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Musiktheater
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Die Passagierin

Oper in zwei Akten, acht Bildern und einem Epilog
Libretto von Alexander Medwedew nach der gleichnamigen Novelle von Zofia Posmysz
Musik von Mieczys
ław Weinberg

in mehreren Sprachen mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere an der Oper Frankfurt am 01.03.2015



Oper Frankfurt
(Homepage)
Geister der Vergangenheit

Von Thomas Molke / Fotos von Barbara Aumüller


Von den insgesamt sieben Opern, die der in Warschau geborene Mieczys
ław Weinberg auf literarische Vorlagen - unter anderem von berühmten Persönlichkeiten wie George Bernard Shaw, Nicolai Gogol und Fjodor M. Dostojewski - im russischen Exil bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts komponiert hatte, betrachtete er zeitlebens Die Passagierin als sein Hauptwerk. Umso bedauerlicher scheint es, dass er von dieser bereits 1968 beendeten Komposition die Uraufführung, die konzertant erst 2006 in Moskau stattfand und szenisch bei den Bregenzer Festspielen 2010 erstmals zu erleben war, nicht mehr miterleben durfte. Als der zu Lebzeiten nur von Schostakowitsch protegierte und ansonsten von der Öffentlichkeit eher vernachlässigte Künstler zu Beginn der 90er Jahre zum "Staatskünstler der UdSSR" ernannt wurde, hatte er sich schon einige Jahre ins Privatleben zurückgezogen und konnte den späten Ruhm bis zu seinem Tod 1996 kaum noch genießen. Seit ein paar Jahren wird Weinbergs Schaffen auf den Opernbühnen jedoch eine wachsende und damit die ihm gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. So gab es seit 2013 nicht nur auf deutschen Bühnen zwei Produktionen seiner späten Oper Der Idiot (in Mannheim und Oldenburg), sondern auch seinem Erstlingswerk Die Passagierin folgten auf die szenische Uraufführung in Bregenz weitere Inszenierungen in Karlsruhe und jetzt in Frankfurt. Auch in Chicago gelangte das Stück jetzt zur amerikanischen Erstaufführung.

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Marta (Sara Jakubiak) hat den Holocaust überlebt.

Die Handlung basiert auf der gleichnamigen Novelle der polnischen Schriftstellerin Zofia Posmysz, die den Holocaust in Auschwitz überlebte und Jahre später mit ihrer Erzählung, die zunächst als Hörbuch erschien, ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten suchte. Dabei erzählt sie allerdings nicht ihre eigene Geschichte, sondern lässt die ehemalige KZ-Aufseherin Lisa (Anneliese Franz) zu Beginn der 60er Jahre auf der Überfahrt nach Brasilien, wo ihr Mann Walter Kretschmer einen Posten als Botschafter der BRD annehmen soll, auf dem Schiff auf eine Passagierin treffen, in der sie Marta, eine Gefangene aus dem Lager in Auschwitz, wieder erkennt, die sie eigentlich für tot hielt. Nun kommen bei Lisa alte Erinnerungen an ihre Vergangenheit wieder hoch. Walter sieht durch Lisas Beichte seinen Posten als Botschafter gefährdet, ist aber dennoch bereit, zu seiner Frau zu halten, wenn sie die Vergangenheit ruhen lässt. Einen Neuanfang planend, gehen die beiden zu einem Ball auf dem Schiff, doch als sich die geheimnisvolle Passagierin einen Walzer wünscht, den Martas Verlobter damals in Auschwitz bei einem Konzert für einen der Kommandanten spielen sollte, wird Lisa erneut von ihrer Vergangenheit eingeholt und bricht zusammen. Noch einmal durchlebt sie die Szene, in der die SS-Männer Tadeusz' Geige zerstören und ihn abführen, weil er statt des geforderten Walzers die Chaconne von Johann Sebastian Bach gespielt hat. Am Ende sieht man Marta am Ufer eines Flusses, wo sie sich an ihre Mithäftlinge und Tadeusz erinnert und wünscht, dass diese niemals in Vergessenheit geraten werden.

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Auf der Überfahrt nach Brasilien trifft Lisa (Tanja Ariane Baumgartner, links) mit ihrem Mann Walter (Peter Marsh) Anfang der 60er Jahre auf die ehemalige KZ-Insassin Marta (Sara Jakubiak, rechts).

Anselm Weber nutzt in seiner Inszenierung diesen Epilog und stellt ihn gewissermaßen als Klammer um das ganze Stück. So beginnt der Abend auch anders als im Libretto mit Marta, die an die Rampe tritt und in großen Lettern in die Luft "Ich lebe, du lebst, sie lebt" in all den Sprachen schreibt, die ihre Mithäftlinge im Lager gesprochen haben und die wie ein Menetekel auf die Rückwand projiziert werden. Auch wenn Marta wohl die einzige zu sein scheint, die von den Gefangenen im Stück dieses Grauen überlebt hat, suggeriert sie mit diesem Ausspruch zumindest, was sie im Epilog verkündet, nämlich dass die anderen Häftlinge zumindest in ihrer Erinnerung leben und damit nicht dem Vergessen anheim fallen werden. Erst nach dieser Szene beginnt das eigentliche Stück. Katja Haß hat einen gewaltigen Schiffsrumpf auf die Bühne gestellt, an dessen Außenseiten hohe weiße Treppen zu den einzelnen Decks führen. Das Innere des Schiffes entpuppt sich als großer abgeschlossener Raum, in dem die Vergangenheit im Lager in Auschwitz zur gefühlten Gegenwart wird. Lisa und Walter scheinen gewissermaßen auf einem Geisterschiff eine Reise in Lisas Vergangenheit anzutreten. Bettina Walter verzichtet bei den Kostümen auf jedwede Abstraktion und lässt die grausame Geschichte zur spürbaren Wirklichkeit werden. Wenn Lisas Mann zu Beginn des Stückes befürchtet, dass die unbekannte Passagierin seine Frau als ehemalige KZ-Aufseherin entlarven und damit seiner Karriere in Brasilien ein verfrühtes Ende bereiten könnte, sieht er die zahlreichen Schlagzeilen in unterschiedlichen Sprachen als Videoprojektion auf der weißen Schiffswand, bevor die Buchstaben wie Dreck von der Wand abgewischt werden.

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Sprung in die Vergangenheit: Lisa (Tanja Ariane Baumgartner, Mitte) als Aufseherin zwischen den weiblichen Häftlingen in Auschwitz (links vorne: Krystina (Maria Pantiukhova), rechts vorne: Marta (Sara Jakubiak), dahinter Opernchor)

Im weiteren Verlauf des Stückes konfrontiert Weber den Zuschauer mit schonungslosen Bildern, die zwar sicherlich nicht an die reale Grausamkeit heranreichen, allerdings auch nichts durch Abstraktion verharmlosen. Wie Vieh werden die Häftlinge in diesem Schiffsrumpf zusammengekarrt und müssen die Sachen ihrer verstorbenen Mithäftlinge ordnen. Lisa ist nun wieder in ihr altes Kostüm als Aufseherin geschlüpft, während Weber Walter mit einem Buch und einer Pfeife teilnahmslos durch den Raum laufen lässt, ohne von den anderen dabei wahrgenommen zu werden. Es geht Walter wohl weniger um das Schicksal der KZ-Insassen als vielmehr um die Frage, wie es um seine politische Zukunft aussehen könnte, wenn die Vergangenheit seiner Frau ans Licht käme. Neben den eindringlichen Bildern in der Baracke, in der die weiblichen Häftlinge sich in der verzweifelten Situation versuchen, gegenseitig Trost zu spenden, und sogar bei der Feier anlässlich Martas 20. Geburtstag ein Moment der Hoffnung in ihnen aufkeimt, kann vor allem das letzte Bild auf dem Schiff beeindrucken, wenn Lisa bereit ist, ihre Vergangenheit abzustreifen und mit ihrem Mann auf den Ball geht und dort zunächst ausgelassen mit dem Kapitän tanzt. Wenn die Passagierin plötzlich auftritt und die Kapelle den Walzer spielt, der damals im KZ erklang, tritt Marta auf Lisa zu, reißt ihre Perücke herunter und steht wieder mit kahlem Kopf vor ihr wie einst im Lager. Nun legen auch alle anderen Gäste ihre Ballgarderobe ab und verwandeln sich in KZ-Häftlinge, wobei die Kleider fein säuberlich auf einem Haufen gestapelt werden. Ängstlich kauert sich Lisa in ihrem gelben Ballkleid nun in eine Ecke und sieht erneut die Katastrophe Revue passieren, während ihr Mann einfach verschwindet.

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Die Schatten der Vergangenheit lassen Lisa (Tanja Ariane Baumgartner, rechts) nicht zur Ruhe kommen (in der Mitte: Opernchor).

Mit Applaus hat man bei diesem Stück eigentlich ein sehr großes Problem. Wenn zur Pause die Namen zahlreicher Häftlinge, die im KZ den Tod gefunden haben, auf die Rückwand projiziert werden, zögert das Publikum sehr lange, bevor die ersten Besucher zaghaft zu klatschen beginnen. Die Leistung des Ensembles ist in dieser Inszenierung allerdings so großartig, dass am Ende die Hemmschwelle sehr schnell fällt und das Publikum in einen tosenden Applaus ausbricht. Sara Jakubiak besitzt in der Partie der Marta eine unglaubliche Bühnenpräsenz und schafft es, mit ihrer bloßen Anwesenheit, die ehemalige Aufseherin zu verunsichern. In den KZ-Szenen begeistert Jakubiak durch intensives Spiel und eine gewisse Stärke, die den Mithäftlingen Trost zu spenden versteht und deutlich macht, wieso Lisa zu dieser Insassin eine gewisse Verbundenheit empfunden hat. Stimmlich brilliert Jakubiak durch einen warmen Sopran, der vor allem in ihrem großen Lied vom Tod im sechsten Bild zur Geltung kommt, wenn die anderen Häftlinge sie in der Geburtstagsszene bitten, ein Ständchen zu bringen. Tanja Ariane Baumgartner gibt als Lisa eine kongeniale Gegenspielerin ab. Großartig spielt sie in den Szenen mit ihrem Mann Walter aus, wie sie das schlechte Gewissen plagt und dass die Schatten der Vergangenheit sie nicht loslassen. In den KZ-Szenen beweist sie allerdings durchaus Härte und versucht Lisas Verhalten keineswegs zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Stimmlich punktet Baumgartner dabei mit dramatischem Mezzo. Peter Marsh stattet ihren Ehemann Walter mit kräftigem und höhensicherem Tenor aus. Darstellerisch überzeugt auch Marsh, wenn seine Verliebtheit zunächst in Entsetzen umschlägt, als er von der Vergangenheit seiner Frau erfährt. Brian Mulligan begeistert als Tadeusz mit markantem Bass. Auch Anna Ryberg, Maria Pantiukhova, Jenny Carlstedt, Judita Nagyová, Nora Friedrichs, Joanna Krasuska-Motulewicz und Barbara Zechmeister gefallen stimmlich und darstellerisch als weitere KZ-Insassen. Der von Tilmann Michael einstudierte Chor präsentiert sich ebenfalls absolut stimmgewaltig. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester lotet unter der Leitung von Christoph Gedschold die vielschichtige Partitur von Weinberg, die mit zahlreichen Stilrichtungen von leichter Unterhaltungs- bis hin zur Zwölftonmusik changiert, differenziert aus, so dass der Abend als rundum gelungen betrachtet werden kann.

FAZIT

Das Regie-Team um Anselm Weber setzt Weinbergs Oper, die äußerst sensibel mit einem grauenvollen Thema der deutschen Geschichte umgeht, packend um und stellt unter Beweis, dass dieser Komponist zeit seines Lebens zu Unrecht vernachlässigt worden ist.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph Gedschold

Regie
Anselm Weber

Bühnenbild
Katja Haß

Kostüme
Bettina Walter

Choreographie
Alan Barnes

Licht
Olaf Winter

Video
Bibi Abel

Chor
Tilmann Michael

Dramaturgie
Norbert Abels

 

Chor der Oper Frankfurt

Statisterie der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester


Solisten

Lisa
Tanja Ariane Baumgartner

Walter
Peter Marsh

Marta
Sara Jakubiak

Tadeusz
Brian Mulligan

Katja
Anna Ryberg

Krystina
Maria Pantiukhova

Vlasta
Jenny Carlstedt

Hannah
Judita Nagyová

Yvette
Nora Friedrichs

Bronka
Joanna Krasuska-Motulewicz

Alte
Barbara Zechmeister

Erster SS-Mann
Dietrich Volle

Zweiter SS-Mann
Magnús Baldvinsson

Dritter SS-Mann
Hans-Jürgen Lazar

Steward
Michael McCown

Passagier
Thomas Faulkner

Oberaufseherin
Margit Neubauer

Kapo
Friederike Schreiber
 



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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