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Bemerkenswerte Turandot-Reprise
Von Thomas Tillmann Keine Frage, man kann sich ärgern über die Arbeiten von Tilman Knabe, sich herausgefordert oder provoziert fühlen durch manches Detail oder insgesamt durch seine mitunter drastischen Bilder, das Zuviel an umgesetzten Ideen, aber meistens entdeckt man nach längerem Überlegen auch, dass der Regisseur seine Hausaufgaben gemacht hat, sich intensiv mit der Vorlage auseinandergesetzt hat, Dinge freigelegt hat, die gern übersehen werden - so auch in seiner Turandot-Inszenierung am Aalto-Musiktheater, die im September 2007 herausgekommen ist und nun eine glänzend besuchte, immer noch unter die Haut gehende Wiederaufnahme erlebte. In diesem oft als bloße Ausstattungsoper in China-Optik präsentierten Werk geht es um Politik, Sex und Gewalt, da gibt es durchaus Strukturen und Realitäten, die bis heute in Teilen dieser Welt den traurigen Alltag der Menschen und besonders der Frauen bestimmen. Diese verletzte, stolze Frau bezeichnet ihren brutalen, ungehobelten Vergewaltiger am Ende nicht freiwillig als "Amore", ihr Wille ist gebrochen, ihre emanzipatorische Mission ist gescheitert, sie lässt sich sogar ins aufwändige Brautkleid stecken und ihr glattes blondes Haar unter einer schwarzen Perücke mit exotischem Kopfschmuck verstecken - eine zweite Butterfly, mag man assoziieren. Und so konsequent wie Knabe haben vermutlich auch nur wenige Regisseure die (gern romantisierte) Entstehungsgeschichte des Werkes nicht nur reflektiert, sondern auch auf die Bühne gebracht, wass nicht heißt, dass der Streit um den richtigen Schluss, den die aus ihren Rollen tretenden Minister austragen, nicht ohne Substanzverlust um die Hälfte hätte gekürzt werden können. Gefeiert wurden ganz zurecht die prachtvoll und präzis singenden Chöre in einer Einstudierung von Alexander Eberle (und auch der Kinderchor war von seinem Assistenten Patrick Jaskolka gut auf seine Aufgabe vorbereitet worden) sowie der musikalische Leiter des Abends und Erste Kapellmeister des Hauses, Yannis Pouspourikas, der keine Angst vor großer Lautstärke und wuchtigen Effekten hatte und damit das szenisch mitunter überrumpelnde Konzept musikalisch durchaus passend unterstrich, ansonsten aber jedes Extrem wie zu hektische Tempi, zu starke Betonung der "modernen" Effekte Puccinis oder übertriebene Süßlichkeit an anderen Stellen vermied. Man hatte das eine oder andere gehört über die vokale Allzweckwaffe des Hauses, Katrin Kapplusch, die in der laufenden Spielzeit immerhin in so unterschiedlichen Rollen wie Manon Lescaut, Fremde Fürstin, Küsterin, Rosalinde, Sieglinde und Fidelio-Leonore in Essen auf der Bühne steht und die gefürchtete Titelpartie auch bei den Bregenzer Festspielen 2015 verkörpert. Tatsächlich freute man sich über eine angenehm frauliche, an den richtigen Stellen gleißend-durchdringende, aber nie unangenehm scharfe Sopranstimme von erstaunlicher Stamina. Auch das eigenwillige Flackern bei den intonationsmäßig absolut korrekten hohen Cs hatte elektrisierende Wirkung - eine bemerkenswerte Leistung, da hört man Schwächeres beispielsweise auch bei YouTube von prominenteren Kolleginnen. Hinzu kam eine glaubwürdige, das Konzept des Regisseurs engagiert aufnehmende Darstellung und eine durchdachte Ausdeutung des Textes. Michael Wade Lee verfügt zwar noch nicht über einen wirklich dramatischen Tenor mit kräftig ausgebildeter Mittellage, aber seine strahlend-glanzvolle, durchschlagkräftig-ungefährdete Höhe verfehlte ihre Wirkung nicht - da hat man wahrlich unattraktivere Stimmen in dieser Rolle gehört. Dass das berühmte H im großzügig phrasierten "Nessun dorma" etwas matter geriet als die Töne davor und danach, mag dem Umstand geschuldet sein, dass er zeitgleich Liù eine Injektion verpassen musste, dass er sich darstellerisch arg hemdsärmelig und einfältig präsentierte und eher wie ein Pinkerton daherkam, nahm der Figur doch einiges an Gewicht und Nuancen (die Vergewaltigung Turandots im letzten Akt etwa brachte Teile des Publikums eher zum Lachen als zum schockierten Atemanhalten). Sandra Janusaité sang sich als Liù wie die meisten Interpretinnen dieser Rolle schnell in die Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer, ihr nicht mehr wirklich mädchenhafter, sondern durchaus reifer Sopran weist auch zweifellos eine schöne, üppige Farbe auf, aber schon in der ersten Arie fiel auch auf, dass sie dabei auf eine nicht geringe Einheitslautstärke setzte, kaum je ein Piano versuchte und sich überhaupt allein auf den betörenden Klang ihrer Stimme verließ anstatt musikalische wie textliche Feinheiten zu bieten. Nicolai Karnolsky dagegen brachte als Timur nun das mit, was ihm in seiner Gelsenkirchener Zeit noch gefehlt hatte, nämlich Charisma, Ausdrucksstärke und einen runden, gewichtigen Basston. Unter den Ministern tat sich mit klangvollem, elegant geführten Bariton Roberto Accurso als Ping hervor, was nicht heißt, dass die beiden Tenorkollegen ihre Sache schlecht gemacht hätten. John Pickering war inszenierungsgemäß ein hinfälliger, an Tropf und Sauerstoffmaske hängender Timour, ließ aber vokal keinerlei Verschleißerscheinungen erkennen, und auch Mateusz Kabala empfahl sich als Mandarin für größere Aufgaben.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Einstudierung des
Dramaturgie
Szenische Leitung der Wiederaufnahme
SolistenTurandotKatrin Kapplusch
Kalaf
Liù
Timur
Altoum
Ping
Pang
Pong
Mandarin
Stimme des persischen Prinzen
1. Kammerfrau
2. Kammerfrau
Persischer Prinz
Pu-Tin-Pao
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