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Musiktheater
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Così fan tutte -
eine Geschichte über Liebe, Enttäuschung und Wunschträume


Projekt von Calixto Bieito
mit Musik aus Wolfgang Amadeus Mozarts gleichnamiger Oper
und Texten von Michel Houellebecq

In italienischer, französischer und englischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 15' (keine Pause)

Premiere im Theater Basel am 24. April 2015


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Theater Basel
(Homepage)

Die Ausweitung der Beziehungskampfzone

Von Joachim Lange / Fotos von Priska Ketterer

Dieser ungewöhnliche Abend hatte einen Prolog. Deswegen wird sogar die Staatsanwaltschaft ermitteln. Wegen „Schreckung der Bevölkerung“ wie es so unnachahmlich auf Schweizerdeutsch heißt. Aber wer jetzt meint, dass die Basler vergessen haben, was die Freiheit der Kunst ist und dem Regisseur Calixto Bieito das Handwerk legen wollten, der ist gleich zweifach im Irrtum. Erstens ist der Basel Regie-Stammgast Calixto Bieito (51) längst kein Bürgerschreck mehr. Sondern ein ganz ernst zu nehmender, kluger Stückebefrager und Protagonist eines ambitionierten Musiktheaters. Zweitens hatte die Verspätung, mit der sein „Cosi fan tutte“ - Projekt in der Oper Basel über die Bühne ging, gar nichts mit dem Theater zu tun. Am Beckenrand des Tinguely-Brunnens vor dem Opernhaus war am Nachmittag der Kantonspolizei ein Objekt gemeldet worden, das wegen verdächtiger Drähte und unklarer Herkunft fortan wie eine Bombe behandelt, mit einem Bleimantel bedeckt und dann von herbeigerufenen Spezialisten aus Zürich mit Hilfe eines dreiachsigen Spezialroboters mit Greifarm kontrolliert gesprengt wurde. Das Publikum gelangte in der Zwischenzeit über den Bühneneingang ins Foyer. Und konnte sich einen Drink auf Kosten des Hauses genehmigen. Mit einer Stunde Verspätung trat der Basler Intendant Georges Delnon vor das Premierenpublikum, war aber auch nicht schlauer ob es sich nun tatsächlich um eine Bombe gehandelt hat.

Szenenfoto

Despina und Fiordiligi

Der Rauch, der als Wolke vom zerwühlten Doppelbett in den Zuschauerraum zog, der war dann allerdings Inszenierungsbestandteil. Und erinnerte vor allem an den dauerpaffenden Mitautor dieses höchst ungewöhnlichen Mozart-Abends, Frankreichs Literatenstar Michel Houllebecq.

Bieito, der Cosi 1999 schon einmal in England an der Welsh National Opera als turbulente Komödie mit ernüchterndem Ausgang inszeniert hatte, hat bei seiner neuerlichen Beschäftigung mit dem Stück, Mozarts und da Pontes genial seiner Zeit vorausgreifendes Beziehungsexperiment sozusagen vom Resultat aus neu gelesen. Er hat all das, was an frustrierender Lebensweisheit über die Endlichkeit des Hochgefühls der Liebe darin steckt, mit Houllebecqscher, nun ja, Frustrationslyrik wie mit einem Erkenntnisverstärker in die Gegenwart hinein verlängert. Und das funktioniert überraschend gut.

Szenenfoto

Glückliche Paare?

Gegen die möglichen Einwände hat sich Bieito abgesichert, in dem er den Untertitel von Cosi fan tutte, von „Schule der Liebenden“ in „eine Geschichte über Liebe, Enttäuschung und Wunschträume“ verändert und als „Projekt mit Musik aus W.A. Mozarts gleichnamiger Oper und Texten von Michel Houellebecq“ bezeichnet hat. Genau das ist es auch geworden. Die eingedampfte Version kommt ohne Wette der Männer um die Treue der Frauen aus. Braucht keinen Verkleidungs-Hokuspokus. Weder den der Männer als Albaner, noch den Despinas als Arzt oder Notar. Und auch keinen Kriegseinsatz. Sie konzentriert sich ganz und gar auf die Selbstbefragung der (einst?) Liebenden.

Zu Beginn liegen Fiordiligi, Guglielmo (Iurii Samoilov), Dorabella (Solenn' Lavanant-Linke) und Ferrando (Arthur Espiritu) gemeinsam im Bett unter einer Decke - kann sein, dass da ein Pärchenabend etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Kann aber auch sein, dass alles nur eine Imagination des reiferen Ehepaares Despina und Alfonso ist. SIE erinnert optisch an Sue Allen (aus „Dallas“); ER ist ein Typ wie Heino Ferch. Beide in dem Alter „zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein“. Noemi Nadelmann im blauen Kostüm und mit derangiertem Haar, Andrew Murphy noch im Mantel. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und so weit von einander entfernt, wie es in diesem white cube nur geht. Und mit Houllebecq im Köcher. Dessen Pfeile werden dann in einer Melange aus französischem Pathos und englischer Nüchternheit aufeinander abgefeuert. Was den italienischen da Ponte-Text quasi in eine diffus entemotionalisierte Gegenwart verlängert.

Szenenfoto

Katzenjammer am Morgen danach

Damit gibt es eine Ausweitung der Houellebecqschen Kampfzone auf die Szenen einer Ehe. Alles changiert hier auf der Grenzlinie zwischen Liebe und Sex, was hier bedeutet, wie jeder den Wechsel zwischen der Ernüchterung in einer Beziehung und dem Begehren nach neuen Erfahrungen für sich zu bewältigen versucht.
So artikuliert sich denn auch zuerst Despina. Als die Frau mit den meisten Erfahrungen, wohl auch Enttäuschungen, ringt sie nervös und völlig aufgelöst nach Worten und Tönen. Ein Selbstgespräch mit Zigarette in der Hand. Ihr dann folgendes „Una donna a quindici anni“ wird kombiniert mit dem ersten eingefügten Text, der in der deutschen Übersetzung mit „Der Tag wächst heran und wird groß, legt sich auf die Stadt. Wir haben die Nacht ohne Erlösung durchlebt….“ beginnt und mit „Wir sind Gefangene der eigenen Durchschaubarkeit.“ endet. Erst dann setzt die Ouvertüre ein und die beiden Paare kriechen aus dem Bett. Das sieht deutlich mehr nach „am Boden zerstört“ als nach „hoch befriedigt“ aus. Despina bringt die Stimmung mit dem Text von „L’amour, l’amour“ auf den Punkt. Der beginnt mit „kurzatmige Rentner in einem Pornokino/ Verfolgten ohne rechten Glauben/ Die schlecht gefilmten Spiele zweier lasziver Paare; Eine Handlung gab es nicht“.
Worauf Fiordiligi mit der Arie Nr. 25 „Per pietà“ (die von Despina unterbrochen wird) antwortet. Was Anna Princeva mit der darstellerischen Glanzleistung einer im Nachhinein über sich selbst erschrockenen Frau verbindet, die sich wie ein ertapptes Kind verschämt und voll Selbstekel am Saum ihres Unterrocks festkrallt. Da darauf ein verbaler Schlagabtausch zwischen Alfonso und Despina folgt, könnte das, was die beiden anderen Paare durchleben, genauso gut eine Variation der Lebenserfahrung dieses älteren Paares sein. Nach diesem Strickmuster arbeitet sich der Abend vom ernüchternden Ende des Beziehungsexperimentes, also von der Enttäuschung zu den Wunschträumen vor.

Szenenfoto

Szenen einer Ehe: Despina und Alfonso

Dorabellas und Guglielmos Duett Nr. 23 „Il cor vi dono“ wirkt wie ein verzweifelter Ausbruchsversuch, den aber jeder für sich allein durchlebt. Fiordiligis und Ferrandos“ „Fra di amplessi“ (Duett Nr. 29) ergänzt das komplementär bei den andern beiden. Mit dem Terzett Nr. 10 „Soave sia il vento“ schließlich verabschieden sich alle. Aber nicht voneinander, sondern von jeder Hoffnung auf dauerhafte Liebe, die mit ungebrochenem sexuellen Begehren einhergeht.

So sind insgesamt knapp zwanzig Nummern aus der Oper in einer ganz anderen, alles Leichte und Komödiantische eliminierenden Reihenfolge neu zusammengestellt, durch Houellebecq-Texte unterbrochen bzw. verbunden. Das fabelhafte Sinfonieorchester Basel unter der umsichtigen Leitung von Ryusuke Numajiri und das Hammerklavier sind auf der Bühne hinter dem Bett platziert und bis kurz vor dem Ende durch eine Gaze dem Blick nahezu verborgen. Zum Quintett “Di scivermi ogni giono“ geht diese Rückwand hoch und das Orchester wird voll sichtbar.

Wie schon das erste, so behält Despina auch das letzte Wort. Sie ist jetzt allein, nachdem sich alle anderen, jeder für sich, davon gemacht haben. Mit einem abschätzig selbstbewussten „In uomini, in soldati“ bezieht sie die Betten neu. Mit einem einsamen, aber doch selbstbewussten weiblichen „Na und?!“

FAZIT

Calixto Bieito ist eine faszinierende Befragung von Mozarts Così fan tutte gelungen. Luxus wäre, diese Variante direkt der üblichen Nummernfolge gegenüber zu stellen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ryusuke Numajiri

Regie
Calixto Bieito

Bühne
Calixto Bieito

Mitarbeit Bühne
Marion Menziger

Kostüme
Eva Butzkies

Chor
Henryk Polus

Dramaturgie
Ute Vollmar



Chor des Theater Basel

Sinfonieorchester Basel

Hammerklavier: Iryna Krasnovska


Solisten

Fiordiligi
Anna Princeva

Dorabella
Solenn' Lavanant-Linke

Ferrando
Arthur Espiritu

Guglielmo
Iurii Samoilov

Don Alfonso
Andrew Murphy

Despina
Noëmi Nadelmann



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Basel
(Homepage)



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