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Ein Offenbach, der Funken schlägt
Von Joachim Lange / Fotos von Iko Frese/drama-berlin.de
Gerade hat er seinen Vertrag verlängert. Barrie Kosky bleibt bis 2022 der Chef der Komischen Oper. Der Australier hat sich offensichtlich von der sprichwörtlichen Berliner (Operetten-)Luft, Luft, Luft…. infizieren lassen. Zugleich gibt er damit (nicht nur) den Berlinern ein Stück ihrer eigenen Vergangenheit zurück. Vor allem die jüdische Operette der Weimarer Jahre, die von den Nazis aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt werden sollte. Das ist das Fundament seines Erfolges und brachte dem Intendanten gleich für seine erste Spielzeit den Titel „Opernhaus des Jahres“. Kosky ist aber keineswegs nur der Operettenkasper vom Dienst, bei dem auch halbnackte Herren mal loskreischen und Musical- und Travestiestars mitmischen dürfen. Er kann als Regisseur auch „ernsthaft“, wie etwa mit seinem Rameau Castor und Pollux und demnächst mit Schönbergs Moses und Aron. Die schöne Helena (Nicole Chevalier) ist immer mitten drin. Als Intendant sorgt Kosky mit seiner Programm-Mischung für ungeteilte Aufmerksamkeit, pflegt den außergewöhnlichen Ensemblegeist seines Hauses und hat so die Auslastungszahlen imponierend schnell weit über die 80-Prozent-Marke geführt! Trotzdem ist Kosky der amtierende Operettenfachmann. Es verwundert also nicht, dass er 150 Jahre nach der Uraufführung jetzt mit Jaques Offenbachs Schöner Helena seine dritte Spielzeit eröffnet. Was durchaus eine Herausforderung ist. Gibt es doch etliches von Offenbach, was sowohl mehr szenische als auch musikalische Substanz hat. Aber was GMD Henrik Nánási und sein Orchester mit geradezu liebevoller Hingabe aus der Partitur herausholen und so funkeln lassen, dass man sich im Traum nicht nach der Unsitte der Mirkoports sehnt, und was sie geradezu tolldreist mit allem möglichen, vor allem mit Wagner-Schnipseln würzen, das zündet beim Publikum als die große Show mit etwas Hintersinn, als die es gemeint ist. Die schöne Helena (Nicole Chevalier) wird auf Händen getragen. Kosky macht aus der Schönen Helena des Librettisten-Duos Henri Meilhac und Ludovic Halévy auch in der deutschen Fassung von Simon Werle kein Vorkriegsstück, obwohl die Titel-Dame ja von der Nachwelt für den Trojanischen Krieg verantwortlich gemacht wird. Und wenn Menelaos (Peter Renz) einmal feststellt, das etwas „auch gut so“ sei, dann ist ausnahmsweise mal nicht der noch Regierende Berliner Bürgermeister gemeint. Kosky nimmt diesen Offenbach als den Unsinn mit Musik, der er zum großen Teil auch ist. Und konzentriert sich auf das, was bleibt, nämlich die Ehekrisensymptome im Hause Menelaos (Langeweile und trottliger Gatte einer lebenslustigen Frau mit Sinn für schöne Männer, speziell den Prinzen Paris, der als schöne Hirten daherkommt) und erzählt die Geschichte einer selbstbewussten Frau, die am Ende mit allerlei Tricks aus ihrer Ehe flieht. In den gemalten Salonkulissen-Raum lässt Rufus Didwiszus bei Bedarf diverse Sitzmöbel tragen. Genügend Türen fürs Rein und Raus sind vorgesehen, ein Laufsteg vor dem Graben inklusive. Diesmal sind die Herren für das Frivole zuständig. Und so tobt denn das von der Leine gelassene Personal augenzwinkernd auf das Verhängnis zu. Mit einem instinktsicheren Timing, mit Ironie und Slapstick, in Fantasiekostümen bei den Griechen, inklusive der fabelhaften Tänzertruppe, die zur Abwechslung mal fürs Frivole zuständig ist und allemal eine gute Figur macht - ob nun in ihren Lederhosen ohne Hosenboden, auf Rollschuhen oder in Bademode. So, wie die tanzen, kreischen und sich austoben, ist das eine Klasse für sich. Zusammen mit dem Chor und den durchweg hauseigenen Solisten pusten sie jedes Staubkörnchen von diesem Offenbach, das sich da in den letzten 150 Jahren niedergelassen hat. Diese Helena ist vielseitig und kann auch Chanson - Nicole Chevalier ist der Star dieser Produktion. Grandios, wie Nicole Chevalier ihre Helena nicht nur singt, sondern dabei auch die (Rampen-)Sau herauslässt. Urkomisch, wie der von Buki Shiff als Priester ausgestopfte Stefan Sevenich den dennoch leichtfüßigen Seher Kalchas gibt. Wenn er es etwa beim gewitzten Dauerscharmützel, das sich Offenbach hier mit (Un-)freund Wagner liefert, mit dem Rheingold-Donner donnern lässt. Wenn er den Kopf in den Trichter seines Orakel Grammophon steckt und Elisabeths Hallenarie hineinträllert, dann gerät der Apparat außer Kontrolle und sprüht Funken. Ganz so wie das durchweg mitreißende Offenbach-Personal an der Komischen Oper, die damit ganz auf der Höhe der Genres ist.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Helena
Paris
Menelaos
Orest
Kalchas
Agamemnon
Ajax I
Ajax II
Achilles
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