Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Gurrelieder

Für Soli, Chor und Orchester

Text: Jens Peter Jacobsen
Deutsche Übertragung: Robert Franz Arnold

Musik: Arnold Schönberg


In deutscher Sprache mit niederländischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Szenische Weltpremiere im Het Muziektheater am 2. September 2014


Besuchte Aufführung: 7. September 2014


Homepage

De Nederlandse Opera
(Homepage)
Schönbergs Gurrelieder funktionieren (grundsätzlich) auch szenisch

Von Thomas Tillmann / Fotos von Ruth Walz


Gut hundert Jahre nach der Uraufführung in Wien wagt sich die Amsterdamer Oper an eine szenische Realisierung von Schönbergs Gurreliedern, übrigens in memoriam Gerard Mortier, den das sicher gefreut hätte. Ehrlich gesagt wundert man sich, dass nicht eher jemand auf diese Idee gekommen ist, szenische Versionen von Passionen etwa sind doch auch seit einiger Zeit zu sehen, und Themen wie die Unmöglichkeit und Bedrohtheit von Liebe oder die Theodizeefrage sind doch bis heute faszinierend.


Vergrößerung Tove (Emily Magee) und Waldemar (Burkhard Fritz) genießen ihre verbotene, zerbrechliche Liebe.

Pierre Audis Inszenierung kann sich freilich nicht entscheiden zwischen einer realistischen und einer symbolisch-abstrakten Sichtweise, verlässt sich vielleicht auch etwas zu sehr auf die Wirkung der natürlich großartigen, von Jean Kalman auch großartig ausgeleuchteten Szene von Christof Hetzer, die nicht nur auf opulente, klassische Bühnenbilder setzt, sondern auch moderne Videoinstallationen von Martin Eidenberger einbezieht - da gibt es Hinweise auf die Ruinen von Waldemars Burg und Gurres Wiesen, ästhetische Herbstbäume oder solche, die ihre Blätter verlieren. Die dramatische, durchaus an Wagners Tristan gemahnende Liebesgeschichte hätte insgesamt dichter, leidenschaftlicher erzählt werden können, das Bett in der Bühnenmitte im ersten Teil etwa war da etwas vordergründig (sehr wirkungsvoll dagegen der Friedhof mit den illuminierten Kreuzen im weiteren Verlauf), und auch das Bühnenpersonal wirkte stellenweise etwas allein gelassen.


Vergrößerung

Der Narr (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) leuchtet König Waldemar (Burkhard Frotz) den Weg.

Audi konzentriert sich zum einen auf das Psychogramm eines mit seinem Schicksal und seinem Gott hadernden Königs, der seinen Status mehr und mehr verliert, strauchelt und ebenso wie der Bauer auf der Straße und im Wet Horse Inn landet (warum dieser Name?). Der Aufmarsch von Soldaten und ihrer toten Pferde (man denkt an "War Horse") erinnert zum anderen hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs daran, dass das Werk am Vorabend des Ersten Weltkrieges das Licht der Welt erblickt hat, ein Umstand, auf den bereits zu Beginn beim Einblenden des Werktitels hingewiesen worden war und der immer wieder auftaucht.


Vergrößerung Tove ist tot, wie der König (Burkhard Fritz) aus dem Lied der Waldtaube (Anna Larsson) erfahren muss.

Nicht ganz sicher bin ich mir, wie das Schlussbild zu deuten ist: Heben die in weiße an Uniformen erinnernden Outfits gewandeten, mit undurchsichtigen Brillen ausgestatteten und damit verblendeten Choristen beim Sonnenhymnus tatsächlich den rechten Arm, wobei die Zeigefinger ausgestreckt sind? Spricht Audi hier also ziemlich konkret eine Warnung vor dem Nationalsozialismus und anderen totalitären Systemen (oder auch Sekten) aus und formuliert somit eine überzeitlich gültige Botschaft, die er in der Vorlage findet? Einiges bleibt rätselhaft in dieser Produktion, ebenso wie manches nur bebildert wird, was man sich klarer interpretiert gewünscht hätte - hier entzieht sich Audi, vermutlich aber ganz bewusst.


Vergrößerung

Der Sprecher (Sunnyi Melles) und der verwahrloste König (Burkhard Fritz), der an Gott und Welt verzweifelt

Und so bleibt der musikalische Eindruck der stärkere nach den zwei Stunden. Marc Albrecht liebt und kennt die spektakuläre, ausladende hochromantische Partitur bestens und hält den riesigen Orchesterapparat und die übrigen Mitwirkenden problemlos zusammen, ganz wunderbar, atmosphärisch und bei aller Wucht stets diszipliniert musizieren das Nederlands Philharmonisch Orkest und der Koor van De Nationale Opera, verstärkt noch durch den KammerChor des ChorForum Essen (insgesamt sollen 235 Personen auf der Bühne und im dicht besetzten Graben aktiv sein, was für Dimensionen!).

Burkhard Fritz' Tenor hat für die Partie des Waldemar vielleicht ein etwas helles Timbre, einen nach wie vor eher jugendlich als heldisch timbrierten Tenor mit Grenzen ganz oben und ganz unten besitzt er, aber insgesamt war der Deutsche doch eine gute Wahl. Auch darstellerisch warf er sich total in die Rolle, entwickelte aber bei allem Einsatz und Mut zur Hässlichkeit zu wenig schauspielerische Zwischentöne und Nuancen, sein Abstieg wirkte er in jeder Sekunde gespielt und berührte (mich) nicht wirklich.


Vergrößerung Die Schlussszene (Ensemble und Orchester)

Emily Magee erwies sich als Tove einmal mehr als kompetente, verlässliche, gut vorbereitete Künstlerin mit meistens leuchtenden, selten und dann im Forte etwas scharfen, aber stets höhensicheren, in der Tiefe nicht sehr kräftigen jugendlich-dramatischen Sopran - hoffentlich bleibt sie vorsichtig bei Angeboten für zu dramatische Partien, die Isolde etwa bereitet sie den Angaben auf ihrer Homepage bereits vor.

Sehr präsent mit pastos-reifen, trauerumflorten, ausdrucksstarken Tönen und glänzender Diktion war Anna Larsson eine hervorragende Interpretin der Waldtaube (überflüssig waren indes die schwarzen Flügel an ihrem Kostüm, ebenso wie die Taubenmusterung von Toves Mantel - vielleicht hätte der Ausstatter doch einen erfahrenen Kostümbildner an seiner Seite gebraucht). Markus Marquardt war ein praller, verlotterter Bauer mit kraftvoll-zupackendem, virilen Heldenbariton, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ein sehr seriös singender, hervorragend verständlicher Klaus Narr, der hier den ganzen Nachmittag über mit Mond-Ballon präsent zu sein hat (eine der eher mäßigen, nicht sehr erhellenden Ideen Audis). Ähnliches gilt für Sunnyi Melles in der von der Regie stark aufgewerteten Sprecherpartie, androgyn und alterslos in Anzug und mit Kreissäge, geheimnisvoll, stets präsent vor allem auch in den eingelegten Texten.


FAZIT

Keine Frage, das war ein bemerkenswerter, praller Theaterabend, der zurecht vom Fernsehen (und für eine DVD-Veröffentlichung?) aufgezeichnet wurde, der aber szenisch trotzdem etwas hinter den Erwartungen zurück blieb, gerade nach den beglückenden Erfahrungen bei der Derniere von Audis Ring-Produktion in der letzten Spielzeit.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Albrecht

Inszenierung
Pierre Audi

Bühne und Kostüme
Christof Hetzer

Licht
Jean Kalman

Video
Martin Eidenberger

Choreinstudierung
Thomas Eitler

Einstudierung KammerChor
Alexander Eberle



Koor van
De Nationale Opera

KammerChor
des ChorForum Essen

Nederlands
Philharmonisch Orkest


Solisten

Waldemar
Burkhard Fritz

Tove
Emily Magee

Waldtaube
Anna Larsson

Bauer
Markus Marquardt

Klaus Narr
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Sprecher
Sunnyi Melles





Weitere Informationen
erhalten Sie von
De Nederlandse Opera
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2014 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -