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Schillers Trauerspiel im Mafia-MilieuVon Thomas Molke / Fotos: Carl BrunnVon den vier Schiller-Dramen, die Giuseppe Verdi vertont hat, scheint Luisa Miller seit einiger Zeit neben dem 18 Jahre später komponierten Don Carlo allmählich einen festen Platz im Repertoire der Opernhäuser zu bekommen. Allein im November dieses Jahres widmen sich mit der Staatsoper Hamburg, der Opéra Royal de Wallonie in Liège und dem Theater Aachen drei Bühnen diesem Stück, das kurz vor der sogenannten "Trilogia popolare", zu der Rigoletto, Il trovatore und La traviata zählen, am Teatro San Carlo in Neapel zur Uraufführung gelangte. Auch Schiller plante ursprünglich, sein Drama Luisa Millerin zu nennen, entschied sich dann allerdings auf Anraten des Schauspielers August Wilhelm Iffland für Kabale und Liebe als publikumswirksameren Titel. Dass Verdi die weibliche Hauptfigur im Titel beibehielt, deutet bereits seine Konzentration auf individuelle Charaktere an, wie sie in seinen späteren Werken immer im Mittelpunkt stehen sollten. Rodolfo (Felipe Rojas Velozo, Mitte) verteidigt seine Liebe zu Luisa (Camille Schnoor) vor seinem Vater, dem Grafen von Walter (Woong-jo Choi, links) (auf der rechten Seite: Miller (Hrólfur Saemundsson) mit der Statisterie dem Opern- und Extrachor). Die weiteren Änderungen in der Dramenvorlage von Schiller sind allerdings eher den damaligen Opernkonventionen und der Zensur im Neapel des 19. Jahrhunderts geschuldet. So wäre es beispielsweise undenkbar gewesen, dass der Sohn des Grafen von Walter den gleichen Vornamen gehabt hätte wie der damalige König von Neapel Ferdinando II. Deswegen wurde Ferdinand kurzerhand in Rodolfo umbenannt. Auch die Partie der Lady Milford wurde in der Oper aus mehreren Gründen abgeschwächt. Zum einen wäre es einer Sängerin nicht zumutbar gewesen, die Mätresse eines Herrschers zu spielen. Zum anderen musste die Ranghierarchie in dem am Haus engagierten Ensemble berücksichtigt werden, wonach es neben Luisa keine zweite Primadonna geben durfte, wie Verdi es sich eigentlich für diese Partie gewünscht hätte. Aus Lady Milford wurde folglich Federica von Ostheim, eine verwitwete Herzogin. Des Weiteren wurden die Rollen von Luisas Mutter und dem Hofmarschall von Kalb gestrichen. Luisa adressiert bei Verdi den verleumderischen Brief direkt an Wurm, was dessen Rolle in der Intrige noch eine weitere Nuance gibt. Rodolfo (Felipe Rojas Velozo) weist die ihm bestimmte Braut Federica (Yaroslava Kozina) zurück. Das Regie-Team um Mario Corradi stellt sich die Frage, wo man die Geschichte um die beiden Liebenden aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten in der heutigen Zeit noch glaubhaft ansiedeln kann, und kommt zu dem Entschluss, die Handlung ins Mafia-Milieu zu verlegen. Graf von Walter ist ein Mafia-Boss, der sich, wie es in diesen Kreisen üblich ist, mit Hilfe seines Handlangers Wurm des vorherigen Herrschers kurzerhand entledigt hat. Während der Ouvertüre ist der Mord an von Walters Vorgänger zu sehen. Auch Rodolfo erscheint, um von dem Sterbenden zu erfahren, dass sein Vater in dieses Attentat verstrickt ist. Dieser Regie-Einfall ist durchaus in Einklang mit dem Libretto zu bringen. Das Bühnenbild von Italo Grassi, das mit hohen grauen Balken eine Art Tiefgarage andeutet, entspricht einerseits dem Klischee, das man aus zahlreichen Filmen über die Mafia hat, und ermöglicht andererseits schnelle Szenenwechsel. Für die Stube von Luisa und ihrem Vater wird eine Wand emporgezogen und ein grauer Kasten mit einer Madonna auf der Rückwand wird hereingefahren. Wieso in dem ansonsten recht kargen Raum auf der rechten Seite ein großes Kinoplakat aus Titanic steht, erschließt sich allerdings nicht direkt. Das Büro des Grafen ist die Schaltzentrale eines Spielcasinos. In der Mitte wird ein großes Bühnenbild mit einem mondänen Schreibtisch und einem Safe hereingefahren, während über dem Schreibtisch auf drei Bildschirmen das Treiben im Casino überwacht werden kann. Auch zahlreiche Kunstschätze werden herbeigeschafft, die wahrscheinlich als Anlage für das gewaschene Geld dienen. Wurm (Jacek Janiszewski) diktiert Luisa (Camille Schnoor) den verleumderischen Brief. Während dieser Ansatz in den ersten beiden Akten noch ganz gut trägt, wirft das Bühnenbild im dritten Akt dann doch einige Fragen auf. Aus der Tiefgarage ist ein Krankenzimmer geworden, in das Luisa von ihren Freundinnen gebracht wird. Will Luisa etwa den Freitod in einem Krankenbett wählen? Auch ist fraglich, ob Rodolfo das Gift wirklich unbemerkt in Luisas Getränk mischt. Nachdem sie zugegeben hat, den Brief an Wurm geschrieben zu haben, spritzt er das Gift nicht nur nicht recht offensichtlich in ein Glasgefäß, sondern reicht Luisa anschließend auch noch einen weiß gefärbten Trank. Dass sie nicht wissen soll, was sie da zu sich nimmt, wirkt doch eher unglaubwürdig. Umso effektvoller gelingt dann die Umsetzung des Schlusses. Rodolfo knallt Wurm ab, der gemeinsam mit dem grünen Krankenhausvorhang zu Boden geht, und schießt sich selbst in den Mund. Der Rauch, der dabei um Rodolfos Kopf entsteht, erschüttert den Zuschauer genauso wie der Einschuss, der anschließend an dem Balken, an dem Rodolfo zusammenbricht, mit einer langen Blutspur zu sehen ist. So brutal wird in Mafiakreisen eben miteinander abgerechnet. Luisa (Camille Schnoor) bricht sterbend in den Armen ihres Vaters (Hrólfur Saemundsson, links) ihr Schweigen. Rodolfo (Felipe Rojas Velozo, rechts) verzweifelt. Musikalisch ist beeindruckend, dass Aachen ein solches Stück mit nur wenigen Gästen stemmen kann. Besonders hervorzuheben sind hier Camille Schnoor in der Titelpartie, Hrólfur Saemundsson als ihr Vater Miller und Woong-jo Choi als Graf von Walter. Schnoor verfügt als Luisa über einen jugendlich-dramatischen Sopran mit hervorragender lyrischer Grundierung. So rührt sie das Publikum mit leuchtenden Höhen zu Tränen. Auch optisch wird sie dem mädchenhaften Charakter der Partie mehr als gerecht. Saemundsson begeistert als Miller mit kräftigem Bass, der im dritten Akt im Zusammenspiel mit Schnoor auch ganz weiche Töne findet. Choi stattet den relativ gefühlskalten Grafen mit tiefer Schwärze aus, der aber durchaus auch fähig ist zu leiden, wie er in seiner aufwühlenden Arie im zweiten Akt unter Beweis stellt. Gegen diese drei hervorragenden Sängerdarsteller wirkt Jacek Janiszewski als Wurm zumindest stimmlich etwas blass. Sein Bass klingt stellenweise etwas zu weich für den intriganten Verwalter. Darstellerisch überzeugt er hingegen als schmieriger Handlanger auf ganzer Linie. Glaubhaft abstoßend gelingt ihm die Szene, wenn er Luisa den verleumderischen Brief diktiert. Yaroslava Kozina wertet die Herzogin Federica von Ostheim durch enorme Bühnenpräsenz auf und begeistert mit voluminösem Mezzo. Da hätte man sich gewünscht, dass Verdi mehr als nur ein Duett und ein Quartett für diese Figur komponiert hätte. Felipe Rojas Velozo stattet den Rodolfo mit großen lyrischen Bögen aus und stößt nur in der berühmten Arie des zweiten Aktes ganz leicht an seine Grenzen. Ansonsten begeistert er durch eine saubere Diktion und strahlende Höhen, ohne dabei zu forcieren. Der von Andreas Klippert einstudierte und um den Extrachor erweiterte Opernchor überzeugt ebenso auf ganzer Linie wie das Sinfonieorchester Aachen, das unter der Leitung des Generalmusikdirektors Kazem Abdullah zu Höchstform aufläuft und einen fulminanten Verdi-Klang aus dem Graben ertönen lässt, ohne dabei die Solisten zuzudecken. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten. FAZIT Auch wenn man nicht jeden Regie-Einfall nachvollziehen kann, macht die Aachener Produktion deutlich, warum Verdis Luisa einen festen Platz im Repertoire verdient hat. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne und Kostüme Licht Video Chor
Dramaturgie
Statisterie Theater Aachen Sinfonieorchester Aachen Solisten*Premierenbesetzung
Luisa Miller
Miller, ihr Vater
Rodolfo von Walter
Graf von Walter, sein Vater
Wurm,Verwalter des Grafen
Federica, Herzogin von Ostheim Laura,
eine junge Bäuerin Ein Bauer
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