksamkeit schenkt. Folglich versucht sie, ihn mit einem
vorbeikommenden Radfahrer eifersüchtig zu machen. Doch der Radfahrer entpuppt
sich als Satan und bringt Eleonore dazu, sich das Leben zu nehmen. Anschließend
steigt der Satan als Erhängter vom Galgen herab, um Eleonore wieder zum Leben zu
erwecken und sie anschließend zu verlassen.
Der Satan (Sebastian Geyer)
verzaubert als Erhängter Eleonore (Elizabeth Reiter).
So verrückt wie die Geschichte ist auch die Inszenierung
von Beate Baron. Vor Beginn der Oper klebt ein Statist mit einem langen Bart
Plakate an eine Holzwand, die scheinbar jeweils ein Bild von ihm zeigen. An
einer Stange sieht man den Erhängten, wobei ein rotes Tuch von dieser Stange zum
Boden führt. Die Spielfläche ist vor der Bühne, die hinter der
Holzwand nur aus aufgehäuften Sandbergen besteht. Für die Zuschauer ist dieses
Konzept besonders im ersten Einakter ungünstig, da man die Protagonisten
aufgrund der Tiefe des Bodens meistenteils gar nicht sehen kann. Eleonore und
ihre Mutter schlüpfen nämlich in weißer Unterwäsche unter das rote Tuch und
agieren fast nur auf dem Boden. Dennoch zeigt das Spiel unter dem Tuch die
Abhängigkeit der beiden Frauen voneinander. Satan tritt durch den Zuschauerraum
auf und verteilt zunächst Blumen im Publikum, bevor er Eleonore umwirbt. Wenn er
später den Erhängten von der Stange herabnimmt, schnallt er sich eine
überdimensionale Zunge um, mit der er Eleonore wieder zum Leben erweckt und
verzaubert. Sein Abgang kommt dann für die beiden Frauen völlig unerwartet.
Sebastian Geyer begeistert als Satan mit kräftigem Bariton und diabolischem
Spiel. Katharina Magiera stattet die Mutter mit sattem Mezzo aus, und Elizabeth
Reiter überzeugt als Eleonore mit leuchtendem Sopran und großartiger
Textverständlichkeit. Nikolai Petersen arbeitet mit dem Frankfurter Opern- und
Museumsorchester die Jazz-Anklänge, die ein bisschen an Kurt Weill erinnern,
pointiert heraus.
Zweimal Alexander:
Alexandre (Sebastian Geyer) versucht, als Cousin aus Texas seine Frau Armande
(Anna Ryberg) zu verführen. Das Porträt (Thomas Faulkner, im Hintergrund) schaut
entsetzt zu.
Als Übergang zu dem zweiten Einakter wird dann ein "Dada-Lied"
über Lautsprecher vorgetragen, was vor allem mit dem Satz "Trinkt Wasser" die
Zuschauer amüsiert, da dem Publikum wegen der tropischen Temperaturen vor
Vorstellungsbeginn Gratiswasser angeboten worden war. Bei einem Intermezzo zu
Klaviermusik, das auch als Unterhaltungsmusik in einer Jazz-Bar durchgehen
würde, erfolgt der Umbau zum zweiten Einakter, Zweimal Alexander. Dieser
entstand 1937 und weist zwar inhaltlich surreale Züge auf, erinnert
aber thematisch an die Commedia dell'arte. Die Uraufführung dieses Werkes fand
ebenfalls erst nach Martinůs Tod statt. Alexandre will die Treue seiner Ehefrau Armande testen,
indem er sich als sein Cousin aus Texas ausgibt und versucht, seine Frau zu
verführen. Dieses Vorhaben wird nicht nur von dem Dienstmädchen Philomène,
sondern auch von seinem eigenen Porträt an der Wand kritisiert. Im weiteren
Verlauf steigt das eigene Porträt sogar aus dem Rahmen, um Armande zu
beschützen, doch diese ist von dem vermeintlichen Cousin so angetan, dass sie
ihn dem eigenen Gatten sofort vorzieht. Als Alexandre am nächsten Morgen den
Betrug aufklären will, hat Armande überhaupt kein Interesse daran und wendet
sich ihrem heimlichen Verehrer Oscar zu, den sie zuvor immer entschieden
zurückgewiesen hat.
Wilder Traum: oben von links:
Philomène (Katharina Magiera als Eisbär), Armande (Anna Ryberg), das Porträt
(Thomas Faulkner) und Alexandre (Sebastian Geyer), unten: Statisterie als
Dämonen
Die Spielfläche vor der Holzwand wird während des
Intermezzos blitzschnell in einen modernen Wohnraum verwandelt, wobei die
Plakate an der Wand sich nun als Porträts des Hausherrn Alexandre entpuppen.
Thomas Faulkner erscheint als Porträt auch in verschiedenen Plakaten mit seinem
Kopf, bevor er später als Alexandres Alter Ego auftritt. Sebastian Geyer trägt
als Alexandre einen langen Bart, den er als Cousin aus Texas allerdings
ablegt, wenn er als schmucker Cowboy mit Stetson auftritt. Da wird Anna Ryberg
als leicht exaltierte Armande natürlich sofort schwach. Katharina Magiera legt
das Dienstmädchen Philomène einerseits als leicht lüsternes Frauenzimmer an, das
sich sowohl zum Hausherrn als auch zu Armande erotisch hingezogen fühlt, gibt
der Figur andererseits auch komödiantische Züge, wenn sie wie Freddie Frinton in
Dinner for One immer über den Tierkopf des ausgebreiteten Fellteppichs
stolpert. Simon Bode erscheint als Oscar zunächst im gleichen Radfahrerdress wie
der Satan im ersten Einakter. Wieso er allerdings zu Beginn einen riesigen
Mäusekopf trägt und später Krabbenscheren als Hände hat, bleibt unklar. Vielleicht soll damit schon auf den Traum
angespielt werden, in dem Armande die Göttin der Ehe und ihre Dämonen
erscheinen. Wenn Armande ihren Gatten nämlich am Ende mit Oscar verlässt, sieht
er wieder wie ein normaler Mensch aus. Anna Ryberg begeistert als Armande mit kokettem Spiel
und leichtem Sopran. Thomas Faulkner und Sebastian Geyer überzeugen stimmlich
als Porträt und Alexandre und gewinnen den beiden Partien sehr komödiantische
Züge ab. Bode gefällt als Oscar mit weichem Spieltenor.
Komödie auf der Brücke:
Gefangen auf der Brücke: oben von links: Syko (Sebastian Geyer), Bedroň (Thomas
Faulkner), Popelka (Maren Favela) und Eva (Katharina Magiera), unten: der
Schulmeister (Simon Bode) mit den beiden Posten (Jim Heller und Jens Weiß)
Der dritte Einakter nach der Pause entstand 1935 auch in
Paris, wurde allerdings in tschechischer Sprache vertont und erlebte seine
Uraufführung im Prager Rundfunk am 18. März 1937. Die Geschichte spielt auf
einer Brücke mitten im Krieg. Ein Passierschein wird zwar akzeptiert, um die
Brücke zu betreten, die beiden Posten lassen aber niemanden, der auf der Brücke
ist wieder herunter. So werden zunächst Popelka, die im feindlichen
Lager nach ihrem Bruder gesucht hat, und der Brauer Bedroň, der seinem Offizier
wichtige Informationen überbracht hat, auf der Brücke festgehalten. Als es zum
Kuss zwischen den beiden kommt, erscheinen Popelkas Verlobter Syko und
Bedroňs Frau Eva und bezichtigen sie der Untreue. Ein
dazukommender Schulmeister soll den Streit schlichten, doch dieser hat ganz
andere Probleme. Seine Gedanken kreisen um ein Reh in einem von einer hohen
Mauer umgebenen Wildpark. Der Schulmeister fragt sich, wie das Reh wohl
entfliehen könne. Währenddessen rückt der Krieg immer näher und die beiden Paare
glauben nicht mehr daran, die Brücke noch lebend verlassen zu können. Es kommt
zur Versöhnung und einigen überraschenden Geständnisse. Dann erscheint plötzlich
ein Offizier, verkündet den Sieg und löst das Rätsel des Schulmeisters.
Fluchtversuch von der Brücke:
von links: der Schulmeister (Simon Bode), Eva (Katharina Magiera), Bedroň
(Thomas Faulkner), Syko (Sebastian Geyer) und Popelka (Maren Favela), im
Hintergrund: der Offizier (Marcus Hosch)
Baron lässt diesen Einakter im Sand hinter der Holzwand
spielen. Gwendolyn Jenkins hat die beiden Paare mit volkstümlichen Kostümen
ausgestattet, die einen deutlichen Kontrast zu den Soldatenuniformen bilden.
Musikalisch ist bemerkenswert, dass Martinů nur die beiden Paare und den
Schulmeister singen lässt, während die Rollen des Offiziers und der beiden
Posten reine Sprechrollen sind. Für die am Krieg beteiligten Figuren gibt es
folglich keine Musik. Trotz der realistisch anmutenden Kostüme verzichtet Baron
auf eine am Libretto orientierte Personenführung und lässt die Protagonisten größtenteils
auf der Brücke nur in Standbildern posieren, was aber durchaus im Einklang damit
steht, dass sie auf dieser Brücke ja gefangen sind. Vor der Bühne liegen einige
Kriegsopfer, und auch Bestandteile des Bühnenbildes aus dem zweiten Einakter
sind als Bruchstücke einer zerstörten Gegend noch zu erkennen. Das Ende des
Stückes wird
dann von Baron kritisch hinterfragt. Der Jubel über den Sieg passt ihrer Meinung
nach nicht zur Auflösung des Rätsels mit dem Reh. Für das Reh gibt es nämlich kein
Entkommen aus dem Wildpark, und somit haben auch die beiden Paare und den Schulmeister kein
glückliches Ende zu erwarten. Im allgemeinen Jubel fallen sie alle im Kugelhagel. Und nun
treten auch noch Eleonore und Armande aus den ersten beiden Einaktern auf und werden
genauso zu Kriegsopfern wie die anderen Figuren. Damit werden auch zum Schluss
die drei Teile wieder zusammengeführt. Musikalisch bewegt sich auch der dritte
Einakter auf hohem Niveau, so dass es am Ende begeisterten Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Martin ůs Einakter zeugen von der Vielfältigkeit
seines kompositorischen Schaffens und bilden in der Inszenierung von Beate Baron
eine gut funktionierende Einheit.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Nikolai Petersen Inszenierung
Beate Baron Bühnenbild
Yassu Yabara Kostüme
Gwendolyn Jenkins
Licht
Joachim Klein
Dramaturgie
Mareike Wink Statisterie der Oper
Frankfurt Frankfurter Opern- und
Museumsorchester
Solisten
*Premierenbesetzung
Messertränen
Eleonore
*Elizabeth Reiter /
Jessica Strong
Mutter
Katharina Magiera
Satan
Sebastian Geyer
Zweimal Alexander
Armande
Anna Ryberg
Alexandre
Sebastian Geyer
Oscar
Simon Bode
Philomène / Erzählerin
Katharina Magiera
Das Porträt / Erzähler
Thomas Faulkner
Komödie auf der Brücke
Syko ,
der Fischer
Sebastian Geyer
Popelka, seine Braut
Maren Favela
Bedro ň,
der Brauer
Thomas Faulkner
Eva, seine Frau
Katharina Magiera
Der Schulmeister
Simon Bode
Ein freundlicher Posten
Jim Heller
Ein feindlicher Posten
Jens Weiß
Ein freundlicher Offizier
Marcus Hosch
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Oper Frankfurt
(Homepage)
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