Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Eine schrecklich verstörte FamilieVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Salome - ein Kaffeehausdrama? Nun ja, bei Oscar Wilde (dessen Drama die Textgrundlage bildet) und Richard Strauss ist der Gedanke ja nicht ganz abwegig, waren doch beide auf ihre Art Salonlöwen. Was Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, gleichzeitig Regisseurinnen und Ausstatterinnen (oder muss man besser sagen: Gesamtkunstwerkerinnen?), hier zeigen, ist ein reichlich surreales Ambiente, das mit gastronomischen Einrichtungen in München, London oder Wien wenig zu tun hat. Ein schräg gestellter Raum mit Schachbrettmuster, in dem Tische und Stühle sich an der linken Wand hochziehen. Unterkühlter Eleganz der 1920er-Jahre, noch dazu in einen goldenen Bilderrahmen eingefasst, der deutlich einen Riss zeigt. Nein, ein naturalistischer Schauplatz ist das sicher nicht, vielmehr ein symbolischer Raum. Das Kaffeehaus als Palast des Großbürgertums. Kaffeehaus, hochkant gestellt: Salome und Festgesellschaft
Die Geschichte wird schnell zum (Alb-)Traumspiel, und lange bleibt offen, was real und was Fantasie ist. Wie in einem Mystery-Thriller verdichten sich nach und nach die Anzeichen, dass Salome, noch ein halbes Kind, von Stiefvater Herodes sexuell missbraucht wurde, und die Bewältigung dieses Traumas geht nur über Leichen. Wer dieser fanatische Prophet Jochanaan wirklich ist, bleibt in der Schwebe - alter ego und Gegenentwurf zu Herodes in einem, Projektionsfläche für Salomes Rachevisionen. Die Regie spielt mit uneindeutigen Bildern, und man muss sie wohl vom Ende her interpretieren, wenn Herodias, Herodes und Salome als Familie am Tisch sitzen und gleich drei Köpfe serviert bekommen - ihre eigenen. Da ist es längst kein Kaffehausdrama mehr, sondern eine bitterböse Familientragödie. Prinzessin und Prophet: Salome und Jochanaan
Man kann der Inszenierung so manches vorwerfen: Die Überfülle an (zum Teil auch plumpen) Symbolen widerspricht jeglicher Ökonomie der Mittel. Auf den genauen Wortlaut des Textes sollte man besser nicht achten, denn der passt oft nicht (mitunter auch nicht einmal ungefähr). Die Inzest-Deutung ist nicht neu und auch schon genauer gezeigt worden. Manches ist allzu spektakulär und vordergründig dem Bühneneffekt geschuldet (da muss die Bühnentechnik sogar bestens sichtbar eingreifen, um brennende Puppen zu löschen). Alles ein bisschen dick aufgetragen also. Und doch geht diese Salome unter die Haut (und natürlich darf das Theater auch mal dick auftragen und mächtig Bühnenzauber veranstalten). Der vielleicht entscheidende Drehpunkt ist der Tanz der sieben Schleier, heikle Stelle in vielen Inszenierungen, hier aber packend gelöst. Ein Salome-Double und ein Tänzer tanzen einen langen, todeslangsamen Walzer, und nachdem Salome sich von diesem Paar gelöst hat, zieht sie ein Kinderkleid an und steigert sich in Rachevisionen, bei denen sie die ganze Gesellschaft dahin rafft. Tanz der sieben Schleier: Die echte Salome (vorne) wird sich gleich Gewaltfantasien hingeben
Nicola Beller Carbone in der Titelpartie trägt das Konzept ganz hervorragend. Ihre Stimme ist eigentlich eine Nummer zu klein für diese Wahnsinnspartie, und es ist bemerkenswert, wie die Sängerin ihre gesanglichen Mittel hochexpressiv einsetzt, ohne zu forcieren: Auch in den dramatischen Passagen bleibt sie klangschön, gleicht mit kluger Gestaltung aus, was an Lautstärke gelegentlich fehlt. Und sie verkörpert mit beklemmender Intensität die doppelgesichtige Frau, die Kind und Racheengel zugleich ist. Das beinhaltet auch, dass sie einige (wenige, aber entscheidende) Stellen quasi mit verstellter Stimme singt, einen "kindlichen" Tonfall bemüht, der sich schneidend quer stellt zur Musik: Auch so ein Moment der Irritation an diesem höchst spannenden Abend. Abendessen im Familienkreis: Herodias (links), Salome und Herodes.
Und die Männer halten grandios dagegen: Roman Sadnik zeichnet mit tenoraler Kraft ein scharfes und vielschichtiges Charakterportrait des Herodes (in dem man, was das angedeutete Bärtchen und die Frisur betrifft, ganz vorsichtig Hitler erahnen mag). Mark Morouse ist ein wuchtiger Jochanaan von heldenbaritonalem Format, und Johannes Mertes singt einen stimmlich gewichtigen, höhensicheren Hauptmann Narraboth. Ein wenig blass bleibt da im Vergleich Anjara I. Bartz als etwas angestrengte Herodias. Beeindruckend sind die kleinen Partien besetzt: Das zur Hysterie neigende Judenquintett (mit einem brillanten Martin Koch), mit Priit Vollmer und Christian Specht als Nazarenern, Rolf Broman und Martin Tzonev als ungemein präsenten Soldaten (die hier kellnern). Und das ist durchweg sehr genau gestaltet, szenisch wie musikalisch: Großes Theater. Das gibt es auch aus dem Orchestergraben: Unter der Leitung von Chefdirigent Stefan Blunier bleibt das Beethoven Orchester der Partitur nichts an Hochspannung schuldig. Blunier nimmt das Orchester immer wieder geschickt im Klang zurück, um die Sänger nicht zuzudecken, setzt aber auch gezielt entscheidende Akzente, wenn es darauf ankommt. Er schärft die Klangfarben und betont die "hässlichen" Klänge - und das macht hörbar, wie radikal modern Richard Strauss hier komponiert hat. Das gibt immerhin eine Ahnung, wie Salome, längst als gutbürgerliches Repertoirestück etabliert, seinerzeit manchen verschreckt haben mag. Und im Einklang mit der Regie immer noch kann.
Über manchen Aspekt lässt sich sicher streiten, aber diese Salome, in der Musik und Szene hervorragend aufeinander abgestimmt sind, ist von beklemmender Wucht und unbedingt hörens- und sehenswert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Ausstattung
Licht
Choreographie
Solisten* Besetzung der Premiere
Herodes
Herodias
Salome
Jochanaan
Narraboth
Page der Herodias
Erster Jude
Zweiter Jude
Dritter Jude
Vierter Jude
Fünfter Jude
Erster Nazarener
Zweiter Nazarener
Erster Soldat
Zweiter Soldat
Sklave
Ein Cappadocier
Ein Tanzpaar
|
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de