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Oper in fünf Akten Aufführungsdauer: ca. 3 h 30
Minuten (eine Pause) Premiere
im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig am 19. Oktober 2014
Arthur Shen (Jean),
Kinderchor Regisseur Stefan Otteni
gelingt es, zusammen mit Bühnen- und Kostümbildnerin Anne
Neuser den Charakter der großen französischen Oper zu
bewahren (sie erlauben sogar immer mal wieder ganz klassische
Rampensingerei) ohne einem Ausstattungswahn zu verfallen, sondern, ganz
im Gegenteil, die karge Weite des Bühnenraums als riesige
Gedankenprojektionsfläche freizuschalten, die im Hintergrund
lediglich eine große Metallwand begrenzt. Gleichzeitig zeigen sie
mit dezenten Aktualisierungen zeitgemäße Parallelen auf und
regen dabei eher Assoziationen und Gedankengänge des Zuschauers
an, als dass sie ihn mit eindeutigen Bildern bevormunden. Das ist nicht
nur löblich, sondern auch höchst angenehm und der Phantasie
und Gedankenfreiheit des Zuschauers förderlich. Eine sehr
natürlich wirkende Personenregie, die sich teilweise sogar exakt
an die ausführlichen Vorgaben in Libretto und Partitur hält,
verstärkt diese Denkanstöße. Ort und Zeit: Es kann
überall und nirgends sein, aber in Braunschweig auf jeden Fall
heute und nicht zur historischen Zeit in Münster.
Eine Distanzebene bildet der
Regieansatz, die Geschehnisse als Erinnerungen und Visionen Jeans zu
zeigen, der auf einem kargen Lager an der Rampe liegt und auf seine
Hinrichtung wartet. Die Idee ist nicht neu - aber überzeugend.
Immer wieder erscheint sein Double auf der Bühne, beide „Jeans“
wechseln die Rollen (wobei nur einer singt) und zuweilen agieren beide
so, wie wenn man sich selbst im Traum beobachtet. Mit wenigen Mitteln
entstehen intensive optische Eindrücke, geschickte Verwandlungen
und im wahrsten Sinne traumhafte Bilder, so etwa wenn Hubpodien
verschiedene Spielebenen bilden, versteckte Auftritte und Himmelfahrten
ermöglichen oder eine bühnenbreite und –tiefe Treppe für
die große Prozession bilden (die tatsächlich stattfindet!).
Für den grandiosen Sonnenaufgang hätte die Bühnentechnik
aber sicher etwas Eindrucksvolleres schaffen können als das
schrecklich blendende runde Scheinwerferensemble. Das fehlende Ballett
wird andeutungsweise durch Tänze des Chores ersetzt, die von
Joshua Monten eindrucksvoll choreographiert wurden, wobei die getanzte
Massenvergewaltigung im Kriegslager des dritten Aktes selbstredend kein
angenehmes Bild ist, aber doch ein folgerichtiges. Die
wechselnden Kostüme der drei Wiedertäufer – vom Predigerschal
zum Türsteherdress, von der Kampfweste zur farbenfrohen Toga
bis hin zum Anzug der Geschäftsleute, die ihren Anführer
verraten, um ihre eigene Haut zu retten – seien ebenso beispielhaft
für eine dezente, gelungene Bildersprache genannt wie die
Kruzifixe, die die Bauern anstelle von Gold und Lebensmittel an den
Propheten und seine Schergen abgeben müssen. Ein Vorratskeller
dieser Kruzifixe bildet das bedeutungsschwangere Szenenbild zur finalen
Auseinandersetzung zwischen Berthe, Fidés und Jean - vielleicht
das stärkste Bild des Abends.
Am Ende wird die Hinrichtung, auf die der denkende, sehende,
träumende Jean gewartet hat, mittels Giftspritze vollzogen. Ein
logischer Schluss. Anstelle eines effektvoll zusammenbrechenden
Krönungssaals aber doch ein bisschen sehr mager.
Arthur Shen (Jean), Anne
Schuldt (Fidès) Von falschen Propheten sprach
man eher in früheren Zeitaltern. Heute nennt man sie
religiöse Eiferer, Fanatiker, Sektenführer usw., die schnell
zu Despoten und Diktatoren werden können. Das Prinzip ist das
gleiche, die Beweggründe oft unterschiedlich. So ist es in
Meyerbeers Oper die Rache und nicht der religiöse Fanatismus, die
Jean zum Anführer der um Macht kämpfenden
Wiedertäufer werden lässt. Vor dem geschichtlichen
Hintergrund wird die unvermeidliche unglückliche Liebesgeschichte
jedoch nicht ganz so weit ausgebreitet wie die Mutter-Sohn-Beziehung,
die das emotionale Zentrum der Oper bildet. Und gerade in Braunschweig
könnte die Oper auch Fidès heißen, denn Anne Schuldt
singt die Mutter des falschen Propheten mit traumhaft schönem,
hochkultivierten Mezzo einfach fantastisch. Ekaterina Kudryavtseva
steht ihr als Berthe an Stimmsubstanz und sicherer Koloraturfreude
nicht nach. Arthur Shens Tenor klingt in der Mittellage wunderbar
leicht und klar. Die Partie des Jean ist mörderisch, aber Shen
schont sich keinen Augenblick singt immer voll aus und wenn er in der
Höhe scheitert, dann ist das ein ehrliches, geradezu sympathisches
Scheitern. Aber nicht nur diesbezüglich erhält er viel
Sympathie an diesem Abend. Er ist auch ein intensiver Darsteller.
Oleksandr Pushniak verleiht dem Oberthal szenisch und stimmlich einen
vielschichtigen Charakter. Selçuk Hakan Tiraşoğlu, Rossen
Krastev und Matthias Stier sind ein wohl- und volltönendes
Wiedertäufertrio. Apropos volltönend: Einerseits bildet die
offene Bühne einen akustischen Vorteil für die Sänger
und andererseits gibt es auch in Braunschweig eine dieser immer
beliebter werdenden akustischen Verbesserungsanlagen, die
computergesteuert über in den Wänden des Zuschauerraums
unsichtbar eingebaute Membranen rundere und sattere Klänge zaubern
als es die schwierige natürliche Akustik des Hauses vermag. Auf
Nachfrage wurde mir ausdrücklich versichert, dass es sich nicht um
eine „Verstärkung“, sondern um eine akustische Klangverbesserung
handelt. Aber, aus welchem Grund oder welcher Ursachenkombination auch
immer: Es war streckenweise einfach sehr laut. Die Haltung zum Einsatz
solcher elektronischen Hilfsmittel ist fast schon eine Glaubensfrage.
Puristen, die gern Natürliches, wenn auch akustisch Schlechteres,
aber doch gänzlich Authentisches hören und erleben wollen,
haben damit ihre Probleme. Ernst van Thiel gibt dem Kaiser, was des Kaisers ist und dirigiert eine
üppige, aber nicht unangenehm pompöse Grande opéra.
Das Staatsorchester ist bestens disponiert und der große Chor
ausgesprochen gut einstudiert, ausgewogen im Klang und sicher in allen
Stimmen, was bei einem selten gespielten Werk mit umfangreichen
Chören nicht selbstverständlich ist. Und nicht zuletzt sei
der angenehm leicht- und wohlklingende Kinderchor gelobt.
FAZIT Große Oper in
Braunschweig. Eine richtig gut gelungene Produktion.
Musikalische
Leitung
Inszenierung Bühne
und
Kostüme
Choreografie Chor &
Extrachor Kinderchor Dramaturgie
Niedersächsisches
Chor, Extrachor Statisterie des
Solisten Jean
de
Leyde
Fidès, seine Mutter Berthe, seine Verlobte Le Comte d'Oberthal Zacharie Mathisen Jonas Bauern Zwei Wiedertäufer Offiziere
Weitere
Informationen
Der
Prophet
(Le prophète)
Libretto von Eugène Scribe und Emile Deschamps
Musik von Giacomo Meyerbeer
In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Staatstheater Braunschweig
(Homepage)
Zum Mit- und
Selbstdenken
Von
Bernd Stopka / Fotos
von
Volker Beinhorn
In die Reihe der runden
Gedenktage dieses Jahres reiht sich auch Giacomo Meyerbeers 150.
Todestag. Aus diesem Anlass eröffnete das Staatstheater
Braunschweig die Opernsaison mit dessen Wiedertäufer-Oper Der
Prophet (Le prophète) und unternimmt gleichzeitig einen der in
den letzten Jahren an verschiedenen Häusern immer wieder einmal
aufkommenden Wiederbelebungsversuche dieses selten gespielten und
oft belächelten Komponisten, mit dem man zuerst einmal
pompöse Bühnenspektakel, üppigste musikalische
Klangorgien und Stimmakrobatik assoziiert. Aber gleichzeitig denkt man
auch an die vielfältigen Schmähungen, die der Meister der
französischen Grand opéra, (der ursprünglich Jakob
Liebmann Meyer Beer hieß und aus Tasdorf bei Berlin stammt)
gerade deswegen, aber nicht nur deswegen, ertragen musste und muss. Er
hat es Sängern, Ausstattern und Budgetverwaltern aber auch
wirklich nicht leicht gemacht. Jede Produktion eines seiner Werke
bildet in jeder Hinsicht besondere Herausforderungen. Aber jede gute
Produktion ist, vielleicht nicht die am tiefsten unter die Haut
gehende, aber doch glänzende Unterhaltung auf hohem Niveau.
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(Veröffentlichung vorbehalten)
Produktionsteam
Ernst van Tiel
Stefan Otteni
Anne Neuser
Joshua Monten
Georg Menskes
Johanna Motter
Tadeusz Nowakowski
Christian Steinbock
Staatsorchester Braunschweig
und Kinderchor
des Staatstheaters Braunschweig
Staatstheaters Braunschweig
Arthur Shen
Anne Schuldt
Ekaterina Kudryavtseva
Oleksandr Pushniak
Selçuk Hakan Tira
Rossen Krastev
Matthias Stier
Sebastian Matschoß
Wladimir Miakotine
Andreas Sebastian Mulik
Sebastian Matschoß
Tadeusz Nowakowski
Andreas Sebastian Mulik
Sebastian Matschoß
Jae-Min Ahn
Vladimir Miakotine
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